Protocol of the Session on November 14, 2007

(Udo Pastörs, NPD: Das sieht man bei der Nationalmannschaft!)

Das Bundesverfassungsgericht wies zu Recht die Auffassung zurück, dass Staatsgewalt nur dann legitim sei, wenn sie von allen jeweils Betroffenen her legitimiert wäre. Vielmehr betonte es, dass allein das Staatsvolk als eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen die Staatsgewalt ausüben dürfe und die Zugehörigkeit zum Staatsvolk durch die Staatsangehörigkeit vermittelt wird.

(Udo Pastörs, NPD: Richtig, biologische Frage.)

Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz bestimmt, dass alle Staatsgewalt von eben diesem Volk ausgeht. Auch kommunale Selbstverwaltung, meine Damen und Herren Abgeordnete, ist Staatsverwaltung durch das Volk.

Meine Damen und Herren, ein Antrag auf Änderung dieses Grundgesetzes wäre nach meiner Kenntnis auch verfassungswidrig, denn die Artikel 1, 20 und 79 Absatz 3 des Grundgesetzes dürfen meines Wissens nach den Festlegungen der Verfassungsväter und -mütter eben nicht geändert werden.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der Fraktion DIE LINKE vorgelegte Entschließungsantrag endet nun mit der Aufforderung an die Landesregierung, sich im Bundesrat für die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige einzusetzen und dementsprechend der Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz zur Änderung des Grundgesetzes beizutreten, eine Änderung, die, wenn sie beschlossen würde, nachfolgend vom Bundesverfassungsgericht wieder aufgehoben werden müsste, da sie, wie eben dargelegt, gegen Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes verstieße.

Lassen Sie mich zur Abrundung noch Folgendes bemerken: Die Initiative zur Änderung des Grundgesetzes soll ja nicht etwa das Kommunalwahlrecht für Drittstaatenangehörige direkt im Grundgesetz regeln, sondern den Weg dafür ebnen, dass die Länder dieses Wahlrecht in ihrem Kommunalwahlrecht verankern können. Nun frage ich Sie: Eignet sich die Frage des Kommunalwahlrechts für Ausländer dafür, in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt zu werden? Das scheint mir doch äußerst zweifelhaft zu sein.

Die bereits angesprochene Frage, ob eine solche Regelung überhaupt verfassungsgemäß wäre, soll daher nicht der Diskussion in den Ländern überlassen bleiben, sondern die vorgeschlagene Grundgesetzänderung soll ausschließlich auf Bundesebene geführt werden. Und auf Bundesebene wird diese Diskussion auch geführt. Anfang Oktober haben der Rechts- und der Innenausschuss dem Bundesrat empfohlen, den von RheinlandPfalz vorgeschlagenen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes nicht in den Bundestag einzubringen. Der Bundesrat selbst hat noch nicht entschieden, da die Vorlage in der Sitzung Mitte Oktober von der Tagesordnung genommen wurde.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dann ist ja noch Zeit.)

Das weitere Schicksal dieser Vorlage ist also ungewiss. Und ob der gleichen Vorlage, dieses Mal Mitte Oktober von Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht, mehr Erfolg beschieden sein wird, bleibt abzuwarten.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal an den Anfang zurückkehren und meine Ausführungen mit dem Appell beenden, die Integrationsbemühungen

auf allen Seiten und durch alle Betroffenen, also unsere Gesellschaft wie auch die Migrantinnen und Migranten, zu verstärken! Es ist viel zu tun, aber die Sache ist die Anstrengung wert. Aber lassen Sie uns dabei die Frage nach dem Kommunalwahlrecht nicht an den Anfang stellen, sondern ans Ende, um den Migrationsprozess nicht überzubewerten. Das Wahlrecht sollte den Abschluss eines solchen Integrationsprozesses bilden und nicht an den Anfang gestellt werden. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Danke, Herr Minister.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Müller von der SPD.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von mir sehr geschätzte Innenminister hat gesagt und diese Ankündigung auch umgesetzt, dass er ein wenig grundsätzlicher argumentieren möchte. Ich möchte dies ebenfalls tun und mir zu diesem Zweck zunächst einmal einen kleinen historischen Exkurs erlauben.

Es gibt, meine sehr verehrten Damen und Herren, zwei epochale Ereignisse, die in der Geschichtswissenschaft und in der Politikwissenschaft als die Geburtsvorgänge des modernen demokratischen Staates angesehen werden. Das sind zum einen die Französische Revolution und zum anderen der Kampf der amerikanischen Kolonien um ihre Unabhängigkeit, woraus dann die Vereinigten Staaten von Amerika entstanden sind. Beide Ereignisse gelten nicht nur realgeschichtlich, sondern auch ideengeschichtlich, vor allen Dingen auch wegen ihrer Verbindung zu den klassischen Theorien des modernen demokratischen Staates, als besonders bedeutsam für unsere heutigen demokratisch strukturierten Staaten und Gesellschaften. Bei beiden Ereignissen stand am Anfang ein Gewaltakt, der aber historisch positiv bewertet wird. Bei den Franzosen war das der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 und bei den amerikanischen Kolonien war es die Boston Tea Party vom 16. Dezember 1773. Die englische Regierung und das englische Parlament hatten Zölle beschlossen, die ihre Kolonien zahlen sollten. Einfuhrzölle auf Tee! Jeder weiß, welche Bedeutung Tee für die englische Kultur hat.

(Zuruf von Raimund Borrmann, NPD)

Die Kolonisten hatten diese Gewohnheiten natürlich nach Amerika mitgenommen. Tee war etwas sehr Wichtiges, darauf sollten die Kolonisten Einfuhrzölle zahlen. Und an jenem 16. Dezember 1773 haben als Indianer verkleidete Kolonisten drei Schiffe gestürmt, haben den Tee, für den sie Einfuhrzölle zahlen sollten, ins Hafenbecken geworfen und eine Parole verbreitet, die daraufhin Geschichte gemacht hat. Es war die Parole „No taxation without representation“, also keine Besteuerung ohne Repräsentation. Gemeint ist natürlich die parlamentarische Repräsentation. Sie waren der Meinung – und das war ein fundamentaler Gedanke der demokratischen Revolution in Amerika –, dass diejenigen, die die Lasten einer Gesellschaft, eines Staates, eines Gemeinwesens tragen, bitte schön auch mitbestimmen müssen, welche Lasten es sind und was mit dem Geld geschieht.

(Raimund Borrmann, NPD: Da fragen Sie mal die Hartz-IV-Empfänger!)

Diese Siedler wollten damals keineswegs die Unabhängigkeit ihrer Kolonien. Sie wollten lediglich mitbestimmen,

welche solcher Zölle eingeführt werden beziehungsweise was mit dem Geld geschieht. „No taxation without representation“, wer zahlen muss, soll auch in der Lage sein mitzubestimmen. Das, meine Damen und Herren, war der Grundgedanke.

Jeder weiß, wie es weiterging: England reagierte hart bis zur Schließung des Bostoner Hafens. Am Ende mussten sie dann sehen, was sie davon hatten. Aber dieser Gedanke, dass diejenigen, die Teil unserer Gesellschaft sind, die die Lasten tragen, die die Steuern und Gebühren zahlen, die andere Abgaben zahlen, die natürlich im Umkehrschluss auch unsere Einrichtungen nutzen, unsere Straßen, unsere Kindergärten, unser Abwassersystem, bitte schön auch mitbestimmen wollen, welche Abgaben erhoben werden, in welcher Höhe und was damit getan wird, dieser Grundgedanke der Boston Tea Party, meine Damen und Herren, ist bis heute lebendig. Ich glaube, er ist bis heute richtig. Ich weiß, dass er in Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland nur unzureichend verwirklicht wird, da es Teile unserer Bevölkerung gibt, die zwar unsere Einrichtungen mitnutzen, unsere Abgaben mitzahlen, aber von der Entscheidung über alle diese Dinge ausgeschlossen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Dieses ist im Sinne der demokratischen Revolution in Amerika ein zu verändernder Zustand.

(Michael Andrejewski, NPD: Die Indianer haben noch viel teurer bezahlt. – Raimund Borrmann, NPD: Ja, die haben mit dem Leben bezahlt.)

Aber lassen Sie mich noch einen zweiten Gedanken hier vortragen, der erst auf den zweiten Blick etwas mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zu tun hat. Nicht nur grundsätzliche und historisch belegte Überlegungen, sondern auch ein Blick in die aktuelle Rechtswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland sollte uns nachdenklich machen. Wir reden von kommunaler Selbstverwaltung und ich gehöre zu denen, die sie ganz besonders hochhalten. Wir reden von Selbstverwaltung aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei unseren Sozialversicherungen. Bei den Krankenkassen, bei den Rentenversicherungsträgern gibt es sogenannte Sozialwahlen, in denen Entscheidungsgremien von den Versicherten gewählt werden, und alle die, die Versicherungsbeiträge zahlen, sind wahlberechtigt. Und kein Mensch, meine Damen und Herren, fragt nach dem Pass desjenigen, der hier Versicherungsbeträge zahlt, sondern jeder, der Beiträge zahlt, ist wahlberechtigt und dieses ist doch logisch.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ja. – Raimund Borrmann, NPD: Ein auf Geld gegründetes Gemeinwesen.)

Also, warum keine Übertragung auf andere Bereiche der Selbstverwaltung?

Oder nehmen Sie ein weiteres Gebiet, nehmen Sie das Betriebsverfassungsrecht. Wenn wir Betriebsräte wählen, übrigens auch im Personalvertretungsrecht, wenn wir Personalräte wählen, sind die dauerhaft beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahlberechtigt und wählbar, und zwar vollkommen unabhängig von ihrer Nationalität. Warum eigentlich nicht auf der kommunalen Ebene?

Und wenn wir noch einen Schritt weitergehen und ins Mitbestimmungsrecht schauen – der Türke, der in Köln bei Ford arbeitet, darf sehr wohl die Arbeitnehmervertreter nicht nur in den Betriebsräten, sondern vor allen Dingen auch in den Aufsichtsräten solcher mitbestimmter Unternehmen mitwählen, nur die Stadtvertretung von Köln darf er nicht wählen.

(Udo Pastörs, NPD: Sonst wird die rein türkisch.)

Ich frage mich, ob wir hier eine vernünftige Logik haben.

(Udo Pastörs, NPD: Die würden hier direkt die Moschee zum Parlament machen.)

Ich glaube, wir sollten uns sehr wohl überlegen, ob wir hier nicht das kommunale Wahlrecht auch an das Wahlrecht anderer wichtiger gesellschaftlicher Bereiche anpassen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Udo Pastörs, NPD: Das wollt ihr, das ist das Problem, und wir nicht.)

Und mit Verlaub – gelegentlich kann man sich ja fragen, wo eigentlich mehr gesellschaftliche Macht liegt, in der Stadtvertretung oder Gemeindevertretung einer deutschen Gemeinde oder in dem Aufsichtsrat eines Großkonzerns.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist allerdings wahr. Sehr richtig, sehr richtig.)

Bei der Gemeindevertretung dürfen solche Ausländer, über die wir hier reden, nicht wählen. Bei den Arbeitnehmerrepräsentanten im Aufsichtsrat dürfen sie. Wo, meine Damen und Herren, liegt hier die Konsequenz?

Und dann ein weiterer Gedanke: Ich habe dem Innenminister sehr genau zugehört und die Argumente, die er hier vorgetragen hat, sind auch nicht mit der Hand wegzuwischen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Gut.)

Das ist völlig richtig. Aber, meine Damen und Herren, ich habe damals, vor 20 Jahren, in den alten Bundesländern gelebt, das ist ja hinlänglich bekannt, und …

(Udo Pastörs, NPD: Noch ein Einwanderer.)

Also, Herr Pastörs, dass Andrejewski ein ausgesprochen arischer Name ist, den Eindruck habe ich ja nun auch nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Udo Pastörs, NPD: Aber germanisch, im Gegenteil! Aber germanisch! – Michael Andrejewski, NPD: Europäisch. – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Im Gegensatz zu Herrn Müller. – Udo Pastörs, NPD: Wenn ich Sie so anschaue, hab ich da auch so meine Zweifel mit dem Herrn Müller. – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Nun ist es gut. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Wir haben vor zwei Jahrzehnten eine ganz ähnlich gelagerte Diskussion um die Frage des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürger geführt. Und damals sind ganz ähnliche Argumente über das Thema „Was ist eigentlich Volk?“ und „Wer darf eigentlich die Geschicke in unseren Städten und Gemeinden durch seine Wahlentscheidung mitbestimmen?“ geführt. Die Argumente, wie ich sie heute gegen ein Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger höre, sind nahezu identisch bis zur Wortgleichheit

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Richtig.)

zu den Argumenten, die ich vor 20 Jahren gehört habe gegen ein Wahlrecht für Italiener, Spanier oder Niederländer.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Und deswegen, meine Damen und Herren, schauen wir uns doch einmal an, was dieses Wahlrecht für EU-Bürger für Folgen gehabt hat. Den Untergang des Abendlandes fantasieren nur einige unverbesserliche Ausländerhasser.

(Michael Andrejewski, NPD: Gehen Sie mal nach Kreuzberg!)