Die Empfehlungen der Expertenkommission müssen nach Auffassung der Landesregierung, so entnimmt man es der Drucksache, „ganzheitlich betrachtet und systematisch analysiert werden“. Ja, ganzheitlich, ja, und systematisch, ja, dem kann man zustimmen. Die spannende Frage dabei bleibt aber – und darauf gibt die Unterrichtung durch die Landesregierung keine Antwort –, mit welchen Folgen, mit welchen Wirkungen und vor allem in welchem Zeitraum.
Für den Bereich der schulischen Bildung setzt die Landesregierung auf die Einführung der Selbstständigen Schule und es wird sich wohl erst erweisen müssen, ob sie den hochgesteckten Erwartungen wirklich auch entsprechen kann. Es wird nämlich von den Rahmenbedingungen abhängen, unter denen in ihr gearbeitet und gelernt wird. Die Selbstständige Schule ist jedoch nur ein Teil des ganzheitlichen Konzeptes, wie es die Exper
tenkommission vorschlägt. Sie ist praktisch ein Glied in einer langen Kette pädagogischer und schulstruktureller Maßnahmen. Sie wird sich deshalb nur dann wie geplant entwickeln können, wenn sie Bestandteil auch des ganzheitlichen Ansatzes wird.
Um das mit aktuellen Beispielen zu illustrieren: Das geplante Lehrerbildungsgesetz, das ja nach Aussagen eines namhaften Bildungspolitikers der CDU schon vor der Sommerpause den Landtag erreichen sollte …
… und die Novelle des Kindertagesstättengesetzes sind ohne Frage wichtige Bestandteile in diesem ganzheitlichen Ansatz. Hier wird man dann also sehen können, wie beginnend mit der vorschulischen Bildung und Erziehung über die Schule bis zur Hochschule gegenseitige Abhängigkeiten und Bedingungen, so, wie es die Expertenkommission klassifiziert, ausgestaltet werden.
Deshalb ist es ja richtig, dass die Landesregierung beabsichtigt, die Empfehlungen bei zukünftigen Gesetzesvorhaben einzubeziehen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, „einbeziehen“ bedeutet im Wortsinn allerdings eben nicht „berücksichtigen“. Deshalb wollen wir mit unserer Entschließung klar regeln, wie die Einbeziehung bei künftigen Gesetzesvorhaben dokumentiert werden soll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf einen Widerspruch in der Stellungnahme der Landesregierung aufmerksam machen. Es heißt auf Seite 4 unter Punkt 3 „Bildungspolitische Ziele und Herausforderungen“, ich zitiere: „Die Landesregierung wird durch die Empfehlungen“ der Expertenkommission „in ihrer Auffassung bestätigt, dass die Bildungschancen des Einzelnen zu verbessern und alle Bildungsangebote, insbesondere in Kindertageseinrichtungen und Schulen, auf die individuelle Förderung zu richten sind. Die frühzeitige Ausprägung wichtiger Kompetenzen muss Priorität gegenüber nachholender Qualifizierung haben.“ Ende des Zitats. Ich denke, zumindest die Bildungspolitiker dieses Hauses können das unterschreiben. Aus dieser Feststellung zieht die Landesregierung den Schluss, ich zitiere erneut: „Das erfordert Investitionen in Bildung und in den Ausgleich sozialer Benachteiligungen von Anfang an.“
„Mit der Qualifizierungsinitiative für Deutschland haben sich die Länder darauf verständigt, Ressourcenspielräume, soweit sie sich aus der demographischen Entwicklung ergeben, insbesondere zur Verbesserung der Bildungsqualität zu nutzen.“ Ende des Zitats. Da stellt sich schon die Frage, warum die kw-Vermerke in den Stellenplänen des Haushaltsentwurfes 2010/2011 denn weitergeführt werden.
Mal abgesehen davon, dass die Feststellung in dem Bericht auch nur eine Ankündigung ist, wird unter Punkt 4.1.3 bei der frühkindlichen Bildung formuliert, ich darf zitieren: „Die Landesregierung weist darauf hin, dass ein Automatismus zwischen dem demographischen Wandel einerseits und der Forderung, die Ressourcen nicht zu reduzieren, nicht gesehen wird.“ Ende des Zitats.
Ja, meine Damen und Herren von der Landesregierung, was ist denn nun richtig? Offensichtlich hängen zusätzliche Mittel aus der sogenannten demografischen Entwicklung auch immer vom Fachbereich ab. Im Bereich der frühkindlichen Bildung wird in der Stellungnahme erklärt, dass die Betreuungszahlen in den Kindertagesstätten nicht rückläufig sind, wenn die Betreuungszahlen wirklich zurückgehen, über den Einsatz der Finanzmittel politisch zu entscheiden ist und dass eine Weiterentwicklung und Verbesserung qualitativer Standards nur dann erfolgen kann, wenn diese finanziell untersetzt werden. Wenn so der öffentlichkeitswirksam gepriesene Aufstieg durch Bildung dann in der Praxis in Einzelressorts zerfällt, wird wohl von dem bildungspolitischen Gesamtansatz nichts übrig bleiben.
Offen bleibt im Übrigen auch, wie im Land denn das Ziel umgesetzt wird, bis zum Jahr 2015 dann zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts für Bildung auszugeben.
Es ist völlig offen, ob der Doppelhaushaltsentwurf 2010/2011 die entsprechenden Voraussetzungen für das Erreichen des Ziels bis 2015 bei uns im Lande überhaupt schafft. Und man darf deshalb auch gespannt sein, wie sich die Empfehlungen der KiföG-Novelle des Sozialministeriums und in der Bildungskonzeption der Kinder im Alter von 0 bis 10, die ja im Moment auch in der öffentlichen Diskussion – was ich gut finde – erarbeitet wird, wiederfinden. Das Konzept soll ja dann ab 2011 fertig sein. Da ist aber die KiföG-Novelle, ich gehe mal davon aus, dass die Koalition das so macht, längst in Kraft. An diesen Beispielen zeigt sich also, dass eine Trennung von Zuständigkeiten auch für Bildungsaufgaben immer problematisch ist.
Und auch in den anderen Bereichen der Empfehlung geht die Landesregierung bewusst unkonkret vor. Ich empfehle Ihnen die Lektüre. Solche Formulierungen wie „machen wir schon“, „konnte in einem Modellvorhaben erprobt werden“ – da fällt mir die Integration von benachteiligten Schülern ein, für die es keine weitere Förderung mehr gibt –, „ist Bestandteil einer zu erarbeitenden Bildungskonzeption“, „es wird ein Konzept erarbeitet“, „wäre eine Option“, „liegt in der Verantwortung des Bundes“ oder „dazu gibt es eine Arbeitsgruppe“ oder „wir richten eine Arbeitsgruppe ein“ zeigen das sehr deutlich.
Nun will ich zugestehen, dass die mittel- und langfristig angelegten Empfehlungen der Expertenkommission eine Herausforderung für die Bewertung und auch für Strategien zur Umsetzung darstellen. Die Zeitschiene zur Umsetzung geht sicher über die Legislaturperiode hinaus. Und ob die nächste Legislaturperiode als Realisierungszeitraum ausreicht, will ich auch mal nicht für definitiv erklären. Das ist gegenwärtig aus unserer Sicht nicht absehbar, weil es sich um längerfristige Prozesse der Gestaltung handelt. Das ist wohl klar. Aber ich muss zumindest doch ein grobes Zeitraster von kurz-, mittel- und langfristigen in Angriff zu nehmenden Fragestellungen thematisieren.
Es gibt seit Jahren die Kritik aus allen demokratischen Parteien, dass die Gestaltung eines chancengleichen und bedarfsorientierten Bildungssystems eine Herausforderung ist, die nicht in zeitlich begrenzten Legislaturperioden gelöst werden kann. Hinzu kommt, dass durch unterschiedliche politische Koalitionen unterschiedliche Sichtweisen und programmatische Ansätze vorhan
den sind. Das war im Übrigen einer der wesentlichen Gründe, warum wir uns damals alle gemeinsam für eine weitgehend parteiunabhängige Kommission entschieden hatten.
Meine Fraktion ging damals und auch heute davon aus, dass damit Empfehlungen für das Bildungssystem gegeben werden, die nicht parteipolitisch präferiert sind. Und es ist doch der unbestrittene Vorteil, dass die Expertenkommission aus exzellenten Wissenschaftlern und gestandenen Praktikern bestand, bei denen die gesellschaftlichen und pädagogischen Anforderungen an ein ganzheitliches Bildungssystem im Mittelpunkt standen. Ihr Auftrag lautete, auf der Basis einer Istanalyse Empfehlungen zu geben, die sich für die Gesamtheit des Bildungssystems pädagogisch, didaktisch, schul- und hochschulstrukturell für sinnvoll und praktikabel darstellen. Diese Empfehlungen liegen in hoher Qualität vor.
Worauf es jetzt ankäme, wäre, aus der Stellungnahme der Landesregierung ein Konzept für die Gestaltung des Bildungssystems in seiner Gesamtheit und unter Beachtung der gegenseitigen Bezüge seiner einzelnen Teile, und zwar kurz-, mittel- und langfristig, zu entwickeln. Das sollte sich zunächst vor allen Dingen auf die entsprechenden Entwicklungsziele und Entwicklungslinien beziehen und damit den Rahmen der Weiterentwicklung abstecken. Aktuelle und künftige Gesetzesvorhaben wären daran zu messen, ob sie diesen Ansprüchen gerecht werden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die vorliegende Entschließung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Über den Weg, die Methoden und die Zeitschienen sollten wir uns im Bildungsausschuss verständigen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Abschließend noch ein Vorschlag, der sich an den Bildungsminister richtet. Sie haben bei der Übergabe des Berichtes der Expertenkommission an den Ministerpräsidenten den anwesenden Mitgliedern der Expertenkommission angeboten, sie nochmals zu einem Gespräch einzuladen, nicht nur den Vorstand. Ich meine, die Stellungnahme der Landesregierung wäre eine gute Gelegenheit dazu. Es ist aus meiner Sicht eine zusätzliche Anerkennung der Arbeit der Kommission, wenn die Landesregierung den Expertinnen und Experten ihre Wertung der Ergebnisse auch in einem entsprechenden Gespräch mitteilt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte namens meiner Fraktion um Zustimmung zu dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag.
Herr Kollege Bluhm, Sie haben mich ja in Ihrer Rede mehrfach persönlich angesprochen und die Frage erörtert, warum wir also, was diese Stellungnahme der Landesregierung zum Bericht der Expertenkommission angeht, nicht schon längst in die Vollen gingen und das Kind nicht ordentlich adoptiert hätten. Sie haben dann aber selbst darauf hingewiesen, dass ich, glaube ich, im Moment der einzige Abgeordnete dieses Hauses bin, der dieser Expertenkommission angehört hat, und daraus
können Sie sich die Frage, die Sie sich gestellt haben, vielleicht auch beantworten. Da Sie mich ja im Hinblick auf die Möglichkeiten, politisch zu agieren, direkt angesprochen haben, wäre das ja jetzt einem Aufruf zur Selbstadoption gleichgekommen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zurufe von Barbara Borchardt, DIE LINKE, und Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)
Also Sie können davon ausgehen, dass selbstverständlich der Bericht der Expertenkommission permanent Gegenstand politischer Debatten in der Öffentlichkeit, in der Fraktion und zwischen den Koalitionären ist. Sie müssen sich ja nur mal die verschiedenen Pressemitteilungen der letzten Monate ansehen, dann können Sie daraus rekonstruieren,
Ja, da kann ich nur der Opposition anraten, ihrer Aufgabe nachzukommen und so was im Bildungsausschuss einfach auf die Tagesordnung zu setzen.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Michael Roolf, FDP: Oh! – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)
Wenn man das nicht macht, dann muss man sich nicht darüber beschweren, dass da quasi keine Debatte stattfindet.
Ich möchte aus meiner Sicht – wir diskutieren ja jetzt über die Stellungnahme der Landesregierung zu diesem Bericht, über den Bericht selbst haben wir ja schon einmal gesprochen – vielleicht zu drei Problemkomplexen noch mal etwas sagen.
Und, Herr Bluhm, Sie haben ja selber darauf hingewiesen, eigentlich kann man hier sehr schwer über diesen Bericht diskutieren aufgrund seines Umfangs und seiner Detailliertheit. Das ist nun wirklich eher eine Angelegenheit des Bildungsausschusses.
Ich finde in den Bereichen Kita, Schule und Hochschule folgende Punkte von besonderer Wichtigkeit und ich möchte auch meine Einschätzung der Meinung der Landesregierung hier kurz kundtun.
Im Kita-Bereich ist für mich die wichtigste Empfehlung, analog zur Schule zu einer individuellen Förderung zu kommen, das heißt, die Frage zu erörtern – im Schulbereich haben wir Kinder mit besonderem Förderbedarf –: Lassen wir ihnen besondere Ressourcen zukommen, um ihre Benachteiligung, für die sie nichts können, die sie aus ihrem Elternhaus oder wo auch immer her mitbringen, um diese Benachteiligung auszugleichen?
Und, Herr Bluhm, wenn Sie die Pressemitteilung der Ministerin Schwesig, die Pressemitteilung der SPD-Fraktion …
Ja, ja, sehen Sie, man trifft sich ja immer wieder. Sie können, wenn es so weit ist, die Pressemitteilung rausholen