Protocol of the Session on January 28, 2011

Diesen Treffen war jeweils eine über einjährige Vorbereitungsphase mit Projektarbeit, Wettbewerben vorausgegangen, in die Tausende junge Menschen über Schulen, Jugendverbände oder zeitweilige Arbeitsgemeinschaften eingebunden waren. Prora wurde damals zum Kürzel für eine aktive, selbst gestaltete Kinder- und Jugendpolitik, die junge Menschen in das gesellschaftliche Leben einbindet und ihnen dabei gesellschaftliche Rahmenbedingungen schafft, selbst Verantwortung zu übernehmen, also aktiv zu werden.

In diesem Zusammenhang, lassen Sie mich daran erinnern, wurde im Jahr 2006 die Landesverfassung zugunsten der Mitwirkung und Mitgestaltung von Jugendlichen geändert. Jugendliche bekamen überdies das gesetzlich verankerte Recht der Mitwirkung in den kommunalen Jugendhilfeausschüssen. Und, wir erinnern uns, es wurden auch in dieser Zeit Kindergesundheitsziele bei Beachtung der Lebensräume der Kinder erarbeitet und der erste Kindergesundheitsbericht der Bundesrepublik Deutschland hier in Mecklenburg-Vorpommern vorgelegt.

Die genannten Erfahrungen aus der Jugendarbeit, aus der Debatte um das Kindertagesförderungsgesetz 2006 fanden Eingang in das Kinder- und Jugendprogramm der Landesregierung. Ja, und weil das alles so wichtig war und die soziale Ausdifferenzierung der Gesellschaft dank Hartz IV sich bereits 2006 abzeichnete, wurde zeitgleich, also im Sommer 2006, auf Anregung des Kinder- und Jugendministeriums das Landesjugendhilfeorganisationsgesetz geändert und der Paragraf 15 eingeführt, der da lautet, und jetzt gestatten Sie bitte ein Zitat:

„Die Landesregierung legt dem Landtag in der Mitte einer jeden Legislaturpe riode“

(Ralf Grabow, FDP: Das stimmt.)

„ein ressortübergreifendes und partizipativ gestaltetes Kinder- und Ju gendprogramm des Landes vor, welches unter Berücksichtigung einer Bestandsaufnahme und einer Wirksamkeitsanalyse bisheriger Maßnahmen, er stellt unter Einbeziehung externen Sachverstandes, insbesondere program matische Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Jugendhilfeinstrumente enthalten soll.“

Dieser strategische Ansatz der eben zitierten Norm unterscheidet sich deutlich von der defizitorientierten Vorgehensweise der jetzigen Landesregierung in der Kinder- und Jugendpolitik.

Meine Fraktion hat gesagt und sagt es auch heute ganz klar, Kinder und Jugendliche brauchen gesell schaftliche Rahmenbedingungen, die ihnen die kreative Entfaltung ihrer Persönlich keit ermöglicht. Anders als Herr Ministerpräsident, der leider nicht zugegen ist, anders als Frau Sozialministerin, die heute auch irgendwelche anderen Termine wahrnimmt,

(Zuruf von Minister Henry Tesch)

fra gen wir nicht: „Was können wir für Kinder und Jugendliche tun, die Probleme haben?“, und wir fragen auch nicht: „Was können wir für arme, sozial be nachteiligte Kinder aus sogenannten, wie es also in der Unterrichtung der Landesregierung heißt, bildungsfernen Familien tun?“ Nein, der auf Chancengleichheit orientierende Ansatz des Kinder- und Jugendprogramms lautete – und wurde damals auch so gesetzlich fixiert –: Was müssen wir als Gesellschaft leis ten, damit eben gar nicht Defizite, damit gar nicht arme, sozial benachteiligte Kinder heranwachsen, sondern was müssen wir leisten, um alle Kinder dieser Gesellschaft entsprechend ihrer persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu för dern? Also nicht die Armen herausfiltern, deren Defizite aufspüren, die Bevölkerung als passive Masse betrachten, der die Regierenden Gutes tun, sondern den Willen und deshalb das Konzept entwickeln, um gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die allen Kindern der Gesellschaft förderlich sind.

Ja, und deshalb sollte man also die Frage stellen, wenn man dieses Ziel formuliert hat: Wie lassen sich Bedingungen einer chancengleichen Entwicklung finanzieren? Reicht das vorhandene Geld oder reicht es nicht? Und wenn es denn nicht reicht, dann sollte man entscheiden, welchen Beitrag zur Finanzierung eines solchen Konzeptes die Vermögenden dieser Gesellschaft leisten können, sei es über Steuern oder eben Zuzahlungen.

Ausgehend von zehn Leitlinien, basierend auf den von mir eben genannten Erfahrungen, sollten mit dem Kinder- und Jugendprogramm vor allem die Chancengleichheit, die Partizipation und eine gesunde Lebensweise für Kinder und Jugendliche im Land gefördert werden. In den Bereichen Familie, Kindertageseinrichtung, Schule, Ausbildung und Freizeit sollten die Maßnahmen ansetzen und jedes Kind, jeder Jugendliche in seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden. Die Rahmenplanung und die vorschulische Bildung in den Kitas sollten weiterentwickelt, Bildung und Erziehung und Betreuung an den Schulen verbessert, die Landesinitiative Jugend- und Schulsozialarbeit mit dem Ganztagsschulprogramm zusammengeführt werden. Ausbildung und Beruf sollten frühzeitig im Schulunterricht Berücksichtigung finden, die Jugendlichen mit ihren Eltern frühzeitig dabei einbezogen und die Berufsfrühorientierung und Betriebspraktika sollten qualifiziert werden.

Es gab eine Ausbildungsplatzgarantie für alle Jugendlichen, die willens und geeignet waren, eine Ausbildung aufzunehmen. Die politischen Beteiligungsrechte für Jugendliche sollten unter anderem durch die Einführung des Wahlalters ab 16 Jahren für die Landtagswahlen ausgeweitet und insgesamt qualifiziert werden. Summa summarum: Für 479.000 Kinder und Jugendliche im Alter von bis zu 27 Jahren war mit dem Kinder- und Jugendprogramm eine Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation anvisiert, ihnen sollten Lebenschancen, Perspektiven eröffnet werden.

Im Herbst 2006 gab es dann einen Regierungswechsel. Auch die neue Lan desregierung unter Beteiligung der CDU hat sich Ziele gesetzt und im Koalitionsver trag fein säu berlich niedergeschrieben. Zum Beispiel findet sich in der Präambel der herausge hobene An spruch: Die Koalition will, und jetzt zitiere ich, „mit einer mutigen Familienpolitik Mecklenburg-Vor pommern“ in den fünf Jahren der Regierungszeit „zum familienfreundlichsten Land in Deutsch land ma chen“ – wobei Familienpolitik hier als Synonym für Kinder- und Jugendpolitik gebraucht wird.

Nun müssen wir feststellen, dass nicht alles, was im Koalitionsvertrag aufgeschrie ben ist, in die Tagespolitik einmündet, und andererseits, was in die Tagespolitik einmündet, nicht alles im Koalitionsvertrag aufgeschrieben wurde. Zum Beispiel wurde nicht im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, dass man zur Umsetzung der Elternbeitragsent lastung im Kita-Bereich die Mittel für die vorschulische Bildung um 3 Millionen Euro kürzen würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, es begegnen Ihnen sicherlich ebenfalls in Ihren Wahlkreisen gegenwärtig viele Klagen aus Kitas, denn so manche der in den letzten Jah ren bewährten kulturellen Angebote müssen wieder abgeschafft werden, weil das Geld nicht reicht. Sie sind einfach nach dem neuen Kindertagesförderungsgesetz nicht finanzierbar, Stichwort Musikschul verträge.

Man hat auch nicht im Koalitionsvertrag 2006 aufgeschrieben, dass man an den Schulen ein ministeriell verordnetes Chaos einführen wird. Man hat nicht aufgeschrieben, dass man die Förderung für schwerstmehrfachbehinderte Kinder erschweren wird. Man hat auch nicht verankert, dass man den Kreis derjenigen beschränken wird, die ein Landespflegegeld erhalten. Man hat auch nicht aufgeschrieben, dass man die Mittelzuweisung für die Kommunen kürzen wird.

Man hatte aber in der Nummer 219 Folgendes vereinbart: „Die Jugendkampagne Prora 06 wird mit dem Ziel einer Fortführung evaluiert.“ Ja, und da möchte man schon gern wissen, wie der Landesregierung, wie dem Kinder- und Jugendministerium, ja, auch dem Bildungsministerium dieser Flop mit circa 200 Teilnehmern gelingen konnte. Möglicherweise sehen so die Ergebnisse aus, wenn man die Bevölkerung lediglich als passive Größe, Kinder und Jugendliche als passive Elemente behandelt, deren Probleme, Defizite man beseitigen wolle, aber dabei vermeidet, an ihre kreativen Potenziale anzuknüpfen. Also interessante, attraktive Jugendpolitik sieht anders aus als dieses Prora-Event, das wir im letzten Sommer erlebt haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Verehrter Kollege Rühs! Bezug nehmend auf Ihre Pressemiteilung vom 18. Januar sei mir eine Ergänzung erlaubt unter Beachtung unseres Antrages: Wir als Fraktion DIE

LINKE wollen selbstverständlich nicht die Arbeit der Regierung machen. Es ist aber wohl unser verfassungsmäßiger Auftrag und auch unser Wählerauftrag damit, die Arbeit der Landesregierung zu kontrollieren und dort, wo sie sich nicht an die Gesetze hält, sie daran zu erinnern, dass es ihre Pflicht ist, Gesetze zu beachten.

Ja, erinnern Sie sich, schauen Sie einfach mal ins Grundgesetz! Herr Dr. Jäger, Herr Dr. Born sind ja immer hier so freundlich und erwähnen das Grundgesetz. Ich will es auch an dieser Stelle machen. Da gibt es nämlich keinen Begriff, den Sie immer mit Opposition und Koalition bezeichnen. Das Grundgesetz kennt – und analog kann man es ja jetzt auf den Landtag übertragen – den Bundestag, kennt den Bundesrat, kennt den Bundespräsidenten, kennt die Bundesregierung. Und wenn Sie über den Bundestag im Grundgesetz nachlesen, dann kennt es eben die Abgeordneten. Und diese Trennung Opposition/Koalition, das sollten Sie mal durchdenken, ob das mit dem Wählerauftrag, den uns hier die Verfassung gibt, vereinbar ist.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Schauen Sie doch mal in die Landesverfassung!)

Ich habe es gesagt, Herr Jäger, Sie können das analog zur Landesverfassung natürlich genauso feststellen.

Aber wir sehen diesen allgemeinen Auftrag, wir sehen uns also als Abgeordnete, die sich praktisch an die verfassungsmäßig vorgeschriebene Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns halten, und deshalb wie gesagt unser Antrag, denn das, was wir hier beantragen, ist gesetzlich verankert und hätte also in der Mitte der Legislatur vorgelegt werden müssen.

Es kann summa summarum nicht vom Willen eines Ministers oder einer Ministerin – also einer Person – abhängen, ob ein gesetzlicher Auftrag erfüllt wird, denn bei Gott, wir leben ja nicht mehr im Feudalismus, und in der bürgerlichen Demokratie wollen wir uns an Gesetze halten. Und in diesem Zusammenhang fordern wir Sie als Landesregierung auf, Ihrem Gesetzesauftrag unverzüglich nachzukommen und dem Landtag das kinder- und jugendpolitische Programm, das nun also bereits seit mehreren Jahren fällig ist, hier in dieser Legislatur vorzulegen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Dr. Linke.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Die Ministerin für Soziales und Gesundheit wird vertreten durch den Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herrn Tesch. Herr Tesch, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKIE fordert mit ihrem Antrag die Landesregierung auf, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, in der Mitte der Legislatur ein Kinder- und Jugendprogramm vorzulegen.

Bevor ich hier konkret auf diesen Antrag und auf diesen Auftrag eingehe, lassen Sie mich Folgendes erklären: Tief greifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft haben ihre Auswirkungen auf die Lebensverhält

nisse von Kindern, Jugendlichen und natürlich auch Familien. Und jungen Menschen bietet sich heute eine Vielfalt an Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten, die von ihnen häufig mit hohem Engagement und Einsatzbereitschaft in humanitären und sozialen Bereichen oder auch auf sportlichen und ökologischen Feldern verantwortlich genutzt werden. Diese Freiheiten stellen aber auch hohe Anforderungen an die Entscheidungsfähigkeit gerade junger Menschen. Umso mehr brauchen sie sozialen Rückhalt und verlässliche Leitlinien, um ihren Weg in ein sinnvolles und erfülltes Leben zu finden.

Der zunehmenden Orientierung an Besitz und auch an Konsum sowie einem übersteigerten Individualismus gilt es eine Politik entgegenzusetzen, die sich an den Prinzipien der Eigenverantwortung, der Solidarität und der Subsidiarität ausrichtet und jungen Menschen bei der Suche nach ihrem Platz – und insofern, glaube ich, ist die Familie ein ganz wichtiger Platz – in Familie, Beruf und Gesellschaft die nötige Hilfe zur Selbsthilfe und die Sicherheit einer verlässlichen Werteorientierung gibt.

Die Landesregierung will dazu beitragen, dass junge Menschen befähigt werden, ihr Leben selbstständig und eigenverantwortlich zu gestalten. Und die Landesregierung versteht Kinder- und Jugendpolitik eben auch als eine Querschnittsaufgabe, die nicht nur im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe selbst, sondern auch in vielen anderen Lebens- und Politikbereichen wie Schule, Bildung, Umwelt, Verkehr, Wohnen et cetera umzusetzen ist.

Der Weg in die Gesellschaft kann jungen Menschen jedoch nicht allein mit staatlichen Mitteln geebnet werden. Vorrangig ist dies ein Auftrag an Familie und Elternhaus, Verwandtschaft und Nachbarschaft. Sie spielen bei einer werteorientierten Erziehung junger Menschen, in deren Mittelpunkt die Achtung der Menschenwürde und des -rechts stehen muss, wie wir finden, die Hauptrolle.

Und vor diesem Hintergrund zielen die Arbeit des Sozialministeriums und die der gesamten Landesregierung insbesondere darauf ab, Kindern und Jugendlichen ein chancengerechtes, gefördertes und gesundes Aufwachsen in unserem Land zu ermöglichen. Auch das Kinder- und Jugendprogramm 2006 wurde unter diesen Prämissen erarbeitet, es wurde darauf hingewiesen, und zum Ende der letzten Legislaturperiode vorgelegt.

Dieses Programm ist Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung gegenüber jungen Menschen. Es beinhaltet Leitlinien, an denen sich die Landespolitik und das Verwaltungshandeln auszurichten haben. Und es sind Aufgabenschwerpunkte vereinbart worden, die zur Verbesserung der Lebenssituation und der Zukunftsperspektiven junger Menschen beitragen. Und in den Handlungsfeldern – auch diese seien noch mal genannt: Familie, Kindertageseinrichtungen, Schule, Ausbildung und Arbeit sowie Freizeit, Kinder- und Jugendbeteiligung und Kriminalitätsprävention – wurden eigenständige fachpolitische Landesziele erarbeitet und vereinbart.

Sowohl die Landesregierung, die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe als auch die Träger der freien Jugendhilfe orientieren sich in ihrer Tätigkeit an den programmatischen Inhalten genau dieses Programms und setzen es im Interesse der Kinder und Jugendlichen und Familien um. Alle Akteure, so finden wir, füllen dies mit Leben. Eine solche Umsetzung in den Jugendhilfealltag benötigt auch Zeit und gestaltet sich nach unserer Auf

fassung auch als Prozess. Eine Fortschreibung beziehungsweise umfangreiche Situationsanalyse nach nur zweieinhalb Jahren, Frau Linke, also zur Mitte der Legislatur,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist im Gesetz so festgeschrieben.)

wie im Gesetz gefordert, …

Herr Ritter, ich danke für den Zwischenruf, aber Sie sehen, ich habe genau den Satz noch hinzugefügt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Die sind um, die zweieinhalb Jahre.)

Ich habe ja gesagt, wie im Gesetz gefordert.

… hat die Landesregierung fachlich für nicht sinnvoll erachtet.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ach, und deswegen erfüllt man das Gesetz nicht?!)

Der begonnene Umsetzungsprozess zeigt, dass in der laufenden Legislatur neben zahlreichen Einzelmaßnahmen mehrere ressortübergreifende Maßnahmen verabschiedet wurden. Und auch diese seien genannt:

die Novelle des Kindertagesförderungsgesetzes im Juli 2010

der Landesaktionsplan zur Gesundheitsförderung und Prävention vom Juli 2008

die Änderung des Schulgesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom Februar 2009

die zurzeit laufende Fortschreibung der Konzeption zur Integration von Migrantinnen und Migranten vom Mai 2006