Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE nimmt die Medienberichterstattung zur Aufhebung von Haftbefehlen in einem Strafverfahren des Landgerichts Schwerin zum Anlass, die Landesregierung zu einem Bericht über die Überlastungssituation beim Landgericht Schwerin sowie zur Einleitung der erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Justiz aufzufordern. Ich will deshalb zunächst über den Anlass für den Antrag, also über den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock berichten.
Mit Beschluss vom 22. März dieses Jahres hat der Strafsenat des Oberlandesgerichts Rostock Haftbefehle gegen vier Angeklagte eines Strafverfahrens vor einer großen Strafkammer in Schwerin aufgehoben. Die Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus lägen nicht vor. Es gebe diverse Hinweise, dass eine zeitnahe Förderung des Verfahrens mit Blick auf die aktuelle Belastungssituation der Kammer seither und auch auf absehbare Zeit nicht möglich erscheine. Selbst die vom Präsidium des Landgerichts in den Blick genommene vorübergehende Entlastung der Kammer könnte nicht zu einer zügigeren Befassung führen. Bei der Belastung der Kammer handele es sich um ein, Zitat, „tiefgreifendes Strukturproblem“ des Landgerichts. Worin dieses Strukturproblem begrün
Dies zeige nach Auffassung der Fraktion DIE LINKE, so die Begründung des Antrages, dass es bei dem Landgericht Schwerin ein grundsätzliches Problem bei der Personalausstattung gebe und dass trotz einer dem Personalberechnungssystem entsprechenden Ausstattung erhebliche Defizite aufträten. Es wird weiter ausgeführt, dass wegen derartiger Haftentlassungen die Funktionsfähigkeit der Justiz als Ganzes in Gefahr sei.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Gerichte in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt bedarfsgerecht mit Richterinnen und Richtern ausgestattet sind. Beim Landgericht Schwerin liegt die Personalverwendung insgesamt und auch in Strafsachen über dem berechneten Personalbedarf. Nach den Äußerungen in der Presse sehen das sowohl das Landgericht Schwerin als auch der Richterbund Mecklenburg-Vorpommern genauso. Der Ruf nach zusätzlichem richterlichem Personal kann deshalb nicht die Lösung des Problems sein.
Es ist nun mal so, dass immer wieder einmal in kurzer zeitlicher Folge Strafverfahren mit vielen Beteiligten und komplexen Sachverhalten und Rechtsfragen bei einer Strafkammer oder einem Landgericht eingehen können. Für solche erheblichen, vom Gericht nicht planbaren Schwankungen kann im Rahmen der Vorschriften über den gesetzlichen Richter ohne Risiken für ein rechtsstaatliches Verfahren nicht kurzfristig reagiert werden. Das heißt, es kann von einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Justiz nicht die Rede sein.
Das vom Oberlandesgericht festgestellte „tiefgreifende Strukturproblem“ des Landgerichts kann bei grundsätzlich bedarfsgerechter Personalausstattung in der Verteilung der Aufgaben innerhalb des Gerichts oder in dem soeben erwähnten, vom Gericht nicht planbaren zeitlich geballten Anstieg der Eingänge komplexer Strafverfahren liegen. Dies ist im Rahmen der richterlichen Selbstverwaltung durch das Präsidium des Landgerichtes Schwerin als zuständiges, durch die Richterschaft des Gerichts gewähltes Gremium zu lösen. Dem Präsidium obliegen nach dem Gerichtsverfassungsgesetz die Zuständigkeit und auch die Verantwortung für eine gleichmäßige und angemessene Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben auf die Richterinnen und Richter des Gerichts.
Die Möglichkeiten des Präsidiums zum Ausgleich kurzfristiger Belastungsspitzen sind allerdings auch durch das Verfassungsrecht begrenzt. Es gilt der Grundsatz des gesetzlichen Richters, nach dem die Zuständigkeit der Richterinnen und Richter für bestimmte Verfahren im Voraus und abstrakt festgelegt sein muss. Für die Geschäftsverteilung durch die Gerichtspräsidien gilt deshalb das Jährlichkeitsprinzip, von dem nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden darf. Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht dies sehr eng. Die Bestimmung der Reihenfolge und Priorität der Entscheidung von Verfahren unterliegt der richterlichen Unabhängigkeit. Allerdings ist in Haftsachen das sogenannte Beschleunigungsgebot zu beachten, nach dem diese Verfahren vorrangig zu bearbeiten sind.
Die richterliche Unabhängigkeit wie auch das Gewaltenteilungsprinzip, welches bei der Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben durch die Gerichtspräsidien zum Tragen kommt, sind von der Justizverwaltung aus gutem
Grund zu beachten. Sie, die Justizverwaltung, kann und darf hierauf grundsätzlich keinen Einfluss nehmen.
Wenn die Landesregierung nun mit dem Antrag aufgefordert werden soll, umgehend alle erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Justiz einzuleiten, dürfte aus meinen Ausführungen deutlich geworden sein, dass es sich hierbei in erster Linie nur um die bedarfsgerechte Personalausstattung der Gerichte handeln kann und eine weitergehende Einflussnahme stark begrenzt ist.
Ich wiederhole: Die Personalausstattung – auch nach Einschätzung der Richterschaft – ist bedarfsgerecht. Das Landgericht Schwerin war nach zwei Haftbefehlsaufhebungen im Oktober 2012 bereits personell verstärkt worden, sodass eine zusätzliche Strafkammer eingerichtet wurde. Ich sehe bei der beschriebenen Personalausstattung und -belastung deshalb derzeit weder eine Veranlassung noch Möglichkeiten, auf die Situation am Landgericht Schwerin als Justizverwaltung zu reagieren. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Dass das Landgericht Schwerin mutmaßliche Straftäter aus der Untersuchungshaft entlassen musste, ist extrem ärgerlich. Ich bedaure das außerordentlich. Der Grund hierfür war, dass die zuständige Strafkammer die Hauptverhandlung nicht fristgerecht terminieren konnte. Zur Klarstellung sei gesagt, dass das aber nicht heißt, dass die Betroffenen straffrei ausgehen. Die Durchführung der Hauptverhandlung und ein daraus folgendes Urteil sind davon grundsätzlich nicht betroffen.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben in Mecklenburg-Vorpommern eine funktionsfähige Justiz. Die Richterinnen und Richter in Mecklenburg-Vorpommern leisten gute Arbeit, aber wir alle wissen, der Rechtsstaat ist nicht fehlerfrei und auch hier passieren mitunter Versäumnisse. Der Vollzug der Untersuchungshaft wegen einer Tat darf über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Als die Grenze von sechs Monaten überschritten war, musste das Oberlandesgericht Rostock entscheiden, ob die Untersuchungshaft der mutmaßlichen Täter fortgeführt wird. Dies hat es abgelehnt, weil es die Voraussetzung der besonderen Schwierigkeit oder des besonderen Umfangs der Ermittlungen als nicht gegeben ansah. Die Entscheidung, die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht anzuordnen, wurde unter Abwägung der Verhältnismäßigkeit und in Selbstverantwortung der Justiz getroffen. So ärgerlich ein solcher Fall auch ist, zeigt er doch auf der anderen Seite, dass der Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz funktionieren, auch wenn uns das im Einzelfall nicht immer passt.
Sehr geehrte Damen und Herren, wie in dem vorliegenden Antrag nun zu behaupten, derartige Haftentlassungen wegen nicht fristgerechter Terminierung würden verdeutlichen, dass die Funktionsfähigkeit der Justiz als
Ganzes in Gefahr sei, ist absurd. Dass Beschuldigte nach sechs Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen werden, ist in Deutschland zwar kein Einzelfall, aber die ganz, ganz große Ausnahme. Dafür kann es viele Gründe geben. Einerseits können die Ermittlungen zu lange andauern, bis es überhaupt zu einem Prozess kommt, andererseits können sich die Prozesse durch die Menge an Beweismaterial zu sehr in die Länge ziehen.
Dass Beschuldigte nach sechs Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen werden, kommt leider immer mal wieder vor. Dazu genügt schon ein Blick in unsere Nachbarländer Hamburg und Brandenburg, wo in jüngster Vergangenheit ebenfalls mutmaßliche Straftäter aus der Untersuchungshaft entlassen werden mussten. So wurden im August 2015 in Hamburg zwei mutmaßliche Totschläger wegen überlanger Verfahrensdauer auf freien Fuß gesetzt. Erst im Dezember letzten Jahres mussten in Brandenburg drei mutmaßliche Sexualstraftäter aus der Untersuchungshaft entlassen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, dies ist aber kein norddeutsches Phänomen. So wurden etwa in Bayern allein zwischen Januar 2014 und März dieses Jahres 15 Haft- oder Unterbringungsbefehle wegen Verletzung des sogenannten Beschleunigungsgebots aufgehoben. Ich denke aber, dass niemand hier im Saal ernsthaft behaupten würde, die Funktionsfähigkeit der bayerischen Justiz sei gefährdet.
Auch wenn es sich bei den Beschuldigten im Fall des Landgerichts Schwerin nicht um Tötungsdelikte oder Sexualstraftaten, sondern um Drogenhandel dreht, hätten diese Entlassungen nicht passieren dürfen. Auch wenn derartige Fälle sehr, sehr selten sind, ist jeder Fall ein Fall zu viel.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben die Thematik im Europa- und Rechtsausschuss ausführlich beraten. Die Justizministerin hat den Ausschuss über die aktuelle Personalsituation und -struktur am Landgericht Schwerin unterrichtet. Es wurde dargelegt, dass die Personalausstattung in Strafsachen über dem berechneten Personalbedarf liegt. Auch wurde erläutert, wie die richterliche Selbstverwaltung durch das Präsidium des Landgerichts Schwerin wahrgenommen wird. Das Justizministerium kann darauf keinen Einfluss nehmen. Gemäß Gerichtsverfassungsgesetz bestimmt das Präsidium die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnung vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Dabei kann jeder Richter mehreren Spruchkörpern angehören. Diese Anordnungen dürfen auch im Laufe des Geschäftsjahres geändert werden, wenn dies wegen Überlastung eines Richters oder eines Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Das Präsidium kann auch anordnen, dass ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.
Sehr geehrte Damen und Herren, es kann vielfältige Gründe geben, warum manche Verfahren nicht fristgemäß beginnen. Das Oberlandesgericht stellt in seinem Beschluss ein „tiefgreifendes Strukturproblem“ beim Landgericht Schwerin fest. Auch wenn DIE LINKE immer wieder eine unzureichende Personalausstattung herbeizureden versucht, so bleibt doch festzuhalten, dass das Oberlandesgericht in seinem Beschluss ein „tiefgreifen
des Strukturproblem“ beim Landgericht Schwerin feststellt. Es ist bezeichnend, wenn der Sprecher des Landgerichts einräumt, dass die Einstellung zusätzlicher Richter keinen Sinn machen würde.
Sehr geehrte Damen und Herren, als vor vier Monaten in Brandenburg drei mutmaßliche Sexualstraftäter aus der Untersuchungshaft entlassen werden mussten – dort ging es um das Landgericht Cottbus –, hat das DIE LINKE nicht sonderlich interessiert. Sie hat dort jedenfalls keinen entsprechenden Antrag in den Landtag eingebracht, wie sie es hier getan hat.
Im Gegenteil, als der Landtag Brandenburg im Januar dieses Jahres einen oppositionellen Antrag mit dem Titel „Entlassung mutmaßlicher Straftäter aus der Untersuchungshaft verhindern“ beraten hat, hat DIE LINKE das Ansinnen der Opposition zurückgewiesen und den Justizminister verteidigt.
(Heinz Müller, SPD: Ist ja interessant! – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Aha! Aha! – Heiterkeit bei Barbara Borchardt, DIE LINKE: Die SPD nicht! – Zuruf von Torsten Renz, CDU)
Ich wage mal die Vermutung, das liegt daran, dass DIE LINKE in Brandenburg den Justizminister stellt.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich die Lage wie folgt zusammenfassen, Zitat: „Für diejenigen, die bei der Diskussion im Rechtsausschuss nicht dabei waren, möchte ich sagen, dass wir vor folgender Situation stehen: Ein Gericht ist ausreichend mit Richterinnen und Richtern ausgestattet. Das Gericht begeht Organisationsfehler. Nun benutzt man aus politischen Gründen diesen Fakt eines Fehlers, um wieder die große Keule der Haushaltsdiskussion herauszuholen und zu behaupten – das finde ich mittlerweile gräulich –, dass dieses Gericht nicht ausreichend ausgestattet sei. Das ist falsch!“ Zitatende. Das waren treffend die Worte der Abgeordneten Frau Mächtig, Fraktion DIE LINKE, in der eben erwähnten Landtagsdebatte in Brandenburg.
Sehr geehrte Damen und Herren, das Justizministerium ist dafür zuständig, dass die Rahmenbedingungen für eine funktionsfähige Justiz gegeben sind. Wenn nachgesteuert werden muss, dann wird nachgesteuert. Das ist in der Vergangenheit in der Sozialgerichtsbarkeit geschehen und vor Kurzem auch hinsichtlich der Asylverfahren. Ich bin sicher, dass das Justizministerium auch zukünftig bei Bedarf die notwendigen Maßnahmen einleiten wird.
Sehr geehrte Damen und Herren, wenn der Landtag nun feststellen soll, dass die Funktionsfähigkeit der Justiz gefährdet ist, so ist das schlicht unseriös. Es ist aber mehr als das, es ist fahrlässig. Wenn auf derartige Weise eine drohende Funktionsunfähigkeit der Justiz an die Wand gemalt wird, so ist das Wasser auf die Mühlen derer, die unsere Rechtsordnung, unseren Rechtsstaat und seine Institutionen diskreditieren wollen. Ich möchte die Antragsteller deshalb bitten, gehen Sie noch einmal in sich, ob Sie den Antrag wirklich aufrechterhalten wol
len. Einen derartigen Antrag lehnen wir ab, wie es DIE LINKE in Brandenburg auch getan hat. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat, ich will und kann es sehr, sehr kurz machen. Die Ministerin Frau Kuder hat hier ausführlich ausgeführt
und ich bin meiner Kollegin Frau Drese sehr dankbar, dass sie in aller Ausführlichkeit auf die Fakten eingegangen ist. Ich könnte Ihnen jetzt natürlich diese Fakten noch mal in aller Breite aufzählen, aber das kann man sich wirklich sparen, denn ich will hier nicht nach dem Motto verfahren: „Es ist alles schon gesagt, nur noch nicht durch mich.“ Wie gesagt, inhaltlich braucht man hier überhaupt nichts weiter hinzuzufügen.
Ich finde es ziemlich beschämend, dass Sie, Frau Borchardt, den Antrag nicht zurückgezogen haben, nachdem Frau Ministerin am 6. April im Ausschuss ausführlich berichtet hat.
Und noch mal – das finde ich erwähnenswert –: Selbst der Richterbund und die Pressestelle des Landgerichts Schwerin, das ist auch schon mehrfach gesagt worden, haben keine höhere Personalausstattung, weder beim richterlichen Personal noch beim sonstigen Personal, am Landgericht Schwerin gefordert. Das ist eine Tatsache, die unbedingt Berücksichtigung finden muss. Insofern: Ihren Antrag wird meine Fraktion selbstverständlich ablehnen.
Der Grund für diesen Antrag ist einfach nur, dass Sie das Thema Gerichte, Gerichtsstrukturreform im anstehenden Wahlkampf weiter warmhalten wollen.
Das ist der einzige Grund, warum Sie diesen Antrag aufrechterhalten wollen. Besser wäre es, ihn zurückzuziehen, dann müssten wir uns hier nicht am Freitagnachmittag mit solchen Dingen beschäftigen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei dem Vortrag von Frau Drese und dem, was Herr Texter gesagt hat, und Sie haben Brandenburg zitiert,