Schließlich wird gefordert, dass sich die zwangsweisen Abschiebungen verringern und stattdessen freiwillige Ausreisen befördert werden sollen. Meine Fraktion unter
Herr Dr. Al-Sabty, da ich Sie sehr schätze, will ich zwei Richtigstellungen machen, die Sie möglicherweise fälschlicherweise ausgeführt haben. Davon gehe ich mal aus. Es wird keiner, der keine Papiere hat, rückgeführt, solange er nicht Ersatzpapiere hat oder per se Papiere. Solange wird kein Flüchtling rückgeführt. Alles andere wäre falsch.
Zweite Bemerkung: Die Rückführungen sind nicht gesetzeswidrig, denn dann würden die gesamte Bundesrepublik Deutschland und alle Länder gegen geltendes Recht verstoßen. Im Gegenteil, wir setzen geltendes Recht um.
Dritte Bemerkung: Ja, ich kann als Minister und als Abgeordneter die Umsetzung deutschen Rechts mit meinem Gewissen vereinbaren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Jeder politisch denkende und besonders jeder politisch handelnde und in politischer Verantwortung stehende Mensch muss sich bewusst sein, was er mit Worten, mit Wertungen, mit Handlungen und Entscheidungen tut,
dass andere Menschen ihm zuhören, ihn verstehen, Schlüsse ziehen, sich entscheiden, selbst handeln und Entscheidungen treffen oder eben das alles nicht tun.
Anträge, die wir als Abgeordnete, als Fraktionen in den Landtag einbringen, enthalten solche Worte und Wertungen und fordern zu Entscheidungen auf, die das Zusammenleben und die Entwicklungen in unserem Land positiv beeinflussen sollen.
Im vorliegenden Antrag fordern die Bündnisgrünen, dass in Mecklenburg-Vorpommern die rote Linie bei Abschiebungen nicht überschritten werden soll. Mit dem Wort „Abschiebung“ wird gleich darauf abgestellt, dass dieser Antrag etwas mit der Flüchtlingssituation zu tun haben muss – ein Thema, das in dieser Zeit bald jeden Menschen interessiert, berührt, betrifft und beschäftigt, gleich ob professionell, in der täglichen Arbeit oder im Ehrenamt. Wenn das Wort des Jahres 2015 „Flüchtling“ ist,
so kann es 2016 vielleicht das Wort „Abschiebung“ werden. Ihr Antrag leistet gerade einen Beitrag dazu. Was soll diese Symbolik der „roten Linie“? Wenn bei einer Maschine oder bei einem Motor die Anzeige im roten Bereich leuchtet, wird Gefahr signalisiert. Was ist das nun für eine gefährliche Sache mit der Abschiebung in unserem Land? Wie gefährlich sind die Behörden in Mecklenburg-Vorpommern, zu denen wir feststellen sollen, dass sie die Rechte von Kindern und deren vorrangige Schutzbedürfnisse landesweit missachten,
Auf dem Boden unseres Grundgesetzes sind in Deutschland und damit in Mecklenburg-Vorpommern gerade Familien und Kinder besonders geschützt.
Viele weitere nationale und internationale Gesetze und Festlegungen, wie zum Beispiel die UN-Kinderrechts- konvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, werden in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt. Das gilt selbstverständlich auch für die Familien und Kinder der Flüchtlinge und Asylbewerber, die sich gegenwärtig in großer Zahl bei uns aufhalten. Selbst nach Zugang eines ablehnenden Asylbescheides sind die betroffenen Menschen nicht rechtlos geworden. Niemand behauptet, dass es ohne Probleme abläuft, wenn Menschen, die oft auf beschwerlichen und gefährlichen Wegen zu uns nach Deutschland gekommen sind, Asyl begehren, aber entsprechend der Gesetzeslage dieses Begehren abgelehnt wird.
Ich bin aber auch der Meinung, dass wir verantwortlich dafür sorgen müssen, dass mit Ruhe und Besonnenheit Probleme gelöst werden. Das ist in erster Linie dann möglich, wenn Daten und Fakten bekannt sind. Alle Fraktionen sind im Innen- und Sozialausschuss vertreten. Auch die Abgeordneten der Bündnisgrünen werden hier regelmäßig durch die Ministerien über die aktuelle Situation der Flüchtlinge unterrichtet und haben die Möglichkeit nachzufragen. Davon wird rege Gebrauch gemacht. Schwerpunkt der Unterrichtung im Innenausschuss am 10. Dezember 2015 war das Thema Abschiebung. Am 16. Dezember stellten die Abgeordneten Herr Saalfeld und Frau Gajek die schon benannte Kleine Anfrage zur, ich zitiere, „Abschiebungspraxis der Landesregierung“ und heute dieser Antrag. Die Antwort auf die Kleine Anfrage liegt seit gestern als Drucksache vor und in vielen Beiträgen wurde dazu schon beeindruckend Stellung genommen.
Mir ist es wichtig, sachlich über die Abschiebungen zu informieren. Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragen möchten, stellen einen entsprechenden Antrag und erhalten eine Aufenthaltsgestattung. Gleichzeitig
wird geprüft, ob ein anderer Staat, in dem der Flüchtling vorher war, für ein Asylverfahren zuständig ist. Sollte das zutreffen, erfolgt auf Grundlage der Dublin-Verordnung eine Abschiebung in dieses Land.
Dazu muss von der Behörde ein Antrag auf Rücknahme gestellt werden. Nach Zustimmung zu dieser Rücknahme erfolgt dann die Abschiebung. Ist die Abschiebung innerhalb einer festgelegten Frist aber nicht erfolgreich, wird das Asylverfahren letztlich in Deutschland durchgeführt. Wenn Deutschland zuständig ist, erfolgt eine Anhörung und dann eine Entscheidung. Dabei hat eine Anerkennung eine Aufenthaltserlaubnis zur Folge. Bei einer Ablehnung ergeht ein Bescheid, in dem die betreffende Person innerhalb einer festgesetzten Frist zur Ausreise aufgefordert wird und die Abschiebung angekündigt wird, wenn keine freiwillige Ausreise erfolgt.
Zuständig für Abschiebungen in unserem Land ist das Landesamt für innere Verwaltung. Mitverantwortlich für den konkreten Vorgang der Abschiebung vor Ort ist die kommunale Ausländerbehörde in den Landkreisen und kreisfreien Städten, oft in Zusammenarbeit mit den Beamtinnen und Beamten der Polizei, je nachdem, mit welcher Begründung ein Asylbegehren abgelehnt wird. Ist der Antrag zum Beispiel offensichtlich unbegründet, wenn es sich um einen Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten handelt? Diese haben dann ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides eine Woche Zeit, freiwillig auszureisen. In anderen Fällen haben die Betroffenen einen Monat dafür Zeit. Immer können Rechtsmittel eingelegt werden, um die Entscheidung nochmals prüfen zu lassen. Während dieser Zeit leben die Menschen mit einer Duldung bei uns.
Von der zuständigen Sachgebietsleiterin und einem Mitarbeiter in der Ausländerbehörde in meinem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte war auf Nachfrage zu erfahren, dass die ablehnende Asylentscheidung, die der Antragsteller erhält, auch der Behörde zugestellt wird. Die Ausländerbehörde bietet dann Beratung und Unterstützung an und überprüft die mögliche freiwillige Ausreise. Erfolgt diese nicht, wird das Landesamt für innere Verwaltung informiert und eine Abschiebung kann durchgeführt werden. Die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des Landkreises sind bei der Abschiebung dabei. Der anschließende Transport erfolgt durch die Polizei.
Die Sachgebietsleiterin bestätigte ein sensibles Vorgehen in jeder Situation. Wären – das ist dort noch nicht vorgekommen – Schulkinder betroffen, so müsste sie genauso handeln, wie der Innenminister es dargestellt hat: Sie müsste die Schulleitung und das Lehrpersonal informie- ren, um behutsam handeln zu können. Durch die Ausländerbehörde wird zum Beispiel auch geprüft, wer wegen Krankheit nicht abgeschoben werden kann. Diese Personen erhalten dann eine zeitweise Duldung, die auch Fa- milienangehörige betreffen kann. Gegenwärtig sind in meinem Landkreis jeden Monat circa 150 Personen davon betroffen. An dieser Stelle wünscht sich die Mitarbeiterin vor Ort zum Beispiel sichere Standards für ärztliche Zeugnisse der Gesundheitsämter und der Amtsärzte.
Bei Abschiebungen werden zum Beispiel Einzel- und Chartermaßnahmen unterschieden. Während bei einer Einzelabschiebung nur eine Person oder wenige Personen betroffen sind, werden für Chartermaßnahmen lan
desweit Menschen zu einer bestimmten Abflugzeit zum Beispiel zum Flughafen nach Berlin oder Hamburg gebracht. Die Abflugzeiten werden vom Landesamt für innere Verwaltung der Ausländerbehörde vor Ort mitgeteilt und bedingen oft eine sehr zeitige Abfahrt.
Im Gespräch mit der Leiterin der Gemeinschaftsunterkunft in Friedland, in der zurzeit 113 von 120 möglichen Geflüchteten leben, war zu erfahren, dass dort mit den Einwohnern Gespräche über Folgen der Beachtung oder auch der Nichtbeachtung von zugestellten Bescheiden geführt werden. Wenn hier ablehnende Asylentscheidungen eintreffen und die Betroffenen Fragen haben, stehen die Mitarbeiter/-innen zur Verfügung. Letztlich verweisen diese nochmals auf die Ausländerbehörde, die eine Beratung anbieten kann.
Zu verzeichnen ist von der Einrichtungsleiterin aber auch, dass aus ihrer Sicht die meisten mit einem ablehnenden Bescheid nicht der Ausreisepflicht nachkommen und dies nicht freiwillig tun. Sie nehmen den Bescheid nicht ernst, wollen bleiben und sitzen es aus, sagt sie, trotz bekannter Folgen. Sie warten auf die Abschiebung, die dann unangemeldet erfolgt. In Friedland werden durch dieses Verhalten Plätze in der Unterkunft blockiert, die dringend für neue Flüchtlinge benötigt werden.
Festgestellt wird auch, dass nur in wenigen Fällen der Rechtsweg beschritten wird. Das Geld für eine Klage gegen die Entscheidung haben die Wenigsten. Der Zeitraum bis zu einem Abschiebungsdatum hat in einzelnen Fällen aber auch schon mehrere Monate gedauert. Bei allen bisher stattgefundenen Abschiebungen, die auch nachts erfolgten, kann sie nur von einer sehr sensiblen Vorgehensweise der zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Beamtinnen und Beamten berichten.
In unserem Land wird also in diesem Zusammenhang deutschem und europäischem Recht Rechnung getragen. Immer wird es Personen, die geflüchtet sind, geben mit manchmal auch nur zeitweise zutreffenden besonderen Lebenssituationen oder bei denen geschlechtsspezifische Gründe zutreffen, für die es besondere Regelungen und Maßnahmen geben muss und gibt. Das betrifft zum Beispiel minderjährige Kinder, Kranke oder Schwan- gere. Um die bestehenden Grundlagen für die Wahrung dieser besonderen Schutzwürdigkeit und spezieller Interessen immer besser ausgestalten zu können, möchte ich hier die geschlechterspezifische Datenerhebung an- regen. Das kann zukünftig für zutreffende Entscheidungen wesentliche Erkenntnisse liefern. Regelungen, die es aktuell für diesen Personenkreis gibt, werden auch umgesetzt. So – der Innenminister hat es schon gesagt – werden Schwangere während der Mutterschutzfrist nicht abgeschoben. Und der erst im Sommer letzten Jahres wieder eingeführten Möglichkeit, nächtliche Abschiebungen durchzuführen, kann durch eine freiwillige Ausreise durchaus begegnet werden. Weitere Ausführungen dazu sind in der Antwort auf die bereits erwähnte Kleine Anfrage zu finden. Das trifft auch für die Programme zu, mit denen freiwillige Ausreisen unterstützt werden und an denen sich Mecklenburg-Vorpommern wie alle anderen Bundesländer beteiligt.
Letztlich noch eine Bemerkung zur Forderung unter Punkt 2 b): Zum jetzigen Zeitpunkt sollte realistisch an die Lösung von Problemen herangegangen werden. Wenn Dolmet-
scher vor Ort gerade überall gebraucht werden, dann sind sie, wenn es möglich ist, so versicherte mir die Einrichtungsleiterin, auch bei Abschiebungen da. Aber ob die Forderung schnell und flächendeckend so erreicht werden kann, wie Sie sich das vorstellen, das wage ich zu bezweifeln.
Ich finde es toll, wie sich auch Abgeordnete unseres Parlaments für geflüchtete Menschen in unserem Land einsetzen. Gerade persönlicher, zutiefst menschlicher Ein- satz hat in Einzelfällen schon Lösungen herbeigeführt. Dafür Danke schön.
Ich lehne es aber ab, dass problematische Einzelschick- sale, von denen Sie erfahren, pauschal verallgemeinert werden und man damit der Situation vor Ort nicht gerecht wird. Wir lehnen Ihren Antrag ab, denn ich habe viele Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter getroffen, die unter angespannten Bedingungen ihre Arbeit in Behörden, Einrichtungen oder bei der Betreuung vor Ort auf gesetzlicher Grundlage mit Engagement, Verantwortung und Hingabe leisten.