Protocol of the Session on June 5, 2008

Im Frühjahr 1982 versuchte dennoch der Leiter des Schauspiels Frankfurt Adolf Dresen das Stück auf den Spielplan zu setzen. Es gab ein Gespräch mit der Jüdischen Gemeinde und es gab keine Aufführung. Was es jedoch gab, war Geld für das Ensemble der alten Oper der Mainstadt. 370.000 D-Mark zahlte der Stadtkämmerer aus dem Steuersäckel für die Theaterproben, die schon stattgefunden hatten. Im Gegenzug mussten sich die Schauspieler verpflichten, bis nach der am 31.03.1985 stattfindenden Kommunalwahl in keiner Weise an Aufführungen des Stückes im Raum Frankfurt mitzuwirken, und dies bei Strafe auf Rückzahlung des Honorars.

1985, im September, gab es einen neuen Intendanten des Frankfurter Schauspiels, ein mutiger Mann, Günther Rühle sein Name, der sogleich den Fall Ignatz Bubis und Co zur Uraufführung bringen wollte. Gezielte Provokation oder Naivität? Fest steht, dass politischer Druck, ausgeübt von den Blockparteien FDP und CDU, nicht ausreichte, den Intendanten einknicken zu lassen. Selbst das gebieterische Verlangen der Women’s International Zionist Organisation, kurz WIZO, und des Zentralrats der Juden in Deutschland reichten nicht. Günther Rühle, in heutigen Zeiten undenkbar, blieb standhaft.

Am 31. Oktober 1985 kam es zum Versuch der Aufführung. 30 Personen – unter Beteiligung von Herrn Buch

witz und Michel Friedman – besetzten die Bühne und entfalteten ein Transparent mit der Aufschrift: ,Subventionierter Antisemitismus‘ gegen Herrn Fassbinder. Nach drei Stunden hebräischer, jüdischer, jiddischer Krakelei – Krakelerei, Entschuldigung – ließ der Intendant den Vorhang fallen.

Zu den Wenigen, die unmittelbar Flagge zeigten, gehörte der Ex-Europameister im Gewichtheben, der aus Frankfurt stammende Günther Roersch. Bei der durch Bubis und seinen Anhang verhinderten Erstaufführung forderte Roersch, der den späteren Zentralratschef der Juden auch gerne als Kapitalfaschisten bezeichnet, Zitat, auf Flugblättern in Anlehnung an Schiller: ,Sir, geben Sie Gedankenfreiheit‘ – oder ,Sir‘ hieß es wohl eher bei Schiller. Die beschränkte sich aufs Ausland.

Ab 1987 fanden Aufführungen des Stücks in New York, Stockholm, Malmö, Göteborg, Neapel, Kopenhagen und Mailand statt. Alle verliefen ohne Zwischenfälle. Die beschränken sich weitgehend auf Westdeutschland. Wohl um die Demokratie zu schützen, schmetterten Gerichte selbst Zivilklagen ab, und an eine Uraufführung ist in dieser Meinungsdiktatur nicht zu denken.

Der letzte ernsthafte Versuch, das Stück auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zu bringen, scheiterte 1998 am Berliner Maxim Gorki Theater nach sogenannten öffentlichen Protesten. In Wahrheit ging es um Kampagnen, die von einer zahlenmäßig kleinen, aber einflussreichen Minderheit systematisch geschürt wurden. Zuweilen wurde dabei zu recht eigentümlichen Methoden gegriffen: In Rotterdam kam es dabei 1987 zu einem Eklat, meines Wissens der einzige bei einer Fassbinder-Aufführung im Ausland. Der jüdische Schauspieler Jules Croiset, einer der Wortführer gegen eine Inszenierung, täuschte im Rahmen der Kampagne eine Entführung durch sogenannte Neonazis vor. Er behauptete, gefoltert und mit einem Hakenkreuz beschmiert worden zu sein. Als die Polizei den wahren Tatbestand aufdeckte, gestand Croiset überdies, Verfasser fingierter antijüdischer Drohbriefe gegen Aufführungswidersacher gewesen zu sein. Was es nicht alles gibt!

Das kennen wir. Von Neonazis in die Wangen geritzte Hakenkreuze haben in der BRD schon Zehntausende auf die Straße getrieben, bis sich herausstellte, dass es sich um Selbstverstümmelung handelte – natürlich für Toleranz und Demokratie, meine Damen und Herren.

Wir von der NPD meinen, dass das Fassbinder-Stück ,Der Müll, die Stadt und der Tod‘ hier in Schwerin zur Aufführung gelangen sollte. Wir würden uns wünschen, dass die Mitglieder der demokratischen Fraktionen, die sich so nennen, sich dieses ansehen sollten, denn ich bin mir sicher, dass der eine oder andere sich in dieser oder jener dargestellten Szene vielleicht selbst wiedererkennen könnte.“

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Und deswegen sollen wir Ihrem Antrag zustimmen, ja?!)

„Vorteilsnahme, Selbstbedienungsmentalität und Korruption...“

Ja, genau, deswegen sollen Sie unserem Antrag zustimmen.

„... grassieren auch hier in Mecklenburg-Vorpommern längst nicht mehr so offen wie seinerzeit im Frankfurter Westend. Das Ganze läuft viel subtiler ab. Das Volk wird

regelrecht durch eine Symbiose von Politik, Wirtschaft und Medien zur Ader gelassen.“

Genau: „Stimmen Sie unserem Antrag zu“, steht hier. Das lese ich hiermit vor. „Wir von der NPD werden Sie dann gerne zur ersten Vorstellung im Schweriner Staatstheater begleiten und Sie, meine hochverehrten Demokratinnen und Demokraten, zu einer öffentlichen Debatte über den Inhalt des Stückes einladen, falls Sie kommen sollten, bevor Sie dann später unseren Antrag wieder einmal ablehnen werden“

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ich glaube, Herr Kümmritz wird da sein Hausrecht ausüben. – Zuruf von Heike Polzin, SPD, und sich selbstzufrieden in Ihre Parlamentssessel sinken lassen. Noch eines: Wie wir alle wissen, beginnt der Fisch vom Kopf her zu stinken. Das würde der Regisseur Fassbin- der, der ja nicht mehr unter uns weilt, sicher mit unter- schreiben. Sein Werk ,Der Müll, die Stadt und der Tod‘ ist aktueller denn je, denn mit Müll benennen die Menschen mittlerweile auch die Politik in diesem Lande.“ Vizepräsident Hans Kreher: Herr Pastörs, Ihre Redezeit ist beendet. (Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Körner von der SPD.

(Udo Pastörs, NPD: Er hat mich wörtlich zitiert, also ist alles in Ordnung. – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Es ist alles in Ordnung.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Herzlichen Dank für Ihr Vertrauen, dass ich hier im Namen der demokratischen Fraktionen reden darf. Jetzt müssen Sie schon zu zweit kommen, um einen Antrag zu Ende zu bringen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

So ist das nun mal. Aber was für einen Antrag?! Mit einem hinterhältigen, perfiden Antrag wie diesem will die kleine Fraktion mit den großen Worten von sich reden machen. Und um es gleich vorwegzusagen: Dieser Antrag ist sachlich falsch, als Provokation schlecht, und deshalb werden wir ihn ablehnen.

(Udo Pastörs, NPD: Wo ist er sachlich falsch?)

Aber als Selbstauskunft ist er sehr erhellend und dies soll im Folgenden deutlich werden: Mangels eigener Substanz versucht die NPD, bei Rainer Werner Fassbinder und seinem Bühnenstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ Anleihe zu nehmen und das mithilfe einer Aufführung am Schweriner Theater gegen die nationalsozialistische Bücherverbrennung auszuspielen.

(Udo Pastörs, NPD: Was Sie alles wissen!)

Doch während …

So steht es in Ihrer Begründung. Aber Sie dürfen ja nicht mehr reden, Sie können nur noch schreien.

(Heike Polzin, SPD: Eigentlich auch nicht.)

Doch während die Nationalsozialisten Schriftsteller ermordeten

(Raimund Borrmann, NPD: So ein absurdes Theater hier.)

und Bücher verboten und verbrannten, ist Fassbinders Stück entgegen der Behauptung der NPD in der Begründung ihres Antrages nie verboten worden. Entgegen der Behauptung der NPD ist es nicht in Giftschränken verschwunden,

(Udo Pastörs, NPD: Es wird nur nicht aufgeführt.)

sondern als Buch und Film jedermann zugänglich.

(Udo Pastörs, NPD: Schauen Sie sich das mal an, das Ganze!)

Die NPD führt mit diesem Antrag also nicht die Freiheit des Künstlers oder der Kunst im Schilde. Und im Übrigen hätte sich Rainer Werner Fassbinder gegen die Unterstützung solcher Gesellen wohl

(Udo Pastörs, NPD: Das weiß ich nicht, ach, das weiß ich nicht.)

wortgewaltig, wie er war, eindeutig und drastisch verwahrt.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Genau. – Heike Polzin, SPD: Er wird sich im Grab umdrehen.)

Vielleicht hätte er auch ein Stück geschrieben über die Kontinuität von Brutalität und Betrug im Rechtsextremismus, von kahlrasierter Dummheit und Nadelstreifen.

(Udo Pastörs, NPD: Mann, oh Mann!)

Die NPD hat mit ihrem Antrag und dem Versuch der Instrumentalisierung Rainer Werner Fassbinders ein anderes Ziel. Doch da ich davon ausgehe, dass nicht alle Anwesenden das Stück kennen, zunächst noch ein paar Worte zu Wirkung, Bewertung, Inhalt und Chronologie. Einiges haben wir schon gehört, aber ich kann es besser sagen.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Zur Wirkung: Um die versuchte Aufführung des Stückes im Jahr 1985 in Frankfurt rankt sich der vielleicht größte Theaterstreit der BRD, der bis heute nachwirkt. Eine unglaublich erregte Debatte schlug hohe Wellen voller Aufruhr, Pathos und Zorn. In einem bis dahin unvorstellbaren Akt wurde die Bühne am geplanten Premierenabend besetzt, unter anderem von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, darunter Ignatz Bubis und andere ehemalige Häftlinge aus Auschwitz und Majdanek. Ein Transparent mit der Aufschrift „Subventionierter Antisemitismus“ wurde entrollt, das Drama des Stückes verdrängt vom Drama des Widerstreits „Freiheit der Kunst oder Antisemitismus“ oder, um es anders auszudrücken,

(Raimund Borrmann, NPD: Im Zweifelsfall der Antisemitismus. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD.)

„Freiheit der Kunst oder Verletztheit und Bitterkeit der Jüdischen Gemeinde“. Es gab politischen Streit in allen Fraktionen und dies strebt die NPD angesichts des Synagogenneubaus in Schwerin auch hier an.

Zur Bewertung: Ich zitiere Richard Herzinger aus der „Zeit“: „Um alle Gretchenfragen gleich am Anfang zu beantworten:“ – ich zitiere – „Ist ‚Der Müll, die Stadt und der Tod‘ ein antisemitisches Machwerk...? Nein. Trägt es

im Gegenteil Erhellendes über den virulenten Antisemitismus und Rassismus bei...? Nein. Darf man ein solches Stück spielen? Ja. Wenn’s denn überhaupt sein muß. Aber man wüßte doch... genauer, wozu eigentlich?“

(Raimund Borrmann, NPD: Wozu?)

Und ich zitiere Yoram Löwenstein, der das Stück 1999 in Tel Aviv aufführte, aus der „Welt“, Zitat: „Ich glaube nicht, daß Fassbinder ein Antisemit ist. Seine gesamte Arbeit spricht dagegen. ‚Der Müll, die Stadt und der Tod‘ ist ein dichterisches Stück. Er warnte vor einem unterschwelligen Antisemitismus, der in Deutschland schlummert.“ Zitatende.

Zusammenfassend lässt sich sagen, die Fachwelt ist sich einig, dass es kein antisemitisches Stück ist.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Es erhebt allerdings Antisemitismus zum Thema. Da das Stück wie erwähnt allgemein zugänglich ist, reduziert sich die Streitfrage darauf, ob eine Aufführung heute in Deutschland gut und nützlich ist, zumal namhafte Kritiker es künstlerisch und dramaturgisch nicht für das beste Stück Fassbinders halten. Sicher, auch heute ist Auseinandersetzung mit Antisemitismus geboten, doch die Freiheit der Kunst muss in Deutschland auch Grenzen akzeptieren.