Protocol of the Session on August 29, 2012

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das hoffe ich auch.)

Wir jedenfalls stellen uns der Diskussion. Das tun wir gegenwärtig auch. Vor allen Dingen sollten wir uns den Argumenten, den Stellungnahmen der Fachleute nicht verschließen und wir sollten alle daran mitwirken, dass keine weißen Flecke auf unserer Landkarte in Mecklenburg-Vorpommern in Bezug auf die Amtsgerichtsstruktur entstehen. Das dürfen wir nicht zulassen. Da müssen wir sehen, wie wir das gemeinsam erledigen, und ich bin heute schon gespannt auf die Beratungen zur Volksinitiative und auch weiterhin auf die Beratungen zur Amtsgerichtsstrukturreform beziehungsweise auch zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. Also da gibt es mit Sicherheit noch einen hohen Diskussionsbedarf, das ist auch bei uns in der Fraktion so, das ist völlig normal, aber wie gesagt, wir stehen am Anfang dieses Prozesses und nicht am Ende und insofern kann ich alle nur auffordern, daran mitzutun, dass wir da ein vernünftiges Ergebnis am Schluss erzielen.

Zur Volksinitiative bitte ich Sie natürlich, sie zur Beratung in den Rechtsausschuss zu überweisen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat nun für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Andrejewski.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beschränke mich auf einen Gesichtspunkt, den die Volksinitiative in ihrer Begründung angesprochen hat. Die Betreiber der Volksinitiative befürchten, dass sich für sogenannte rechtsextreme Gruppierungen, die im ländlichen Raum kostenlose Rechtsberatung anbieten, weitere Einflussmöglichkeiten eröffnen würden, wenn die Zahl der Amtsgerichte zurückginge.

Also das ist zu viel der Ehre, nicht? In direktem Sinne stimmt das sicher nicht. Ich möchte bezweifeln, dass nach dem Verschwinden eines Amtsgerichts die Bürger etwa zur NPD kommen, einen zivilrechtlichen Streit entscheiden zu lassen oder einen Verein eintragen zu lassen. Das will ich auch hoffen, das fehlte noch, dass wir das auch noch am Hals hätten. Aber indirekt kann sich durchaus ein entsprechender Effekt ergeben. Zieht die Justiz ab, so wie die Amerikaner aus Vietnam,

(Heinz Müller, SPD: Der Vergleich ist etwas weit hergeholt.)

bleibt die in dem betroffenen Ort beheimatete Kameradschaft oder der entsprechende NPD-Verband trotzdem da. So wird das wahrgenommen – wie die Amerikaner aus Vietnam: Abzug, Kapitulation.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, ja, ja.)

Deren Anwesenheit, der Kameradschaft oder der NPD, wiegt umso schwerer, je mehr der Staat seine Präsenz reduziert. Die Kräfteverhältnisse ändern sich zu unseren Gunsten – nicht unbedingt deshalb, weil wir so viel stärker würden,

(Heinz Müller, SPD: Das werdet ihr nicht, weiß Gott!)

sondern weil wir einen größeren Teil dessen darstellen, was überhaupt noch vorhanden ist. Und bei uns wissen die Leute, dass wir nicht abziehen, im Gegenteil, es ziehen immer mehr nationale Bürger nach Mecklenburg-Vorpommern, immer neue Familien und immer neue Siedlungen, die berüchtigten „Braunen ÖkoSiedler“.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Verbote helfen da gar nichts. Da müssten Sie schon Instrumente aus der Zeit der Sozialistengesetze unter Bismarck wieder ausgraben, etwa den Kleinen Belagerungszustand, der Behörden dazu ermächtigte, missliebige Personen aus bestimmten Regionen zu verbannen. Das wäre ja auch mal eine Anregung.

Wenn die Leute die Erfahrung machen, dass heute die Kreisverwaltung größtenteils weggeht, nachdem ihre Stadt den Status als Kreisstadt verloren hat, und morgen im Rahmen der sogenannten Polizeireform immer weniger von der Polizei zu sehen ist, sich übermorgen die Stadtbücherei und die Berufsschule verabschieden und aus dem Amtsgericht zunächst eine Zweigstelle wird, bis die schließlich auch dichtgemacht wird, schwindet das Vertrauen in den Staat und dessen Willen, überhaupt noch für die Bürger da zu sein.

Das wird nicht als Reform und Straffung und Organisationsoptimierung wahrgenommen, sondern als Im-Stichgelassen-Werden. Hinzu kommt noch, dass die den Gemeinden auferlegten Sparmaßnahmen auch deren Gewicht als staatliche Körperschaften verringern werden. Kreisumlage und Altfehlbetragsumlage werden die Kommunen so belasten, dass diese kaum noch in der Lage sein werden, ihre freiwilligen Aufgaben im jetzigen Maße wahrzunehmen, vielleicht sogar überhaupt nicht. Sie werden sich als fördernde Kraft weitgehend aus dem Vereinsleben zurückziehen und sich auf ihre bloßen Kernaufgaben beschränken müssen. Wieder weniger staatliche Präsenz an allen Fronten. Was bleibt, sind die Arbeitsgemeinschaften, um die Bezieher von Arbeitslosengeld II zu schikanieren, und Antirechtskampagnen, die Penetranz und Demokratie und Toleranz schwafeln.

(Manfred Dachner, SPD: Oh nee! Das gibts ja nicht!)

Aber die werden als Lautsprecher eines sich aus dem ländlichen Raum davonstehlenden, immer weniger leistenden und immer weniger sichtbaren Systems wahrgenommen, während die nationalen Kameradschaften und die NPD immer da sind, immer aktiv und immer stets sichtbar. Das wird Auswirkungen haben, die genau in die Richtung gehen, die in der Volksinitiative als wahrscheinliche Entwicklung angedeutet wird.

Wir wollen zwar auch nicht, dass Gerichte geschlossen werden, wir lehnen das ab wie alles, was auf die Verödung des ländlichen Raumes hinausläuft.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Die größte Verirrung ist doch die NPD.)

Es ist aber auch richtig, dass nicht wir die politische Kraft sind, der das schadet.

Ihr Gehirn ist das Verödetste hier.

(Heinz Müller, SPD: Oh, oh! – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Im Gegensatz zu den staatlichen Institutionen, die sich im ländlichen Raum auf dem Rückzug befinden, bleiben wir mindestens in unveränderter Stärke da, wo wir jetzt sind. Vielleicht ist die Schließung der Amtsgerichte genau der eine Schritt zu weit, der die Bürger davon überzeugt,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das glauben Sie doch selbst nicht, Herr Andrejewski. Mein Gott!)

dass der BRD-Staat genauso schwindet wie vorher die DDR und sie sich besser umorientieren sollten. Man erinnere sich an den totalen Autoritätszusammenbruch, den DDR-Behörden und Polizei während der Wendezeit erlebten und der sich auch noch lange fortsetzte. So etwas bahnt sich jetzt wieder an, wenn der Staat nach und nach mit allen Institutionen aus dem ländlichen Raum verschwindet, wenn auch schleichend, dafür aber umso gründlicher.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Herr Andrejewski, Ihre Äußerungen gegenüber der Abgeordneten Frau Dr. Seemann weise ich als unparlamentarisch zurück.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Herr Suhr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte auch explizit gerade in Richtung der Koalitionsfraktionen mit etwas Positivem einsteigen. Ich habe ja durchaus Ihre Zwischenrufe wahrgenommen, ich weiß nicht, ob die hinten wahrgenommen worden sind.

(Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

Aber es bewegt sich was, es bewegt sich was. Wenn ich auf der einen Seite den Prozess noch mal aufrufen darf, der in den letzten Monaten stattgefunden hat, da haben wir uns ja zumindest schon entwickelt von einer Koalitionsvereinbarung, die eine Orientierung an die neuen Kreisgrenzen vorsah, bis hin zu einem ersten Arbeitsentwurf, in dem es zumindest auf der Ebene der Arbeitsgerichte eine leichte Anpassung nach oben gab. Und nun gab es in der Tat das Ergebnis des Koalitionsausschusses mit noch mal einer Anpassung. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, ich hatte den Eindruck, dass auch die Diskussionen der – in Anführungszeichen – „starken Abgeordneten vor Ort“ dazu beigetragen haben, dass diese Anpassung stattfand.

(Egbert Liskow, CDU: Dann loben Sie uns doch mal!)

Das tue ich doch gerade, Herr Liskow, ausdrücklich.

(Egbert Liskow, CDU: Ja, das können Sie auch noch mehr machen.)

Und jetzt kommt von Kollegen, wie von Herrn Liskow oder von Herrn Dr. Nieszery über die Zwischenrufe gerade, die will ich noch mal wiedergeben, ich habe sie so

verstanden: Wir sind im Prozess und wir sind offen für das, was jetzt in den nächsten Wochen dann in den Ausschüssen beraten wird.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Das heißt, wir dürfen auch da möglicherweise noch mal eine weitere Anpassung erwarten. Ich würde das sehr begrüßen, wenn das tatsächlich so wäre. Aber ich will an dieser Stelle auch sagen – und deshalb hatte ich das in der Tat, Frau Ministerin Kuder, kritisch bemerkt in einer Presseerklärung –: Wenn der Koalitionsausschuss schon mal zu einem Ergebnis kommt, was ja offensichtlich zunächst jetzt als Zwischenergebnis hier dokumentiert worden ist

(Peter Ritter, DIE LINKE: Verkauft worden ist.)

oder möglicherweise auch verkauft wird, und er das wenige Tage, bevor die erste Beratung einer Volksinitiative zum gleichen Thema stattfindet, tut, dann, finde ich, ist das zumindest – vorsichtig formuliert – der unpassende Zeitpunkt.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wenn wir nichts vorgelegt hätten, hätten Sie gesagt, wir sind untätig.)

Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, dass wir zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen an dieses Thema haben. Wir haben auf der einen Seite die Herangehensweise der Landesregierung, die haben wir in der Vergangenheit immer kritisiert. Die geht nämlich davon aus, dass Einsparziele zu erreichen sind, gut 1,8 Millionen Euro ist das Einsparziel, und sie geht davon aus, dass dies in allererster Linie – die Grundlage war nämlich das Personalkonzept 2010 –, dass dies in erster Linie über Personaleinsparungen erzielt werden soll.

Die andere Seite ist die Herangehensweise der Volksinitiative und ich glaube, das ist eine Herangehensweise, von der ich finde, dieser Landtag als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land muss diese Herangehensweise in besonderer Art und Weise berücksichtigen. Die orientiert sich nämlich daran: Was wollen die Menschen vor Ort – viele Kommunalparlamente haben das ja schon aufgegriffen – und ist das, was wir dort machen, das Angebot, was wir im Justizbereich zukünftig haben, denn noch ein angemessenes und ein akzeptiertes?

Und ich möchte Frau Kuder auch einmal aus der Begründung der Volksinitiative verlesen, da wird nämlich infrage gestellt, ob dieses direkte Verhältnis zwischen Bürger und Rechtsstaat durch eine zu starke Ausdünnung gefährdet ist. Ich zitiere: „Dieses direkte Verhältnis der Bürger zum Rechtsstaat droht mit der geplanten Schließung von Amtsgerichten verloren zu gehen. Das trifft vor allem die Schwächeren in unserer Gesellschaft. Wegen des zweifellos größer werdenden Aufwandes, bei einer Verringerung der Zahl der Amtsgerichte den Zugang zum Recht zu erhalten, wird das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben.“ Ich kann das an dieser Stelle nur ausdrücklich unterstreichen und ich glaube, wir wären ausgesprochen gut beraten, wenn wir dieser Frage der Zumutbarkeit, der Zugänglichkeit und auch des Empfindens, zieht sich der Rechtsstaat in der Tat aus der Fläche zurück, in den jetzt anstehenden Beratungen und Anhörungen einmal sehr auf den Grund gehen würden.

Und wenn dann, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der SPD, auch von dieser Seite noch mal nachhaltig Bewegung in die Auseinandersetzung hineingekommen ist oder hineinkommt, dann in der Tat haben Sie uns auf Ihrer Seite.

Ich will schließen mit einer Anmerkung zu der Herangehensweise der Landesregierung, die ich ja beschrieben habe als eine eher finanzielle Herangehensweise, eine eher über Personalreduzierung orientierte Herangehensweise. Es ist überaus fraglich, ob Sie das umsetzen können, weil ich zumindest bisher keine Berechnungen kenne, die konkret untersetzen, wie Sie das umsetzen wollen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf zwei Dokumente hinweisen – einmal auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, wo nämlich das Rechtsstaatsprinzip eine angemessene Personalausstattung der Gerichte verlangt. Sie kennen in diesem Zusammenhang die Grundlage PEBB§Y und da darf ich einmal, die Fraktion der LINKEN wird mir das nachsehen, auf eine Anfrage unter Drucksache 6/833 hinweisen.

Diese Kleine Anfrage orientierte darauf, wie ist das denn mit den PEBB§Y-Berechnungen an den Amtsgerichten, und kommt in der Tat zu dem Ergebnis, 2011 war das, wir haben überall Überlastungen, Überschreitungen des PEBB§Y-Wertes,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Richtig.)