Protocol of the Session on April 30, 2010

(Irene Müller, DIE LINKE: Ist das nicht alles ein bisschen sehr beleidigend?)

In der Überschrift heißt es: „Keine Veränderungen im Justizbereich zulasten der Gerichte und der Bürgerinnen und Bürger“. Ich dachte bisher, vielleicht sehr schlicht und einfach, dass es darauf ankäme, Bürgerinnen und Bürger nicht unnötig zu belasten, dagegen nicht – wie bei Ihnen, und das auch noch vorrangig gefordert – Gerichte

nicht zu belasten, dachte ich doch ebenso schlicht und einfach, auch die Gerichte seien wie alle staatlichen Institutionen Dienstleister für die Bürger. Doch das sehen Sie offensichtlich ganz anders, deshalb berufen Sie sich ja auch in Ihrem Antrag ausdrücklich, ich zitiere, auf die „Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Nachlassgerichten“.

Frau Kollegin Borchardt, diese Sichtweise reicht schlicht und ergreifend nicht aus, wenn man im Bereich der Justiz sich ernsthaft mit konkreten Problemstellungen auseinandersetzen will.

Aber selbst, hier eine Belastung der Gerichte konstruieren zu wollen durch die dargestellten Gesetzesinitiativen, ist abwegig. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Sie die Anträge und deren Begründungen gelesen haben, aber mir sind inzwischen Zweifel gekommen, deshalb will ich aus einem der kürzeren Anträge wenigstens ein Stück aus der Begründung hier zitieren. Es ist der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 98a), die Drucksache 44/10 des Bundesrates. Dort heißt es in der Begründung, ich zitiere:

„Im Bereich der Justiz sind strukturelle Reformen angesichts knapper personeller und finanzieller Ressourcen erforderlich, um den Justizgewährungsanspruch auch in der Zukunft in der gewohnten Qualität erfüllen zu können. Entscheidende Fortschritte lassen sich dabei nur erreichen, wenn sich eine Reform nicht auf die Umsetzung von Sparmaßnahmen in Einzelbereichen beschränkt. Vielmehr muss eine Unterscheidung getroffen werden, welche Aufgaben zum Kernbereich der Rechtsprechung und damit unabdingbar zur Justiz gehören und welche Aufgaben ohne Qualitätsverlust auf andere geeignete Stellen übertragen werden können.

Eine nachhaltige Entlastung der Gerichte könnte durch die Übertragung verschiedener, bislang den Gerichten zugewiesener Aufgaben aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf die Notare erreicht werden. Die Notare wären als justiznahe Amtsträger besonders geeignet, Aufgaben zu übernehmen. Amtsstellen der Notare sind flächendeckend im gesamten Bundes gebiet vorhanden. Für einen erheblichen Teil der Bevölkerung“ – und jetzt zu den Nachteilen für die Bevölkerung –, „für einen erheblichen Teil der Bevölkerung ist der Weg zum nächsten Notar deutlich kürzer als der zum jeweiligen Amtsgericht, zumal sich die Gerichte zunehmend aus der Fläche zurückziehen. Eine Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf die Notare würde daher auch einen Beitrag zu mehr Bürgernähe leisten.“

So weit das Zitat aus dem Bundesrat.

Das, was in Ihrem Antrag steht, und das, was Sie uns heute hier vorgetragen haben, geht schlicht an der Lebenswirklichkeit so weit vorbei wie ein Rohrkrepierer am Mittelpunkt der Zielscheibe.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Scharfe Worte.)

Zu Punkt 1 Ihres Antrags: Haben Sie, Frau Kollegin Borchardt, eigentlich jemals den Versuch unternommen, zwangsweise eine Geldforderung einzutreiben? Oder falls nicht: Haben Sie eigentlich jemals mit Gläubigern von Geldforderungen gesprochen, die versucht haben, ihre Forderungen mit legalen Mitteln zwangsweise einzutreiben?

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Haben Sie, Frau Kollegin Borchardt, jemals mit Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern gesprochen,

um sich von ihnen berichten zu lassen, wie es im wirklichen Leben zugeht? Dann müsste Ihnen eigentlich das klar sein, was die Ministerin hier schon geschildert hat, welche Unterdeckung jährlich pro Gerichtsvollzieher anfällt, im Schnitt 40.000 Euro im Jahr, und dass es die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher selbst sind, die sagen, wir brauchen hier andere Instrumente, um wirksam unseren Vollstreckungsaufträgen nachkommen zu können.

Bei dem vom Bundesrat beim Deutschen Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf geht es um nichts anderes als darum, seit Jahren überfällige, dringend benötig te Änderungen für ein der heutigen Wirklichkeit angepasstes, effizientes, modernes Gerichtsvollzieherwesen zugunsten der Bürgerinnen und Bürger einzuführen.

(Michael Andrejewski, NPD: Einsparungen eines Pleitestaates.)

Ganz ähnlich liegt es mit der Übertragung von weiteren Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht etwa auf irgendwelche privaten Unternehmer, sondern auf Notare.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das habe ich auch nicht gesagt.)

Bei einem Notar, der sehr strengen rechtlichen Regeln unterliegt, handelt es sich um nichts weniger als ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, also um den Träger eines öffentlichen Amtes.

Dass Sie in Ihrem Antrag allen Ernstes behaupten, ich zitiere: „Zudem würde sich der Staat durch eine derartige Aufgabenübertragung einer Einnahmequelle berauben. Angesichts der derzeitigen finanziellen Lage wäre dies unverantwortlich“, schlägt dem Fass den Boden aus. Ich hätte nicht gedacht, Frau Kollegin Borchardt, dass ich Ihnen als Mitglied des Rechtsausschusses erklären muss, dass Gebühren wesensimmanent ein Äquivalent für eine erbrachte Leistung darstellen

(Michael Andrejewski, NPD: Theoriegeschwafel. – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

und sowohl im Verwaltungskostengesetz des Bundes wie in den Verwaltungskostengesetzen der Bundesländer dieser Grundsatz ausdrücklich festgeschrieben ist. Das heißt klipp und klar: Im Zusammenhang mit der Übertragung gebührenpflichtiger Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit von zu befürchtenden Einnahmeverlusten zu fabulieren, zeugt von Unkenntnis grundlegender rechtsstaatlicher Zusammenhänge, die einen grausen lassen. Ich kann nur noch einmal sagen: Si tacuisses!

Verehrte Frau Borchardt, ich kann Ihnen das gerne auch verständlicher ausdrücken.

(Irene Müller, DIE LINKE: Schämen Sie sich eigentlich gar nicht, so zu diffamieren hier?!)

Wenn ausgerechnet Sie den Antrag stellen,

(Irene Müller, DIE LINKE: Das kann ja wohl nicht sein!)

wenn ausgerechnet Sie den Antrag stellen, keine Veränderungen im Justizbereich – und ich füge hinzu: zugunsten der Bürgerinnen und Bürger –, dann ist das höchst bemerkenswert.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Da steht „zulasten“.)

Sie haben sich offensichtlich nach einem boshaften Beamtensprichwort gerichtet: „Das machen wir schon immer so. Und das haben wir noch nie gemacht. Und schließlich, da könnte ja jeder kommen.“ Vielleicht haben Sie sich auch nach dem neunten und sechsten der 11 Kölner Gebote gerichtet.

(Irene Müller, DIE LINKE: Kennen Sie aber gut. – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Das neunte: „Wat soll dä Quatsch?“ Das sechste: „Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet!“ Oder Sie machen es ganz originell nach der Mecklenburgischen Verfassung von Fritz Reuter:

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Paragraf 1 „Allens bliwvt bin’ ollen.“

Paragraf 2 „Nix ward ännert.“

Frau Borchardt, vielleicht wäre es doch in diesem Bereich einmal ganz sinnvoll, von einer destruktiven Totalverweigerung abzugehen und im Rahmen von der längst überfälligen und dankenswerterweise unter Mitwirkung unserer Landesregierung nun auf den Weg gebrachten Justizreform zugunsten unserer Bürgerinnen und Bürger zumindest im Zusammenhang mit der Umsetzung den Versuch zu machen, sich mit konstruktiven Beiträgen zu beteiligen.

Sie wissen, dass wir Ihnen im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Justiz, Verfassung, Geschäftsordnung, Wahlprüfung und Immunitätsangelegenheiten grundsätzlich geduldig zuhören, auch wenn es manchmal schwer ist, aber solche Anträge wie heute, die bringen weder Ihnen etwas noch den Menschen in unserem Land und es wäre gut, wenn Sie solche Anträge in Zukunft hier nicht mehr in den Landtag einbrächten. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Irene Müller, DIE LINKE: So was Hochnäsiges!)

Danke schön, Herr Dr. Born.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Andrejewski von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es fehlt nur noch, dass demnächst Steuerpächter eingesetzt werden wie im alten Rom oder in Frankreich vor der Revolution. Nach der Logik der Bundesregierung wäre das doch eine tolle Reform: Der Staat wird schlanker, weil die Mitarbeiter in den Finanzämtern eingespart werden könnten, und er bekommt sein Geld vom Steuerpächter sofort, wofür der die Drecksarbeit mit eigenen Mitteln erledigt. Zwar wird es dann für die Bürger teurer, denn die Steuerpächter müssen ja auch auf ihre Kosten kommen,

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

dafür könnte man aber die ganzen FDP-Politiker von der Straße bekommen, die im Entwicklungshilfeministerium leider nicht mehr untergebracht werden konnten. Das wäre doch der ideale Job für Liberale: Steuerpächter.

Genau in diese Richtung bewegen sich all die sogenannten Reformen, die der Antrag anspricht: Gerichtsvollzieher erhalten mehr Befugnisse, ihr Beruf soll

unternehmerähnlich ausgestattet werden mit marktwirtschaftlichem Wettbewerb und den Staat am besten überhaupt gar kein Geld mehr kosten, der Bürger zahlt alles. Ich bin mal gespannt, wann die Forderung aufkommt, dass auch die Polizei und die Bundeswehr kostendeckend zu arbeiten hätten. Dann kostet Falschparken demnächst 1.000 Euro und die afghanischen Bauern müssen Schutzgeld an die Bundeswehr bezahlen.

Von der freiwilligen Gerichtsbarkeit möchte sich der Staat auch weitgehend trennen. Also ab damit zu den Notaren, für die das auch ein schönes Zusatzgeschäft ist, so unabhängig sie auch sein mögen theoretisch. Da dürfte die entsprechende Lobby entsprechende Überstunden gemacht haben.

Und dann haben wir dann noch die ach so lästige Prozesskostenhilfe. Zugunsten der Banken und der EUPleitekandidaten, die wir erstrangig versorgen müssen, müssen wir natürlich Einsparmöglichkeiten finden. Angesichts der bewusst extrem kompliziert und unverständlich gehaltenen Gesetzestexte, gerade im SGB II, sind die Leute ohnehin schon rat- und hilflos genug, wenn sie in die Mühlen des Rechtssystems geraten. Wenn man ihnen jetzt auch noch faktisch die Prozesskostenhilfe wegnimmt oder schön im Sinne der bewährten Salamitaktik nach und nach begrenzt und erschwert, hat man sie da, wo man sie haben möchte, nämlich am Boden. Es geht doch nichts über wehrlose Untertanen!

Noch liegt der vom Bundesrat beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe, wie es sich so harmlos nennt, in den Ausschüssen des Bundestages herum, weil sich keiner so recht herantraute, jedenfalls nach meinem letzten Kenntnisstand. Blöderweise gibt es für die Parteien ständig diese lästigen Wahlen, aber in der wahlfreien Zeit, die nach der NRW-Wahl für etwa ein Jahr an brechen wird, wird einiges Unpopuläres durchgepeitscht werden, entweder heimlich, still und leise oder offensiv als Maßnahme gegen fürchterlichen Missbrauch durch die Bürger – nur dass die wenigsten Hartz-IV-Empfänger aus Spaß vor Gericht ziehen. Sie werden häufig durch falsche Behördenentscheidungen dazu gezwungen.

Ihnen diese Möglichkeit zu verwehren, mag ein paar Euro sparen, aber langfristig wird dadurch ein Frust aufgebaut, der dem Machtsystem durchaus gefährlich werden kann. Von den Steuerpächtern im alten Frankreich sind eine ganze Reihe auf der Guillotine gelandet. Hemmungsloses Streben nach Profit führt nicht immer zum Glück.

Das Ganze hier ist nur eine Verzweiflungsmaßnahme eines Pleitekandidaten, nämlich Ihres Staates. Natürlich finden Sie jede Menge schöner Worte, um das zu bemänteln, aber Sie wissen ja, wann der Teufel seine Großmutter erschlagen hat: als sie keine Ausrede mehr wusste. Ihnen passiert das nie. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.