Protocol of the Session on April 21, 2016

Das sind die Ergebnisse von inklusiver Beschulung, welchen Rechenschaft zu leisten ist. Von daher stehen wir gegen den Zwang zu einer einzigen Schulart, in der alle Kinder, egal ob mit oder ohne Behinderung, unterrichtet werden sollen, und mahnen erneut an, dass bei all Ihrer ideologischen Blindheit die Förderung von normalen Schülern nicht zu kurz kommen darf. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete Frau Berger.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Oha!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Inklusionsbeauftragte des Landes, Frau Professor Katja Koch, hat die Inklusion zu Recht als die größte bildungspolitische Herausforderung der vergangenen 25 Jahre bezeichnet. Wir als GRÜNE halten sie für eine positive Herausforderung mit vielen Chancen. Dabei gibt es sicherlich nicht den einen richtigen Weg, in vielen Fragen sind unterschiedliche Bedürfnisse, Erfahrungen und pädagogische Ansätze gegeneinander abzuwägen.

Deshalb sagen wir, es gibt sicherlich unterschiedliche Modelle und unterschiedliche Wege zur Inklusion, aber eines ist sicher: Jedes Modell ist hinfällig, wenn die Schulen dafür nicht genügend Personal erhalten. Und die Botschaft des vorliegenden Inklusionskonzeptes lautet nun mal an vielen Stellen, es ist überhaupt kein zusätzliches Personal notwendig. Regionale Schulen und Gesamtschulen könnten die Inklusion bereits mit ihrer heutigen Personalausstattung umsetzen, steht auf Seite 64. Im Grundschulbereich bestehe sogar eine rechnerische Überausstattung, Seite 36. Die Schulen hätten erhebliche Spielräume und exzellente Betreuungsverhältnisse für die Inklusion, Seite 65.

Ihre Botschaft lautet also: Alles ist wunderbar, mehr als genug Personal für Inklusion ist an den Schulen vorhanden. Das sagen Sie den Lehrkräften, den Eltern, den Kindern und den Jugendlichen. Und diese Aussage können wir als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eben nicht mittragen. So werden wir keine Akzeptanz für die Inklusion im Land erreichen, und das bleibt, Herr Butzki, auch nicht den Lehrerinnen und Lehrern der Schulen in Mecklenburg-Vorpommern unerkannt.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Personalausstattung gibt es zwei Fragen, die zu klären sind:

1. Wie werden die heutigen Förderschullehrkräfte um

verteilt?

2. Gibt es darüber hinaus auch zusätzliches Personal

für die Inklusion?

Zur Umverteilung der heutigen Förderschullehrkräfte hat die Expertenkommission eine klare Empfehlung abgegeben. Die Förderschullehrerinnen und Förderschullehrer sollen künftig an den regulären inklusiv arbeitenden Schulen unterrichten und werden je nach Schulgröße auf die Schulen verteilt. Das ist der sogenannte Inklusionsfaktor. Die Expertenkommission meinte dabei ausdrücklich, alle Personalressourcen der auslaufenden Förderschulen

gehen in das inklusive Schulsystem. Was aber macht der Bildungsminister? Er zieht von diesen Ressourcen zunächst unzählige Lehrerstellen ab für neue Sonderklassen an den Grundschulen, für die Schulwerkstätten, für neue Sonderklassen an weiterführenden Schulen, für einen Sonderpool bei den Schulämtern, für Diagnoseförderklassen und, und, und. Das heißt, die Landesregierung schafft neue Parallelstrukturen und alle Personalstellen, die für diese Sondersysteme benötigt werden, gehen dann den inklusiv arbeitenden Schulen verloren.

Das ist aus unserer Sicht der völlig falsche Weg. Wir als GRÜNE sagen unmissverständlich: Wer trotz Inklusion weiter auf Sondersysteme setzen will, was man tun kann, der muss diese Parallelstrukturen aber auch bezahlen, damit das nicht auf Kosten der eigentlichen Inklusion geschieht. Für die neuen Sonderklassen wird zum Beispiel von den LINKEN öfter das Argument angeführt, man muss den Eltern auch die Wahlfreiheit lassen. Das Problem ist doch aber, dass es gar keine echte Wahlfreiheit gibt, wenn die inklusiven Schulen so schlecht ausgestattet sind, dass die Eltern ihre Kinder dort nicht guten Gewissens beschulen lassen können. Echte Wahlfreiheit gibt es nur, wenn inklusive Schulen auch tatsächlich vernünftig arbeiten können.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei will ich einmal deutlich machen, um welche überschaubaren Größenordnungen es beim Inklusionsfaktor eigentlich geht. Nach dem Modell der Expertenkommission wären die früheren Förderschullehrkräfte so verteilt worden, dass jede Schule pro 150 Schülerinnen und Schüler künftig eine Sonderpädagogin oder einen Sonderpädagogen gehabt hätte. Eine sonderpädagogische Lehrkraft für 150 Schülerinnen und Schüler – das ist ohnehin eine recht knappe Ressource. Mit all den geplanten und von mir eben benannten Vorwegabzügen und Parallelstrukturen können wir aber froh sei, wenn am Ende noch eine halbe Stelle für diese Schülerinnen und Schüler bleibt. Und dann sprechen Sie in Ihrem Konzept von Überausstattung und exzellenten Betreuungsverhältnissen?! Mit den Empfehlungen der Expertenkommission hat Ihr Inklusionspapier jedenfalls nichts mehr zu tun. Das war also die Ebene der Umverteilung der vorhandenen Lehrkräfte.

Wie sieht es aber bei der Frage nach wirklich zusätzlichen Stellen für die Schulen in Mecklenburg-Vorpom-

mern aus? Hier kommen wir nun zum eigentlich Skandal, dem DIE LINKE, wie wir vor zwei Tagen lesen konnten, inzwischen auch auf die Spur gekommen ist. Bei der großen Abschlussverhandlungsrunde mit dem Ministerpräsidenten sagte die Regierung zu, 240 Stellen zusätzlich für die Inklusion bereitzustellen, die ersten Stellen ab dem Jahr 2017, die ersten 100. Die bereits fertigen Haushaltsentwürfe für das Jahr 2017 sollten jedoch nicht mehr geändert werden. Angeblich seien diese Stellen bereits im System enthalten. Damit war klar, es gibt keine einzige zusätzliche Stelle für die Inklusion, sondern die neuen Inklusionsstellen werden den Schulen an anderer Stelle wieder abgezogen. Das war der Moment, an dem wir GRÜNE aus der Inklusionsstrategie ausgestiegen sind. Und die vor einigen Tagen veröffentlichte Unterrichtsversorgungsverordnung zeigt nun auch, wie der ganze Verschiebebahnhof funktioniert.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Das haben Sie doch aber gar nicht verstanden, Frau Berger.)

Die Schulen erhalten bei steigenden Schülerzahlen künftig einfach weniger zusätzliches Personal als bisher, und was ihnen dabei weggenommen wird, das ist dann für die Inklusion zuständig.

(Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ein Nullsummenspiel.)

Wie genau läuft dieses Linke-Tasche-rechte-TascheSpiel ab? Wir haben zurzeit – Gott sei Dank – deutlich steigende Schülerzahlen. Bislang gab es hier ein einfaches Prinzip. Für jeden Schüler zusätzlich erhielt die Schule auch zusätzliches Geld und damit einen definierten Personalanteil. Künftig ist jedoch alles anders. Alle verbindlichen Schülerfaktoren und Schlüsselzuweisungen für allgemeinbildende Schulen werden aufgehoben. Künftig muss jede Schule bei steigenden Schülerzahlen erst nachweisen, dass der Unterricht ohne zusätzliches Personal zusammenbricht, das heißt, vorher sind erst einmal alle anderen Möglichkeiten, wie beispielsweise größere Klassen oder weniger Förderung, auszuprobieren und auszuschließen und erst dann kann bei der Schulbehörde zusätzliches Personal beantragt werden, was im Zweifelsfall nur befristet und auch nur gewährt wird, wenn es im zwingend notwendigen Maß erforderlich ist. Damit spart das Land in den nächsten Jahren zahllose Lehrerstellen an den Schulen ein, die es dann unter der Überschrift „Inklusion“ umverteilt. Es ist ein Nullsummenspiel. Schlimmer noch, es kommt bei den Schulen sogar weniger Personal an, weil einige Stellen davon an die Schulämter gehen sollen.

Frau Oldenburg, Sie haben sicherlich recht, wenn Sie sagen, man soll erst eine Verordnung lesen

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau.)

und sich dann dazu äußern. Allerdings reicht das Lesen einer Verordnung nicht, sondern man muss eine Verordnung auch in Beziehung setzen zu anderen Verordnungen und zu anderen Aussagen und eins und eins zusammenzählen.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Man muss eine Verordnung eigentlich bis zum Ende lesen und man muss eigentlich über Schulen Bescheid wissen, Frau Berger. – Heiterkeit und Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Und wenn dann an der einen Stelle weniger Lehrer ins System kommen, an der anderen Stelle ein paar Lehrerstellen dazu, aber unter dem Strich null rauskommt, dann ist das die Aufgabe eines Politikers, das genau aufzudecken.

(Beifall Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von Andreas Butzki, SPD, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Man muss also ganz klar sagen, wer von zusätzlichen Stellen für die Inklusion spricht, führt die Menschen hinters Licht, und das geht so nicht. Denn was wird dadurch erreicht? Zeitgleich mit der Inklusion steigen die Klassengrößen, verringern sich die Ressourcen für den Vertretungsunterricht und für die individuelle Förderung.

(Andreas Butzki, SPD: So ein Schwachsinn!)

Damit werden dann zum Beispiel 35 Stellen eingespart, die für die Hochbegabtenförderung an die Gymnasien gegeben werden sollen. Und die Leute sagen, wenn das die Folge der Inklusion ist, dann wollen wir diese Inklusion nicht.

(Heiterkeit bei Wolf-Dieter Ringguth, CDU – Andreas Butzki, SPD: Die Leute! Ich lach mich ja kaputt!)

Das Problem ist aber nicht die Inklusion, sondern dass die Koalition den Schulen dafür nicht das nötige Personal zur Verfügung stellen will. Ich persönlich kann überhaupt nicht verstehen, warum die Fraktion DIE LINKE, obwohl sie diesen Trick inzwischen durchschaut hat, immer noch mitmacht.

(Vincent Kokert, CDU: Immer rauf auf die Opposition! – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Oh! Ihr habt das ja gleich verstanden. – Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Wir können es jedenfalls nicht, gerade weil uns als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Inklusion so sehr am Herzen liegt.

(Heiterkeit bei Vincent Kokert, CDU – Heiterkeit bei Simone Oldenburg, DIE LINKE: Ja, für Schulen in freier Trägerschaft, ne, Frau Berger?)

Aber es geht nicht nur um die personellen Rahmenbedingungen. Die Schulen müssen natürlich auch baulich für die Inklusion fit gemacht werden. Dazu zählt die Barrierefreiheit. Das meint aber auch baulich-technische Ausstattung für Kinder mit Hör- und Sehbeeinträchtigung. Die Expertenkommission hat ausgeführt, dass in jeder Schule zwei bis drei Räume für Therapiemaßnahmen und andere Förderung nötig sind, und wir alle wissen, wir können die Kommunen als Schulträger mit dieser Aufgabe nicht alleinlassen. SPD, CDU und LINKE wollen deswegen bis zum Jahr 2020 pro Jahr 3 Millionen Euro aus EU-Mitteln zur Verfügung stellen.

(Andreas Butzki, SPD: Haben Sie die Zahlen nicht gehört, die ich vorgetragen habe?)

Das sind insgesamt 15 Millionen Euro.

Nur mal zum Vergleich: In Greifswald bauen wir gerade eine inklusive Schule. Diese kostet 17 Millionen. Sie

wollen über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt 15 Millionen Euro zur Verfügung stellen.

(Minister Harry Glawe: Das müsste ich ja wissen. – Andreas Butzki, SPD: Plus Innenministerium, plus ELER-Mittel.)

Ich glaube, Sie sehen selbst, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und, Herr Butzki, wenn Sie hier weitere europäische Fördermittel in Aussicht stellen,

(Andreas Butzki, SPD: Das ist doch Quatsch! Das ist doch Quatsch, was Sie sagen! – Simone Oldenburg, DIE LINKE: Wo stehen denn die Schulen im ländlichen Raum und in den Kommunen, Frau Berger? – Zuruf von Rainer Albrecht, SPD)

führen Sie die Leute doch schon wieder hinters Licht, denn diese Fördermittel sind Fördermittel, die dem ländlichen Raum und den Kommunen zur Verfügung stehen. Sicherlich wird dafür auch ein Teil den Schulen ausgegeben werden, aber doch längst nicht die ganze Summe, die Sie hier in Aussicht gestellt haben.

(Beifall Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Minister Harry Glawe)

Jetzt hätte man aber annehmen können, dass sich die Landesregierung in den zwei Jahren, die sie für die Erarbeitung dieses Inklusionskonzeptes gebraucht hat, auch einmal über den Zustand der Schulen im Land informiert hätte. Ich habe mich darüber in einer Kleinen Anfrage erkundigt, wie viele Schulen im Land immer noch nicht barrierefrei sind. Die Antwort der Landesregierung: Wissen wir nicht.

(Marc Reinhardt, CDU: Also ich stelle fest, mit Frau Berger kann man nicht inklusiv planen. Das ist nicht inklusionsfähig.)

Da frage ich mich: Was ist denn das für ein Inklusionskonzept, wenn Ihnen noch nicht mal der Zustand der Schulen bekannt ist? So kann es nicht funktionieren.