Es wäre vielleicht eine günstige Variante, Herr Sozialminister und vielleicht auch Herr Schulte, wenn Sie sich mal vier Wochen in eine Hartz-IV-Familie begeben würden und dort am eigenen Leibe spüren würden, was Armut, was Menschenwürde oder Nicht-Menschenwürde bedeuten.
(Raimund Borrmann, NPD: So ist es. – Udo Pastörs, NPD: Sehr gute Idee. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)
(Raimund Borrmann, NPD: Da kann ich bloß zustimmen. – Udo Pastörs, NPD: Am besten in Neukölln in einer Familie!)
mit Betroffenen umzugehen beziehungsweise zu schreiben, wie Sie zu der Verteilung von Reichtum stehen.
Ich kann Sie nur auffordern, ganz konkret, Herr Minister, meine Damen und Herren von der Koalition, stimmen Sie zu, dass wir einen Armutsbericht hier im Land Mecklenburg-Vorpommern so schnell wie möglich auf den Tisch bekommen. Wir brauchen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, und zwar Maßnahmen, die sich auf konkretes Zahlenmaterial stützen.
Wenn Sie den Zahlen aus dem 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung nicht vertrauen, Herr Sellering, ist es wahrscheinlich wichtig, dass Sie wissen, Sie haben alle Unterstützung von uns, eigene Zahlen vorzulegen. Aber tun Sie es bitte und reden Sie nicht nur davon.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, Sie haben in den letzten Monaten häufig Anträge gestellt, in denen das Wort „Armut“ vorkommt. Ich denke, es ist an der Zeit, sich einmal klarzumachen, welche politische Aufgabe wir eigentlich im Zusammenhang mit dem Begriff „Armut“ haben. Sie haben eben gesagt, Aufgabe sei es, die Armut zurückzudrängen. Das geht nicht. Armut ist bei uns definiert als „unterhalb eines gewissen Medianeinkommens“. Diejenigen 40 Prozent, die, die darunter liegen, sind als arm definiert.
Wir alle wissen, dass arm in Deutschland etwas anderes ist als arm in Afrika. Wenn Sie allen hier im Land das Einkommen verdoppeln würden, würde sich die Zahl der Armen nicht verändern.
Die wichtige Aufgabe, die wir haben, ist, glaube ich, dass wir sehen müssen, dass bei denen, die 40 Prozent unterhalb dieses Medianeinkommens liegen, nicht die Schere so weit auseinander geht, dass man nicht davon leben kann.
Deshalb auch der Antrag, den ich eben erwähnt habe. Wir müssen natürlich Sätze von Sozialleistungen haben, mit denen man auskommen kann. Aber die politische Aufgabe, das will ich hier einmal deutlich sagen, besteht nicht in erster Linie darin, denen, die unterhalb eines bestimmten Einkommens liegen, einem Einkommenswert, der ja fließend ist – je mehr Geld die Oberen verdienen, desto mehr geht doch das Niveau auseinander, das ist fließend –, mehr Geld hinzuschaffen, sondern es geht darum, zu sagen: Was passiert mit diesen, die 40 Prozent darunter liegen? Haben sie chancengleiche Möglichkeiten, an unserer Gesellschaft teilzunehmen? Haben sie gleiche Chancen, dass aus ihren Kindern etwas wird?
Deshalb bitte ich sehr darum, dass wir hier in diesem Hohen Haus die wichtigen Debatten, die wir immer wieder führen, bei denen wir sehr dicht beieinander sind, nicht in erster Linie um Geld führen, sondern dass wir sie darum führen, um Folgendes zu klären: Wie können wir Chancen eröffnen? Wie können wir Leute teilnehmen lassen?
Es geht um Teilhabemöglichkeiten oder – um es Herrn Pastörs noch einmal zu sagen – um Partizipation in einem normalen Wort.
(Irene Müller, DIE LINKE: Das habe ich doch ganz deutlich gesagt. – Zuruf von Angelika Gramkow, DIE LINKE)
Meine Damen und Herren, und jetzt unter diesem Aspekt folgende Frage: Wie soll ein Armuts- und Reichtumsbericht aussehen?
(Irene Müller, DIE LINKE: Ich habe doch über Kindesbenachteiligung gesprochen. – Zuruf von Angelika Gramkow, DIE LINKE)
Ich glaube, da wird deutlich, dass es sich nicht um eine Ansammlung von statistischen Daten handeln kann und handeln darf,
sondern wir müssen die Daten sehr genau erfassen – das ist ein Anliegen der beiden Regierungsfraktionen – und sagen, das sieht doch jeder im Land, dass die Möglichkeiten der Partizipation unterschiedlich sind, und zwar je nachdem, wo man wohnt und wie das Umfeld ist. Da geht es nicht nur um das Geld im Portemonnaie der Eltern, sondern es geht um viele Faktoren. Es geht auch darum, diese Faktoren zu erfassen und einen Gesamtplan zu entwickeln, um zu prüfen, wie können wir denen, die größere Schwierigkeiten haben, helfen.
Deshalb muss es darum gehen, dass wir einen Armuts- und Reichtumsbericht haben, der die demografische Entwicklung genau erfasst. Auch bei der demografischen Entwicklung, über die wir viel gesprochen haben, wissen wir doch, dass sie hier im Land völlig unterschiedlich verläuft. Da wird man auch Wissenschaftler fragen müssen, wie sollen wir die Größen greifen, wo müssen wir genauer hinschauen und in welcher Region untersuchen wir denn jetzt die demografische Entwicklung.
(Irene Müller, DIE LINKE: Meine Güte! Wir wollen nicht nur darüber reden, wir wollen auch Zahlen haben. – Zurufe von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE, und Udo Pastörs, NPD)
Also in Greifswald, Stralsund, wenn Sie das als Pflaster nehmen, haben wir eher einen Zuwachs an Bevölkerung.
(Michael Andrejewski, NPD: In Stralsund gibt es auch Probleme. – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)
Es gibt andere Bereiche, in denen es riesige Probleme gibt. Ich war kürzlich in Eggesin, denn eine siebente Klasse hatte mich eingeladen. Und wenn es in diesem Land einen Ort gibt, der mit Grund sagen kann, die Entwicklung der letzten Jahre war so, dass ich Probleme habe, dann ist das Eggesin. Eggesin ist doppelt betroffen von zwei Entwicklungen, und zwar einmal vom Abbau des Standortes, wenn ich mich richtig erinnere, sind dort früher über 20.000 stationierte Soldaten gewesen, es wurde immer weiter abgebaut, und zweitens von der Entwicklung der Landwirtschaft. Es gibt riesige Schwierigkeiten dort. Ein ganz wichtiger Punkt, wenn wir uns mit Armut und mit weniger Chancen auseinandersetzen, ist, dass man konkret und genau hinschaut.
Natürlich ist es so, wenn in Eggesin Leute zusammensitzen, dass die Gefahr besteht, dass man die Lage beklagt. Aber da muss man genau hinschauen.
Diese Schulklasse, die ich besucht habe, ist betreut worden in einer Projektwoche, und zwar eine ganze Woche lang vom Regionalzentrum. Und eine ganz wichtige Sache, wenn man politisch fragt, wo stehen wir eigentlich, ist, mal ganz konkret Fakten zu sammeln.
Ich war sehr beeindruckt von dem, was ich dort in der Klasse vorgefunden habe, auch über die Diskussion mit der Klasse, in der sie zum Beispiel genau aufgelistet haben, wer denn in unserer Klasse von den Eltern arbeitslos ist.
In welchen Familien sind denn beide Elternteile in Arbeit? Wo sind besondere Probleme? Dann wurde zum Beispiel erfasst – und das ist, glaube ich, für niemand von uns eine Überraschung –, wie viel an Unterhaltungselektronik haben wir in den einzelnen Familien. Da fehlte es an nichts, das muss man auch so sehen. Aber das ist ja vielleicht nicht der Punkt, wo es um Teilhabe geht, sondern demografische Entwicklung, Familienstrukturen und die sozioökonomische Lage der Eltern. Welche Auswirkungen hat das auf die Kinder? Wir sind daran gewöhnt, zu sagen: Natürlich haben Kinder aus der und der Familie weniger Chancen. Hier ist eben ein bisschen hämisch gesagt worden, Minister dürften nicht über Armut reden. Ich bin nicht als Minister auf die Welt gekommen. Ich hatte vier Geschwister und einen Vater, der Alleinverdiener war.
(Irene Müller, DIE LINKE: Na, das ist ja auch schon ein paar Jahre her. Da galten andere Rahmenbedingungen.)
Können Sie sich vorstellen, dass ich schon eine gewisse Erfahrung habe, wenn man nicht im Überfluss lebt. Da braucht man, glaube ich, keine spektakulären Presseaktionen zu machen und zu sagen,