Protocol of the Session on April 20, 2016

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben, nicht mit dem Gedanken, dass damit dann für die nächsten zehn Jahre alles erledigt sei, sondern mit dem Gedanken, dass wir damit einen wichtigen Schritt nach vorn tun, dass wir uns aber auch in den nächsten Jahren diesem Thema weiter widmen müssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Ritter von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Lieber Kollege Müller, ich glaube schon, dass Sie von der Anhörung, die wir mit den Vertreterinnen und Vertretern des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestags durchgeführt haben, beeindruckt waren.

(Heinz Müller, SPD: Waren wir alle, ne?)

Ja. Allerdings habe ich Zweifel, ob Sie unter dem Eindruck dieser Anhörung die richtigen Schlussfolgerungen gezogen haben für den vorliegenden Gesetzentwurf.

(David Petereit, NPD: Jetzt wird die wahre Lehre verkündet.)

Da sage ich: Nein, das ist der falsche Weg, den Sie beschreiten. Das ist nicht Ergebnis der gemeinsam verabredeten und vorbereiteten Anhörung mit den Mitgliedern des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestags.

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, entgegen bundesweiter Hoffnungen, einschließlich der Bundesebene –

auch das wurde auf der Anhörung formuliert –, gibt es bis auf den heutigen Tag in Mecklenburg-Vorpommern keinen NSU-Untersuchungsausschuss. Die Reaktionen auf diesen Umstand reichen von Unverständnis, Bedauern bis hin zu klammheimlichem Jubel. Das ist heute nicht vordergründig der Gegenstand, aber das heute vorliegende Gesetz kann nur aus diesem Umstand heraus erklärt werden. Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist Ausfluss einer sicherheitspolitischen Arroganz, die dieser Landtag nicht heilen konnte, leider.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir eine zweite Vorbemerkung. Der Innenausschuss hat den vor- liegenden Gesetzentwurf abschließend am 7. April behandelt. Wie eine unheilverkündende Warnung, gewissermaßen wie der mahnende Ruf der Kassandra, wurde an diesem Tage bekannt, dass zwei NSU-Mitglieder bei einem Neonazi beschäftigt waren und dieser Neonazi wiederum als V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz geführt wurde. Für den Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag Clemens Binninger, CDU, ist das eine völlig neue Dimension – nicht nur nach meiner Einschätzung, sondern der Kollege Binninger teilt das so –, der der Ausschuss intensiv nachgehen wird. Es geht um die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung durch einen V-Mann des Staates. Und wir machen uns auf den Weg, ein V-MannVerstärkungsgesetz zu beschließen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor diesem Hintergrund wäre der Staat nicht nur Mitwisser, sondern über den V-Mann auch Mittäter. Für Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow macht dieses Staatsversagen deutlich, „dass das V-Leute-System ein verfaultes System ist“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben also heute ein V-Mann-Verstärkungsgesetz auf dem Tisch liegen. Nichts anderes beinhaltet diese Gesetzesnovelle. Unser Verfassungsschutz kann auch weiterhin zum Beispiel Verbrecher als V-Leute anstellen. Künftig allerdings – und dies sei nun die große Reform –, künftig geschieht das auf gesetzlicher Grundlage, Paragraf 10a Absatz 3, und auch deshalb ist dieses Gesetz für mich ein verfaultes Gesetz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bedarf für das vorliegende Gesetz, so sagt der Gesetzentwurf an zentraler Stelle aus, sei unter anderem durch den Bundestagsuntersuchungsausschuss aufgezeigt worden.

Das ist eine Floskel, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Ente oder sogar eine Finte. Der fertige Gesetzentwurf jedenfalls wurde dem Landtag bereits untergeschoben, bevor Herr Binninger und seine drei Bundestagskolleginnen auch nur einen Fuß in das Schloss gesetzt hatten. Das ist für mich sicherheitspolitische Arroganz gegenüber unserer parlamentarischen Arbeit.

Zu dieser Arroganz gehört auch der Umgang mit Anfragen aus dem Parlament. In Auswertung der Anhörung mit den Mitgliedern des Deutschen Bundestages habe ich sechs Fragen an das Innenministerium gestellt und absprachegemäß um schriftliche Beantwortung gebeten. Dazu war das Ministerium fünf Wochen lang nicht in der Lage oder nicht willens.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die schriftlichen Antworten des Ministeriums liegen mir seit einer Woche vor. Ich meine, lieber Kollege Müller, lieber Kolle

ge Ringguth, sie wären sogar für die Arbeit der Koalitionsfraktionen aufschlussreich gewesen. Zunächst einmal ist nachzulesen, dass die Anhörung von Binninger und Co dem Ministerium absolut nix gegeben hat – der Kollege Müller war zumindest beeindruckt, dem Ministerium hat es nix gegeben –, um am Ende deshalb auch kein Komma am Gesetzentwurf zu ändern.

Ich werde auch aus diesen Gründen meine sechste Frage noch einmal wörtlich vorlesen, die lautete: „Mit welchen Maßnahmen stärkt der Gesetzentwurf die Möglichkeiten der Arbeit der parlamentarischen Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde, wie sie der gemeinsame Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drs. 6/2346) einfordern?“ Die Antwort dazu ist mehr als mager: „Der gemeinsame Beschluss der demokratischen Fraktionen in diesem Zusammenhang wurde mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht umgesetzt.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da auch der vorliegende Entschließungsantrag von SPD und CDU, nach Antragsschluss im Innenausschuss vorgelegt, genau diese fraktionsübergreifende Willensbekundung des Landtages zum Ausgangspunkt nimmt, wird die Antwort der Landesregierung sicherlich auch für die Koalitionsfraktionen von höchstem Interesse sein.

Neben dem wenig spektakulären V-Leute-Lagebericht hinter den Mauern der PKK verweist das Innenministerium in der Antwort auf diese Frage lediglich auf die Paragrafen 27 bis 29 Verfassungsschutzgesetz, also die seit vielen Jahren bestehenden Regelungen. Was ist denn daran das Neue, der große Wurf? – Ich kann es nicht nachvollziehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Umsetzung des Landtagsauftrages nach Stärkung der parlamentarischen Kontrolle wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommentarlos abgelehnt. Das nenne ich sicherheitspolitische Arroganz erster Güte. In Kenntnis dieser Totalverweigerung der Landesregierung hätten Sie, lieber Kollege Müller und Kollege Ringguth, Ihren Entschließungsantrag vielleicht nicht für eine ungewisse Zukunft – wir empfehlen das mal dem nachfolgenden Landtag –, sondern für das Hier und Heute geschrieben. Sie können diesen Fehler heute heilen, indem Sie unserem Änderungsantrag zustimmen. Ich befürchte allerdings, dass der Entschließungsantrag, von den Koalitionsfraktionen in letzter Not vorgelegt, keinem wehtut und vor allem praktisch nichts, aber auch gar nichts ändert, dass er für die Koalition sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner und für die SPD etwas weiße Salbe war, mehr nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das unter dem Eindruck der Anhörung der Mitglieder des NSUPUAs aus dem Bundestag!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der große Wurf dieses Gesetzes sei nun Paragraf 10a Absatz 3 Satz 6: „Das Ministerium für Inneres und Sport trägt der Parlamentarischen Kontrollkommission mindestens einmal im Jahr einen Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten vor.“ Zitatende.

Ich bin der Auffassung, dass die PKK diese großherzige Information oder, wie es heißt, Neuregelung im Grunde gar nicht benötigt, denn schon jetzt könnten wir jederzeit in diesem Zusammenhang zum Rapport bitten. Leider ist es so, dass man aus den Internas nicht erzählen darf,

wie man auch mit einzelnen Anträgen in der PKK mit Mehrheitsverhältnissen umgeht.

Anderes Thema: Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf kommt nicht umhin, feststellen zu müssen, dass der Einsatz von V-Leuten öffentlich diskutiert wird. Für eine stärkere Akzeptanz der Öffentlichkeit soll nun der neue Paragraf 10a dienen. Dieser Gesetzentwurf, der heute verabschiedet werden soll, geht ernsthaft davon aus, dass ein jährlicher Bericht zum V-LeuteEinsatz vor der strengstens abgeschotteten PKK, ob nun hier im Haus oder am anderen Ort, eine akzeptanzsteigernde Wirkung hätte bei der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit erfährt doch gar nichts von diesem Bericht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf gehört daher bereits aus formal logischen Gründen abgelehnt. Unser Änderungsantrag zu einer angemessenen öffentlichen Berichterstattung vor dem Landtag könnte hier abhelfen, so wie beispielsweise die anonymisierte Berichterstattung zu G10-Maßnahmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zentrale Frage des Gesetzes war, ist und bleibt die nach seiner Verfassungsmäßigkeit. Als Nichtjurist möchte ich an dieser Stelle dem Plenum das Anhörungsprotokoll wärmstens empfehlen. Aber auch die Beratungsprotokolle des Innenausschusses sind hochinteressant. Da stellen die Kollegen Suhr und Saalfeld eine Kleine Anfrage zur Verfassungsmäßigkeit einzelner Regelungen des neuen Verfassungsschutzgesetzes und die Landesregierung schafft es nicht, die Frage, ob das von ihr erarbeitete und vorgelegte Gesetz verfassungsmäßig ist, innerhalb der vorgesehenen Frist zu beantworten. Die Antworten hätten dann nämlich noch in die abschließende Beratung im Innenausschuss fließen können. Aber vielmehr musste ich aus den Reihen der Koalition erfahren, dass Kleine Anfragen nicht zum Instrumentenkasten der Ausschussarbeit gehören würden und das sei kein Instrument der Gesetzesberatung. Das war mir in Umsetzung unserer Geschäftsordnung als Parlamentarischer Geschäftsführer neu. Aber sei es so, es ist die Lesart der Koalitionsfraktionen.

Aber selbst das Innenministerium macht diesen Unsinn nicht mit. Bereits im zweiten Satz der Beantwortung der Kleinen Anfrage nimmt das Innenministerium ausdrücklich Bezug auf die Anhörung im Innenausschuss und die vorgetragenen Bedenken am Gesetzentwurf, allerdings erst nach der abschließenden Beratung im Innenausschuss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Innenministerium erklärt dann dem Innenausschuss in circa fünf Minuten, warum das Gesetz verfassungskonform sei: Prüfung durch das Justizministerium und analoge Regelungen in anderen Bundesländern sowie auf Bundesebene, Punkt, aus. Wenn das in so kurzer Zeit geht, Herr Innenminister, dann stellt sich zu Recht die Frage nach den Gründen Ihrer Fristüberschreitung, denn es können dann wohl kaum fachliche Gründe gewesen sein, sondern nur Hinhaltetaktik.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine anhängige Klage gegen das Verfassungsschutzgesetz vor dem Landesverfassungsgericht in Greifswald spricht nicht un- bedingt für seine Verfassungskonformität. Das Gericht hat die Klage Mitte Februar wegen eines Parallelverfahrens im Bund ausgesetzt. Auch hierüber wird mit sicher

heitspolitscher Arroganz hinweggegangen und behauptet, dieser Gesetzentwurf sei der große Wurf und würde mehr Licht in das Dunkel des V-Leute-Unwesens bringen.

Und zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auch die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder lehnt die mit dem Bundesgesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes beschlossene Verfassungsschutzreform ab. Und so wird auch meine Fraktion mit dem vorliegenden Gesetzentwurf heute umgehen. Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Ritter.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Saalfeld von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir machen heute so eine kleine Arbeitsteilung zwischen den Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich werde mich auf die zweite Anhörung konzentrieren. Wir hatten nämlich zwei Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf – einerseits mit den NSU-Untersu- chungsausschuss-Obleuten im Bundestag und andererseits eine Anhörung von Fachexperten.

Der vorliegende Gesetzentwurf wurde in der Sachverständigenanhörung des Innenausschusses förmlich in der Luft zerrissen. „Undifferenziert“, „verfassungsrechtlich unzulänglich“ – das waren nur einige Attribute für diesen Gesetzentwurf, die von den Experten ins Protokoll des Innenausschusses diktiert wurden. Das Wortprotokoll liest sich in der Tat wie eine Beschwerdeschrift für das Landesverfassungsgericht und wir GRÜNE werden auch prüfen, inwiefern rechtliche Schritte eingeleitet werden können. Sie wissen, dass das nicht ganz einfach ist, denn die rot-schwarze Koalition kann dank der NPD darauf vertrauen, dass die demokratische Opposition die Stimmen im Parlament nicht zusammenbekommt, um ein Normenkontrollverfahren anzuschieben.

(David Petereit, NPD: Fragen Sie uns doch!)

Meine Fraktion hat versucht, die verfassungsrechtlichen Mängel des Entwurfs im Innenausschuss des Landtags zu thematisieren. Von dem dafür eigens in den Innenausschuss entsandten Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde waren dazu aber keine befriedigenden Antworten zu bekommen. Man muss sich das einmal vorstellen: Der Verfassungsschutz schreibt sich sein Gesetz selbst, denn aus welcher Abteilung kommt der Textentwurf im Innenministerium? Natürlich aus der Verfassungsschutzbehörde!

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Woher weiß er das denn?)

Die Landesregierung bringt diesen dann in den Landtag ein und der eigentliche Gesetzgeber – das Parlament, das heute über diesen Gesetzentwurf abstimmen wird – erhält nur ausweichende Antworten auf seine Fragen

(Heiterkeit bei Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Haben Sie den Verfassungsschutz bespitzelt?!)

und wird so zur Abstimmungsmaschine degradiert. Wir haben dann versucht, wenigstens auf ein paar der in der Sachverständigenanhörung aufgeworfenen Fragen schriftliche Antworten der Landesregierung zu erhalten, und zwar in Gestalt einer Kleinen Anfrage. Herr Ritter ist schon darauf eingegangen. Diese lagen dann nicht pünktlich vor.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Frage, ob der Gesetzentwurf verfassungsgemäß sei, wurde vom Staatssekretär Lenz im Innenausschuss mündlich schlicht bejaht. Eine detaillierte Begründung blieb aus. Herr Ritter hat es erklärt.

Ein Antrag der LINKEN, den Gesetzentwurf von der Tagesordnung zu nehmen, da entscheidende Fragen zum Gesetzentwurf noch nicht geklärt seien, scheiterte am Widerstand der Koalition. Ich frage Sie: Was ist das für ein Umgang mit dem Parlament? Am Umgang der Mehrheitskoalition mit der Opposition kann man im Übrigen wunderbar erkennen, wie es um die politische Kultur im Land steht:

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, natürlich, Herr Saalfeld!)

in Mecklenburg-Vorpommern offensichtlich desaströs.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Heul doch!)

Die rot-schwarze Koalition besitzt nicht die Souveränität, eine parlamentarische Beratung zu ermöglichen, die der Demokratie und dem Parlamentarismus würdig ist, und dazu gehört auch, die Fragen der Abgeordneten fristgemäß zu beantworten.