Da auch die Regelsätze für Kinder und Jugendliche so herbeigezaubert wurden, hat das Bundesverfassungsgericht sie auch kassiert oder zumindest gesagt, die sind falsch ermittelt worden. Aber da – das ist in der Tat richtig – das Urteil keine neuen Regelsätze vorschreibt, wird sich gar nichts ändern, außer für Menschen mit chronischen Krankheiten, die einen dauernden Zusatzbedarf brauchen. Die Bundesregierung wird ansonsten schon dafür sorgen, dass es bei kosmetischen Pseudoverbesserungen bleiben wird.
Gelöst werden kann das Problem nur im Zusammenhang mit Mindestlöhnen. Wenn man schon von einem Lohnabstandsgebot ausgeht und sagt, wer arbeitet, muss deutlich mehr haben als der, der nicht arbeitet, muss man auch ein Verelendungsabstandsgebot formulieren und sagen, wer keine Arbeit hat, darf nicht der Verelendung preisgegeben werden. Deswegen brauchen Menschen, die keine Arbeit haben auf Dauer, etwa 100 bis 150 Euro mehr und dann können Sie noch einmal 200 Euro drauflegen für die, die Arbeit haben. Dann sind Sie beim Mindestlohn und dann haben Sie auch das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes erfüllt. Und wenn Sie sich das nicht leisten können, dann geben Sie offen zu, wir können uns das Grundgesetz nicht mehr leisten, nicht mal die Taschenbuchausgabe. Und dann gehen Sie nach Hause! – Danke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern hatten wir ein spannendes Thema zur Aktuellen Stunde. Daran möchte ich erinnern.
Die CDU hat es eingebracht, Herr Glawe hatte zunächst vorgetragen und ich habe mir so gesagt: Was für eine tolle Rede! Dann kam die Sozialministerin. Was für eine tolle Rede! So eine Rede müsste man einmal geschrieben haben.
Aber der Makel an der ganzen Sache war, die Reden, die Sie gehalten haben, Herr Glawe – Frau Schwesig kann ich das jetzt nur nachrichtlich übermitteln –,
(Harry Glawe, CDU: Sie hört zu. – Vincent Kokert, CDU: Wir schreiben mit. – Zuruf von Minister Henry Tesch)
Sonst hätten Sie nämlich auch gesagt, was ich behaupte: Hartz IV und Kinderlachen, Hartz IV und Familienförderung sowie Hartz IV und Wirtschaftsentwicklung passen einfach nicht zusammen.
(Harry Glawe, CDU: Hartz IV ist auch eine soziale Leistung, Herr Koplin. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)
Ich will ganz gern einmal zitieren, was gestern im „Medienspiegel“ zu lesen war, aus einem Essay aus der bürgerlichen Zeitung „Die Welt“. Thomas Straubhaar schreibt, ich zitiere:
Bis weit ins bürgerliche Lager wird Hartz IV kritisiert. Jetzt zitiere ich, Herr Kokert: „Hartz IV ist gescheitert. Das Konzept ,Fördern und Fordern‘ hat versagt. ,Die Unzufriedenheit über das System der Sozialstaatsbürokratie ist groß.‘“ Zitatende.
Wenn DIE LINKE eine Bilanz von fünf Jahren Hartz IV in Mecklenburg-Vorpommern fordert, dann nicht, um einen neuerlichen Beleg für eine grundlegend verfehlte Politik zu bekommen, denn für uns ist völlig klar, Hartz IV hat Menschen in Armut gedrückt, statt sie aus Armut zu befreien. Hartz IV hat die Menschen in einer bestimmten sozialen Situation stigmatisiert. Wenn ich mit meinem Enkelkind auf dem Spielplatz bin – letztens gerade geschehen – und ich höre dort auf dem Spielplatz das eine Kind zu dem anderen sagen: „Bist du auch ein Hartz-IV-Kind?“,
dann zeigt das, wie tief verwurzelt die soziale Spaltung in dieser Gesellschaft ist, wie sehr die Kinder das auch verinnerlichen, in welcher sozialen Situation sie leben.
Gestern – vielleicht haben Sie das gesehen in „Hart aber fair“ – ging es im Fernsehen um Hartz IV und da spielte
das Jugendwort des Jahres 2009 „Hartzen“ eine Rolle. Hartzen steht – so ist es dort mitgeteilt worden – für Faulenzen und Gammeln. Menschenverächter in Nadelstreifen wie Herr Sarrazin hauen verbal auf die Betroffenen ein und stempeln sie zu den Schuldigen eines Systems,
Und die Absicht, Herr Kokert und Herr Glawe, ist sehr durchschaubar. Es handelt sich nämlich um das spätrömische Prinzip „Teile und herrsche“ oder anders gesagt, wer Profite scheffeln will, der muss Löhne drücken und Sozialausgaben zurückdrängen.
DIE LINKE will eine Bilanz als Instrument zur Wiederherstellung des Sozialstaats. Das ist im Übrigen unser Verfassungsauftrag. Wir brauchen eine existenzsichernde Grundsicherung statt verfassungswidriger Regelsätze. Wir brauchen die Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben statt Ausgrenzung und Stigmatisierung. Und wir brauchen die Förderung der Selbstbestimmung statt bürokratischer Gängelei und einer Sozialpolizei wie im Uecker-Randow-Kreis, die in Badezimmern Zahnbürsten zählt.
Sehr geehrte Damen und Herren, diese Bilanz muss schonungslos und realistisch sein. Ich habe aus der heutigen Diskussion, zumindest vom Wirtschaftsminister, entnehmen können, dass er eine solche schonungslose Bilanz nicht möchte.
Wir halten eine Bilanz für notwendig und wir empfehlen der Landesregierung sehr, damit aufzuhören, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. Herr Minister Seidel, es stört mich im Übrigen schon längere Zeit – und Herr Kokert hat das heute auch noch einmal durch Zwischenrufe gefeiert –, dass Sie behaupten, die Zahl der Arbeitslosen in Mecklenburg-Vorpommern wäre gegenüber der Regierungszeit von SPD und Linkspartei deutlich zurückgegangen.
Es ist nicht so. Und ich sage Ihnen das deshalb, weil Sie aus den Fehlern – Herr Seidel, vielleicht können Sie das Herrn Kokert sagen – Ihrer ehemaligen Weggefährten von der SED zumindest so viel gelernt haben müssten: