Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 103. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 103. und 104. Sitzung liegt Ihnen vor.
Auf Drucksache 6/4621 liegt Ihnen ein Dringlichkeits- antrag der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rechtsextremistisch und fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten stoppen für ein weltoffenes friedliches und tolerantes Mecklenburg-Vor- pommern – vor. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Tagesordnung um diese Vorlage zu erweitern. Der Tagesordnungspunkt wird am Donnerstag nach dem Tagesordnungspunkt 20 aufgerufen. Wird der so geänderten vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 103. und 104. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.
Gemäß Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die 103. und 104. Sitzung die Abgeordneten Heino Schütt, Torsten Koplin, Dr. Ursula Karlowski und Johann-Georg Jaeger zu Schriftführern.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern anlässlich 25 Jahre MecklenburgVorpommern.
Regierungserklärung des Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern anlässlich 25 Jahre Mecklenburg-Vorpommern
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Tagen, am 3. Oktober, haben wir 25 Jahre deutsche Einheit gefeiert. Dabei ist eine überwiegend positive Bilanz gezogen worden, und das zu Recht.
Die ostdeutschen Bundesländer haben sich seit 1990 insgesamt gut entwickelt, und wir sind auch beim Zusammenwachsen zwischen Ost und West gut vorangekommen. Es ist ein Anlass zu großer Freude, dass wir Deutschen heute wieder ganz selbstverständlich in einem Land leben.
Der 3. Oktober ist zugleich die Geburtsstunde unseres Bundeslandes. Am 14. Oktober 1990 fanden die ersten Landtagswahlen statt und knapp zwei Wochen später, am 26. Oktober, kam der Landtag zu seiner ersten Sitzung zusammen. Am Tag darauf wurde der erste Ministerpräsident gewählt. Deshalb denke ich, dass unsere heutige Sitzung der richtige Zeitpunkt ist, um zurückzublicken und Bilanz zu ziehen nach 25 Jahren Mecklenburg-Vorpommern.
Nun kommt vielleicht von dem einen oder anderen der Einwand: Wie kann man angesichts der großen Herausforderungen, vor denen Deutschland und auch wir in
Mecklenburg-Vorpommern wegen der großen Zahl an Flüchtlingen stehen, wie kann man da eine Regierungserklärung zu 25 Jahren Mecklenburg-Vorpommern machen? Müsste dann nicht TOP 1 der heutigen Sitzung wieder die Flüchtlingsproblematik sein? Es stimmt natürlich, dass dies die aktuell größte Herausforderung ist, die große Anstrengungen erfordert. Das leisten wir auch, gestern zum Beispiel mit der Kabinettsvorlage zur Umsetzung der Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels. Aber, meine Damen und Herren, klar ist doch auch, wir dürfen jetzt nicht immer nur noch über Flüchtlinge reden.
Es darf nicht der Eindruck entstehen, alle anderen im Land müssten deshalb zurückstehen. Das muss in der Waage bleiben. Alle brauchen unsere Fürsorge, und wir helfen nicht dem einen auf Kosten der anderen.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Udo Pastörs, NPD: Was für ein Geschwätz!)
Es ist angesichts der großen Herausforderungen sicherlich auch gut und richtig, sich vor Augen zu führen, was wir alle miteinander in der Vergangenheit an Schwierigkeiten schon gemeistert haben.
Dass den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, im ganzen Osten, erst eine friedliche Revolution und dann ein beispielloser Aufbauprozess gelungen ist, das darf nicht deshalb unter den Tisch fallen, weil es jetzt eine andere große Aufgabe zu bewältigen gilt. Im Gegenteil, ich meine, das ist auch eine Ermutigung in der jetzigen schwierigen Situation und ein Grund für Zuversicht, also hochaktuell.
Meine Damen und Herren, im Herbst 1989 machte sich eine schnell anwachsende Zahl von Menschen auf, um für Reformen in der DDR – Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, freie Wahlen – zu demonstrieren. Mit ihren friedlichen Protesten brachten sie binnen weniger Wochen die SED-Herrschaft zu Fall und auch die Grenze, die Deutschland für mehr als 40 Jahre geteilt hatte. Der 9. November 1989 mit der Öffnung der Grenzen, an die wir im letzten Jahr mit einem Festakt im Staatstheater erinnert haben, steht für den Beginn des Zusammenwachsens von Ost und West. Aus dem Ruf „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“.
Spätestens mit der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 wurden die Weichen für eine schnelle Einheit gestellt.
Daran, dass es innerhalb eines halben Jahres zur deutschen Einheit kam, haben viele mitgewirkt, selbstverständlich in der alten Bundesrepublik und auf internationaler Ebene.
Dennoch bleibt richtig: Es waren vor allem die Ostdeutschen selbst, die den Weg zur Freiheit, zur Demokratie und zur deutschen Einheit freigemacht haben. Darauf können alle, die damals dabei waren, sehr stolz sein.
Meine Damen und Herren, als der Landtag vor 25 Jahren zu seiner ersten Sitzung zusammenkam, standen die Abgeordneten vor riesigen Aufgaben. Die Jahre 1989 und 1990 haben den Menschen in den ostdeutschen Ländern viele Verbesserungen gebracht: die Meinungsfreiheit eben, Pressefreiheit, Reisefreiheit, freie Wahlen, viele wirtschaftliche Möglichkeiten. Der Übergang in eine neue politische Ordnung und in ein neues Wirtschaftssystem war aber auch mit großen Schwierigkeiten und Umstellungen verbunden.
Wie groß die Aufgaben waren, spiegelt auch die erste Regierungserklärung wider, die Alfred Gomolka, der erste Ministerpräsident unseres Landes, hier am 30. Novem- ber 1990 abgegeben hat. Er hat damals gesagt, ich zitiere: „Meine Regierung ist angetreten, um gemeinsam mit allen Bürgern aus diesem Land wieder eine Heimat zu machen, in der wir uns alle wohl fühlen können. Diese Aufgabe ist nicht leicht, viele Probleme lasten schwer auf unserem Land.“
„Wir alle sind gefordert, uns neu zu orientieren, unseren Platz in einer veränderten Gesellschaft zu finden, uns den Veränderungen, die die friedliche Revolution notwendigerweise mit sich brachte, zu stellen.“ So weit das Zitat.
Das ging damals nicht ohne Brüche und auch nicht ohne Enttäuschungen. Vor allem in der Wirtschaft kam es in dieser Zeit zu einem tief greifenden Umbruch. Zwar gab es in den Jahren nach 1990 auch viel wirtschaftlichen Aufbruch mit zum Teil hohen Wachstumsraten – es wurde kräftig konsumiert, kräftig gebaut, und manches damals gegründete Unternehmen kann heute selbst auf eine 25-jährige positive Geschichte zurückblicken –, die Jahre nach 1990 waren aber vor allem eine Zeit der wirtschaftlichen Krise, in der viele DDR-Betriebe ihre Tore für immer schließen mussten und in der sich wichtige Wirtschaftsbereiche wie die Werften oder die Landwirtschaft einem sehr schmerzhaften Strukturwandel unterziehen mussten, verbunden mit einem riesigen Abbau an Arbeitsplätzen.
Fast alle Menschen in unserem Land mussten sich damals beruflich umorientieren. Viele haben in dieser Zeit die Erfahrung von Arbeitslosigkeit gemacht, manche sogar mehrfach. Wohl kaum eine Familie im Land war davon nicht betroffen. Das ist sicher der wichtigste Grund, warum auf die wirtschaftliche Krise bald auch eine gesellschaftliche folgte. Die Einheitseuphorie war schnell verflogen, und manche Überheblichkeit aus dem Westen trug mit dazu bei, dass sich viele Menschen in unserem Land im vereinten Deutschland als Bürger zweiter Klasse fühlten. Es gab viel Unmut und der ist auch heute noch verständlich.
Kein Verständnis und keine Rechtfertigung kann es aber geben, wenn Frustration gepaart mit Ausländerfeindlichkeit in Gewalttätigkeiten mündet. Die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen 1992 – der Angriff auf das Sonnenblumenhaus, die aufflackernden Brandsätze, die große Angst der Menschen im Haus und der widerwertige Beifall der Schaulustigen davor – haben das Bild unseres Landes für lange Zeit negativ geprägt. Es waren Tage der Schande für unser Land. Und es ist wichtig,
dass wir in einer Zeit, in der wieder eine große Zahl von Flüchtlingen zu uns nach Mecklenburg-Vorpommern kommt, eines sehr deutlich machen: Das, was damals geschah, darf sich nie wiederholen.
Meine Damen und Herren, neben der Bewältigung der damaligen Krise galt es, die staatlichen Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern neu zu errichten. Der Landtag mit seinen Ausschüssen, die Landesregierung mit den Ministerien, die Justiz bis hinauf zum Verfassungsgericht, all das, was uns heute selbstverständlich ist, musste in kürzester Zeit neu aufgebaut werden.
1994 erhielt das Land seine Verfassung. Nach meinem Eindruck hat die Verfassungskommission damals hervorragende Arbeit geleistet. Unsere Verfassung definiert nicht nur die Regeln unserer Arbeit, sie hat mit ihrem Wertebezug auch entscheidenden Anteil daran, dass sich unser Land seit den 90er-Jahren so gut entwickelt hat.
Die Landesregierung von Alfred Gomolka und Berndt Seite musste das Land durch schwierige Zeiten führen. Hier im Landtag gab es manchmal Sitzungen bis in die Nacht mit harten kontroversen, oft emotionalen Debatten, aber auch mit Kompromissen über die Parteigrenzen hinweg. Mit Lorenz Caffier und Till Backhaus gibt es zwei Abgeordnete unter uns, die schon damals dabei waren, die unserem Landtag seit 1990 angehören. Für unseren Kollegen Jürgen Seidel gilt das mit Unterbrechungen. 1994 kamen dann Helmut Holter, Peter Ritter, Sylvia Bretschneider und Harry Glawe dazu. Sie stehen für alle, die unser Land in den ersten Jahren aufgebaut und die vielen wichtigen Weichenstellungen vorgenommen haben,
Meine Damen und Herren, Ende der 90er-Jahre begann eine zweite Phase in der Entwicklung unseres Landes. SPD und PDS bildeten damals die erste rot-rote Landesregierung in Deutschland.
Die Meinungen über dieses Bündnis gehen auseinander, das ist wenig überraschend. Für mich hat die rot-rote Regierung vor allem in zwei Bereichen wichtige Weichenstellungen für unser Land vorgenommen. Sie hat erfolgreich einen zweiten wirtschaftlichen Strukturwandel eingeleitet, beispielsweise wurden die Grundlagen für die Entwicklung Mecklenburg-Vorpommerns zum Gesundheitsland gelegt mit dem Aufbau des BioCon-ValleyNetzwerkes, dem Kuratorium Gesundheitswirtschaft und dem ersten Masterplan Gesundheitswirtschaft für unser Land. Und sie hat Mecklenburg-Vorpommern auf den Kurs der soliden Finanzpolitik gebracht.
Die Neuverschuldung des Landes wurde Schritt für Schritt zurückgeführt. Dass 2006 erstmals ein Haushalts
abschluss mit schwarzer Null vorgelegt werden konnte, war eine wichtige, eine wegweisende Weichenstellung für unser Land.
Die rot-rote Regierung hat für mich aber noch einen darüber hinausgehenden Wert. Sie war nämlich das Signal an alle, die sich in der DDR in guter Absicht für Staat und Gesellschaft eingesetzt hatten, dass auch sie,
dass auch sie beim Neuaufbau unseres Landes willkommen sind, wenn sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen.