Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich den Antrag der LINKEN genauer lese, geht es gar nicht vordergründig um Kinder, es geht um Eltern im Leistungsbezug.
Und wenn man ein bisschen um die Ecke denkt, ist es der pfiffige Vorstoß von BDA und DGB in den Kernbereich verhärtete Langzeitarbeitslosigkeit, den Sie dieses Mal als Aufhänger nehmen.
Die Pressemitteilung zu dem Vorschlag der beiden Spitzenverbände war überschrieben mit dem Titel „DGB und BDA stellen Aktionsplan gegen Kinderarmut vor“. Das Herausstellen der Bekämpfung von Kinderarmut lässt sich insbesondere für die LINKE gewiss besser verkaufen als die offene Adressierung an die Eltern selbst, findet auch Professor Dr. Sell, der an der Hochschule Koblenz Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften lehrt und der das Papier ganz genau analysiert hat.
Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass bereits vor einiger Zeit die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen e. V. mit einer PR-Kampagne Integrationsfirmen flankiert hat, worauf ich später dann noch mal zu sprechen komme.
Schaut man sich den Aktionsplan an, finden sich Aussagen wie, sollte es nach einem Jahr nicht gelungen sein,
wenigstens einen Elternteil in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wird eine zeitlich befristete, öffentlich geförderte und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorgeschlagen.
Ein Programm auf drei Jahre befristet, wissenschaftlich begleitet und versehen mit einem Freiwilligkeitspassus sowohl für Betroffene als auch für die Jobcenter – da eben höre ich die stöhnenden Arbeitsmarktinsider: Nicht schon wieder ein Sonderprogramm, und zwar aus dem Wissen heraus, dass Programme und Modellprojekte zwei der Grundübel von Arbeitsmarktpolitik sind. Sie verschlingen enorme Ressourcen und führen zu einer Anpassung der Menschen an die Zielgruppenvorhaben der Programme, von der Eigendynamik abgesehen, die diesen Programmen innewohnt und wiederum dazu führt, dass dann etwas Neues aufgelegt wird für diejenigen, die nicht in das ursprüngliche Programm passen. Und darüber müssen wir hinauskommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich bitte einige Dinge zu den Entwicklungen der Arbeitsmarktdaten hier in unserem Bundesland feststellen. Nachdem die rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpom- mern vor neun Jahren abgewählt wurde, hat sich die Arbeitslosigkeit in unserem Land fast halbiert. Die erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist nicht nur demografisch bedingt, denn in dem genannten Zeitraum stieg auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen von 503.000 im Juni 2006 auf 556.000 im August 2015. Das ist also ein Zuwachs von 10,5 Prozent gegenüber dem Jahr 2006.
Man kann es nicht oft genug sagen: Die Konzentration der Wirtschaftspolitik auf den ersten Arbeitsmarkt zahlt sich aus, und da möchten wir die langzeitarbeitslosen Eltern auch hinhaben. Dass sich diese Politik auszahlt, lässt sich auch am Einkommen der Arbeitnehmer in unserem Land ablesen. Ich verweise dazu auf die entsprechenden Quellen des Statistischen Landesamtes.
Wir können also feststellen, dass es immer mehr Menschen in unserem Land immer besser geht. Und natürlich hat die Integration in Arbeit sehr viele positive Effekte für die Arbeitnehmer, auch für die Familienangehörigen. Aber eine Herausforderung tritt auch deutlicher zutage: Es gibt eine Gruppe von Menschen, die weniger stark von der genannten Entwicklung profitiert als andere oder auch gar nicht. Und zwar sind das die Langzeitarbeitslosen, insbesondere wegen verschiedener Vermittlungshemmnisse.
Die Initiative von BDA und DGB rückt diese also nicht ohne Grund ins Zentrum des Interesses. Während der Rückgang der Arbeitslosigkeit im Oktober 2014 bis Oktober 2015 bei uns in M-V insgesamt 7,2 Prozent betrug, ging der prozentuale Anteil der Langzeitarbeitslosen lediglich um 6,8 Prozent zurück.
Am 27.10. gab es eine Landespressekonferenz des Erwerbslosenparlamentes zur Lage der Langzeitarbeitslosen. Für diese Gruppe wurden verschiedene Vermittlungshemmnisse aufgezeigt, die eine Integration in den
ersten Arbeitsmarkt erschweren. Diese Vermittlungshemmnisse führen dazu, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe weniger stark ausfällt, als für die gesamten Arbeitslosen betrachtet. Übrigens ist das kein spezielles Problem Mecklenburg-Vorpommerns, daher nun ja auch die Bundesinitiative von BDA und DGB.
Zu diesem Vorschlag und zu Ihrem Wunsch nach einer Bundesratsinitiative möchte ich ebenfalls drei Dinge sagen. Die Landesregierung hat sich seit einiger Zeit darum bemüht, Projekte wie zum Beispiel den Familiencoach als Regelinstrumente zu etablieren. Der Bildungsminister Brodkorb ist eben in Vertretung für die Sozialministerin darauf eingegangen. Insofern wird auch die gemeinsame Initiative von BDA und DGB begrüßt. Zwischenzeitlich hat diese Initiative auch den Kooperationsausschuss zum SGB II erreicht. Haben Sie also ein wenig Geduld, wie sich dieser positioniert!
Ich halte das Abwarten dieser Positionierung auch deswegen für geboten, weil die eingangs zitierten hervorragenden Arbeitsmarktdaten gerade auch dadurch zustande kommen, weil von der Landesregierung immer die Förderung einer Integration in den ersten Arbeitsmarkt angestrebt wurde.
Diese zumindest stufenweise Integration wird auch für Langzeitarbeitslose angestrebt. Dass dies gelingen kann, zeigt der Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit in den jüngsten Arbeitsmarktstatistiken. Eine sorgsame Prüfung der Vorschläge von DGB und BDA ist nicht zuletzt auch deswegen geboten, weil wir unter anderem in der Enquetekommission bei einer Anhörung zum Thema „Arbeit im Alter“ von Herrn Wilken gehört haben, dass eine öffentlich geförderte Beschäftigung im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit durchaus kritisch gesehen wird.
Man muss über alles reden können, man muss über alles reden dürfen, auch über andere Möglichkeiten der Integration von Langzeitarbeitslosen. Ziel muss es sein, bei den Stärken und Begabungen der Langzeitarbeitslosen anzusetzen. Das wird beispielsweise auch von der Arbeitsagentur so gesehen. Und selbst in dem Vorschlag der beiden Spitzenverbände wird formuliert: „Die Integration von arbeitslosen Eltern kann nur gelingen, wenn entsprechende geeignete Arbeitsplätze gefunden werden.“
Dort, wo eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt aufgrund von massiven Vermittlungshemmnissen nicht funktioniert, muss über eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente nachgedacht werden. Denkbar wäre
etwa, dass in Integrationsbetrieben, die sich dazu bereit erklären, erprobt wird, ob sie für Langzeitarbeitslose geöffnet werden können. Alternativ könnten für die Langzeitarbeitslosen, die in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt sind, Sozialunternehmen nach dem Vorbild der Integrationsbetriebe geschaffen werden. Hierfür sollte dann auch geprüft werden, ob die Finanzierung aus dem Eingliederungstitel nach Paragraf 16e SGB II erfolgen kann. Diese Vorschläge hat die Unionsfraktion in Berlin in einem 7-Punkte-Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit bereits vorgelegt.
In dem, was jetzt in dem Papier von DGB und BDA steht, haben Fachleute nichts gefunden, was man als wirklich neue Wege einer öffentlich geförderten Beschäftigung durchgehen lassen könnte. Das wird alles irgendwie passfähig gemacht zu dem, was da ist, egal, ob das, was da ist, von Praktikern und Experten als untauglich oder auch kontraproduktiv bewertet wird. Eine wirklich neue Idee haben Sie, Herr Foerster, beim Erwerbslosenparlament auch nicht gebracht.
Ich hätte mich da auch hinstellen können und sagen können, ich stehe fest an der Seite der Erwerbslosen. Das heißt doch aber auch, ich bewege mich nicht.
Es wird für Veränderungen nicht reichen, nur den Status quo zu erhalten. Eines steht fest: Wir brauchen Zeit für die Prüfung, und diese Zeit haben wir auch, denn Ihr Vorschlag zu einer Bundesratsinitiative kann den aktuellen Haushalt kaum mehr erreichen.
Wie Sie wissen, hat die Bundesarbeitsministerin für 2016 im Rahmen der Ersten Lesung des Bundeshaushaltes Anfang September einen Mehrbedarf von bis zu 3,3 Mil- liarden Euro angemeldet. Sie kündigte zudem an, dass die Integration Langzeitarbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt verstärkt gefördert werden soll.
Im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit stehen nun 160 Mil- lionen Euro, also 40 Millionen Euro zusätzliche Mittel zur Verfügung. In dem Papier von DGB und BDA werden aber noch mal 90 Millionen Euro mehr gefordert.
Wenn Ihre Antragsinitiative auf die Aufnahme in das aktuelle Haushaltsgesetz, das am 1. Januar in Kraft treten soll, abzielen sollte, dann halte ich eine Bundesratsinitiative für ein denkbar stumpfes Schwert. Der Antrag kommt für den zu verhandelnden Haushalt schlicht sehr spät, denn der Bundesrat kann gemäß Artikel 110 Absatz 3 Grundgesetz vor der Ersten Lesung im Bundestag innerhalb von sechs Wochen, bei Änderungsvorlagen innerhalb von drei Wochen zu den Vorlagen Stellung nehmen. Diese Frist wäre für das vorliegende Papier von DGB und BDA im Rahmen einer Bundesratsinitiative aber zu keinem Zeitpunkt haltbar gewesen, denn die Vorschläge von DGB und BDA datieren ja auf den 3. September, also wenige Tage vor der Ersten Lesung.
Natürlich kann der Bundesrat auch nach einer Dritten Lesung des Bundeshaushaltes noch Einfluss nehmen,
zum Beispiel, indem Einspruch eingelegt wird. Dieser kann aber vom Bundestag zurückgewiesen werden. In der Regel gibt der Bundesrat daher auch nur eine Stellungnahme zum Bundeshaushalt ab. Auch für diesen Fall ist Ihr Wunsch nach einer Bundesratsinitiative ein stumpfes Schwert.
Mit anderen Worten, es gibt gute Argumente, die Initiative von DGB und BDA sorgsam zu prüfen, zum Beispiel, weil es zur Schaffung oder Wiederbelebung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors plausible Gegenargumente und auch plausible Gegenvorschläge gibt. Dass es keinen Anlass für Ihren Hauruckvorschlag einer Bundesratsinitiative gibt,
lässt sich nicht zuletzt auch damit begründen, dass die Einflussmöglichkeiten des Bundesrates auf den Bundeshaushalt 2016 überaus gering sind. Wir haben die Zeit zu prüfen und diese Zeit sollten wir uns beziehungsweise sollte sich der Kooperationsausschuss zum SGB II auch nehmen, um denjenigen zu helfen, die mit den vorhandenen Instrumenten nicht zu erreichen sind. Eine Entschlackung des Förderrechts wäre die eine Seite, der gezieltere Einsatz von Fördermitteln bei zunehmender Problemschwere wäre die andere. Das ist es, was wir unter die Lupe nehmen müssen. Wir brauchen also keinen Antrag von den LINKEN über den Umweg der Kinderarmut.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die LINKE möchte in ihren Aktionsplan laut Begründung auch die Jobcenter einbeziehen zur Armutsbekämpfung. Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein! Es gibt keine übleren Vereine als die Jobcenter und nichts Asozialeres und nichts, was die Armut mehr befestigt.
Um die Jobcenter mal ein bisschen zu charakterisieren, einen Fall aus meiner Hartz-IV-Beratung: Eine Frau in Gützkow findet in ihrer Wohnung Schwarzschimmel vor, sehr gesundheitsschädlich. Die Vermieterin erklärt sich finanziell nicht imstande, das zu beseitigen, sagt auch, sie will das Vermieten aufgeben. Daraufhin beantragt die Frau bei ihrem zuständigen Jobcenter die Übernahme der Zusicherung der Kosten der Unterkunft und der Umzugskosten. Das Ganze wurde abgelehnt mit der Begründung, sie könne ja eine Mietminderung durchsetzen um hundert Prozent, und sie solle gefälligst in der Schwarzschimmelwohnung bleiben. Das hat für das Jobcenter zwei Vorteile: Erstens müssen sie weniger Kosten der Unterkunft zahlen und zweitens stirbt die Frau früher, sodass sie weniger und kürzer Leistung zahlen müssen.