Protocol of the Session on January 27, 2010

Vielen Dank, Herr Minister Seidel.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete Herr Holter für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit zu handeln! Die allgemeine Verunsicherung wächst bei den Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfängern nach dem SGB II, bei den Beschäftigten in den Arbeitsgemeinschaften und natürlich auch bei den Kommunen. Auf die Kosten, die zu erwarten sind, ist Herr Minister Seidel eben schon eingegangen.

Das, was wir heute diskutieren, ist auch eine Erblast, und zwar eine Erblast der Schröder’schen Basta-Politik. Dazu gehört Hartz IV mit seinen unsozialen Auswirkungen sowieso, aber auch mit seinen Konstruktions- und handwerklichen Fehlern. Einen Konstruktionsfehler, die Kooperation von Bund und Kommunen in den Arbeitsgemeinschaften aus kommunalen Trägern und der Bundesagentur der Arbeit zu organisieren, sieht das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig an. Es geht nach Auffassung des Verfassungsgerichtes darum, dass gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstoßen wird, weil der Anspruch der Gemeinden und Gemeindeverbände auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation verletzt ist. Die Zahl des Datums wurde schon genannt, bis zum 31.12.2010 – so die Auflage des Gerichtes – muss dieses Problem gelöst sein.

Seit dieser Gerichtsentscheidung haben wir auch hier in diesem Haus immer wieder darüber gesprochen. Die Bundesagentur, die Kommunen, auch meine Fraktion und meine Partei, aber auch andere haben immer wieder darauf gedrungen, schnell eine rechtliche Lösung zu finden, denn, das weiß jeder, Verwaltungsumbau so oder so benötigt Zeit. Heute müssen wir feststellen, es ist höchste Eisenbahn, wenn zum Jahresende tatsächlich dieser Auftrag des Verfassungsgerichtes erfüllt sein soll. Eigentlich ist es schon gar nicht mehr zu schaffen. Ich kann mich noch sehr gut mit Ihnen daran erinnern, wie es zum Jahreswechsel 2004/2005 war, als Hartz IV startete. Es war ein Chaos. Die Betroffenen und die Beschäftigten haben einfach Angst und befürchten, dass sich Ähnliches wiederholt.

Nun ist es so, dass zwei Jahre ins Land gegangen sind und es SPD und CDU in der damaligen Großen Koalition

auf Bundesebene nicht geschafft haben, diese Frage zu klären, und CDU und FDP in der heutigen Koalition nicht die Kraft haben, eine tragfähige Lösung zu finden. In dem Sinne …

(Sebastian Ratjen, FDP: Von wegen!)

Ja, ja.

In dem Sinne haben Sie versagt. Das muss ich Ihnen noch einmal deutlich sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Das Nachsehen werden die Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger, die Beschäftigten in den Argen und auch die Kommunen haben. Ja, die SPD hat versagt, weil sie in der vergangenen Legislaturperiode ihre Vorstellungen gegen den Widerstand der Bundestagsfraktion von CDU und CSU nicht durchbringen konnte, und sie hat auch versagt, das wird angesichts der Debatten in der SPD deutlich, weil sie nicht bereit war, Hartz IV und auch die Verwaltungsstrukturen zu hinterfragen.

(Reinhard Dankert, SPD: Schon vergessen, wie das in der Koalition ist?)

Zur Bilanz von Hartz IV gehört – und da unterscheide ich mich deutlich von dem, was der Minister Seidel eben zum Ausdruck gebracht hat –, dass die ursprüngliche arbeitsmarktpolitische Zielstellung, nämlich die Halbierung der Zahl der Erwerbslosen, nicht erreicht wurde, es keine einheitliche verfassungskonforme Leistung an Erwerbslose aus einer Hand gibt und sie nicht unter einem Dach erfolgt.

Nun habe ich gehört, die ganze Debatte, die wir hier führen, das Thema, welches die SPD aufgesetzt hat, sei eine reine Verwaltungsangelegenheit. Mitnichten! Natürlich ist das eine Diskussion, die in den Verwaltungen geführt wird.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ohne Verwaltung geht nichts.)

Das ist richtig, ohne Verwaltung geht nichts. Aber es hat etwas damit zu tun, was und welche Wirkungen bei den Menschen ankommen. Wir werden in einem speziellen Antrag noch einmal über fünf Jahre Hartz IV diskutieren, deswegen will ich mich jetzt auf diese eine Seite beschränken.

Aber wie bereits 2004 geht es um einige Grundfragen. Die Grundfragen sind folgende: Sollen die Arbeitslosen tatsächlich in zwei Klassen eingeteilt werden, also nach SGB III und SGB II? Was zählen Arbeitsjahre und Arbeitseinkommen? Wie viel braucht ein Mensch zum Leben? Auch diese Frage gehört auf den Tisch des Hauses. Und: Wird es eine Verantwortung des Bundes für die Arbeitslosen weiterhin geben

(Zuruf von Sebastian Ratjen, FDP)

oder soll die Langzeitarbeitslosigkeit kommunalisiert werden?

(Regine Lück, DIE LINKE: Genau, das ist der Punkt.)

Wir, DIE LINKE, beurteilen all diese Fragen von den konkreten Lebensbedingungen und der konkreten Lebenssituation der betroffenen Menschen aus. Unsere Forderung „Hartz IV muss weg!“ basiert auf einer zutiefst humanistischen Grundüberzeugung.

(Gelächter bei Udo Pastörs, NPD: Ha, ha, ha, Herr Holter!)

Da können Sie Ihr zynisches Lachen ruhig lassen!

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Sie sollten sich an dem heutigen Tage an Ihrer Fensterfront wirklich ganz still verhalten.

(allgemeine Unruhe – Heinz Müller, SPD: Nicht nur heute.)

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, reiß wieder auseinander, was mühevoll zusammengewachsen ist und was einigermaßen funktioniert. Es hat gesagt, stellt die Zusammenarbeit von Bund und Kommunen in den Arbeitsgemeinschaften, in den Job-Centern auf eine verfassungskonforme Grundlage. Ich kann Ihnen nur sagen, in Bezug auf den Gesetzentwurf, der hier schon zitiert wurde: Freiwillige Kooperation unter einem Dach und in einem IT-System bedeuten noch lange keine Rechtssicherheit. Und genau das, was Herr Minister Seidel beschrieben hat, wird passieren, dass die Bürokratie zunimmt und die Verunsicherung derer, die die Leistungen beanspruchen und bekommen werden,

(Regine Lück, DIE LINKE: Und mehr Geld kosten.)

wird größer werden, weil sie es tatsächlich mit zwei Behörden, mit zwei Verwaltungsakten, mit zwei Widerspruchsverfahren und all diesen Fragen zu tun haben.

Wir sind der Überzeugung, um tatsächlich eine Rechtssicherheit zu schaffen, ist eine Verfassungsänderung zwingend notwendig. Dafür gibt es aber keine politischen Mehrheiten im Bundestag, weder vor der Bundestagswahl noch danach. Deshalb läuft alles auf eine getrennte Trägerschaft und damit auf die getrennte Aufgabenwahrnehmung hinaus. Das ist für uns die schlechteste aller Lösungen, denn die Betroffenen werden das Nachsehen haben.

Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zeigen heute ein bisschen zurückhaltend mit Ihren Fingern auf CDU und FDP und sagen, sie seien schuld. Die Frage ist: Was haben Sie vor der Bundestagswahl geschafft, um rechtzeitig die Entscheidungen zu treffen, damit auch diese Strukturen rechtskonform gesichert werden?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wir haben es immerhin versucht, Herr Holter.)

Wir kommen bundespolitisch gesehen aus einer Blockadekoalition in eine neue Blockadekoalition. Wir kommen hier einfach nicht weiter. Das, was hier auch berichtet wurde vom Wirtschafts- und Arbeitsminister, macht sehr deutlich, dass an den Grundfragen nicht gearbeitet wird und die jetzige Koalition nicht bereit ist, hier eine rechtskonforme Situation herzustellen.

Die Hauptkritik, und da müssen wir alle mal aufmerksam hinhören, der kommunalen Seite lässt sich doch wie folgt zusammenfassen. Ich gehe davon aus, dass Sie alle in den Argen und in den Kommunen zu diesem Thema unterwegs sind. Es wird doch deutlich gesagt, dass die Bundesagentur für Arbeit sich in den letzten Jahren zu einer betriebswirtschaftlich agierenden, zentralistisch durchregierenden Organisation entwickelt hat und den Kommunen sagt, was sie zu tun haben, und die kommunalen Kompetenzen unzureichend berücksichtigt werden.

Nun gab es die große Hoffnung, dass mit dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes auch diese Fragen geklärt werden. Aber die Hoffnung ging dahin.

(Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Und auch der Vorschlag, der jetzt aus dem Hause von Ministerin von der Leyen kommt, lässt keine andere Deutung zu.

Letzte Woche, meine Damen und Herren, haben in der Landespressekonferenz der Landkreistag und zwei Landräte aus Ostvorpommern und Nordvorpommern berichtet, wo sie der Schuh drückt. Sie befürchten, dass die Bundesagentur für Arbeit jetzt erst recht durchregiert und die wesentlichen Entscheidungen trifft. Und wenn Sie sich die Briefe anschauen, die sicherlich alle Fraktion bekommen haben, wie die Bundesagentur für Arbeit sich darauf vorbereitet, genau diese getrennte Aufgabenwahrnehmung dann zu organisieren, wird sehr deutlich, wer hier das Sagen haben will.

Für mich ist die Frage: Wo, mit welcher Kompetenz und mit welcher Kraft können eigentlich die Kommunen in diesem Prozess ganz konkret noch mitreden? Und hier wird sehr deutlich, dass es nicht nur um die Frage der Beziehungen zwischen beiden geht, sondern tatsächlich auch um die Menschen, denn wenn den Kommunen das Mitspracherecht verwehrt wird über die Bedürftigkeit, über die Arbeitsfähigkeit und über entsprechende arbeitsmarktpolitische Angebote, dann bleibt den Kommunen tatsächlich nur noch eins übrig, die KdU, die Zahlung der Kosten der Unterkunft. Und das, glaube ich, kann man den Kommunen nicht zumuten, denn das war mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nun gar nicht beabsichtigt.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: So ist es. – Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Und ich kann mich überhaupt nicht genug wundern, dass bei den Kommunen der Ruf nach der Optionskommune größer wird. Das kann ich nachvollziehen, weil die natürlich bei der allgemeinen Verunsicherung ganz klar sagen, wenn der Bund diese Frage nicht lösen kann, dann nehmen wir die Sache selbst in die Hand.

(Zuruf von Toralf Schnur, FDP)

Das ist nicht verwunderlich.

(Michael Roolf, FDP: Das ist der bessere Weg.)

Ich halte aber diesen Weg für den falschen Weg.

(Zuruf von Sebastian Ratjen, FDP)

Ich bin nicht der Überzeugung, dass Arbeitsmarktpolitik unter den Bedingungen von Hartz IV allein in die kommunale Hand gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Regine Lück, DIE LINKE: Und der Bund zieht sich zurück.)

Ich teile nicht die Auffassung des Wirtschafts- und Arbeitsministers, dass hier eine Öffnung erfolgen muss. Die 69 Kommunen – wir haben uns das beide mit dem Zuruf noch mal gesagt, wie das entstanden ist – ist ein Angebot von Rot-Grün an die CDU gewesen, damit sie diesem Gesetz zustimmt, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin der Überzeugung – und da brauchen Sie alle nur den Evaluationsbericht über die Optionskommunen zu

lesen –, die Optionskommunen haben nicht mehr und besser gearbeitet