Protocol of the Session on March 9, 2016

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, den Erzeugern nicht.)

Die gegenwärtige Milchmarktkrise geht bereits in ihr drittes Jahr. Anders als vielfach behauptet, sind die Ursachen nicht nur im Russland-Embargo und in Gegenmaßnahmen sowie in der sinkenden Nachfrage für europäische Milchprodukte im asiatischen Raum zu suchen. Ein genauerer Blick zur Entwicklung der Milchkrise kann da durchaus helfen.

In Vorwegnahme des Endes der europäischen Milchquote haben viele Milcherzeuger auch durch die Beratung und den Optimismus der Bauernverbände und der Molkereien viel Geld,

(Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

viel Geld in ihre Anlagen gesteckt, die Produktion optimiert und vielfach ausgeweitet. Noch Ende 2013 empfahl zum Beispiel Johannes Thomsen von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein wörtlich: „Sie brauchen einen Masterplan für die Entwicklung Ihres Betriebes.“ Er beriet die Unternehmen in Richtung Wachstum. Auch das Deutsche Milchkontor empfahl ein kontrolliertes

Wachstum und sah langfristig stabile Preistendenzen im Milchmarkt.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und dann wachsen sie sich zu Tode.)

Und wer sich an die Töne des hiesigen Bauernverbandes erinnert, hat sicher noch im Ohr, dass auch hierzulande Wachstum und eine Ausweitung der Milchproduktion empfohlen wurden.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein Irrweg. – Jochen Schulte, SPD: Entweder ganze Sätze oder gar nicht.)

Überall in Deutschland und anderen europäischen Ländern wurde auf Export gesetzt, obwohl schon 2013 erste Anzeichen einer Überproduktion und eines Nachfragerückganges zu erkennen waren. Die Milchproduktion in der Europäischen Union wurde nach einer Ausweitung im Jahr 2014 auch 2015 stark erhöht. Rund 3,3 Millionen Ton- nen waren es mehr, das allein im letzten Jahr. Ein Blick auf den globalisierten Markt zeigt auch, in den USA wurden 1,2 Prozent mehr Milch erzeugt und die Steigerung in Australien betrug 1,6 Prozent. Alles Zahlen, die der Bund Deutscher Milchviehhalter kürzlich veröffentlichte.

Während der amerikanische Binnenmarkt die Produktionssteigerung fast völlig durch einen Anstieg der Nachfrage aufgenommen hat, wird davon ausgegangen, dass die Nachfrage nach Milchprodukten in der Europäischen Union in 2015 um ein Prozent gesunken ist. Der weltweite Milchmarkt steht unter starkem Druck aus Europa, denn rund 10 Millionen Tonnen Milch wurden allein 2014 und 2015 zusätzlich in Europa in den globalen Markt gepumpt. Da eignen sich das Russland-Embargo und die sinkende Nachfrage in China nur bedingt als eine Erklärung.

Die Erzeugerpreise sind übrigens schon vor dem Embargo und chinesischen Nachfrageschwund um 50 Prozent abgestürzt, im Rückblick auf das einseitige Setzen auf Export und Mengenwachstum der falsche Weg. Davor hatte ich schon seinerzeit gewarnt.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und wir auch. – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Ich erinnere daran, dass im Jahre 2007 bei der damaligen Milchkrise wir auch hier in diesem Hause darüber debattiert hatten. Jetzt herrscht überall Ratlosigkeit, wie wir aus dieser Situation herauskommen, ohne zahlreiche Milchbauern zum Aufgeben zu zwingen.

Die europäische Milchquote wird nicht wiederkommen, größere Markteingriffe der EU sind auch nicht zu erwarten. Eine freiwillige Mengenbegrenzung der Milchbauern sehe ich nicht. Die Molkereien haben auch nicht wirklich einen gemeinsamen Ansatz. Überall herrscht Uneinigkeit. Wir müssen das Gegeneinander von Öko- und konventioneller Produktion, von Groß und Klein, von Nord und Süd sowie Ost und West überwinden. Da stimme ich mit Vizepräsident Gemballa überein, der dieses am 08.03., also gestern in Pasewalk zum Ausdruck brachte.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Ökos haben doch gar keine Probleme.)

Deshalb wird meine Fraktion den vorliegenden Antrag unterstützen. Man wird allerdings selbst bei der Schaf

fung einer gemeinsamen Milchvermarktungsplattform die Milchkrise nicht lösen können. Aus meiner Sicht muss ein Umdenken bei Erzeugern, bei Veredlern, bei Lebensmittelvermarktern und bei den Verbrauchern stattfinden. Die große Masse der Milcherzeuger muss wegkommen vom einseitigen Setzen auf Export. Im Vordergrund müssen wieder die Befriedigung der Binnennachfrage und eine weitere Qualitätssteigerung stehen. Wir brauchen mehr Innovationen im Veredlungssektor und mehr regionale Vermarktung.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frischmilch! – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Und wir brauchen eben ein gemeinsames Auftreten der Milcherzeuger. Der Lebensmitteleinzelhandel hat aus unserer Sicht eine große Verantwortung gegenüber den Milchbauern. Der Konkurrenzkampf untereinander darf nicht mit immer neuen Dumpingangeboten für Lebensmittel – ganz egal, ob Milch, ob Fleisch, ob Obst oder Gemüse – geführt werden. Das ist nicht nur ethisch, sondern auch ökonomisch nicht zu vertreten, denn aus meiner Sicht sind Lebensmittel keine Ware wie jede andere, die im Dutzend billiger verscherbelt werden kann.

Der Runde Tisch Milch bei der Agrarministerkonferenz unter Vorsitz von Mecklenburg-Vorpommern sollte nicht nur über die gemeinsame Milchvermarktungsplattform beraten.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Aha! Das ist der tiefere Sinn dieses Antrages.)

Mecklenburg-Vorpommern sollte seinen Einfluss nutzen, um auch andere Wege aus der Milchkrise zu finden. Zum Beispiel können wir uns eine Erhöhung des Anteils von Biomilch gut vorstellen. Das muss aber mit Umsteigeprogrammen und Beratung einhergehen.

Kurzfristige Liquiditätshilfen für die in Not geratenen Betriebe sollten auch kein Tabu sein, wenn diese Hilfen an bestimmte Bedingungen hinsichtlich der Art und Weise der Produktion geknüpft werden. Wir brauchen jedenfalls dringend Lösungen, wenn wir die deutsche, wenn wir die europäische Milchproduktion erhalten wollen.

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bei uns gibt es nur noch Trockenmilch.)

Und eines ist für mich klar: Die Milchproduktion gehört bei unseren Produktionsbedingungen in unser Land Mecklenburg-Vorpommern. Der vorliegende Antrag wird es allein nicht richten, er kann aber ein kleiner Schritt auf dem Weg aus der Milchkrise heraus sein. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat nun der Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz. Bitte, Herr Dr. Backhaus.

(Egbert Liskow, CDU: Mal sehen, was er zur Milch sagt.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es natürlich gut, dass wir uns mit dem Thema auseinandersetzen, denn die Veredlungswirtschaft insgesamt

steht in Deutschland und Europa unter einem ungeheuren Druck. Und wer da meint, hier ein Patentrezept zu haben – ich habe das schon wieder ein bisschen von der Seite gehört –, dem muss man, glaube ich, sagen, das Patenrezept gibt es zurzeit nicht.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach, Herr Backhaus! – Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich die reale Situation anschaut – und ich beschäftige mich nicht nur seit Wochen mit dem Thema, weil ich den Vorsitz der Agrarministerkonferenz habe, sondern weil ich natürlich auch die reale Situation im Lande sehr genau kenne –, die Situation am Milchmarkt ist wirklich äußerst ernst. Insofern danke ich ausdrücklich gerade den beiden Vorrednern für die sachliche, klare Bewertung.

Wir beobachten im Übrigen seit Wochen, ja, seit Monaten eine dramatische Entwicklung wegen des lang andauernden existenzvernichtenden Preiskampfes. Wenn man so will, hat das ja seit 2008 seinen Lauf genommen. Seit der letzten Milchkrise haben wir das erlebt. Und wenn man so will, sind jetzt fast zehn Jahre herum und in den letzten zwei Jahren hat die Milchwirtschaft oder auch die Fleischwirtschaft überhaupt Geld verdient.

Wer sich ein bisschen mit der Wirtschaft auskennt, der weiß dann auch, dass hier erhebliche Verluste auflaufen. Und gerade die Veredlungswirtschaft hat schon in der Vergangenheit zahlreiche Krisen durchlebt, insbesondere nach der politischen Wende. Aber wenn man draußen in den Bauernversammlungen ist – ich bin mehrfach draußen gewesen und bei etlichen Runden, gestern Abend gerade, und im Laufe des Tages sind die ökologisch wirtschaftenden Betriebe da gewesen, gestern sind die wichtigsten beratenden Unternehmer oder Beratungsunternehmen bei uns im Hause gewesen –, muss man wohl feststellen: Wir durchlaufen eine äußerst angespannte und schwierige Lage, die es seit der politischen Wende in diesem Bereich nicht gegeben hat. Das muss jedem klar sein. Und wenn ich das so überschlage – wir haben gut 850 milchviehhaltende Betriebe in Mecklenburg-Vorpom- mern, wir kommen, als ich das 1998 übernommen habe, von 1.000 –, dann muss ich feststellen, seit 1998 haben wir 150 Betriebe verloren. Und allein im letzten Jahr sind es 50 Betriebe gewesen. Das hat nicht allein etwas mit der Preissituation zu tun, sondern insgesamt mit der Perspektivlosigkeit in diesem Bereich.

Meine Damen und Herren, man darf die ganze Kette dabei nicht vergessen. Es ist ja hier von Frau Schlupp angedeutet worden, wir haben 149 milchverarbeitende Betriebe in Deutschland, wir in Mecklenburg-Vorpom- mern haben 13. 13! Und wenn ich fragen würde, was die wohl für einen Umsatz haben und wie viele Beschäftigte die haben, dann sage ich hier mal eins: Die milchverarbeitenden Unternehmen des Landes Mecklenburg-Vor- pommern machen einen Umsatz von über 1,1 Milliarden. 1,1 Milliarden Umsatz! Oder es sind über 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen milchverarbeitenden Unternehmen tätig.

Man darf das nicht vergessen und man darf das nicht verkennen: Jeder Betrieb, der die Milchproduktion einstellt, wird Arbeitsplätze freisetzen und der ganze Bereich, der sich da anschließt, vom Tierarzt angefangen über die Futtermittelindustrie bis hin zu den Dienstleis

tungen im ländlichen Raum. Man muss begreifen und erkennen, dass das zu einem deutlichen Reduktionsprozess auf dem Arbeitsmarkt im Bereich der Landwirtschaft führen wird.

Deswegen mache ich mir wirklich ganz, ganz große Sorgen. Einen solchen Prozess zu begleiten, ist schmerzhaft und hinterlässt Wunden, zum Teil auch Verzweiflung, denn vor einigen Monaten ist ja noch behauptet worden, es würde nur die Schwachen treffen. Und man hat gesagt, es wird auch einen Strukturwandel geben, der die Kleineren trifft. Heute müssen wir feststellen, dass auch gut gemanagte und frisch investierte Unternehmen an die Existenzbedrohung herangeführt werden.

Ich glaube, man muss auch nachvollziehen können, die Zeit wird es zeigen, dass insbesondere ab Sommer, spätestens ab Sommer, wenn wir keine Besserung erfahren, dann mit Insolvenzen zu rechnen ist. Ja, es gibt Betriebe, die ihre Milchkühe bereits abgeschafft haben, ich habe das schon angedeutet. In jedem dieser Betriebe folgt dann natürlich auch der Verlust von Arbeitsplätzen. Das habe ich bereits betont und ich hoffe hier noch mal inständig, dass das jedem klar ist.

Wir werden auch nicht ad hoc glauben können und nicht wollen, dass die Betriebe, die plötzlich jetzt auf Bio umsteigen, dass das ein ganz einfacher Prozess ist. Dieser ist höchst komplex und höchst schwierig. Im Übrigen kostet die Umstellung wahnsinnig viel Geld. Das muss auch jedem klar sein, der hier propagiert, die ökologische Landwirtschaft habe doch keine Probleme. Selbstverständlich hat auch die ökologische Landwirtschaft Probleme,

(Zurufe von Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, und Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber sie ist in einem Nachfragemarkt. Sie ist in einem Nachfragesegment vorhanden. Ich habe allein gestern Nachmittag fünf Landwirtschaftsbetriebe bei uns im Hause gehabt, mit denen ich direkt im Gespräch war, die auch umstellen werden. Und ich begrüße das ausdrücklich, weil wir in Mecklenburg-Vorpommern auf der Siegerstraße sind und letzten Endes damit auch Beispiele schaffen wollen.

Was ist aber der aktuelle Grund der Situation? Der Milchmarkt, das ist angedeutet worden, ist derzeit von weltweit wachsenden Milcherzeugermengen insgesamt und damit einer deutlichen Überproduktion gekennzeichnet. Insbesondere seit Aufhebung der Quotenregelung in Europa im April 2015 wird in einigen Regionen deutlich mehr Milch produziert. Ich will jetzt nicht auf Amerika und Neuseeland eingehen, aber der Zuwachs zum Beispiel in Irland liegt allein in diesem Milchwirtschaftsjahr bei 11,4 Prozent. In Niedersachsen haben wir mehr als 7 Prozent Überlieferung oder auch in den Niederlanden bis zu 12 Prozent mehr an Milchaufkommen. Wir haben in den Niederlanden zurzeit einen aktuellen Milchpreis von 22 Cent. 22 Cent! Da sind wir nicht mehr weit weg vom Spotmarkt, der liegt zurzeit bei 16 Cent. Das bedeutet einfach – und das muss man feststellen –, wir haben eine absolute Überproduktion. Die Ware wird zwar auf den Märkten aufgenommen, das ist immer noch so, auch national und international, aber zu deutlich geringeren Preisen.

Mecklenburg-Vorpommern hat im Übrigen einen Verlust von 0,9 Prozent hinzunehmen. Wenn alle das gemacht

hätten, um 1 Prozent reduziert, hätten wir heute schon einen Milchpreis von 10 Cent obendrauf.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh Gott! – Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es.)

Die Bauern sind sich einfach – und das hat Professor Tack hier sehr deutlich angesprochen –, die Landwirtschaft selbst ist sich wie immer leider nicht einig. Die Bauern unter einen Hut zu bringen, ich habe das immer wieder versucht, ist höchst komplex, höchst schwierig. Jeder glaubt, hoffentlich stirbt mein Nachbar und mich trifft es nicht. Oder …

(Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das ist so.)

Na ja, darüber mag der eine oder andere schmunzeln.

(Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Es ging um den Nachbarn, nicht um das, was Sie gesagt haben.)