Protocol of the Session on March 11, 2010

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Allerdings denke ich, dass Dr. Westerwelle bald eine Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung von der Bundeskanzlerin bekommen wird. Denn wenn sich jemand hinstellt und meint, dass die Regelsätze so hoch sind, dass ein langzeitarbeitsloser Mensch in Wohlstand leben kann, dann ist doch wirklich die Frage zu stellen: Wo lebt er? Auf jeden Fall nicht auf unserem Planeten!

Wir lesen in einer DIW-Studie, dass in Deutschland die Armut in den letzten zehn Jahren – und das muss man sich mal vergegenwärtigen – um ein Drittel gestiegen ist. Um ein Drittel! Und da frage ich mich wirklich: Wie betrunken oder wie krank muss man sein, um solche Zahlen zu ignorieren? Die liest …

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Oh, das haben Sie mir nicht gesagt.

Die liest man ja nicht nur in der DIW, die liest man auch in der Böckler-Stiftung.

Wir sind also der Meinung, dass es viele Fragen zu beantworten gibt, wie sich die Landesregierung in Richtung Hartz IV im Bundesrat verhalten wird. Beantworten Sie uns bitte diese Fragen, denn sie sind dringend zu lösen im Sinne unserer Menschen, von denen auch Sie sich haben wählen lassen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Müller.

Frau Müller wird jetzt auch die Begründung des Antrages der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/3282 vornehmen. Bitte, Frau Abgeordnete.

Sagen Sie mir bitte Bescheid, wenn ich noch eine Minute Redezeit habe?

Ich sage Ihnen dieses Mal rechtzeitig vorher Bescheid.

So, nun kommen wir zu dem Antrag „5 Jahre Hartz IV – eine Bilanz für Mecklenburg-Vorpommern“. Wer ein Volkswirtschaftler oder ein Betriebswirtschaftler ist, der weiß, wie wichtig Bilanzen sind, der weiß, wie wichtig es ist, sie aufzustellen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Man muss sie auch lesen können.)

sie zu analysieren und daraus entsprechende Resultate und Ergebnisse zu ziehen, um Veränderungen auf die Reihe zu bringen. Auch für Hartz IV, welches jetzt fünf Jahre wirkt, müssen die Wirksamkeit und die Auswirkungen nach allen möglichen Politikfeldern bilanziert werden. Wir brauchen die Darstellung der Wirksamkeit und wir brauchen eine Bewertung der Wirksamkeit, damit wir dementsprechend arbeitsmarktpolitisch und sozialpolitisch agieren können.

Das Institut für Arbeitsmarktforschung und Berufsbildung der Arge hat eine recht verhaltene positive Bewertung des 5-Jahre-Hartz-IV-Themas gefunden. Sie haben gesagt, Hartz IV ist nicht so schlecht wie sein Ruf. Na gut. Gleichzeitig haben sie aber auch festgestellt, dass es Nachbesserungen geben muss, und zwar Nachbesserungen für alleinerziehende Bürgerinnen und Bürger und auch für die Kinderunterstützung. Das mag ja alles rein theoretisch für westliche Bundesländer stimmen, aber auch für Mecklenburg-Vorpommern? Welche Probleme haben wir hier ganz konkret?

Ich gehe jetzt auf die Dinge ein, die wir in der Bilanz erarbeitet haben wissen wollen: Bei Langzeitarbeitslosen und Alleinerziehenden, denke ich, wird unsere Problematik größer sein, als sie allgemein vom Institut dargestellt wurde.

(Beate Schlupp, CDU: Wieso?)

Denn das Fazit des Instituts besagt auch, dass Langzeitarbeitslose – ich spreche von langzeitarbeits losen Menschen – in der Regel nur billig entlohnte Berufe oder Arbeitsplätze finden und demzufolge keine Chance haben, für längere Zeit aus dem Hartz-IV-Dilemma herauszukommen beziehungsweise aus dem Bedürftigkeitsdilemma. Natürlich hat das für MecklenburgVorpommern, wenn sich das dann so darstellt, eine besondere Wirkung, weil wir ja insbesondere mit langzeitarbeitslosen Menschen zu tun haben. Außerdem haben wir durch Lohndumping damit zu tun, dass es hier in Mecklenburg-Vorpommern viele Aufstocker gibt, bei denen die Arbeit oder die Vollbeschäftigung nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu bewältigen. Das ist also auch ein Problem, was bei uns noch draufgeschlagen werden muss. Also lautet die Frage: Stimmt das für Mecklenburg-Vorpommern? Was trifft auf uns noch zu? Was kommt noch dazu?

Schauen wir mal in die Böckler-Stiftung, die hat nämlich bei der Hartz-IV-Bilanz eine ganz andere Sichtweise. Sie stellt sehr wohl dar, welche Probleme es für Langzeitarbeitslose gibt, aber sie stellt auch dar in ihrem Gutach

ten, dass die bekannten, von mir vorhin schon gesagten 60 Prozent der Hartz-IV-Empfänger heute als Sozialhilfeempfänger von gestern oder Arbeitslosenhilfeempfänger noch weniger Geld haben. Es würde uns auch interessieren, auf welche Art und Weise sich die doppelte Belastung auf Mecklenburg-Vorpommern auswirkt, die zum Beispiel Hartz-IV-Empfänger oder langzeitarbeitslose Menschen haben, da sie ja erst einmal ihr Vermögen verzehren müssen, bevor sie überhaupt in das Leistungsgestrüpp kommen.

Ich empfinde es als eine sehr zynische Bemerkung, dass gerade vor 14 Tagen CDU/CSU und FDP vor die Presse getreten sind und erklärt haben, dass das Vermögen, das Langzeitarbeitslose haben dürfen, verdreifacht wird.

(Harry Glawe, CDU: Ist das zynisch? Eine klare Verbesserung ist das. Wo kommen Sie denn her, Frau Müller?)

Wo leben Sie denn überhaupt? Wo haben Sie denn einen langzeitarbeitlosen Menschen, der Vermögen hat? Ehe ein langzeitarbeitsloser Mensch überhaupt in die Statistik kommt, hat er überhaupt kein Vermögen mehr, dann ist nämlich schon alles weg. Der wird nämlich erst in die Statistik aufgenommen, wenn er Leistungsempfänger ist.

(Regine Lück, DIE LINKE: Genauso ist es.)

Und Leistungsempfänger ist er, wenn das Vermögen weg ist. Wollen Sie ihm jetzt das zurückgeben, was sie erst aufgezehrt haben, oder was ist das für ein Zynismus? Sie leben einfach nicht in dieser Welt.

(Harry Glawe, CDU: Na ja, Sie erst recht nicht.)

Die negativen Auswirkungen für die langzeitarbeitslosen Menschen, Aufstocker und so weiter sind bei uns auch in Richtung Auswirkungen auf die Kommunen und auf die Wirtschaft zu begucken. Wenigstens auf der Ebene sind sich nämlich beide Institute, also das von der Arge und das der Böckler-Stiftung, einig, langzeitarbeitslose Menschen benötigen eine gesonderte und eine sehr bezeichnende Art und Weise, damit sie aus der Bedürftigkeit herauskommen, und zwar sehr dringend und sehr schnell, sehr dringend und sehr schnell auch unter dem Aspekt, dass Hartz IV unter Betroffenen als ein Objekt bezeichnet wird, was Angst macht. Es macht Angst aus diesem Grunde, wenn man da erst einmal reingefallen ist, ist es sehr schwer, dort wieder herauszukommen. Das Problem haben wir in Mecklenburg-Vorpommern natürlich auch, aber nicht nur für Menschen, die von vornherein Arbeit hatten, die nicht so sehr gut bezahlt wurde, sondern auch der Mittelstand steht an einigen Ecken kurz vor der Langzeitarbeitslosigkeit oder ist schon hineingeraten.

Welche Auswirkungen hat Hartz IV auf unsere Wirtschaft gehabt und wird es weiter haben? Welche Auswirkungen auf unsere Kommunen und vor allen Dingen welche Auswirkungen auf die Menschen hier in MecklenburgVorpommern? Natürlich wäre es auch notwendig, wenn in dieser Bilanz nachgesehen und analysiert wird, wie die arbeitsmarktpolitischen Aktionen, die es in Mecklenburg-Vorpommern bisher gab, gewirkt haben. Welche haben Erfolg gebracht und welche nicht?

In dem Zusammenhang müssen wir zusammen erarbeiten, welche arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Elemente benötigt werden, um weiterhin arbeiten zu können. Wenn es diese Analyse und diese Bilanz nicht gibt, müssen wir registrieren, dass Politik aus dem Bauch heraus

gemacht wurde und werden wird, dass diese Politik Geld verschleudert und wir uns dieses Verschleudern von Geld überhaupt nicht leisten können. Man sollte diese Meinung haben, nicht Langzeitarbeitslosigkeit zu verwalten, sondern das Geld nutzen, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Und damit Sie hier jetzt nicht gleich wieder losschreien, DIE LINKE erzählt hier lauter Zeug, bloß dazu, wo das Geld dazu herkommt und was konkret gemacht werden soll, sagt sie nichts, mache ich Sie auf den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor aufmerksam.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Diejenigen, die länger hier sind, kennen es, und diejenigen, die ab der 3. Legislaturperiode mit uns zusammengearbeitet haben, haben sehr wohl gesehen, welche positiven Wirkungen es hatte. Wir haben also Alternativen, sie müssen nur als Alternativen angesehen und nicht unter dem Motto: „Ich bin jetzt einmal ein trotziges Kind, das kommt von den LINKEN, das wollen wir nicht“, zur Seite gestellt werden.

Es gibt also Alternativen zu Hartz IV und es gibt auch Alternativen zu gedrungener, gewollter, bezwungener ehrenamtlicher Tätigkeit, wobei ich diese Diskussion überhaupt nicht verstehe, denn mit den Mehraufwandsentschädigungen – im Volksmund Ein-Euro-Job, der überhaupt kein Job ist – werden schon ehrenamtliche Tätigkeiten gefördert. Sie werden praktisch mit dieser Aufwandsentschädigung unterstützt. Fragen Sie doch einmal in den Argen nach, warum Ein-Euro-Jobs manchmal überhaupt nicht mehr vergeben werden können. Könnte es vielleicht daran liegen, dass in den Verbänden, Vereinen und anderen Institutionen gar nicht mehr die Kraft besteht, Ein-Euro-Mehraufwandsentschädigungsbeschäftigte zu beschäftigen und zu begleiten, weil natürlich auch das Arbeitskraft benötigt, Hingabe benötigt und, und, und?

Frau Müller, Sie haben noch 45 Sekunden.

Vereine und Verbände sind nun nicht gerade nach Strich und Faden mit hauptamtlich arbeitenden Menschen ausgestattet,

(Harry Glawe, CDU: Es wird eine Verwaltungs- pauschale gezahlt für die Ein-Euro-Jobber.)

um diese Angelegenheiten zu lösen. Sie werden weitergegeben in die Vereine und Verbände. Gehen Sie einmal zu Ihrem Kreis „Lebenshilfe“ und fragen Sie, was die mit den Ein-Euro-Jobbern machen.

(Harry Glawe, CDU: Ja, gehen Sie mal hin, Frau Müller!)

Die müssen sie betreuen.

(Harry Glawe, CDU: Ja.)

(Harry Glawe, CDU: Es hat keinen Zweck.)

Also in diesen Dingen brauchen wir Antworten. Wir bitten Sie darum, hier Bilanz zu ziehen und dann mit uns zusammen arbeitsmarkt- und sozialpolitische Möglichkeiten zu finden, um Entlastungen für die betroffenen Menschen, die Kommunen und für unsere Gesellschaft zu geben. Das ist das, was ungeheuer wichtig ist, denn die Menschen sollen wieder ein Ziel und eine Perspek

tive vor Augen haben. Es ist immer teurer, Arbeitslosigkeit zu finanzieren als Arbeit. Wir können uns hier keine Kinder leisten, die ihre Schule abbrechen, wir können uns keine Kinder leisten, die ihre Ausbildung abbrechen, wir können uns keine hohen Arbeitslosenzahlen leisten, auch keine hohen Arbeitslosenzahlen unter Jugendlichen. Wir haben hier sehr viel zu tun. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Müller.

Im Ältestenrat wurde eine verbundene Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.