Protocol of the Session on November 19, 2010

Als Erster hat ums Wort gebeten der Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Dr. Backhaus.

(Udo Pastörs, NPD: Ach, jetzt kommt wieder der Zettelkasten. – Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Bitte schön, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich bin dankbar, dass meine Fraktion dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, denn gestern, wie wir alle wissen, hat der Kommissar Cioloş seine Vorstellungen für die Zukunft eines der wichtigsten oder des wichtigsten Bereichs der europäischen Gemeinschaftspolitiken auf den Weg gebracht, nämlich die Entwicklung der ländlichen Räume und der Landwirtschaft.

Ich glaube, dass die Weiterentwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik und der ländlichen Räume nach 2013 eines der entscheidenden Zukunftsthemen der europäischen Gemeinschaftspolitiken darstellen wird. Und es ist klar, die Hauptadressaten der Agrarpolitik, das wissen wir, sind natürlich die ländlichen Räume und sind die Landwirtschaftsbetriebe, aber auch der gesamte Wirtschaftsbereich der Land- und Ernährungswirtschaft.

Erstmals, und da gibt es schon deutliche Unterschiede zur CDU/CSU, sowohl in Deutschland, aber auch in Europa, meine Damen und Herren, zum ersten Mal in der europäischen Geschichte wird das Europäische Parlament an diesem Projekt teilhaben. Ich begrüße das ausdrücklich, weil damit auch deutlich gemacht wird, welche Bedeutung die ländlichen Räume für Europa haben und dass wir zu einer gleichwertigen Politik in Europa kommen wollen. Also liegt die Antwort der Kommission auf die Mitteilung des Europäischen Rates und des Europäischen Parlamentes auf dem Tisch.

Meine Damen und Herren, mein Leitmotiv in den letzten 20 Jahren, in denen wir als Sozialdemokraten immer wieder versucht haben, durch die Weiterentwicklung der Agrarpolitik die Politik für die ländlichen Räume voranzubringen, war und ist: Wer eine Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich will und wer die ländlichen Räume weiter voranbringen will, wer diese erhalten will und auch die landwirtschaftlichen Unternehmen, egal ob groß oder klein, der muss sie umbauen und der muss sie inhaltlich neu ausrichten. Wer das nicht erkennt, der wird keine gesellschaftliche Mehrheit mehr erreichen können.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Ein „Weiter so!“, meine sehr geehrten Damen und Herren, führt im Übrigen unweigerlich dazu, dass diese bisher größte Gemeinschaftspolitik unter erheblichen inhaltlichen und vor allen Dingen finanziellen Druck gerät und letztlich dann nicht mehr zu halten ist. Und das ist für Europa, für Deutschland und auch für Mecklenburg-Vorpommern nicht zu verantworten. Die gemeinsame Agrarpolitik muss, aus unserer Sicht jedenfalls, eine klare und eindeutige Legitimation erfahren. Sie muss nachhaltiger werden und sie muss insgesamt gerechter werden.

(Udo Pastörs, NPD: Ach, du Gott! Was ist gerecht?)

Sie muss sich auch in das Strategiepapier Europa 2020 einfügen und damit

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

ein nachhaltigeres und ein integriertes Wachstum für Europa gewährleisten.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Mit dem Blick, meine Damen und Herren, auf die Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft, die ländlichen Räume in Europa stehen, gilt es natürlich auch, die Höhe des Agrarbudgets im Verhältnis zu den anderen Politikbereichen neu zu bewerten. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, wer die letzten Tage zur Kenntnis genommen hat, der weiß, dass der Haushalt für 2011 in der Europäischen Union nicht gesichert ist.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Wer realistisch in die Europäische Union und in die Welt hineinschaut, der nimmt auch zur Kenntnis, dass der Anteil der gemeinsamen Agrarpolitik mit 418 Milliarden Euro in den Jahren 2007 bis 2013 immerhin circa 42 Prozent des EU-Gesamthaushaltes von rund 975 Milliarden Euro ausmacht. Für eine Fortschreibung eines solchen Finanzvolumens braucht die Kommission, brauchen die Mitgliedsstaaten natürlich auch nachvollziehbare Argumente. Es muss gelingen, den Bürgerinnen und Bürgern in Europa verständlich zu erklären, warum und weshalb und wofür Steuergeld in diesen Größenordnungen bereitgestellt wird.

Und hier gibt es den Widerspruch zur CDU/CSU und auch zur FDP, dass wir einen völlig anderen Ansatz haben, nämlich öffentliches Geld für öffentliche Leistungen bereitzustellen, um überhaupt diese europäische Agrarpolitik und die Politik für die ländlichen Räume weiterführen zu können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Ich will insofern auch auf die besonderen Punkte eingehen. Für mich ist klar, es ist die erste Analyse, die wir jetzt vorlegen. Im Übrigen waren wir als einziges Bun

desland in Deutschland an dem Prozess beteiligt, weil wir ein eigenes Konzept vorgelegt haben, und ich finde mich, das sage ich auch in aller Deutlichkeit, in den drei Optionen und bei dem, was die Mehrheit im Europäischen Parlament anbetrifft und vor allen Dingen auch dem, was der Kommissar als seine wichtigste Grundaussage, nämlich in der Option zwei, festgeschrieben hat, fühle ich mich mit unserem Konzept zu hundert Prozent bestätigt.

Zunächst kurz zu der Analyse. Die Gemeinschaftspolitik für den Agrarbereich und die ländlichen Räume soll sich auch nach 2013 weiterhin auf zwei sich ergänzende Säulen stützen. Die Säulenstruktur hat sich bewährt und soll fortgeführt werden. Das ist damals im Übrigen ausdrücklich unter Rot-Grün entstanden und die CDU verteidigt heute das, was unter Rot-Grün entwickelt worden ist.

(Egbert Liskow, CDU: Manchmal gibt es gute Sachen. – Heinz Müller, SPD: Lass sie doch mal dazulernen!)

Das ist ja auch in Ordnung, damit habe ich gar kein Problem, darüber freue ich mich auch.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Trotzdem ist natürlich klar, dass die Kommission, aber auch das Europäische Parlament sehr wohl die Notwendigkeit zu weiteren Reformanstrengungen sieht, damit die gemeinsame Agrarpolitik durch sanftes, nachhaltiges und grünes Wachstum zur europäischen Politik nach 2013 und bis 2020 weiterentwickelt wird.

Die künftigen Ziele werden dann beschrieben. Aus meiner Sicht geht es richtigerweise um eine verlässliche, rentable Produktion von Lebensmitteln, das steht im Vordergrund der europäischen Politik für den Agrar bereich, und es geht auch, und darüber freue ich mich sehr, weil wir es immer gesagt haben, um eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Agrarsektors einschließlich der Sicherung von landwirtschaftlichem Einkommen, eine entscheidende Aussage. Wir werden im Übrigen ja auch deutlich machen, dass wir ausdrücklich einen Mindestlohn für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Mecklenburg-Vorpommern wollen, damit die Fachkräftezukunft gesichert wird.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Detlef Müller, SPD: Sehr richtig.)

Dann sagt die Kommission, auch das unterstütze ich ausdrücklich, wir wollen eine nachhaltigere Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen. Es geht um Klimaschutz, es geht um die Artenvielfalt. Es geht um Natur- und Umweltschutz, es geht um Tierschutz. Gerade gestern haben wir das intensiv diskutiert, das ist in dem Papier mit aufgenommen. Auch darüber freue ich mich.

Und deswegen, Frau Schlupp, es geht nicht nur um die Landwirtschaft, es geht um die ländlichen Räume, das war heute Morgen Thema,

(Egbert Liskow, CDU: Das wissen wir doch.)

und wir sind in den letzten Jahren hervorragend weitergekommen, auch was Dorfentwicklung, Dorfgemeinschaften anbetrifft. Da stimmen wir doch auch überein. Aber was die Kommission jetzt dick unterstreicht, ist ausdrücklich, dass man eine ausgewogenere räumliche Entwicklung unter dem Schlagwort „territoriale Balance“ hat, das heißt, unsere Dörfer und Gemeinden müssen und sollen in dieses Gesamtkonzept eingebettet werden, was ich ausdrücklich bejahe und auch in unserem Bundesland seit Jahren versuche umzusetzen.

Um dies zu erreichen, wird vor allen Dingen die Frage nach den Direktzahlungen, die die landwirtschaftlichen Unternehmen erhalten, aufgeworfen. Jawohl, am 1. Dezember, das wissen Sie, werden unsere landwirtschaftlichen Unternehmen 444 Millionen Euro als pauschale Ausgleichszahlung auf ihre Konten überwiesen bekommen. Ich betone immer wieder, wir gönnen den landwirtschaftlichen Unternehmen das Geld, wenn sie in unser Leitprojekt hineinpassen, nämlich Lebensmittel zu produzieren, Menschen zu beschäftigen, die Umwelt zu schützen und für die ländlichen Räume als wichtige Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen. Dann sollen sie dieses Geld auch haben.

Im Übrigen, wenn man sich das Konzept anschaut, dann nehmen Sie zur Kenntnis, wenn Sie das Papier gelesen haben, dass die Kommission eine Basisprämie zur Grundsicherung für das Einkommen der in der Landwirtschaft Beschäftigten präferiert, und zwar in einheitlicher Höhe in den Mitgliedsstaaten beziehungsweise in einer Region. Das heißt, wir würden in Deutschland dann voraussichtlich zu einer einheitlichen Flächenprämie kommen. Zugleich soll die Marktorientierung der gemeinsamen Agrarpolitik fortgeführt werden und es wird, auch das ist eine wichtige Botschaft, gerade für unsere nach vorn gerichteten landwirtschaftlichen Unternehmen das Auslaufen der Milchquote 2015 festgeschrieben. Das war eine lange Forderung des Bauernverbandes. Auch dieses wird umgesetzt.

Jetzt zur Ausrichtung: Für mich gibt es prinzipiell drei Politikoptionen.

Die Option eins, von der Frau Schlupp gesprochen hat, ist ja das, was die CDU will, also am Status quo, an dem, was wir heute haben, festhalten. Wenn man mit realistischem Blick nach Europa schaut oder auch in die Regionen gerade des Ostens, dann muss man einfach erkennen, ein „Weiter so!“ wird es nicht geben. Im Übrigen sagt die Kommission selbst und die Mehrheit des Europäischen Parlamentes, es wäre die Option eins, wenn man sie umsetzen würde, eine verpasste Gelegenheit zur Reformierung der gemeinsamen Agrarpolitik, die eine effektivere und gut begründete Politik will. Das heißt, die Kommission, aber auch die Mehrheit des Europäischen Parlamentes, auch der EVP-Fraktion, lehnt diese Option ab. Insofern stehen Sie wahrscheinlich irgendwann ganz allein in Deutschland und Europa.

Zur Option zwei: Diese zielt, und das ist meine Präferenz, auf das, was die Kommission als auch das Europäische Parlament als Hauptargument sieht, auf eine ausgeglichenere, gezieltere und nachhaltigere Unterstützung der Landwirte sich auszurichten und die ländlichen Räume stärker als bisher zu unterstützen. Das halte ich absolut für richtig und zukunftsweisend. Über einen Leistungsbezug soll dann im Übrigen auch ausdrücklich eine umweltorientiertere und beschäftigungsintensivere Landwirtschaft in Europa gestärkt werden, ob kleinere Unternehmen oder größere. Das heißt, gerade dieses Argument, über die Direktzahlungen für mehr Beschäftigung zu sorgen und ökologisch nachhaltigere Politikentwicklungsbereiche, aber auch Wirtschaftsbereiche zu unterstützen, soll damit gestärkt werden. Ich unterstütze das.

Die Option drei ist der reine marktorientierte Weg, den im Übrigen die FDP sehr stark in Europa präferiert. Dies würde zu einem massenhaften Zusammenbrechen der Strukturen führen in Deutschland, in Europa, auch in Teilen von Mecklenburg-Vorpommern, weil sie darauf

abzielt, nach 2013 die Ausgleichszahlungen komplett wegfallen zu lassen. Was das bedeutet, ich will es nur andeuten: Zu 50 Prozent sind unsere landwirtschaftlichen Unternehmen heute von diesen Auszahlungen abhängig, weil daraus Einkommen generiert wird.

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich dann die wichtigsten Bausteine angucken aus der Option zwei, dann ist das die Bestätigung dessen, woran wir uns weiter ausrichten wollen, nämlich erstens eine Basisauszahlung als Grundbetrag für die Einkommensunterstützung, das heißt, hieraus soll das Einkommen abgesichert werden für die landwirtschaftlichen Unternehmen und die Arbeitnehmerinnen und -nehmer.

Dann der zweite Punkt, die obligatorische zusätzliche Unterstützung für spezifische öffentliche Güter und Leistungen: Exemplarisch sind hier das Dauergrünland genannt, das uns ja seit Jahren am Herzen liegt, oder die Gründecke, aber auch die Fruchtfolge, darüber haben wir gestern gesprochen, oder auch die ökologische Flächenstilllegung. Im Übrigen werden hier ausdrücklich auch die FFH- und Vogelschutzgebiete genannt, das heißt, ein Landwirt, der in diesen Gebieten wirtschaftet, kann in den Genuss von zusätzlichen Ausgleichszahlungen kommen. Ich halte das für einen wirklich sehr wichtigen Schritt, zumal wir auch daran gearbeitet haben.

Ein weiterer Baustein der Direktzahlungen kann dann im Übrigen für freiwillige zusätzliche Leistungen in Betracht kommen und damit Hilfe und Unterstützung für die Landwirtschaftsbetriebe auch für die ländlichen Räume umgesetzt werden. Außerdem sollen die Kriterien der Neuverteilung der Geldmittel der Mitgliedsstaaten objektiv sein und ebenso dann auch in Kürze ausgearbeitet vorliegen. Ich bin gespannt, und auch da will ich ausdrücklich sagen, da stimmen wir überein, wir wollen kein Aufblähen der Bürokratie, im Gegenteil, wir wollen Abbau der Bürokratie. Und wir haben hier ja auch einen Vorschlag unterbreitet, nämlich die Zertifizierung, die unabhängige Zertifizierung von landwirtschaftlichen Unternehmen, so, wie wir das heute im ökologischen Landbau machen. Das ist erfolgreich und damit könnten wir auch erhebliche bürokratische öffentliche Verwaltung abbauen.

Ich glaube, wir tun gut daran, dass wir diese Reform jetzt sehr genau analysieren und uns mit dem Modell der Option zwei aktiv auseinandersetzen. Ich werde es tun. Ich biete hier ausdrücklich an, dass wir diese ganzen Themen auch ganz intensiv in den nächsten Wochen und Monaten im Agrarausschuss diskutieren können. Ich empfehle jedem, der die Möglichkeit hat, mit den EUAbgeordneten und in den Ebenen über unsere Situation, aber auch die Vorstellungen zu reden, weil ausdrücklich das Europaparlament eingeschaltet ist und zustimmen muss.

Und zum anderen will ich auch unterstreichen, der Zug ist auf dem Gleis und hat Fahrt aufgenommen. Und es ist besser aus meiner Sicht, in der Lokomotive zu sitzen, anstatt hinterherzulaufen und zu spät aufzuspringen oder den Anschluss zu verpassen. Und deswegen erwarte ich auch von der Bundesregierung ganz klar, dass wir mit der Sonderagrarministerkonferenz, die ich ja versucht habe durchzusetzen, und wir werden sie auch in Kürze haben, dass wir mit der Bundesregierung dann darüber reden, wie wir unsere Position abstimmen.

Ich glaube auch, dass man erkennen muss, dass die Herausforderung für die Landwirtschaft, die ländlichen Räume in der Umweltökonomie, der Ökologie und der

sozialen Verantwortung für die Landwirtschaft und der ländlichen Räume liegt. Das ist aus meiner Sicht der Markt des 21. Jahrhunderts. Wer das nicht begreift, nicht erkennt, der wird diesen Politikbereich irgendwann im Steinbruch wiederfinden.

Was mir auch sehr am Herzen liegt, ist, darüber bin ich ein wenig traurig, dass die demografischen Faktoren in dem Papier keinen Niederschlag gefunden haben. Ich werde dafür kämpfen,

(Udo Pastörs, NPD: Ach, Sie Kämpfer!)

dass man sehr wohl auch die demografische Situation in den Regionen Europas bewertet und das auch bei der Mittelvergabe ein Stück mit berücksichtigt.

Meine Damen und Herren, wenn man die derzeitige Verteilung der Direktzahlungen in Europa betrachtet, wird deutlich, dass eine schrittweise Angleichung hier herbeigeführt werden muss. Man kann niemandem erklären, das ist ja hier schon gefallen, dass ein griechischer Landwirt 556 Euro bekommt und sein Kollege in Bulgarien 159 Euro pro Hektar. Das kann man nicht begründen. Da es hier eine Anpassungsphase geben wird, wo wir nicht um Gleichmacherei schimpfen, sondern dass es zu einer gerechteren Verteilung kommen muss und dieses auch mit einem Leistungsbezug verbunden wird, halte ich für den richtigen Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)