Liebe Kollegin und Kollegen der FDP, ich kann mir ja viel vorstellen. Zum Beispiel kann ich mir ein einfaches Steuer system vorstellen, ich kann mir auch ein gerechtes
Das trifft dann wohl eher auf Steuersätze und Steuern zu oder, wie Herr Schulte mir vorhin den Tipp gab, auf Beweggründe, die auch niedrig sein können.
Auch wenn Ihr Bundesvorsitzender das so in seiner Rede auf dem FDP-Parteitag verkündet hat, ist ein niedriges Steuersystem – vielleicht auf Kniehöhe oder so – trotzdem Quatsch. Steuern und Steuersätze können hoch oder niedrig sein, das System ist allenfalls leicht oder schwer durchschaubar, von politischen Interessen geprägt, gerecht oder einfach, aber niedrig ist es eben nicht.
Um mal bei der Satire zu bleiben, ich habe mir natürlich den vorliegenden Antrag angeguckt, aber zu den „Steuer entlassungen“ fiel mir nicht mehr ein als Satire. Zwei Fragen: Gibt es da eigentlich Kündigungsfristen? Und wo gibt es die Anträge?
Nun aber ernsthaft zum Thema Steuern und Steuersystem. Wenn ich das Anliegen der FDP richtig verstanden habe, meine Damen und Herren, dann wollen Sie schrittweise ein einfaches Steuersystem einführen, dessen Mittelpunkt ein einfacher 3-Stufen-Tarif ist, der auch die kalte Progression beenden könnte: Sozialleistungen sollen in einem Bürgergeld gebündelt werden, das Kindergeld erhöht werden, Kosten für Kinderbetreuung und Pflege sollen absetzbar sein, keine Mindestlöhne, aber steuerliche Freigrenzen für Einkommen von Geringverdienenden gehören auch dazu, die Erbschaftssteuer soll im Interesse von Mittelstand und Familienunternehmen überarbeitet werden,
die Bundesländer sollen die Steuerhöhe selbst bestimmen können und die Steuerzahler sollen um 32 Millionen Euro entlastet werden.
... so einfach, dass man nach Auffassung der FDP ab 2019 den Solidarzuschlag auslaufen lassen kann. Was das für den Finanzausgleich der Länder bedeuten würde, für die Finanzierung von Aufgaben der öffentlichen Hand, sei es in Ländern oder Kommunen, darüber fand ich nichts vonseiten der FDP, außer natürlich „Mehr Netto vom Brutto“ in der üblichen Wahlkampfrhetorik.
Aber vielleicht sollten sich die Kollegen der FDP-Fraktion mal den Entwurf des Doppelhaushaltes vornehmen. In der Mittelfristigen Finanzplanung ist sehr hübsch und sehr verständlich dargestellt, wofür unser Land zum Beispiel die Sonderbedarfszuweisungen vom Bund erhält, die ja wohl ursprünglich auch aus Steuereinnahmen gespeist werden.
Und vielleicht bekommen wir heute in der Debatte dann auch folgerichtig Empfehlungen von der FDP, welche Aufgaben für unser Land entbehrlich sein sollen oder, um mit Herrn Roolf zu sprechen, wo das Land entlastet werden könnte.
Schaut man sich, meine Damen und Herren, den als so einfach gepriesenen 3-Stufen-Tarif näher an, dann wird schnell deutlich, dass es so einfach doch nicht ist, denn im Grunde genommen werden alle Steuerzahler entlastet – die Geringverdiener eher weniger, die Bezieher hoher Einkommen eher mehr –, was natürlich die Wirtschaft honoriert, zum Beispiel der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayrischen Wirtschaft mit den Worten, Zitat: „Durch die Vorschläge der FDP hätte vor allem die Mittelschicht, also Angestellte, qualifizierte Facharbeiter und deren Familien, wieder spürbar mehr Netto vom Brutto in der Tasche.“ Zitatende.
Das ist so gewollt, betonte auch Herrmann Otto Solms, denn die FDP ist ja die Partei der Leistungsträger.
Die Kosten ihrer Steuerreform will die FDP dann auch durch Subventionsabbau, Einschränkungen bei der Bundesagentur für Arbeit und der Privatisierung von Bundesvermögen bezahlen. Fragt man aber nach den wirklichen Gewinnern und Verlierern dieser Rochade, dann wird schnell deutlich: Verlierer werden die Geringverdiener sein,
die aber sehr wohl zukünftig auf die Arbeit der Bundesagentur angewiesen sein könnten, weil sie infolge der Krise kurzarbeiten müssen.
Als gerecht bezeichnet die FDP auch die Tatsache, dass die Steuerpflichtigen aufgrund ihres Systems in der Rentenproportionalität eben nicht mehr Steuern abgeben müssen, wenn sie besser verdienen. In Wahrheit weicht die FDP damit aber das Grundprinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit noch weiter auf.
Fazit für mich: Auch um die Gerechtigkeit ist es im FDPSteuerkonzept nicht so gut bestellt, jedenfalls was die Einkommensbesteuerung angeht. Auch im Feld der Unternehmensbesteuerung ist nicht alles Gold, was ideologisch poliert wird. Auch ist es nicht einfach und gerecht und schon gar nicht durchschaubar, wenn ich da nur kurz die angedachte Ersetzung der Gewerbesteuer durch Finanzierungskonzepte für Kommunen erwähnen darf. Auch der 2-Stufen-Tarif von 10 und 25 Prozent für Unternehmen – unabhängig von der Rechtsform – bedeutet zwar für große, ertragsstarke Personenunternehmen eine massive Entlastung, für Körperschaften könnte es hingegen zu einer teilweisen Anhebung des Steuersatzes führen.
Also alles in allem: Aus unserer Sicht ist das vorgeschlagene Steuersystem der FDP keinesfalls akzeptabel, denn im Grunde genommen kündigt es die Solidargemeinschaft auf.
Meine Damen und Herren, seit Mitte der 90er-Jahre stagnierte oder sank das Reallohnniveau bundesweit, gleichzeitig flossen in Richtung Unternehmen und Vermögende Steuergeschenke im Wert von mehr als einer halben Billion Euro. Grundtenor für die Begründung der Steuererleichterungen war immer dieselbe Litanei: Wir alle müssten den Gürtel enger schnallen, damit Profite nicht gekürzt werden müssen, da diese dringend notwendig seien für die Wirtschaft, um Innovationen und Investitionen im Interesse des wirtschaftlichen Wachstums zu befördern.
Wie aber inzwischen für jedermann offenkundig wurde, meine Damen und Herren, wurde dieses Geld vorzugsweise immer stärker in den deregulierten und damit außer Kontrolle geratenen Finanzsektor transferiert, um weltweit an der Börse Gewinne zu machen.
Spätestens seit Oktober des letzten Jahres wissen wir, dass auch in diesem Falle gilt: Der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht. Und die Bundesregierung hatte nichts Besseres zu tun,
als innerhalb einer Woche ein gigantisches Rettungspaket für die Banken im Wert von 480 Millionen Euro zu schnüren, während …
… zeitgleich mit der Umsetzung der Agenda 2010 die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse in die Höhe schnellte, immer mehr Unternehmen Kurzarbeit anmelden oder in Insolvenz gehen
und die lohnabhängig Beschäftigten in absehbarer Zeit, nämlich nach der Bundestagswahl, mehr auf die Leistungen der Agentur für Arbeit angewiesen sein werden.