Protocol of the Session on March 16, 2012

Danke.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat Frau Kuder, die Justizministerin.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „ACTA ad acta“ – wer von Ihnen hat diesen Slogan in den letzten Wochen nicht vernommen? Zehntausende in aller Welt sind auf die Straßen gegangen, um gegen ACTA zu protestieren. Netzaktivisten in aller Welt fürchten bei einem Inkrafttreten um nicht weniger als um Meinungsfreiheit, Informationszugang und Datenschutz im Netz. Sind diese Befürchtungen berechtigt? Gehört ACTA wirklich ad acta?

ACTA, diese vier Buchstaben stehen für ein internationales Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen, welches die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums auf internationaler Ebene zum Ziel hat. Entgegen einer wohl weit verbreiteten Vorstellung handelt es sich aber weder um ein reines Urheberrechtsabkommen, noch beschränkt es sich auf die Bekämpfung von Rechtsverstößen im Internet oder im sonstigen digitalen Umfeld. Das Abkommen selbst normiert auch keine neuen Schutzrechte. Es trifft vielmehr zollrechtliche, zivilrechtliche und strafrechtliche Regelungen zur Rechtsdurchsetzung in den künftigen Vertragsstaaten und Regelungen zur internationalen Zusammenarbeit.

Nach langen Verhandlungen ist der Vertragstext inzwischen abschließend ausgehandelt. Berechtigterweise wird kritisiert, dass die Vertragsentwürfe lange Zeit hinter verschlossenen Türen und nicht im Rahmen etablierter internationaler Gremien verhandelt worden sind. Daraus resultiert nicht ganz zu Unrecht der Vorwurf der Geheimniskrämerei. Widerspricht das Zustandekommen damit jedoch demokratischen Grundvorstellungen?

Ein völkerrechtlicher Vertrag, und um einen solchen handelt es sich hier, wird stets von Unterhändlern der Regierungen ausgehandelt. Um überhaupt Verhandlungspartner an einen Tisch zu bekommen, kann es auch sinnvoll sein, Vertraulichkeit über den Verhandlungsstand

vorzusehen. Das macht ACTA aber nicht zu einem Geheimabkommen. Der endgültige Vertragstext ist für jeden Internetnutzer einsehbar. Dies beantwortet zugleich die Frage nach eventuellen geheimen Anhängen. Diese gibt es nicht.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Richtig ist, dass mehr Transparenz und eine breitere Basis bei den Verhandlungen sicher wünschenswert gewesen wären. Mit den Stimmen Mecklenburg-Vorpommerns hat der Bundesrat daher bereits im Frühjahr 2010 eine entsprechende Entschließung verabschiedet. Der Bundesrat hat darin den Mangel an Transparenz bei den Verhandlungen über ACTA gerügt und bedauert, dass nicht die im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum und der Welthandelsorganisation bereitstehenden Strukturen für die Information der Öffentlichkeit und die Durchführung von Konsultationen zum Tragen gekommen sind.

Meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, wie Sie sehen, kommen Sie mit Ihrem Antrag Jahre zu spät. Die Verhandlungspartner haben im Übrigen zwischenzeitlich den Bitten um Veröffentlichung von Verhandlungstexten entsprochen und neben der endgültigen Fassung auch einige vorangegangene ACTA-Texte zugänglich gemacht.

Meine Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, ebenso überholt ist auch Ihre Forderung an die Bundesregierung, ACTA in der vorliegenden Form nicht zu unterzeichnen. Mit einem Inkrafttreten von ACTA ist nämlich auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Zwar haben eine Mehrzahl der beteiligten Staaten und die Europäische Union das Abkommen unterzeichnet, Deutschland hat die Unterzeichnung wie einige weitere Staaten jedoch zumindest vorerst ausgesetzt.

Damit ACTA in Kraft treten könnte, müsste es zudem von den Vertragspartnern in einem weiteren Schritt noch ratifiziert werden. Jeder Verhandlungspartner entscheidet unabhängig, ob er das Abkommen letztlich auch ratifiziert. Eine Ratifizierung durch die Europäische Union und deren Mitgliedsstaaten steht jedoch erst einmal nicht zu erwarten. In Deutschland bedarf es für die Ratifizierung eines vom Bundesrat und Bundestag verabschiedeten Zustimmungsgesetzes. Erst auf dieser Grundlage darf der Bundespräsident die Ratifikationsurkunde unterschreiben.

Eine Besonderheit bei ACTA ist, dass dieses neben den beteiligten Staaten auch durch die Europäische Union als eigener Vertragspartner ratifiziert werden muss. Auch davon ist in der nächsten Zeit nicht auszugehen.

Die Europäische Kommission hat den Europäischen Gerichtshof angerufen. Dieser soll in einem Gutachten die Vereinbarkeit des Abkommens mit EU-Recht bewerten. Auch das Europäische Parlament erwägt, strittige Punkte dem Gerichtshof gesondert vorzulegen. Diese gerichtliche Prüfung ist zu begrüßen. Ihr Ergebnis gilt es zunächst einmal abzuwarten. Uneingeschränkt zu befürworten ist auch die Ankündigung des neuen Berichterstatters für ACTA im Europäischen Parlament, eine offene Debatte mit allen betroffenen Akteuren führen zu wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was schließlich die möglichen Folgen eines Inkrafttretens des Ab

kommens betrifft, erlaube ich mir den Hinweis, dass sich nach einer ersten Einschätzung der Bundesjustizministerin an der Rechtslage in Deutschland nichts ändern werde. Ziel des Abkommens ist es, vorgefundene Mindeststandards auch auf internationaler Ebene zu etablieren. Gesetzgebungsbedarf wird daher in Deutschland nicht gesehen. Auch seitens der EU-Kommission wird davon ausgegangen, dass das EU-Recht nicht geändert werden müsse.

Warum dann aber auch Proteste in Deutschland? Kritiker befürchten, ACTA werde Netzsperren oder Webfilter ermöglichen oder Internetprovider zu Hilfssheriffs machen. Entsprechende Passagen finden Sie im verabschiedeten Vertragstext jedoch nicht. Richtig ist allerdings, dass viele Vertragsbestimmungen recht vage gefasst und insoweit interpretationsbedürftig sind.

(David Petereit, NPD: Wehret den Anfängen!)

In Deutschland soll es aber...

Das stimmt gerade für Sie.

In Deutschland soll es aber auch künftig keine Kommunikationsüberwachung, Webzensur oder Hilfssheriffs geben. Insoweit gilt es, die Errungenschaften der neuen digitalen Welt zu erhalten. Das Netz ist andererseits kein rechtsfreier Raum. Auch der Schutz der privaten Eigentumsrechte ist ein hohes Gut. Diese sind fundamentale Voraussetzung jeder freiheitlichen Gesellschaftsordnung und Ausgangspunkt für wirtschaftliche und soziale Sicherheit. Rechtsverstöße, die in der nichtdigitalen Welt sanktioniert sind, können im Internet nicht legitim sein. Ob das Urheberrecht, das Patent- und andere verwandte Schutzrechte in ihrer derzeitigen Ausgestaltung dem digitalen Umfeld immer gerecht werden, ist dabei ein anderes Problem, dem sich der Gesetzgeber stellen muss.

Meine Damen und Herren, es kommt jetzt darauf an, alle Fragen und jede Kritik offen zu behandeln. Ein effektiver Schutz geistigen Eigentums in einer zunehmend digitalen Welt wird sich nur mittels einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz und unter Beteiligung einer möglichst großen Zahl mitwirkender Staaten erreichen lassen. Die Gremien der Europäischen Union haben bereits die Weichen für eine versachlichte und offene Debatte gestellt. Auch der deutsche Gesetzgeber wird sich dieser Debatte stellen. Der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE erübrigt sich mithin. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin Kuder.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Schulte für die Fraktion der SPD. Nein, Moment, hier ist was gewechselt worden. Nein, erst Herr Saalfeld für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Minister Harry Glawe: Jochen, mit dir haben sie es heute aber auch.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her

ren! Dass sich am 11. Februar 2012 bei Temperaturgraden um den Gefrierpunkt über 800 Menschen in Rostock versammelt hatten, um gegen ACTA zu demonstrieren, zeigt vor allem eins: Die Menschen wollen keine Politik der Hinterzimmer und sie wollen sich notwendige Debatten nicht nehmen lassen. Sie wollen stattdessen an diesen Debatten teilhaben.

Das Kuriose an ACTA ist ja, dass wir wirklich noch gar nicht wissen, was da alles drinsteht, denn die Protokollanhänge, die es angeblich nicht gibt, halten sich doch sehr hartnäckig in der Diskussion. Viele unbestimmte Rechtsbegriffe im Abkommen werden nur in diesen Verhandlungsprotokollen näher erläutert. Das Problem ist aber eben, dass wir diese Protokolle momentan nicht einsehen können.

Ich finde es fatal, dass losgelöst von den international legitimierten Institutionen, allen voran den Vereinten Nationen und hier insbesondere der WIPO, der World Intellectual Property Organization, Verhandlungen vorangetrieben wurden, die einzelne Staaten bewusst ausgrenzten und demokratische Prozesse unterliefen. Alleine die Entstehung von ACTA, die Geheimhaltungstaktik und die Tatsache, dass Wirtschaftslobbys stärker in die Verhandlungen eingebunden waren als demokratisch gewählte Abgeordnete, sind inakzeptabel.

Auch die durch ACTA zu erwartenden Folgen für Entwicklungsländer, vor allem die Auswirkungen auf die Versorgung mit lebenserhaltenden generischen Medizinprodukten und patentiertem Saatgut, sollten uns alle sorgen. ACTA würde die dazu bestehenden Ausnahmen im bisherigen TRIPs-Abkommen aushebeln und kann dadurch die Versorgung in Entwicklungsländern erschweren. Ein Weg, der immer stärker auf Verfolgung setzt und die bestehende Urheberrechts- und Patentpolitik der vergangenen Jahrzehnte gegen notwendige Veränderungen und Reformen zementiert, geht in die völlig falsche Richtung.

Wir GRÜNEN haben vor drei Monaten auf unserem Bundesparteitag einen Vorschlag zur Reform des Urheberrechts vorgelegt und mussten feststellen, das ist nicht einfach. Und auch wir haben noch keine perfekte Lösung gefunden. Unser konkreter Vorschlag zielte zum Beispiel auf die Verkürzung des Urheberrechtsschutzes auf 5 statt bisher 70 Jahre nach dem Tod. Der Vorschlag stieß einerseits bei den Kulturschaffenden auf Zustimmung, andererseits auf vollkommene Ablehnung. Die Sportfreunde Stiller schrieben zum Beispiel den GRÜNEN, dass eine Urheberrechtsschutzverkürzung gerade die kleinen Künstler hart treffe. Jan Delay dagegen geht davon aus, dass eine solche Reform vor allem die großen Rechteverwerter treffen würde, die momentan die Netzgemeinde mit einer Welle von Rechtsanwälten und Prozessen überziehen.

Ich stehe da nicht nur musikalisch eher auf der Seite von Jan Delay, auch ACTA würde einen großen Teil der Kreativität und der Kreativwirtschaft in unserem Land zerstören, die davon lebt, Werke zum Beispiel in Mashups weiterzuverarbeiten und neu zu kompilieren.

Wie gesagt haben wir GRÜNEN auch noch keine Lösung. Aber wir wollen uns zumindest auf den Weg machen und gemeinsam eine Lösung mit den Kulturschaffenden, mit den Providern und den Konsumenten finden, anstatt fertige Verträge in Hinterzimmern auszuhandeln.

Wir stehen in rechtlicher wie sozialer Hinsicht vor einer ebenso spannenden Debatte wie zu Zeiten des beginnenden Buchdrucks, als Heerscharen von Klosterschreibern arbeitslos wurden und ihren Herrschaftsstatus verloren.

Zurück in die Gegenwart: Die einseitige Kriminalisierung der Bevölkerung und die unverhältnismäßige Verfolgung und Durchsetzung des Urheberrechts lehnen wir ab. Das Ziel muss lauten: Vergütung statt Verfolgung. Ich wiederhole es noch mal: Vergütung statt Verfolgung. ACTA widerspricht diesem Ziel. Es manifestiert einen antiquierten, überholten und am Ende auch erfolglosen Politikansatz und verweigert sich konsequent einer Debatte zur Zukunft des internationalen Urheberrechts. Insbesondere der Ansatz, dass das kommerzielle Ausmaß einer Urheberrechtsverletzung bereits vor einem mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil beginnt, zeigt, dass es ACTA an einem Grundmaß an Differenzierung fehlt. Ein Großteil der Bevölkerung würde kriminalisiert.

Es freut mich, dass die Onlinepetition beim Deutschen Bundestag mit ähnlichem Wortlaut dieser Tage das Quorum von 50.000 Mitzeichnerinnen und Mitzeichnern erreicht hat. Statt den Protest ernst zu nehmen, plant die Bundesregierung aber schon die nächste Hinterzimmerrunde, und zwar unter dem Titel „Wirtschaftsdialog zu Internetpiraterie“. Die Provider sollen wohl in Zukunft möglicherweise ihre Kunden überwachen. Die Bevölkerung wird kriminalisiert und unter Generalverdacht gestellt.

Vielen Menschen ist die Internetfreiheit nicht egal und sie wollen berechtigterweise bei der Gestaltung der Onlinewelt und des Urheberrechts beteiligt werden. Das ist das Zeichen, das von den vielen Demonstrationen in unserem Land ausgeht und wozu der Landtag heute einen wichtigen Beitrag leisten kann. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützt selbstverständlich den Antrag. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Saalfeld.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Schulte von der Fraktion der SPD.

(Jochen Schulte, SPD: Nicht dass ich mich jetzt gleich wieder hinsetzen muss!)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, wie ACTA zustande gekommen ist. Da muss man auch mal darüber diskutieren, wie andere entsprechende Vereinbarungen, die zum Beispiel bei der WTO verhandelt werden, zustande kommen.

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Das ist wohl richtig.)

Ob die dann immer im Verhandlungs- und Diskussionsprozess so transparent sind, wie man sich das hinterher wünschen mag, das will ich mal dahingestellt sein lassen. Aber lassen Sie mich auf den Antrag als solchen kurz eingehen, bevor wir dann ins Wochenende gemeinsam gehen können.

(Marc Reinhardt, CDU: Na, na! Zwei, drei Tagesordnungspunkte haben wir aber noch. – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU)

Na, das hängt ja von den Antragstellern ab, ob die noch auf der Tagesordnung bleiben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mal unabhängig davon, dass selbst nach den Ausführungen des Kollegen Saalfeld es ja zum jetzigen Zeitpunkt wohl kaum möglich ist, dass der Landtag Mecklenburg-Vorpommern über die möglichen Konsequenzen eines Inkrafttretens hier im Lande informiert werden kann – weil, da unterstelle ich jetzt mal Ihre Ausführungen, die Unterlagen ja angeblich gar nicht bekannt sind, und worüber soll dann informiert werden –,

(Zuruf von Minister Harry Glawe)

ist das natürlich alles schon ziemlich fragwürdig, was hier geäußert worden ist.