Protocol of the Session on January 28, 2016

Achtens. Ist die Mindestruhezeit von derzeit 20 Jahren angemessen oder sollte sie verkürzt werden?

Neuntens. Sollten die Regelungen zu Umbettungen im Interesse der Angehörigen gelockert werden?

Zehntens. Sollten wir das Sterbegeld als eine Geldleistung, die die Aufwendungen der Bestattung zumindest teilweise ersetzen soll, wieder einführen?

Das sind doch Fragen, über die es sich lohnt nachzudenken.

(Zuruf aus dem Plenum: Richtig.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt noch eine Reihe weiterer Fragen, die wir erörtern könnten. Aus Zeitgründen will ich es bei diesen zehn Fragen belassen und die Probleme hinter diesen Fragen nicht näher erläutern. Da aber, wie bereits gesagt, der Friedhofszwang auf ein besonderes, herausgehobenes Interesse stößt, will ich ein paar persönliche Anmerkungen machen und begründen, warum ich für eine Aufhebung oder zumindest für eine Lockerung bin.

Zunächst bin ich der Überzeugung, dass die Friedhofskultur ein hohes kulturhistorisches Gut ist und es auch bei Aufhebung oder Lockerung des Friedhofszwangs bleibt. Das zeigen die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern. Auch in Bremen, das die Mitnahme der Urne seit einem Jahr erlaubt, ist der Untergang der Friedhofskultur nicht zu erleben. Gegen die Aufhebung des Bestattungszwangs liefen die Kirchen, die Bestatter, die Steinmetze, die Floristen und die CDU Sturm. Die Bedenken haben sich jedoch nicht bestätigt.

(Vincent Kokert, CDU: Aus Ihrer Sicht nicht, aus unserer Sicht schon.)

Ein Mitarbeiter der Bremer Umweltbehörde, Herr Kokert, ließ sich im November des letzten Jahres in der „Welt“ wie folgt sinngemäß zitieren: „Nur ein bis zwei Prozent von Bremens Toten werden … privat beigesetzt. In allen Fällen würden trotzdem die Dienste eines örtlichen Bestatters in Anspruch genommen. Kein Ende der Friedhofskultur, kein Verlust von Arbeitsplätzen“, schon gar „keine Entsorgungsmentalität“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass Friedhöfe um ihre Existenz fürchten müssen, hat nichts mit dem Bestattungszwang zu tun,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das hat andere Gründe.)

sondern mit der Bevölkerungsentwicklung. Dass vermehrt auf das Geld geschaut würde, hat ebenfalls nichts mit dem Bestattungszwang zu tun, sondern mit den niedrigen Einkommen und den niedrigen Renten. Deswegen sollten wir das Für und Wider des Bestattungszwanges nicht mit verwaisten Grabstellen oder hohen Bestattungskosten verbinden. Das sind meiner Meinung nach nicht die zentralen Fragen. Die entscheidenden Fragen sind doch vielmehr:

Ist Trauer öffentlich oder ist sie individuell?

Gibt es ein Selbstbestimmungsrecht nur zu Lebzeiten oder auch darüber hinaus?

Muss der Ort der Bestattung mit dem Ort der Erinnerung und Trauer übereinstimmen?

Wiegt der Wille der Hinterbliebenen, einen dauerhaft öffentlich zugänglichen Ort zu haben, höher als der letzte Wille des Verstorbenen?

Meine Damen und Herren, ich akzeptiere selbstverständlich den Wunsch von Verstorbenen oder Hinterbliebenen, auf einem Friedhof begraben zu werden. Dabei ist es heute vollkommen egal, ob als Sarg- oder Feuerbestattung.

Erinnern wir uns: Die Kirche hatte sich jahrhundertelang gegen Feuerbestattungen gewehrt. Grund war die christliche Lehre von der leiblichen Auferstehung. Seit circa 200 Jahren ist in Deutschland eine Feuerbestattung möglich. Es hat also einen Wandel gegeben.

Einen Wandel können wir auch heute beobachten. Die Säkularisierung, also die Verweltlichung, nimmt zu. Die religiöse Vielfalt steigt auch in unserem Land. Es gibt verschiedene Familienmodelle. Die Familien wohnen heute weit auseinander. Kurzum: Die Bedürfnisse der Menschen haben sich geändert und ändern sich. Die meisten wünschen sich ein ordentliches Urnen- oder Sargbegräbnis auf dem Friedhof, aber sie wollen zumindest die Wahl haben, entscheiden zu können, wo und wie sie bestattet werden, vielleicht auch im Rahmen eines Friedwaldes, im Rahmen einer Seebestattung oder in dem Heim der Hinterbliebenen. Sie wollen selbst bestimmen, was mit ihrer Asche geschieht.

(Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)

Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser letzte Wille ist zu respektieren, denn für mich ist Trauer zunächst individuell. Orte des Trauerns und des Gedenkens müssen mit dem Bestattungsort nicht zwingend übereinstimmen. Der Verstorbenen gedenkt man mit dem Verstand und vor allem mit dem Herzen. Hier könnte ich Immanuel Kant zitieren: „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird.“ – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Frau Hesse. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte die sehr emotionalen Worte von Herrn Ritter nicht kommentieren, kann aber durchaus nachvollziehen, was er vorgetragen hat.

Sehr geehrte Damen und Herren, es gehört zum normalen Regierungshandeln, bestehende Gesetze regelmäßig zu überprüfen, und zwar dahin gehend, ob sie den gegenwärtigen Anforderungen entsprechen. Dieses normale Regierungshandeln hat bereits 2006 und 2008 dazu geführt, das Bestattungsgesetz von 1998 jeweils diesen Anforderungen anzupassen. Auch für die kommende Legislaturperiode hat mein Haus eine solche Novellierung bereits auf der Agenda.

Diese Planung kommt nicht von ungefähr, sondern hat eine Geschichte. Eine von der Justizministerkonferenz eingesetzte Projektgruppe hatte 2009 Empfehlungen beschlossen, um die Qualität der Leichenschau zu verbes

sern. Die Gesundheitsministerkonferenz hat sich 2011 mit diesen Empfehlungen befasst und festgestellt, dass ein gemeinsamer Weg, also bundeseinheitliche Lösungen, nicht zu erreichen ist. Daraufhin haben sich die norddeutschen Länder – Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern – zusammengetan, um mindestens hier möglichst einheitliche Schritte einzuleiten und umzusetzen.

Die wesentlichen Vorschläge dafür, in welche Richtung die Neuerung in den jeweiligen Bestattungsgesetzen gehen soll, sind diese:

Ärzte sollen in Verantwortung der Ärztekammern

darin geschult werden, wie eine Leichenschau durchzuführen ist.

Geschultes Personal der Gesundheitsämter soll mög

lichst zeitnah die Totenscheine prüfen.

Einführung gesetzlicher Meldepflichten bei bestimm

ten Auffindesituationen

Regelungen für eine innere Leichenschau

Für die Landesregierung sind diese Vorschläge die Grundlage dafür, wie eine Novelle des Bestattungsgesetzes in der nächsten Legislaturperiode aussehen kann. Wir werden selbstverständlich im Vorfeld in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Institutionen und Akteuren Eckpunkte für eine solche Novelle erarbeiten. Sie wissen, dieses Verfahren hatten wir bereits im Rahmen der Novelle zum Rettungsdienstgesetz gewählt, und dies hat sich aus meiner Sicht bewährt. Insofern brauchen Sie das nicht zu fordern. Sicherlich werden dort einige Punkte Berücksichtigung finden, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen.

Sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, Teile Ihrer Forderungen sind aber auch nach geltendem Recht bereits erfüllt. Zum Beispiel schreibt das Gesetz schon jetzt keine Sargpflicht bei der Beisetzung vor. Auch können Erdbestattungen mit Genehmigung des Gesundheitsamtes vor Ablauf der 48-Stunden-Frist vorgenommen werden, wenn religiöse Riten das vorsehen. Zusammengenommen mit den Plänen meines Hauses für die kommende Legislaturperiode ist ein Beschluss des Landtages aus meiner Sicht müßig.

Und, lieber Herr Ritter, ich kann Ihnen versichern, dass dieser Landtag auch noch drei Monate vor der Wahl sehr viel zu diskutieren und zu beschließen haben wird,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Das stimmt. – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

weil noch vier große Gesetze aus meinem Haus auf Sie zurollen werden: Gleichstellungsgesetz, Schwangerschaftskonfliktberatung, Psychischkrankengesetz und Krebsregister. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der CDU-Fraktion Herr Kokert.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist auch für mich kein ganz leichtes Thema, das will ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Das ist ein Thema, mit dem man Gott sei Dank nicht jeden Tag zu tun hat, es sei denn, man hat damit beruflich zu tun. Ich scheue grundsätzlich keine kontrovers geführten Debatten. Ich würde mir auch bei diesem Thema wünschen, Herr Ritter, wir würden die Emotionen da ein bisschen rausnehmen, denn wenn Sie das tatsächlich ernst meinen mit Ihrer angestoßenen Debatte,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das meinen wir ernst.)

dann hätte ich mir auch von Ihnen – da blöken Sie schon wieder dazwischen –, dann hätte ich mir auch von Ihnen,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ich habe keinen Ton gesagt, keinen Ton gesagt. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Das war Barbara, die hat geblökt.)

dann hätte ich mir auch von Ihnen gewünscht, dass Sie einen anderen Verfahrensweg wählen, nämlich den Verfahrensweg, den man in solchen Fällen wählen kann:

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt ein relativ regelmäßiges Treffen der Fraktionsvorsitzenden untereinander, wo man wichtige Punkte,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ach so!)