Protocol of the Session on October 4, 2011

Meine Damen und Herren Abgeordnete des Landtages Mecklenburg

Vorpommern! Sehr verehrte ehemalige Mitglieder des Landtages! Sehr verehrte Gäste! Ich begrüße Sie sehr herzlich zur konstituierenden Sitzung des Landtages der 6. Wahlperiode.

Es ist in der parlamentarischen Praxis üblich, dass die erste Sitzung eines neugewählten Parlaments durch das an Lebensjahren älteste Mitglied des Hauses eröffnet wird. Dieses Mitglied des Landtages eröffnet die konstituierende Sitzung als Alterspräsident und leitet sie bis zur Wahl der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten.

Mein Name ist Fritz Tack, Professor Doktor. Ich bin am 7. Juni 1942 geboren. Der Ordnung halber frage ich, ob jemand der Damen und Herren Abgeordneten eher geboren ist. – Das ist offensichtlich nicht der Fall.

Dann darf ich als Alterspräsident die erste Sitzung der 6. Wahlperiode des Landtages von MecklenburgVorpommern eröffnen. Ich stelle fest, dass der Landtag entsprechend Artikel 28 unserer Landesverfassung ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet.

Die vorläufige Tagesordnung der konstituierenden Sitzung liegt Ihnen vor. Wer der vorläufigen Tagesordnung zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Ich stelle fest, dass die Tagesordnung mit den Stimmen der SPD, der CDU, der LINKEN, der GRÜNEN und bei Gegenstimmen der NPD angenommen ist. Damit gilt die Tagesordnung der konstituierenden Sitzung als festgestellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am 20. August 2011 verstarb plötzlich und unerwartet unser Kollege Udo Timm, der, wie Sie alle wissen, auch für die Landtagswahl am 4. September 2011 erneut als Direktkandidat nominiert war. Udo Timm war

Mitglied des Landtages der 1. Wahlperiode und wieder Mitglied des Landtages seit dem 22. September 2002. Er hat sich insbesondere im Petitionsausschuss

engagiert und war in den letzten beiden Jahren Vorsitzender des Agrarausschusses. Fachliche Kompetenz, Heimatliebe, Geradlinigkeit sowie Fleiß und Akkura- tesse waren seine herausragenden Merkmale. Bis zuletzt hat er sich mit Engagement und Leidenschaft für die Landwirtschaft eingesetzt und hat noch kurz vor seinem Tod eine Sondersitzung des Agrarausschusses zu den Nässeschäden in der Landwirtschaft einberufen. Der Landtag wird sein Andenken in Ehren bewahren.

Ich darf Sie bitten, sich zu Ehren des Verstorbenen von den Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Ich danke Ihnen.

Entsprechend der mir vorliegenden Vorschläge ernenne ich zu vorläufigen Schriftführern den Abgeordneten Thomas Schwarz, Fraktion der SPD, sowie den Abgeordneten Burkhard Lenz, Fraktion der CDU. Ich bitte die vorläufigen Schriftführer, hier neben mir Platz zu nehmen.

Meine Damen und Herren, Alterspräsident wird man ohne eigenes Zutun, man muss nur alt genug sein und Mitglied dieses Hohen Hauses sein. Deshalb sind von einem Alterspräsidenten auch keine besonderen Kenntnisse oder Fertigkeiten zu erwarten. Zu erwarten sind allenfalls ein gutes Stück Gelassenheit, eigene Erfahrungen und vielleicht Altersweisheiten, die das Leben mit sich bringt. Aus der Sicht der Erfahrungen meines bisherigen Lebens, meiner beruflichen Prägung als Landwirt, als Hochschullehrer und als Landtagsabgeordneter will ich einige Blicke auf die vor uns liegende Wahlperiode und die damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Anforderungen werfen:

Seit vielen Jahren, meine Damen und Herren, bin ich auch Vorsitzender der Thünengesellschaft. Deshalb nehme ich gern eine Anleihe bei dem Agrarökonomen, Musterlandwirt und Sozialreformer Johann Heinrich von Thünen, der im Jahre 1845 im Alter von 63 Jahren seine Anforderungen an Politik so formulierte, ich zitiere: „Möchten die Vertreter auf unseren künftigen Landtagen von der Erkenntnis durchdrungen, von dem Gedanken beseelt sein, daß Stadt und Land, wie alle aktiven Stände, Glieder eines organischen Körpers sind, von welchen keins verletzt werden kann, ohne daß die übrigen Glieder mitleiden, und daß nur in der Gesundheit und Kraft des ganzen Organismus das Wohl der einzelnen Glieder zu finden ist. Wird dieser Wunsch zur Tat, dann sehe ich im Voraus eine schöne Zukunft für Mecklenburg erblühen.“ Ende des Zitats. Ich erlaube mir hinzuzufügen, dass dieser Zusammenhang natürlich genauso für Vorpommern gilt und heute für unser Land so aktuell wie damals ist.

Die vor uns liegende Wahlperiode wird vor allem davon geprägt sein müssen, alle Voraussetzungen zu schaffen, damit unser Land bis zum Ende dieses Jahrzehnts wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen kann. Das wird angesichts der Euroschuldenkrise eine sehr schwierige Aufgabe. Was fehlt uns bis dahin? Was müssen wir noch leisten? Ich habe in verschiedenen Veröffentlichungen gelesen, dass wir eine Wertschöpfungslücke von circa 6 Milliarden Euro haben, die es zu schließen gilt. Wir müssen also besser und effizienter werden. Wir müssen lernen, mit weniger werdenden Förder- und Solidarpaktmitteln umzugehen. Dazu werden viele Ideen in allen Lebensbereichen gefragt.

Wer, wenn nicht der Alterspräsident – auch wenn er der jüngste in der Geschichte dieses Landtages ist –,

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

ist prädestiniert, die demografischen Herausforderungen, vor denen unser Land steht, anzusprechen? Wir alle wissen, es werden immer weniger Menschen im Lande sein und wir werden immer älter. Die Herausforderung der kommenden Jahre wird es sein, unter diesen Bedingungen die Lebensqualität aller Menschen zu erhalten und zu verbessern. Wir stehen unter anderem vor der Frage, wie wir die öffentliche Daseinsvorsorge gerade in

entlegenen ländlichen Räumen sichern können. Die Bürgerinnen und Bürger interessiert:

Wo finde ich den nächsten Arzt?

Fährt überhaupt noch ein Bus, wenn ich zum Amt

muss?

Wie weit haben es die Kinder bis zur Schule?

Gibt es genügend Angebote in Sport, Bildung und

Kultur und sind diese für mich noch erreichbar?

Meine Damen und Herren, unstrittig dürfte sein, dass wir Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen einfordern müssen, die ein menschenwürdiges Leben und Arbeiten im 21. Jahrhundert zur Selbstverständlichkeit werden lassen. Dazu gehört unbedingt ein Lohn, von dem jeder ohne staatliche Zuschüsse leben kann. Eine klare und einheitliche Position im Lande für einen Mindestlohn, der dazu einen wichtigen Beitrag leisten kann, wäre meiner Meinung nach auch ein Signal für mehr Vertrauen in die Politik.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vertrauen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die wichtigste Ressource in der Politik. Sie ist aber auch die knappste Ressource, wie man aus der Beteiligung an den zurückliegenden Wahlen in unserem Lande erkennen kann. Diese Ressource wieder auszubauen und zu stärken, muss die herausragende Aufgabe in dieser Legislatur sein.

Die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen hat von 1998 bis 2011 stetig abgenommen und hat mit 51,5 Prozent ihren bisherigen traurigen Tiefststand erreicht. Würden die Nichtwähler durch fiktive freie Plätze im Landtag vertreten sein, dann blieben hier 34 Stühle leer, und das beträfe alle Parteien. Woran mag es liegen, dass am 4. September 2011 fast 700.000 wahlberechtigte Bürger zu Hause geblieben sind?

Jede der demokratischen Parteien muss ihr Wahlergebnis an der Wahlbeteiligung messen. Wir sollten die Ursachenbewertung nicht nur den Wahlforschern überlassen. Wir sollten deshalb nicht nahtlos zur Tagesordnung sowohl des Opponierens als auch des Regierens übergehen. Wir sollten nach den Ursachen der niedrigen Wahlbeteiligung fragen, diese benennen und in der Folge beseitigen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen erkennen können, welchen Wert und Nutzen sie zunächst vom Gebrauch ihres Wahlrechts und dann aber auch von den politischen Entscheidungen haben. Politik muss attraktiver und erlebbarer werden.

Ganz ernsthaft müssen sich alle Demokratinnen und Demokraten auch fragen, warum es der NPD erneut gelungen ist, in den Landtag einzuziehen. Waren wir mit unseren politischen Angeboten nicht glaubhaft, nicht attraktiv genug?

(Udo Pastörs, NPD: Offensichtlich war das so. – Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Warum haben wir offenbar so viele Menschen nicht erreichen und überzeugen können, eine demokratische Partei zu wählen?

(Udo Pastörs, NPD: Wer ist Demokrat? – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Haben wir zu viele leere Räume gelassen, die die NPD für ihre antidemokratische Politik nutzen konnte?

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Bei allen unterschiedlichen politischen Auffassungen denke ich,

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

dass unter den demokratischen Parteien Einigkeit darüber herrscht,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

dass unsere Aufmerksamkeit und unsere Tätigkeit künftig stärker auf die Dörfer und Ortsteile des Landes gerichtet sein müssen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Wir dürfen keinen Ort, kein Dorf, keine Siedlung vergessen. Dort müssen wir wie in den Städten gemeinsam mit den Einwohnern und den Kommunalvertretungen verstärkt aktiv und wirksam sein.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Udo Pastörs, NPD: Warum da wohl nur 40 Prozent Wahlbeteiligung war?!)

In der Zusammensetzung des Landtages ist erkennbar, dass viele Abgeordnete aus den Städten kommen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich werbe deshalb sehr dafür, dem ländlichen Raum in Ihrer politischen Arbeit künftig noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

In Mecklenburg-Vorpommern leben 54,4 Prozent der Bevölkerung in ausgeprägt ländlichen Räumen, das heißt in Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern. 43 Prozent der Bevölkerung leben in Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern. Und denken wir daran, 85 Prozent der Landesfläche sind ländlich geprägt.

Die andere Seite ist: Neben der Landeshauptstadt Schwerin ist Rostock das zweite urbane Zentrum, das nach der Kreisgebietsreform seine Kreisfreiheit bewahrt hat. In dieser Stadt leben etwa 200.000 Bürgerinnen und Bürger. In diesem Landtag wird diese Stadt allein durch 11 Abgeordnete vertreten.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)