Protocol of the Session on October 24, 2012

Und jetzt kommen wir zum haarsträubenden Teil: Das Bundesversicherungsamt unter dessen Präsidenten

Dr. Gaßner hat nämlich bereits am 24. Julei dieses Jahres überraschend den gordischen Knoten beim Streit um

die Berechnung durchschlagen. Auf der Sitzung des Wissenschaftlichen Beirates wurde seitens des Bundesversicherungsamtes verkündet – recht spontan –, dass ab Januar 2013 eine neue Formel anhand der oben genannten Pro-Tag-Werte für die im Jahresverlauf verstorbenen Versicherten gelten solle. Offenbar hatte sich der Beirat bereits Ende Juno auf dieses Vorgehen geeinigt, offiziell mitgeteilt wurde die Entscheidung des Bundesversicherungsamtes dann Ende Juli in einer entsprechenden schriftlichen Erläuterung. Und, meine Damen und Herren, zu dem Zeitpunkt, muss ich offen gestehen, hielten wir diesen Fall für gelöst.

Anfang September dieses Jahres kam dann allerdings die politische Grätsche aus dem Bundesgesundheits- ministerium. Dort war man offenbar alles andere als erfreut über diesen Alleingang des Bundesversicherungsamtes und dementsprechend wurde von Daniel Bahr mitgeteilt, dass nicht einzelne Punkte, wie beispielsweise der Berechnungsfehler bei den unterjährig Verstorbenen, neu geregelt werden sollten, sondern eine Neuausrichtung des Morbi-RSA lediglich als Gesamtpaket angestrebt würde. Und da der Bundesgesundheitsminister die Fachaufsicht über das Bundesversicherungsamt in Angelegenheiten der Krankenversicherung hat, musste dieses dann auch, wenn auch zähneknirschend, zurückrudern.

Zitat: „Einen unmittelbaren Handlungsdruck gibt es nicht“, wird Daniel Bahr in der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert. Und genau das, dass es keinen Handlungsdruck gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sehen wir anders. Wir sind der Meinung, dass in Anbetracht unserer spezifischen Versichertenstruktur in Mecklenburg-Vorpom- mern nicht gewartet werden darf, bis in ein paar Jahren ein möglicherweise umfassendes Novellierungsverfahren abgeschlossen ist. Hier in unserem Bundesland müssen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds möglichst zügig, möglichst passgenau dort ankommen, wo sie für die Versorgung von älteren und kranken Menschen sehr dringend benötigt werden, und daher drängen wir mit unserem Antrag auf eine zeitnahe Initiative, eine erneute Initiative der Landesregierung auf Bundesebene zur Behebung des Berechnungsfehlers im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zur Begründung des Antrages der Fraktion DIE LINKE hat der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich halte es für bemerkenswert und erfreulich, dass sowohl SPD und CDU als auch wir Anträge in der Schublade hatten und für diese Debatte im Parlament vorbereitet haben, die auch in die gleiche Richtung zielen, das gleiche Problem bearbeiten und zu dem gleichen Schluss kommen, und ich darf Ihnen nunmehr nahebringen den Antrag „Benachteiligung von gesetzlich Versicherten in Mecklenburg-Vorpommern beenden – Risikostrukturausgleich des Gesundheitsfonds reformieren“.

Wir haben uns entschieden, die gesetzlich Versicherten auch in den Fokus der Überschrift zu nehmen, um deutlich zu machen, hier geht es nicht um ein technokratisches Konstrukt,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es geht um die Reform.)

sondern es geht ganz klar um die Versorgungssituation von Versicherten in diesem Land. Wer unseren Antrag liest, mag sich womöglich verwundert fragen, worin denn eine Benachteiligung von gesetzlich Versicherten in Mecklenburg-Vorpommern bestünde. Eine solche ist in der Tat auf den ersten Blick nicht ersichtlich, leisten doch viele im Gesundheitsbereich eine hervorragende Arbeit. Dennoch ist es so, dass die Benachteiligung, von der in unserem Antrag die Rede ist, auf indirektem Wege daherkommt. Sie hat ihre tiefere Ursache in der politischen Entscheidung auf Bundesebene, auch den Gesundheitsbereich mehr und mehr marktwirtschaftlichen Mechanismen zu unterwerfen.

Marktwirtschaftliche Mechanismen, insbesondere wenn es um Fragen der Daseinsvorsorge geht, bedürfen aber einer Regulierung. Und bei der Befassung mit dem Thema war ich neugierig, mal zu lesen, was denn Analytiker gesellschaftlicher Verhältnisse zu dieser Situation, in Marktverhältnissen zu regulieren, geschrieben oder gesagt haben. Interessanterweise hat Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Sozialreform oder Revolution?“ über Fragen der Regulierung und Anpassung und die Prozesse,

(Torsten Renz, CDU: Dass wir das heute Abend noch erleben!)

die damit verbunden sind, innerhalb kapitalistischer Verhältnisse nachgedacht. Sie kam zu der Erkenntnis, die ich unbedingt teile, weil den hiesigen Verhältnissen etwas Selbstzerstörerisches innewohnt, versucht man, diesem durch Anpassung zu entgehen.

Es gibt so drei große Blöcke, mit denen man versucht, solche Anpassungen zu erreichen – einmal über das Kreditwesen, dann über das Verkehrswesen, einschließlich Kommunikationstechnologien und Organisationsstrukturen, womit wir jetzt beim Thema wären. Denn weil die Verhältnisse, die Art und Weise, wie wir produzieren und verteilen, immer wieder an ihre Grenzen stoßen, werden die Formen der Anpassung an die Verhältnisse immer komplizierter und immer undurchschaubarer.

So verhält es sich mit dem Gesundheitsfonds und so verhält es sich auch mit dem Risikostrukturausgleich. Beide, Gesundheitsfonds und mehr noch der Risikostrukturausgleich, der morbiditätsorientierte, versuchen zu regulieren, wohin marktwirtschaftliche Mechanismen ohne Regulierung unweigerlich führen, nämlich, Herr Barlen sagte es sehr anschaulich, immer zum Wettbewerb um die gesunden und jungen Versicherten, währenddessen dann ältere, alte, kranke Menschen für die Wettbewerbsteilnehmer eher unattraktiv sind.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Insbesondere also der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich soll hier ein Korrektiv bilden. Das geschieht auch auf sehr raffinierte Art und Weise, jedenfalls zu großen Teilen. Zunächst werden – das ist hier schon mal angeklungen, ich sage das aber auch, damit jemand, der noch mal nachlesen möchte, warum wir diesen Antrag hier gestellt haben, das in der Komplexität auch nachvollziehen kann –, zunächst werden also die Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Sondervermögen, dem Gesundheitsfonds, gesammelt. Aus diesem

erhalten die Krankenkassen Finanzzuweisungen, um die Versorgungsleistung für ihre Versicherten begleichen zu können. Dabei werden Alter, Geschlecht, etwaige Erwerbsminderungsrente und Krankheitslasten berücksichtigt. Jede Versicherte, jeder Versicherter wird vor diesem Hintergrund genau einer von 178 sogenannten Risikogruppen zugeordnet.

Berücksichtigt werden in diesem Zusammenhang auch unvollständige Versicherungsperioden, etwa wenn jemand von der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung wechselt, wenn jemand den Armeedienst antritt oder ins Ausland geht. Fehlerhaft berücksichtigt werden die Fälle – und hier liegt die rein praktische Ursache für die Benachteiligung der gesetzlichen Versicherten in Mecklenburg-Vorpommern, von denen in unserem Antrag die Rede ist –, bei denen jemand innerhalb eines Jahres verstirbt. Ich knüpfe also an das an, was Herr Barlen hier beschrieben hat, denn es wird versicherungsmathematisch so getan, als habe diese Person das gesamte Jahr Beiträge eingezahlt, hingegen werden alle bis zum Todeszeitpunkt aufgelaufenen Kosten durch 365 Tage, also das gesamte Jahr geteilt. Auf diese Weise kommt es zu einer deutlichen Verzerrung.

Die Einnahmen werden einerseits zu hoch angesetzt und die Ausgaben zu niedrig. Dieses findet letztlich seinen Niederschlag in verringerten Zuweisungen an die betreffenden Krankenkassen mit der Konsequenz, dass über dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich seit 2009 fast, Herr Barlen sprach von einer zweistelligen Millionenhöhe pro Jahr – wir haben uns genauso wie Sie auch sehr interessiert für Details bis hin, was ist sozusagen nicht ins Land geflossen, 2009 bis 2012 jetzt mal hochgerechnet kommen wir auf circa eine Viertelmilliarde Euro –, also dieses Geld, etwa eine Viertelmilliarde Euro, fehlt bei der Versorgung. Und dieses fehlende Geld beschwört die latente Gefahr herauf, dass die betreffenden Krankenkassen – von der AOK als größte der zu nennenden an dieser Stelle – mit Zusatzbeiträgen arbeiten müssen, wenn die wirtschaftliche Lage es nicht mehr hergibt, anders zu handeln. Das wiederum würde unmittelbar finanziell nachteilig sein für die Versicherten der betreffenden Kassen.

Sehr geehrte Damen und Herren, die beschriebene Benachteiligung mit ihrem unmittelbaren Hintergrund wird im Fachjargon als Methodenfehler im Risikostruk- turausgleich bezeichnet. In den beiden vorliegenden Anträgen wird betont, wie wichtig die Behebung des Methodenfehlers für die gesetzlich Versicherten ins- besondere in Mecklenburg-Vorpommern ist. Wo aber, frage ich vor allen Dingen die Kolleginnen und Kollegen der CDU, bleibt in diesem Zusammenhang der Aufschrei der CDU-Bundestagsabgeordneten aus MecklenburgVorpommern? Was macht in diesem Zusammenhang eigentlich die Bundeskanzlerin? Es wäre doch ein Leichtes, dem Gesundheitsminister eine entsprechende Ansage zu machen, denn wir hörten ja von Herrn Barlen, dass Herr Bahr an dieser Stelle auf der Bremse steht, mehr noch, eigentlich im August dieses Jahres die Beseitigung des Methodenfehlers untersagt hat.

Und ich kann Ihnen das nicht ersparen, meine Damen und Herren von der CDU.

(Torsten Renz, CDU: Doch.)

Nein, das muss gesagt werden.

(Bernd Schubert, CDU: Ach, jetzt nicht mehr.)

Im Vorfeld – gerade weil wir auf das Gleiche abzielen – dieser Debatte haben wir uns bemüht, einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen.

(Torsten Renz, CDU: Ich dachte, jetzt geht es nur um die Bundesregierung.)

Nee, nee. Die Bundesregierung steht in der Kritik, in diesem Fall ja auch in Ihrer Kritik,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

sonst hätten Sie diesen Antrag hier so nicht gestellt. Das ist ohne Zweifel so.

(Torsten Renz, CDU: Immer den Finger in die Wunde.)

Aber worauf ich hinaus will, ist, es wäre doch gut und richtig gewesen, wenn wir auf das Gleiche abzielen, dass wir einen gemeinsamen Antrag hinbekommen. Und wir haben den einen Vorschlag unterbreitet, den ersten Punkt Ihres Antrages, den zweiten Punkt, den ersten Satz von Ihnen, den zweiten Satz von uns, wir hätten wunderbar die ganze Problematik und auch Lösungsvorschläge abgedeckt und hätten einen gemeinsamen Willen demokratischer Fraktionen in diesem Landtag artikulieren können. Allein die CDU wollte es nicht.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Was?! Das ist ja wohl der Gipfel!)

Und ich möchte an dieser Stelle – der CDU-Vertreter wird ja noch reden – gern etwas über die Gründe wissen, warum Sie der Meinung sind, das nicht mit uns gemeinsam hier auf den Weg bringen zu wollen,

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

denn ich muss ganz einfach an dieser Stelle, wenn Sie das nicht plausibel begründen können, sachfremde Erwägungen unterstellen. Herr Renz hat vorhin mit Blick auf meinen geschätzten Kollegen Herrn Foerster unterstellt, wir würden hier parteitaktische Spiele spielen.

(Torsten Renz, CDU: Sehr richtig, sehr richtig.)

Das ist überhaupt nicht der Fall. Herr Foerster hat ganz klar deutlich gemacht, worum es ihm geht, und hat das auch mit Zahlen belegt. Ich möchte an dieser Stelle den Spieß mal umdrehen und von Ihnen gerne wissen, warum Sie sich an dieser Stelle einer gemeinsamen Initiative verweigert haben.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Das können Sie also gerne noch machen.

Ich selber werbe dafür, dass in diesem Fall, weil kein gemeinsamer Antrag zustande gekommen ist, jedoch beide Anträge eine Zustimmung erfahren. Das ist zwar etwas ungewöhnlich, macht aber in doppelter Hinsicht deutlich, worum es uns geht. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und werbe an dieser Stelle noch mal für unseren Antrag. – Schönen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schubert von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage, Herr Koplin, mal sehen, ob ich die am Ende beantworte. Erst mal werde ich auf einige Punkte eingehen, denn man muss sagen, der Ausgleich ist doch etwas schwieriger, als es hier dargestellt worden ist. Es gibt unterschiedliche Auffassungen, auch im Land der Krankenkassen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Joah!)

Eine Seite ist der Gewinner oder könnte der Gewinner sein und die anderen sind Verlierer.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Und der heutige Gewinner könnte der Verlierer sein.)

Aber selbst bei den AOKs in der Bundesrepublik gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen, denn es ist nicht nur die AOK hier in Mecklenburg-Vorpommern davon betroffen,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Überall.)