Protocol of the Session on March 11, 2010

Das Gesundheitswesen war über Jahrzehnte eine der stabilsten und stärksten Säulen des bundesdeutschen Sozialstaates. Einen entscheidenden Anteil hieran hatte die ursprünglich paritätisch und solidarisch organisierte Finanzierung desselben.

(Harry Glawe, CDU: Der alte Bismarck lässt grüßen.)

Jährlich werden im Gesundheitswesen auf diese Weise etwa 250 Milliarden Euro umgesetzt, davon im Jahr 2009

etwa 167 Milliarden Euro allein über die gesetzliche Krankenversicherung.

(Harry Glawe, CDU: Es sollen nur noch 71 Milliarden sein.)

So erschließt es sich schnell, dass das Gesundheitswesen nicht nur dem einzelnen Bürger lieb und teuer ist, sondern auch jedem im Gesundheitswesen tätigen Unternehmer – ich habe ja Verständnis für die FDP –, sei er Arzt, Apotheker oder Hersteller von Arznei-,

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Oder Zahnarzt!)

Heil- und Hilfsmitteln und so weiter. Wer möchte nicht gerade in Krisenzeiten gern und dauerhaft eine stabile Nachfrage, gesicherte Umsätze und hohe Gewinne realisieren?

(Zurufe von Hans Kreher, FDP, und Toralf Schnur, FDP)

Diesen Wunsch hat die neue Bundesregierung nun zu ihrer Herzensangelegenheit gemacht, sich auf zwei weitreichende, die Parität und Solidarität zerstörende Eingriffe verständigt und sich dabei als Lobbyistin erwiesen – sowohl der Arbeitgeber, die Beiträge entrichten, als auch der Unternehmer, die medizinische Leistungen unterschiedlichster Art erbringen und sich damit ihre Gewinne sichern.

(Toralf Schnur, FDP: So hoch sind die Gewinne auch nicht mehr.)

Anders als die Vorgängerregierungen, die ihre Maßnahmen des Sozialabbaus mit einer angeblichen Kostenexplosion im Gesundheitswesen und daraus erwachsenden Gefährdungen im Wettbewerb um den Wirtschaftsstandort Deutschland wegen zu hoher Lohnnebenkosten begründeten, lassen die gegenwärtig regierenden Parteien diese Poesie weg und kommen gleich zur Sache.

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag, Seite 86. Hier heißt es: „Die Versicherten sollen auf der Basis des bestehenden Leistungskatalogs soweit wie möglich ihren Krankenversicherungsschutz selbst gestalten können.“

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Folgerichtig konzentrieren sich die geplanten Maßnahmen nicht mehr auf einen kassen- und damit auch länderübergreifenden Finanzausgleich zwischen allen Beitragszahlern, der auch einen Katalog an Risikofaktoren der Versicherten berücksichtigt. Das bestehende Gesundheitswesen soll, so heißt es, vielmehr in ein System überführt werden, das charakterisiert ist durch mehr Beitragsautonomie der Kassen und regionale Differenzierungsmöglichkeiten.

(Toralf Schnur, FDP: Wollen Sie uns jetzt den ganzen Koalitionsvertrag vorlesen?)

Nun können wir uns mal überlegen, was das zwischen Bayern und Mecklenburg-Vorpommern heißt,

(Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

durch feste Arbeitgeberanteile und durch einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge,

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

sprich Kopfpauschale, die bei Bedürftigkeit vom Staat mit Steuermitteln sozial ausgeglichen werden sollen.

(Harry Glawe, CDU: Na und?!)

„Man kann aus Schaden klug werden. Man muss es aber nicht“,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das sieht man bei Ihnen.)

so Herr Norbert Blüm, Vertreter und Parteifreund von Ihnen, Herr Glawe, in seinem Resümee zur Kopfpauschale, mit der die CDU im Bundestagswahlkampf 2005 beinahe scheiterte, die sie nun zu neuem Leben erwecken will.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Die von der Bevölkerung fast einhellig abgelehnte Kopfpauschale privilegiert die gut verdienenden Versicherten, denn sie sollen die Pauschale in gleicher Höhe wie untertariflich Beschäftigte zahlen. Und dabei gehört es doch zum staatsbürgerkundlichen Grundwissen,

(Toralf Schnur, FDP: Na, na, na!)

abgeleitet aus Artikel 3 des Grundgesetzes, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, was eigentlich auch schwarz-gelben Politikerinnen und Politikern bekannt sein sollte.

Berechtigtes Misstrauen erweckt überdies das nebulöse Versprechen vom sogenannten sozialen Ausgleich – Herr Ratjen hat ja darüber gesprochen – für diejenigen,

(Harry Glawe, CDU: Also, Frau Linke, gucken Sie mal in die Schweiz, da funktioniert das auch. Die Schweizer leben gut da.)

die durch die Kopfpauschale gegenüber der jetzigen Regelung benachteiligt werden. Für einen auch nur annähernden sozialen Augleich wären nach Berechnungen des IGIS-Institutes pro Jahr 20 bis 40 Milliarden Euro an Steuermitteln erforderlich.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Woher, lieber Herr Ratjen, woher, meine lieben Freunde von der FDP,

(Toralf Schnur, FDP: Das hat doch DIE LINKE noch nie gescheut. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

sollen denn diese kommen? Einzelne Stimmen aus dem Regierungslager bringen bereits heute eine Mehrwertsteuererhöhung bis auf 25 Prozent ins Gespräch,

(Toralf Schnur, FDP: Es gab mal eine Partei, die hat 1.500 Euro Hartz IV gefordert.)

was wiederum die sozial Benachteiligten überproportional träfe. Auf eine diesbezügliche Anfrage der Grünen im Bundestag nach den Kosten der Kopfpauschale antwortete der Staatssekretär im Finanzministerium, Herr Koschek, dass eine solche Pauschale nicht nur exorbitante Steuererhöhungen nach sich ziehe, sondern ein Drittel der Steuerpflichtigen, die auf einen Sozialausgleich angewiesen seien, diesen auch selbst finanzieren müssten. Der Spitzensteuersatz müsse – man höre! – von derzeit 45 Prozent auf 73 Prozent angehoben werden, um die Ausfälle der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren. So Herr Koschek.

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Bis zur Gesundheitsreform 2003/2004, das ist bekannt, gab es im Gesundheitswesen keine nennenswerten Steuerfinanzierungen. Vielmehr wurde immer wieder die sogenannte Stabilität des Gesundheitswesens als sogenannte Beitragsstabilität verstanden und der soziale Augleich über die Beiträge innerhalb der GKV angestrebt. Mit der zukünftigen Festschreibung der Arbeitgeberanteile, also deren Abkoppelung von den Kosten und von den Beitragsentwicklungen sowie der Einführung einer einkommensunabhängigen Kopfpauschale, werden die Grundsätze von Parität und Solidarität zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten vollends zugunsten einer fragwürdigen staatlichen Regulierung aufgegeben.

(Toralf Schnur, FDP: Ja, ja!)

Seit Jahren betreiben die Bundesregierungen aller Schattierungen eine Steuerpolitik, mit welcher Vermögende entlastet und die öffentlichen Haushalte entleert wurden. Wir haben das oft genug hier thematisiert.

(Toralf Schnur, FDP: Vor allem bis 2006 in M-V.)

Ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem in der Hand eines FDP-Bundesministers bedeutet gerade vor dem Hintergrund der aktuellen nicht kalkulierbaren Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise Gesundheitspolitik nach Kassenlage.

(Toralf Schnur, FDP: Ja.)

Aus Sicht der Bundesregierung ist es folgerichtig, dass die privaten Krankenversicherungen künftig wieder gestärkt werden sollen, indem die Zugangsvoraussetzungen zum Wechsel in die private Krankenversicherung erleichtert und der Abschluss von privaten Versicherungen, Zusatzversicherungen zur Risikoabsicherung für gesetzlich Krankenversicherte ausdrücklich empfohlen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, meine Fraktion appelliert an Sie, die Kopfpauschale abzulehnen.

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Durch den einheitlichen Beitragssatz werden die gering verdienenden Frauen und Männer unverhältnismäßig belastet. Das betrifft gerade Frauen und Männer in unserem Lande.

Ein Wort noch an Herrn Nieszery und an die Kollegen von der SPD: