Protocol of the Session on March 16, 2011

Herr Abgeordneter Köster, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf, da Sie offensichtlich nicht bereit waren, meinen Hinweis hier zu akzeptieren.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Timm für die Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich habe zu Hause auf meinem Tisch ein Bild aus Fukushima in Japan liegen, seit einigen Tagen. Darauf sind zwei Männer zu sehen, die sich in weißen Anzügen, blauen Handschuhen und mit Mundschutz über ein Kind beugen. Der eine der beiden hält mit lang ausgestrecktem Arm einen Geigerzähler gegen den Brustkorb dieses kleinen Jungen. Der Junge reißt seine Arme in den Himmel und guckt diesem Mann mit entsetzten Augen ins Gesicht. Und ich frage mich: Wer trägt eigentlich die Verantwortung dafür, dass möglicherweise diesem Jungen seine Gesundheit und, was keiner hoffen mag, vielleicht auch sein Leben genommen ist? Ich meine, wir müssen in diesen Tagen noch viel mehr bei den Bildern und den Nachrichten aus Japan aushalten, bevor wir uns fast hyperaktiv in die Tagespolitik begeben.

(Michael Roolf, FDP: Sehr richtig.)

Aber wenn schon Tagespolitik gewünscht ist, Herr Roolf, von der FDP, Sie haben den Antrag ja gestellt, dann lassen Sie uns debattieren.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das war ja eigenartig. Darüber will er nicht reden.)

Die Debatte wird von zwei Lagern beherrscht: die einen, die aufgrund ihres gesunden Menschenverstandes vor den Risiken der Atomkraft, besonders nach Tschernobyl, auch heute, da gebe ich Ihnen völlig recht, gewarnt haben, mit allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die den Ausstieg aus der Atomkraft und der konventionellen Energiewirtschaft wollen und die mit aller Kraft die Energiewende zugunsten der erneuerbaren Energien einleiten wollen, und die anderen, die erst durch diese so unermessliche Katastrophe, die auch in diesem Bild zum Ausdruck kommt, vor den Risiken der Atomkraft warnen, die jetzt plötzlich sieben Reaktoren vom Netz nehmen können und mit aller Kraft nun die Energiewende einleiten wollen.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sie sagen, das geht, ohne dass wir Probleme kriegen.)

Zu den Letzten, Herr Kollege Methling, gehören auch die Bundeskanzlerin, von ihrer Herkunft ja Physikerin,

(Irene Müller, DIE LINKE: Kernphysikerin!)

und weite Teile der CDU, der FDP und der CSU. Ich frage mich: Welchen Preis müssen wir heute noch bezahlen, bis wir zu einer vernünftigen, menschlichen und zukunftschaffenden Energiepolitik finden?

Die Aufkündigung des rot-grünen Energiekonsenses aus dem Jahr 2000, der einen geordneten Ausstieg, Herr Caffier, und keinen sofortigen Ausstieg, da gibt es einen kleinen, aber wichtigen Unterschied, aus der Atomenergie und mit dem Einstieg in das Erneuerbare-EnergienGesetz auch den Einstieg in die erneuerbaren Energien organisiert hat, diese Aufkündigung war vor allem eine Aufkündigung des gesellschaftlichen Konsenses in dieser energiepolitischen Frage. Sie hatte damals bereits ihren Preis, nämlich sehenden Auges einen Dissens in dieser Gesellschaft zu dieser energiepolitischen Perspektive zu erzeugen. Heute haben die Parteien, die die Bundesregierung tragen, nicht nur ihr Vertrauen, sondern auch ihre Glaubwürdigkeit in dieser energiepolitischen Frage verloren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Im September 2010 – und das ist aus meiner Sicht im höchsten Maße tragisch – im Zuge der Verhandlungen um die Lauf zeitverlängerung der Atomkraftwerke, erklärt die Bundeskanzlerin, ich zitiere: „Sicherheit hat maximalen Vorrang“, Ende des Zitats. Dann, nach den Unterschriften, wurde ein Sicherheitspaket für 500 Millionen Euro bekannt.

Kostet die Sicherheit an den deutschen Atomkraftwerken mehr, kann die Atomwirtschaft den Betrag von den Überweisungen abziehen, die sie dem deutschen Staat mit der Laufzeitverlängerung zugesagt hat. Und heute wird ein Moratorium von drei Monaten durchgesetzt, um die Sicherheit an den deutschen Kernkraftwerken zu überprüfen. Da muss doch die Frage erlaubt sein: Sind unsere Kraftwerke in Deutschland nun sicher oder sind sie es nicht?

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Helmut Holter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Und die Frage ist nicht, meine Damen und Herren, und die Frage darf auch nicht sein, ob unsere Kraftwerke relativ sicher sind, die oft gestellt wird, sondern konkret: Gegen welche konkreten Risiken sind unsere Kraftwerke, die Atomkraftwerke in Deutschland nicht abgesichert?

Der Ministerpräsident aus Bayern, Herr Seehofer, erklärt, wenn ein Flugzeug im Umfeld des Franz-Josef-StraußFlughafens in München auf eines seiner Atomkraftwerke an der Isar stürzen würde, könne es einen GAU vergleichbar zu dem von Fukushima geben. Da fragt man sich doch: Welche weiteren Risiken sind außerdem unabgesichert an den deutschen Atomkraftwerken?

(Michael Roolf, FDP: Und den Zwischenlagern.)

Und an den Zwischenlagern.

(Michael Roolf, FDP: Ja, ja. Da war doch noch was.)

Welche Erdbebenstärke ist es denn? Welche Kühlprobleme können auftreten in heißen und trockenen Sommern, wie man es gelegentlich liest, auch gerade im Nachbarstaat Frankreich? Welche Terrorgefahren können für diese Unsicherheitsfaktoren eine Rolle spielen? Ich kann nur sagen, wir brauchen diese Katastrophen

nicht, wir brauchen unseren gesunden Menschenverstand, um eine nachhaltige und humane Energiepolitik auf den Weg zu bringen. Das haben wir in der Verantwortung für unsere Kinder und Enkelkinder zu tun.

Die Erkenntnisse, meine Damen und Herren, liegen alle auf dem Tisch. Wenn ich mir die Informationen der Bundesregierung ansehe, zum Beispiel auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums, dann darf ich zitieren aus einem Gutachten über die energiepolitischen Perspektiven in Deutschland. Ich zitiere: „Signifikante Laufzeitverlängerungen oder neue Kohlekraftwerke sind für den Übergang“ – nämlich in das erneuerbare Zeitalter – „nicht nötig.“ Das sagt die Bundesregierung.

(Rudolf Borchert, SPD: Ja, aber nur das Umweltministerium.)

Energieeffizienz ist die eigentliche Brückentechnologie für eine vollständige Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien, alles Informationen aus der Bundesregierung,

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

die sie aber offensichtlich für ihre eigene Handlung nicht zur Erkenntnisleitung an die Hand nimmt. Da darf man sich doch fragen: Wer hat hier denn eigentlich den Taktstock in der Hand? Hier regiert nicht die gesunde Erkenntnis, die zum Beispiel auch gespeist wird vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, sondern offensichtlich die Lobby der alten und überholten Energiewirtschaft. Wenn eine Schlussfolgerung berechtigt ist – und, Herr Roolf, wir wollen ja über die Herausforderungen reden –, dann die, dass wir hier, auch gerade in Mecklenburg-Vorpommern, alle erneuerbaren Ressourcen nutzen müssen, um so schnell wie möglich erneuerbare Energie zu erzeugen und zu exportieren, damit Deutschland in der Lage ist, genau wie wir in Mecklenburg-Vorpommern, seine Kraftwerke abzuschalten.

(Michael Roolf, FDP: Zwischenzu- speichern und zu transportieren.)

Das war eine ganz wesentliche Erkenntnis aus diesem heutigen Tag. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Timm.

Ich schließe die Aussprache.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, von der Fraktion DIE LINKE liegt Ihnen auf Drucksache 5/4219 ein Antrag zum Thema „Unverzüglich und unumkehrbar aus der Atomenergienutzung aussteigen“ vor. Auf Wunsch der Antragsteller soll die Tagesordnung um diesen Antrag erweitert werden. Gemäß Paragraf 74 Ziffer 1 unserer Geschäftsordnung kann diese Vorlage beraten werden, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Landtages die Dringlichkeit bejahen. Zugleich muss die Einreihung in die Tagesordnung beschlossen werden. Wird das Wort zur Begründung der Dringlichkeit gewünscht?

(Wolfgang Griese, DIE LINKE: Ja.)

Herr Abgeordneter Griese, bitte schön.

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Peter Ritter, DIE LINKE: Hört euch doch unsere Argumente erst mal an! – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Die Argumente haben wir doch schon gehört. – Torsten Renz, CDU: Wir können doch lesen. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.)

Entschuldigung, dann ist das so nicht im Zusammenhang gesehen worden. Dann werden wir über diesen Dringlichkeitsantrag nach der Auszeit befinden.

Ich unterbreche die Sitzung auf Antrag der Fraktion der CDU für eine Viertelstunde. Wir setzen die Sitzung um 11.15 Uhr hier fort.

Unterbrechung: 11.01 Uhr

(Die Dauer der Unterbrechung wird zwischenzeitlich verlängert.)

Wiederbeginn: 11.32 Uhr

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn unser Gong immer noch sehr dezent im Hintergrund zu hören ist, heißt es doch, dass wir die Sitzung jetzt fortsetzen wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, von der Fraktion DIE LINKE liegt Ihnen auf Drucksache 5/4219 ein Antrag zum Thema „Unverzüglich und unumkehrbar aus der Atomenergienutzung aussteigen“ vor. Auf Wunsch der Antragsteller soll die Tagesordnung um diesen Antrag erweitert werden. Gemäß Paragraf 74 Ziffer 1 unserer Geschäftsordnung kann diese Vorlage beraten werden, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Landtages die Dringlichkeit bejahen. Zugleich muss die Einreihung in die Tagesordnung beschlossen werden.

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Griese für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich sind wir alle von Bestürzung und Fassungslosigkeit gezeichnet von dem, was dort in Japan passiert, eine Katastrophe, besonders in dieser Triade von Erdbeben-, Tsunami- und Kernreaktorkatastrophe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen hierbei auch beachten und eigene Schlussfolgerungen über die Unbeherrschbarkeit der Atomkraft ziehen. Der Betrieb derartiger Verfahren zur Stromerzeugung ist unverantwortlich sowohl in Japan, in Deutschland wie in der ganzen Welt. Das Moratorium der Laufzeiten von drei Monaten ist aus unserer Sicht eine Farce und trägt nicht zur Lösung des Problems bei.

(Zuruf von Hans Kreher, FDP)

Eine wahre Umkehr.

Der Ausstieg aus der Kernenergie muss sofort beginnen und entsprechend über die Gremien eingeleitet werden. Hiermit meine ich Bundestag, Bundesrat und sicherlich auch eine Änderung des Grundgesetzes. Das begründet die Eile unseres Antrages.

Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, bitten, der Einordnung dieses Eilantrages in die Tagesordnung zuzustimmen. – Danke.