Protocol of the Session on April 29, 2010

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Neben diesen Fakten, Belegungszahlen, zusätzlichen Landesmitteln gibt es Ergebnisse, die uns große Sorgen machen. Wenn man sich die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen anschaut – ich kann Ihnen die von 2007 vortragen, und Sie müssen davon ausgehen, dass die in 2009 nicht besser sind –, dann stellen wir fest, dass die Auffälligkeiten bei Kindern zunehmen, dass die Kompetenzen, die benötigt werden, um in eine Regelschule eingeschult werden zu können, nachlassen. Wir haben alleine bei der Sprache bei 24 Prozent der eingeschulten Kinder Auffälligkeiten, 18 Prozent bei der Motorik, 19 Prozent bei der psychophysischen Belastbarkeit, 11 Prozent beim Sozialverhalten, 12 Prozent beim Übergewicht und 17 Prozent bei Teilleistungsstörungen. Eine wissenschaftliche Untersuchung bei 1.600 Kindern hat gezeigt, dass 12 Prozent der Kinder wegen dieser Auffälligkeiten nicht in die Regelschule können und von diesen 12 Prozent der Kinder alleine 70 Prozent der Kinder aus sozial problematischen Familien kommen. Hier müssen wir einfach mehr tun.

Das zeigt, dass Kinderarmut oftmals nicht nur materielle Armut ist, sondern auch Bildungsarmut. Hier wollen wir ansetzen und hier wollen wir etwas tun. Wir wollen beim Thema Kinderarmut nicht nur reden, sondern handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Alle Abgeordneten, die schon viel länger dabei sind, wissen ganz genau, bei jedem Kita-Gesetz wird diskutiert und gezerrt. So soll es auch sein. Und deswegen war es von Anfang an wichtig, dass wir eine hohe Beteiligung organisieren und eine hohe Transparenz. Es gab viele Fachtagungen zu diesem Thema. Es gab einen runden Tisch mit den Regierungsfraktionen und den beteiligten Ressorts.

Und hier sage ich „Danke schön!“ für das Engagement des Bildungsministeriums, denn Kita ist nicht nur Sozial

politik, sondern Bildungspolitik. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass mein Kollege Henry Tesch und ich uns von Anfang an einig waren und die Schwerpunkte im KiföG gemeinsam verankert haben. Ich sage Danke an die Finanzministerin, die uns an Ecken und Enden, wo es schwierig war, geholfen hat, und natürlich ans Innenministerium, die dabei waren. Aber vor allem „Danke schön!“ an beide Regierungsfraktionen, die von Anfang an engagiert am runden Tisch mitgezogen haben. Der Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, der ist gemeinsam abgestimmt.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Das zeigt, dass wir für die Kinder zusammenarbeiten, dass es uns so wichtig ist, hier gute Sachen auf den Weg zu bringen.

(Zuruf von Helmut Holter, DIE LINKE)

Ich sage aber auch „Danke schön!“ an die Linksfraktion. Ich habe beiden demokratischen Oppositionsfraktionen, der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion der FDP, an geboten, frühzeitig, auch schon vor Erstellung des Gesetzentwurfes, miteinander ins Gespräch zu kommen, weil ich weiß, dass allen das Thema Kinder wichtig ist, und weil ich weiß, dass es hier Sinn macht, einfach mal darüber zu reden, wo sind denn ihre Schwerpunkte. Die Fraktion DIE LINKE hat dieses Angebot angenommen. Wir haben vor der Erstellung des Gesetzentwurfes miteinander gesprochen. Ich hatte auch schon die Gelegenheit, diesen Entwurf vorzustellen. Das finde ich gut, denn das zeigt, dass wir über Parteigrenzen hinweg für die Kinder gemeinsam zusammenarbeiten wollen.

Es gab eine große Kita-Tour der Sozialministerin. In allen Landkreisen, kreisfreien Städten haben wir Kitas besucht und uns nicht 15 Minuten einfach nur ein Kinderprogramm angeschaut, was natürlich auch immer nett ist, sondern wirklich zwei Stunden intensiv in jeder Einrichtung miteinander gearbeitet und miteinander gesprochen. Es gab Gespräche vor Ort mit Erzieherinnen, Tagesmüttern, Eltern, Fachberatern, Jugendämtern, Trägern und Kindern und dazu natürlich eine Vielzahl von Veranstaltungen mit Fachkräften und Eltern. Wir haben viele Gespräche geführt mit der LIGA, dem Landesjugendhilfeausschuss, mit den Wissenschaftlern, mit den kommunalen Spitzenverbänden, mit Kirchen, mit der GEW und mit dem Landeselternrat.

An dieser Stelle sage ich „Danke schön!“, es waren kontroverse Diskussionen, es sind immer noch kontroverse Diskussionen, aber es waren auch sehr konstruktive, denn wir konnten viel in diesen Gesetzentwurf aufnehmen, wenn auch nicht alles. Die vielen Wünsche, die auf dem Tisch liegen, übersteigen natürlich weit den Rahmen von 15 Millionen Euro. Aber diese Transparenz, diese Beteiligung war uns von Anfang an wichtig. Und deswegen haben wir auch davon Gebrauch gemacht, was die neue Geschäftsordnung der Landesregierung vorsieht, dass wir den Gesetzentwurf schon vor der Kabinetts befassung den Beteiligten zugesandt und mit ihnen diskutiert haben.

Was sind nun die wichtigsten Botschaften aus dieser Diskussion? Fünf Stück möchte ich Ihnen nennen:

1. der Ausgleich der erhöhten Inanspruchnahme

Diese 15.000 Kinder, die mehr in den Einrichtungen sind, müssen auch durch das Land mitfinanziert werden.

2. die Modernisierung der Ausbildung

Hier war es eine große Sorge der jetzigen Fachkräfte, dass wir nicht genug Fachkräfte nachbekommen. Und bei der sinkenden Zahl der Schüler ist es natürlich klar, dass wir mittlerweile eine Konkurrenz um Fachkräfte in allen Bereichen haben.

3. Die Rahmenbedingungen für die individuelle Förderung und für Bildung von Anfang an sollen verbessert werden. Da bestehen natürlich die Wünsche, dass die Gruppen kleiner werden, dass wir die Vor- und Nachbereitungszeiten verbessern, sodass Zeit für Elternarbeit ist. Das war die ganz klare Botschaft von Erzieherinnen und Erziehern an mich: Wir brauchen Zeit für die Elternarbeit. Wir können nicht alleine nur über die Kinder gehen, sondern wir müssen über die Eltern auch die Kinder erreichen.

(Zurufe von Helmut Holter, DIE LINKE, und Raimund Frank Borrmann, NPD)

4. Ihr habt gute Standards im KiföG 2004, aber die werden im Land zu unterschiedlich umgesetzt. Sorgt dafür, dass es möglichst landeseinheitlich umgesetzt wird!

5. Bitte baut Bürokratie ab. Es gibt gute Sachen, wie die Richtlinie zum Mittagessen, aber hier würden wir uns wünschen, dass wir weniger Bürokratie haben.

Was machen wir jetzt mit den 15 Millionen Euro? Wie können wir diese Wünsche erfüllen? Zum Glück muss man nicht für jede Forderung Geld ausgeben, aber natürlich die großen Forderungen – Personalschlüssel, Vor- und Nachbereitungszeiten, also mehr Personal – sind natürlich kostenintensiv. Deswegen war es uns wichtig, uns zu entscheiden, nachdem die Große Koalition Elternentlastungen auf den Weg gebracht hat. Für das kostenfreie Mittagessen und Elternentlastungen im letzten Kindergartenjahr wollen wir jetzt dieses Geld nutzen, um es in das System zu investieren, um es in die Qualität zu investieren, für mehr Zeit für Kinder, was den Kindern dann direkt auch zugute kommt.

Was machen wir mit den 15 Millionen? Wir geben 5 Millionen Euro für den Ausgleich der erhöhten Inanspruchnahme an die Kommunen. Und – und das ist der ganz entscheidende finanzpolitische Erfolg, und hier noch mal ein Danke an die Finanzministerin,

(Rudolf Borchert, SPD: Das ist verdächtig. – Udo Pastörs, NPD: Märchenstunde!)

dann muss ich aufhören, denn zu viel Dank an die Finanzministerin am Ende, ach, sie ist zurzeit nicht da, verdirbt am Ende wahrscheinlich sonst noch ihren Ruf als strenge Sparfinanzministerin – ich fand es toll, dass der Finanzministerin dieses Thema selbst so am Herzen liegt.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Deswegen will ich es hier auch noch mal betonen: Sie ist nicht nur eine Sparkommissarin, sondern sie hat dafür gesorgt, dass wir an diesen entscheidenden Stellen drauflegen können.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Doppelherz.)

Sie hat dafür gesorgt, dass wir die Deckelung der Landes mittel aufheben. Und das ist ganz entscheidend. Wir werden zukünftig diese Gelder, die wir jetzt haben, die bisherigen Millionen plus 5 Millionen Euro umrech

nen pro Kind. Wir werden uns mit diesem Betrag zukünftig an jedem Kind, was noch mehr in die Einrichtung kommt – wir haben im Krippenbereich steigende Plätze, steigende Inanspruchnahme zu erwarten –, beteiligen. Es gibt also nicht nur die 15 Millionen Euro, sondern wir haben die Deckelung der Landesmittel aufgehoben.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Das wurde Zeit und das ist ein guter finanzpolitischer Erfolg.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Es bleiben 10 Millionen Euro für Qualitätsverbesserungen. Alle die, die sich mit dem Thema auskennen, wissen, wenn man um ein Kind den Betreuungsschlüssel absenken will, zum Beispiel im Kindergarten beim Fachkräftegebot von 1:18 auf 1:17 gehen will, dann müssen wir als Land alleine 7,4 Millionen Euro zur Verfügung stellen, also rund 7 Millionen Euro, um es auszufinanzieren.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Und dann kann man sich natürlich vorstellen, dass es sehr schwer ist mit diesen 10 Millionen Euro, die viel Geld sind,

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

um natürlich die ganzen Wünsche, die auf dem Tisch liegen, von der LIGA, zum Beispiel im Kindergarten von 1:18 auf 1:10 zu gehen, schwierig ist, alle zu erfüllen. Es geht auch nicht. Ich finde es wichtig, dass wir nicht in dieses Gesetz Standards reinschreiben, nur um irgendwie nachzugeben, und am Ende sind sie nicht ausfinanziert und die Eltern müssen bluten. Das wollen wir nicht. Die Koalition steht dafür, dass gerade die Eltern an bestimmten Stellen sogar entlastet wurden.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Und die Kinder belastet.)

Deswegen:

Punkt eins, wir wollen Bildung von Anfang an. Das ist der entscheidende Punkt in diesem Gesetz, auch vom Bildungsminister. Wir setzen die Bildungskonzeption für Null- bis Zehnjährige um. Sie wird verbindliche Grundlage für die individuelle Förderung in unserem Land, in unseren Kitas und bei den Tagespflegepersonen.

Zweitens, wir wollen die individuelle Förderung stärken. Wir wissen, dass es nicht ausreicht, vier Monate vor der Einschulung die Einschulungsuntersuchung zu machen und dann festzustellen, wo auf einmal die ganzen Probleme sind, und dann den Kindern zu sagen: Ihr könnt nicht auf die Regelschule, ihr müsst auf eine Förderschule. Deswegen gab es schon einen Landtags beschluss, der besagt: Zieht es doch wenigstens alles ein Jahr vor. Aber auch das hat sich wieder überholt, denn – das ist den Erzieherinnen und Erziehern in unserem Land ganz wichtig – Bildung fängt nicht erst im letzten Jahr vor der Einschulung an, sondern von Anfang an. Und deswegen schreiben wir in das Gesetz, dass wir gerne wollen, dass wir nach Standards den Entwicklungsstand von Kindern alltagsintegriert beobachten, uns anschauen und bereits im Kindergarten damit an fangen, also wenn die Kinder in den Kindergarten kommen. Das tun übrigens auch schon viele Einrichtungen. Das ist keine super neue Idee.

(Udo Pastörs, NPD: Super neu!)

Was wir aber nicht wollen, ist die „Testeritis“, die in anderen Ländern stattfindet. Wir wollen, dass die Erzieherinnen und Erzieher, die jeden Tag bei dem Kind sind, uns sagen, wo gibt es Probleme, und sich dann zusätzliche Unterstützung holen, zum Beispiel durch Logopäden. Für diese Zeit, die die Erzieher dann für Dokumentation, aber vor allem auch für die wichtigen Elterngespräche brauchen, wollen wir eine Forderung erfüllen, die im Raum steht: Die Verbesserung der Vor- und Nachbereitungszeiten, die jetzt für jeden auf 2,5 Stunden festgelegt sind, wollen wir noch mal aufstocken, sodass umgerechnet auf ein Vollzeitäquivalent noch einmal 2,5 Stunden draufkommen. Also jede Erzieherin wird zukünftig mehr Zeit für die Vor- und Nachbereitung und für Elterngespräche haben. Alleine diese Aufstockung kostet 5 Millionen Euro, die wir finanzieren zum Teil aus den 10 Millionen mit 3,5 und mit 1,5 aus dem Fonds des Bildungsministers.

Wir werden 5 Millionen Euro zusätzlich für die Unterstützung in den Kitas bereitstellen für soziale Brennpunkte. Das ist der Kern der Diskussion. Wir haben uns gefragt: Nehmen wir 7 Millionen Euro und gehen von 1:18 auf 1:17 flächendeckend in allen Kitas oder fangen wir in den Kitas, wo sich die Problemlage von Kindern und damit auch die Arbeitslage von Erzieherinnen und Erziehern besonders verschärft, eher an und klotzen da, anstatt überall nur zu kleckern? Das war unsere Entscheidung.

(Udo Pastörs, NPD: Nicht kleckern, sondern klotzen!)

Die Entscheidung ist auch sozialpolitisch und ökonomisch begründet. Ich hab es Ihnen eingangs gesagt, wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass gerade hier die Problemlagen am Größten sind. Und wenn ich dann gefragt werde, Frau Schwesig, tun Sie nicht langsam zu viel für sozial benachteiligte Kinder, möchte ich mal eins in den Raum stellen: Wenn man von 125 Millionen Euro 5 Millionen Euro für zusätzliches Personal in diese Kitas, wo die Problemlagen am größten sind, gibt, dann ist es nicht zu viel, dann ist das genau das, was wir tun müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Denn alle Berichte zeigen, Kinderarmut ist auch oftmals Bildungsarmut bei Kindern. Wir sollen etwas dagegen tun über eine bessere Infrastruktur. Und das machen wir mit dem Mittagessen für diese Kinder und mit zusätzlichem Personal. Also wir reden nicht nur über Be kämpfung von Kinderarmut,

(Michael Andrejewski, NPD: Für die Kinderarmut!)