Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich vorweg einmal erläutern, worüber wir hier eigentlich reden. In Mecklenburg-Vorpommern pendeln circa 480.000 Personen. Davon pendeln 64 Prozent mit dem eigenen Pkw. Das sind über den Daumen geschlagen 300.000 Betroffene. 14 Prozent der Betroffenen reisen mit Bus und Bahn. Das sind circa 70.000 Personen. Es ist also etwa jeder Vierte in Mecklenburg-Vorpommern von der Pendlerpauschale berührt. Ich denke, damit ist das Problem für uns eigentlich klar.
Mit der Aufforderung an die Landesregierung, die Rücknahme der Kürzung in der Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beim Bund zu erwirken, verfolgt die FDP-Fraktion ein wesentliches und bedeutsames Ziel. Wir müssen schnell wieder Rechtssicherheit für die Betroffenen in unserem Land,
im Grunde genommen für die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland, erreichen. Dieses Ziel ist mit den Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts und dem Saarländischen Finanzgericht innerhalb dieses Jahres bereits verloren gegangen. Die dort getroffenen Entscheidungen zielen sämtlich auf die Verfassungswidrigkeit der Kürzung der Entfernungspauschale ab. Die Kürzung der Entfernungspauschale verstößt demnach gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz. Bei der Einkommensverwendung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeit handelt es sich nicht um eine beliebige Einkommensverwendung. Dies begründet sich darin, dass der Arbeitnehmer bei Nichtdurchführung der Fahrten Gefahr läuft, seine Einkunftsquelle zu verlieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich vorweg eine Anmerkung zum Gesamtsachverhalt einfügen. Sie wissen ja, dass die Liberalen für eine vollständige Vereinfachung des Steuersystems eintreten. Allein diese eine von mehr als circa 400 Steuervergünstigungen im Deutschen Steuerrecht zeigt doch, dass es einer generellen Überarbeitung bedarf.
An dieser Zielsetzung hat sich für die FDP-Fraktion auch mit dem vorliegenden Antrag nichts geändert. Es ist kein Versuch, an einem unvollkommenen System umherzureparieren, es ist der Versuch, das Minimale an Möglichkeiten zu erreichen, und das ist unter anderem der Punkt Rechtssicherheit.
Das ist der Anspruch, den unserer Auffassung nach Politik haben sollte, den Bürgern Rechtsfrieden zu verschaffen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren der Regierungskoalition, mit der Zustimmung zu unserem Antrag zeigen Sie auf der einen Seite, dass Sie den Willen zur Rechtssicherheit – ich habe es eben gesagt – für die Bürger unseres Landes haben. Mit einer Ablehnung unseres Antrages zeigen Sie jedoch etwas ganz anderes. Sie zeigen, dass Sie trotz der Entscheidung der Gerichte und der aktuellen Entwicklung im Bund keine Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger des Landes Mecklenburg-Vorpommern erreichen wollen.
Selbst der Bundesfi nanzhof zweifelt seit dem 23.08. dieses Jahres ernstlich daran, dass die Streichung der Pendlerpauschale mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Im Auftrag des Bundesfi nanzhofs prüft daher derzeit das Bundesverfassungsgericht, ob der Gesetzgeber die Fahrtkosten für die ersten 20 Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsplatz anerkennen muss oder nicht. Die endgültige Entscheidung fällt voraussichtlich aber erst 2008. Um ihre Ansprüche zu wahren, müssen die Betroffenen die Entfernungspauschale bei der Steuererklärung für 2007 daher unbedingt ab dem ersten Kilometer geltend machen.
Für viele Steuerpfl ichtige stellen die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz einen der größten Abzugsposten in ihrer Steuererklärung dar. Pro Tag und Entfernungskilometer wurden bis einschließlich 2006 0,30 Euro als Werbungskosten anerkannt. Ab dem Steuerjahr 2007 hat der Gesetzgeber die als Pendlerpauschale bekannte Regelung jedoch außer Kraft gesetzt. Im entsprechenden Gesetz heißt es jetzt nur noch lapi
dar: „Keine Werbungskosten sind die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten.“ Als eine Art Entgegenkommen für die Bürgerinnen und Bürger, die besonders weite Wege zur Arbeit zurücklegen müssen, hat der Gesetzgeber allerdings ein Trostpfl aster eingefügt. Demnach dürfen die Kosten ab dem 21. Entfernungskilometer wie bisher gnädigerweise wie Werbungskosten geltend gemacht werden.
Ich erwähnte es bereits, dass im Auftrag des Bundesfi nanzhofs daher das Bundesverfassungsgericht die Gesetzeslage prüft. Da bis zur endgültigen Entscheidung schon viele Steuerbescheide für 2007 erlassen sein werden, haben die obersten Finanzbehörden von Bund und Ländern jetzt die Verwaltungspraxis in der Übergangszeit geregelt. Die Finanzämter müssen den ungekürzten Fahrtkostenfreibetrag ab sofort auf der Lohnsteuerkarte 2007 eintragen. Steuerpfl ichtige können den dafür erforderlichen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung für das laufende Jahr noch bis November stellen – damit ist unser Antrag heute ja im Grunde fast aktueller als die Aktuelle Stunde der Linkspartei gestern –,
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Quatsch, dass gibt’s ja gar nicht.)
obwohl das Gesetz diesen Anspruch nicht vorsieht. Falls ihr Antrag auf Eintrag des vollen Freibetrags bereits einmal abgelehnt worden ist, können sie dagegen Einspruch einlegen und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen. Die Finanzämter sind angewiesen, diesen Anträgen unbürokratisch stattzugeben. Spannend ist, dass das Bundesfi nanzministerium zugleich bemerkt, dass bei Inanspruchnahme der Lohnsteuerermäßigung Nachzahlungen drohen, falls das Verfassungsgericht die Kürzung der Pauschale letztlich doch für rechtmäßig erklärt. Für die Betroffenen gilt jedoch, teuerer kann es für sie unter dem Strich ohnehin nicht werden. Vor allem müssen sie nicht etwa, wie behauptet, mit Strafzinsen rechnen, wenn sich bei ihnen eine Steuernachzahlung ergibt.
Das Problem besteht jedoch weiterhin darin, dass derjenige, der dem Staat an der Stelle vertraut hat, unter Umständen bestraft wird, da er nachträglich nicht in den Genuss von Steuerrückerstattung kommt.
Voraussetzung für eine nachträgliche Steuererstattung ist, dass sie die Fahrtkosten – ich habe es vorhin schon mal gesagt – in voller Höhe vermerkt haben. Gutgläubige und gesetzestreue Bürger mit Fahrtwegen bis zu 20 Kilometern, die darauf verzichten, kommen nicht in den Genuss eines für sie positiven Urteils. Falls den Betroffenen dieses Ärgernis aber erst auffällt, während sie bereits ihren Steuerbescheid in den Händen halten, dann haben sie zwar noch eine letzte Chance – sie können Einspruch gegen den Steuerbescheid einlegen, weil sie selbst etwas falsch eingetragen haben oder vergessen haben –, aber ab Erhalt des Steuerbescheids haben sie dafür nur noch vier Wochen Zeit. Mit Rechtsfrieden hat der derzeitige Zustand also überhaupt nichts mehr zu tun. Ich denke, dass wird jeder relativ leicht nachvollziehen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade in einem Flächenland, in dem das Pendeln wichtig ist und wir alle erwarten, dass die Bürgerinnen und Bürger fl exibel und beweglich sind und ihre Arbeit auch in entfernten Regionen wahrnehmen, müssen wir alles dafür tun, dass die Flexibilität aufrechterhalten und nicht eingeschränkt wird. Es muss somit für alle Vertreter dieses Hauses ein Interesse daran bestehen, und das zum Wohle unseres Landes. Die Liberalen fordern daher alle Mitglieder des Landtages auf, diesen von uns gestellten Antrag zum Wohle des Landes und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger des Landes zu unterstützen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP hat heute nicht nur ein aktuelles Thema mit ihrem Antrag auf die Tagesordnung gebracht, sondern auch durchaus ein sehr wichtiges Thema, von dem viele Menschen betroffen sind. Insofern ist es durchaus ein guter Antrag. Die Zahl von 480.000 Pendlern in Mecklenburg-Vorpommern ist das eine. Es geht insgesamt um 16 Millionen Pendler in Deutschland, die von dem Thema betroffen sind, denn es ist natürlich kein landespolitisches Thema, es ist in erster Linie ein bundespolitisches Thema. Insofern sind es bei aller Wertschätzung des Landtages von MecklenburgVorpommern erst einmal Erwartungen. Wir könnten hier heute große Bundespolitik machen, um etwas zu relativieren. Unabhängig davon sollte man das nicht gering schätzen, wie wir uns hier heute positionieren. Es ist also völlig klar, denn es geht darum, dass den Menschen, die sich das in der Regel nicht aussuchen konnten, sondern gezwungen sind, von ihrer Wohnstätte zur Arbeitsstätte zu pendeln, eine sehr hohe Mobilitätsbereitschaft abverlangt wird.
Insbesondere bei uns im Land gibt es viele, es sind über 70.000, die aus dem Land herauspendeln, die weitaus mehr als 20 Kilometer zurücklegen müssen, um an ihre Arbeitsstätte zu kommen. Und deswegen ist es seit Längerem so, die Geschichte der Entfernungspauschale ist ja schon relativ lang, dass etwa die Hälfte aller Pendler – das sind circa acht Millionen in Deutschland – zu Recht fi nanzielle Unterstützung bekommen in den verschiedensten Formen, ich komme noch einmal darauf zurück, für diese für sie sehr schwierige Situation, und sie in erheblichem Maße Geld von der Steuer absetzen können, in dem Falle in der Regel bezogen zumindest aktuell auf die Lohnsteuer. So weit zum Sachverhalt.
Etwas zur Geschichte, denn die Geschichte der Pendlerpauschale, ich bezeichne sie jetzt aktuell so, ist ja sehr wechselvoll. Ich gehe jetzt mal nicht zurück bis in die 80er oder 90er Jahre, sondern beziehe mich einfach nur auf die letztere Geschichte, die den ersten prägnanten Tag mit dem Jahr 2001 hatte, denn im Jahr 2001 wurde die bis dahin reine Kilometerpauschale, die nur für Autofahrer galt, abgeschafft beziehungsweise ersetzt durch eine
Pendlerpauschale, die als einheitliche Entfernungspauschale für alle galt, unabhängig von dem zu nutzenden Verkehrsmittel. Das war schon in 2001 ein ganz entscheidender Einschnitt, wenn man so will, ein durchaus weitreichender Systemwechsel an der Stelle. Es war aber auch verbunden mit einer Kürzung dessen, was letztendlich den Betroffenen erreicht, bis zum zehnten Kilometer 36 Cent und ab elf Kilometer 40 Cent. Das wurde dann im Nachhinein 2004 noch einmal verschlechtert einheitlich auf 30 Cent, praktisch vom ersten Kilometer bis zu dem, den man letztendlich hier nachweisen konnte.
Bei der Geschichte der Entwicklung der Pendlerpauschale an dieser Stelle, das muss man natürlich deutlich sagen, das erkennen wir gerade auch an der Situation aktuell, waren übrigens alle demokratischen Parteien beteiligt. Ob Rot-Grün, ob CDU/CSU oder FDP noch in Regierungsverantwortung im Bund und auch danach in den Ländern waren wir alle daran beteiligt, denn dieser Bereich ist natürlich zustimmungspfl ichtig. Im jeweiligen Bundesrat war das auch Gegenstand von Debatten und letztendlich Entscheidungen.
(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Wir haben aber nicht zugestimmt. – Toralf Schnur, FDP: Aber das Schreiben kam von euch. Das Schreiben kam von der SPD.)
Ja, ich habe auch insgesamt die Geschichte dargestellt und will deutlich sagen, dass dieses komplizierte Thema schon eine Herausforderung für alle demokratischen Parteien war, für DIE LINKE vielleicht eher weniger, aber alle anderen, glaube ich, waren sehr stark daran beteiligt.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Michael Roolf, FDP: Sie haben schon den Mindestlohn.)
Wie ist jetzt die aktuelle Situation? Der Abgeordnete Schnur hat es bereits gesagt, noch einmal hier zur kurzen Klarstellung: Wir haben also ab 01.01.2007 diese Regelung, die generell mit 30 Cent gilt, aber erst ab dem 21. Kilometer, also Kilometer 0 bis 20 sind herausgenommen worden, und insofern ist dieser Teil des Steueränderungsgesetzes von CDU und SPD schon zu Zeiten der Großen Koalition im Jahre 2006 beschlossen worden. Nicht ganz unwichtig ist in dem Zusammenhang der Bundesrat. Ich sagte es bereits, der Bundesrat muss beteiligt werden. Er hat am 07.07.2006 entschieden, MecklenburgVorpommern hat nicht zugestimmt.
Mecklenburg-Vorpommern hat nicht zugestimmt, auch deswegen, weil unserem Land, der damaligen Regierung schon klar war, was dieses Thema insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes bedeutet. Wie Landesregierungen, in denen die FDP beteiligt war, zum damaligen Zeitpunkt gestimmt haben, ist mir nicht bekannt.
Ich hätte gern etwas dazu gesagt, aber ich bin eher vorsichtig. Wenn ich persönlich etwas nicht belegen kann, halte ich mich zurück. Aber dazu kann vielleicht der Kollege der FDP anschließend noch etwas sagen.
Jetzt muss natürlich noch einmal klargestellt werden, warum es diese Kürzung der Kilometer 0 bis 20 gibt. Es waren im Wesentlichen zwei Gründe. Der erste wird wahrscheinlich aus unserer Sicht wenig nachzuvollziehen sein, aber da es hier um Bundespolitik geht, möchte ich es trotzdem nennen. Im Interesse von Metropolen, im Interesse von Ballungsgebieten kann es logischerweise nicht sein, wenn praktisch durch eine relativ gut ausgestattete Pendlerpauschale der Drang derjenigen verstärkt wird, Metropolen zu verlassen und möglicherweise in die entsprechenden Siedlungsgebiete außerhalb von Metropolen zu ziehen.
Ich weiß, dieses Argument trifft für uns nicht zu. Ich nenne es hier nur so. Es geht hier um Bundespolitik. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Länder so ländlich strukturiert sind wie Mecklenburg-Vorpommern, dass zum Beispiel ein Land wie Hessen oder Nordrhein-Westfalen dieses Thema anders bewertet als MecklenburgVorpommern, wenn man zum Beispiel an die Metropole Frankfurt am Main denkt. Viel entscheidender war allerdings natürlich wieder mal das Geld bei dieser Entscheidung, denn man muss auch mal Klartext reden. Es ging um die Einsparung von 2,5 Milliarden Euro als Bestandteil von Konsolidierungsmaßnahmen, wie es so schön heißt, im Interesse des Bundeshaushaltes. 2,5 Milliarden Euro sollten und sollen damit eingespart werden. Darauf beruhen auch Absprachen von Koch und Steinbrück.
Für den Einzelnen bedeutet das konkret, ein Beispiel: Ein Durchschnittsverdiener, der 30 Kilometer zur Arbeit pendelt, muss bei dieser Neuregelung damit rechnen, dass er zum Jahresende 400 Euro weniger von der Einkommenssteuer abziehen kann oder mehr zahlen muss, als es vor dem 01.01.2007 der Fall war. Das mal als konkretes Beispiel.