Protocol of the Session on September 15, 2010

Wiederbeginn: 14.12 Uhr

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 5: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes zum vierzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 10. Juni 2010, Drucksache 5/3707.

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Gesetzes zum vierzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Vierzehnter Rundfunkänderungs- staatsvertrag) vom 10. Juni 2010 (Erste Lesung) – Drucksache 5/3707 –

Das Wort zur Einbringung hat in Vertretung für den Ministerpräsidenten der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Jürgen Seidel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie wissen, ist der Ministerpräsident – ich gehe davon aus – inzwischen wohlbehalten in Vietnam angekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Michael Roolf, FDP: Das ist schön. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Ich freue mich natürlich, Ihnen Rede und Antwort stehen zu dürfen. Insofern will ich jetzt das Gesetz, also den Entwurf des Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrages hier in den Landtag einbringen.

Meine Damen und Herren, es ist, glaube ich, ein Privileg von Kindern und Jugendlichen, dass sie die Folgen ihres Handelns nicht in jedem Fall so absehen können, wie man das dann etwas später vielleicht doch besser tun kann. Es geht deshalb darum, sie vor Handlungen und Einflüssen zu schützen, die ihre Gesundheit, Entwicklung oder eben das Leben, wenn es ganz schlimm kommt, beeinträchtigten könnten. Wir tun dieses gesellschaftspolitisch mit dem Jugendschutz auf vielen verschiedenen Gebieten, nehmen Sie das Rauchen, nehmen Sie Alkoholkonsum, Drogen und so weiter und so fort.

(Udo Pastörs, NPD: Mit welchem Erfolg denn?)

Wir tun dieses auch in einem Bereich, der in den letzten Jahren für unser Zusammenleben doch sehr an Bedeutung gewonnen hat. Hier meine ich den Bereich der modernen Kommunikationsmedien. Die Bundesländer haben zum Schutz vor Fernseh-, Radio- oder Internetangeboten, die die Entwicklung oder Erziehung von Kindern und Jugendlichen gefährden könnten, im Jahr 2002 den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag geschlossen.

Dem haben hier – ich kann das nicht für mich sagen, da war ich nicht dabei – viele von Ihnen entsprechend zugestimmt und diesen beschlossen, auch damit beschlossen, dass die Umsetzung des Vertrages nach fünf Jahren überprüft wird. Das hat auch das Institut für Medienforschung der Universität Hamburg getan und ein Gutach

ten mit entsprechenden Vorschlägen für eine Novellierung vorgelegt. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat im Juni 2009 entschieden, dass dabei auch Erkenntnisse des schrecklichen Amoklaufs in Winnenden berücksichtig werden sollen. Beides setzt nun der Vierzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag auch um.

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht dazu vor, das System der sogenannten regulierten Selbstregulierung der Medienanbieter weiter zu verstärken. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verpflichtet Sender und Internetanbieter, Kinder und Jugendliche vor nicht altersgerechten Inhalten zu schützen, das heißt zum Beispiel vor Gewalt, Pornografie oder auch vor rechtsextremem Gedankengut. Innerhalb dieses Rahmens überlässt der Vertrag den Anbietern selbst, welches Mittel sie für sich und das jeweilige Medium am geeignetsten halten.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Bisher hieß das im Wesentlichen, entweder eine Beschränkung der Sendezeit auf Nachtstunden oder eben auch eine Zugangsbeschränkung durch persönliche Identifizierung. Der Vierzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag führt hier zusätzlich die Möglichkeit einer Alterskennzeichnung ein. Wenn sich dafür ein Anbieter entscheidet, muss er mit geeigneten akustischen oder optischen Zeichen deutlich machen, bis zu welcher Altersstufe eine Internetseite oder eine Fernsehsendung nicht geeignet ist.

Dies muss auch technisch, das heißt also, in der Programmierung auslesbar sein. Eine Kommission wird hier entsprechende Kennzeichen erarbeiten. Diese neue Möglichkeit der Alterskennzeichnung hat mehrere Vorteile. So kann die Alterskennzeichnung als Filterkriterium für sogenannte Jugendschutzprogramme verwendet werden. Das macht es möglich, unerwünschte Seiten und Sendungen dann auch gezielt blockieren zu können. Der Jugendschutz kann individuell angepasst werden und dort effektiv wirken, wo er nötig ist, zum Beispiel im PC oder bei denen, die der Jugendliche nutzt.

(Udo Pastörs, NPD: Jugendschutz ist eine Lebenslüge. Es ist rein abstrakt-theoretisch. Praktisch ist das draußen gar nicht umsetzbar.)

Herr Pastörs, ich habe mir vorgenommen, auf Ihre Einwürfe heute nicht einzugehen, es nützt also nichts.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist und bleibt auch so, Herr Minister.)

Gleichzeitig wird die Verantwortung der Eltern beim Jugendschutz gestärkt.

(Udo Pastörs, NPD: Was meinen Sie, was draußen los ist im Internet?!)

Das ist sicherlich hier zu betonen, denn die Eltern, sie selbst, installieren das Jugendschutzprogramm auf dem Empfangsgerät oder Computer und entscheiden darüber, wie restriktiv der Filter eingestellt ist. Angebote, die keine Alterskennzeichnung enthalten, können auch komplett blockiert werden. Das erhöht für den Anbieter den Anreiz, eine Kennzeichnung vorzunehmen. Diese Alterskennzeichnung …

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Tja. – Udo Pastörs, NPD: Das ist praxis- fremd, was Sie da sagen.)

Ja, ich weiß. Dieses Wort „tja“ kommt mir auch schnell auf die Lippen, das weiß ich sehr wohl, aber die Frage ist eben, welche Alternativen man dann in der Tat hat.

Die Alterskennzeichnung hilft dabei, die Instrumente des Jugendmedienschutzes dem Wandel in der Medienlandschaft anzupassen. So finden sich immer öfter Filme, Videospiele und andere Inhalte von sogenannten Trägermedien direkt im Internet wieder oder online, und Fernsehangebote sind auf CD oder DVD, was auch immer der technische Stand hergibt, erhältlich.

(Udo Pastörs, NPD: So ist es.)

Der vorliegende Rundfunkänderungsstaatsvertrag übernimmt hier die Altersstufen aus dem Jugendschutzgesetz und schafft damit einheitliche Altersgrenzen für Trägermedien, Online- und Teleangebote.

(Udo Pastörs, NPD: Toll!)

Die Einstufungen der jeweiligen Kontrollsysteme werden gegenseitig anerkannt. Dadurch soll ein für alle elektronischen Medien umfassendes Alterskennzeichnungssystem etabliert werden.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Das ist zumindest ein wichtiger Schritt. Ich glaube auch nicht daran, dass es alle Probleme lösen wird, aber es ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines einheitlichen Jugendmedienschutzes.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Um die Beteiligung der Medienanbieter an diesem System zu fördern, sollen Einrichtungen der Selbstkontrolle, der Freiwilligen Selbstkontrolle, wie die Unterhaltungssoftwareselbstkontrolle, die es gibt, oder die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft Selbstklassifizierungssysteme bereitstellen, die für kleine wie große Anbieter gleichermaßen auch entsprechend dann zu handhaben sind. Auf der Anwenderseite soll die Wirksamkeit dadurch gefördert werden, dass die Akzessprovider, also die Programme, die den Zugang zum Internet herstellen, den Eltern entsprechende Jugendschutzprogramme anbieten.

Meine Damen und Herren, es wird schon deutlich, wenn man über ein solches Thema spricht, dass man hier nicht nur lobt, sondern eben auch wechselseitig dann eine Zustimmung oder eine Ablehnung erfährt. Das wird sicherlich auch beim Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag der Fall sein. Es würde mich wundern, wenn es anders wäre. Dem einen geht er zu weit. Er fürchtet eine Beschränkung der Medienfreiheit. Gerade im Internet darf man ja immer wieder zur Kenntnis nehmen, ganze Parteien gründen sich auf diesem Widerstand oder auch auf einem zu hohen Aufwand für die Anbieter, der dann kritisiert wird. Den anderen geht er nicht weit genug. Sie zweifeln am System der Freiwilligkeit der Mittel, der regulierten Selbstregulierung, wie ich es genannt habe, und dann wird nach Verboten gerufen. Das ist dann die Konsequenz.

Der vorliegende Gesetzentwurf will einen klugen Mittelweg gehen. Er macht deutlich, Jugendmedienschutz ist ein hohes Gut, das muss uns auch einen gewissen Aufwand wert sein. Deshalb ist er auch zu Recht nicht freiwillig. Um den Anbietern trotzdem einen notwendigen Freiraum zu bieten, wird ihnen allerdings auch selbst überlassen, wie sie dann den Schutz konkret umsetzen. Die freiwillige Alterskennzeichnung bietet dafür eine gute neue Möglichkeit. Es wird Sie auch nicht wundern, dass wir Sie um Zustimmung zu diesem Vertrag und dem darauf aufbauenden Gesetz bitten. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke schön, Herr Minister.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Vizepräsident und Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE Herr Bluhm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun also der Vierzehnte. Der Fünfzehnte ist ja Ende dieses Monats dann schon Thema der Ministerpräsidentenkonferenz.

(Harry Glawe, CDU, und Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Nun aber der Vierzehnte, der vor allem das Jugendmedienschutzrecht umfassend regeln soll.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Herr Minister Seidel hat ja schon diesen Spagat, den Diskurs zu diesem Thema deutlich gemacht. Es geht um die Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages vor allem in Hinsicht auf die sich durch die fortschreitende Medienkonvergenz ergebende Anpassung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen bei Internetangeboten. Breit war und ist bis zum heutigen Tage der medienpolitische Diskurs zur Entstehung und zum nunmehr vorliegenden überarbeiteten und zur Beschlussfassung anstehenden Staatsvertrag und den Folgen, die sich daraus ergeben. Manche Neufassung, die sich in dem vorliegenden Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – das kann ich für meine Fraktion so sagen – findet, ist tatsächlich sinnvoll, wie zum Beispiel die im Paragrafen 5 aufgenommene Klassifizierung der verschiedenen Altersstufen ebenso wie die Definition der Erziehungsbeeinträchtigung, die neben und in den Zusammenhang mit dem Begriff der Entwicklungsbeeinträchtigung tritt.

Aber jetzt kommt das übliche Wörtchen „aber“. Grundlegende Kritiken sind nach unserer Auffassung mit dem nun vorliegenden Entwurf nicht ausgeräumt, denn gerade in der Kombination der Alterskennzeichnung und des Begriffs „Entwicklungsbeeinträchtigung“ wird die Alterskennzeichnung de facto verpflichtend. Diese sollen dann von Jugendschutzprogrammen ausgelesen werden, die die Eltern auf dem PC für ihre Kinder installieren können.

Unbeantwortet bleibt allerdings, wo der Nutzer, wie so oft behauptet, überhaupt noch autonom handeln kann. Nicht der in seiner Medienkompetenz gebildete und gestärkte junge Nutzer ist die autonom handelnde Person, sondern es sind vor allem oftmals überforderte selbst regulierende und dabei verunsicherte Anbieter einerseits und nicht wirklich vorbereitete Eltern an den verschiedenen Einstellungskriterien von noch nicht ausgereifter Software andererseits, die auf der Grundlage dieses Gesetzes unfreiwillig freiwillig handeln müssen. Autonomens Handeln erzeugt man aus unserer Sicht eben nicht durch die gesetzliche Fixierung von Automatismen, sondern vor allem durch entsprechende, die Medienkompetenz fördernde Maßnahmen, die nicht im vorliegenden Gesetz verankert sind.

Auch die Regelungen zu entsprechenden Qualifizierungskriterien für Eltern, Lehrer, Jugendschützer, Politiker, Verwalter und Regulierer inklusive Anbieter fehlen.

Und auch der Duktus, in dem diese Novellierung des Jugendmedienschutzes daherkommt, ist ohnehin die eines kontrollwütigen Papiertigers, ohne dass die Umsetzung dieses Gesetzes wirkliche Fortschritte gewährleistet. Hier ist doch die gesellschaftspolitische Frage zu stellen, ob die Anbieter von Internetdienstleistungen elterliche Pflichten übernehmen können und es überhaupt sollen. Es ist doch geradezu ein Armutszeugnis, wenn Aufsichts- und Erziehungspflichten in die staatliche Verantwortung eben mit diesem Staatsvertrag delegiert werden. Das ist die Spannung, die in diesem Staatsvertrag liegt.

Wie formulierte die Journalistin Constanze Kurz dazu so treffend: „Früher gab es einen Schlüssel für den Fernsehschrank und mit dem Sandmännchen einen definierten Zeitpunkt zum Ausschalten des Gerätes. Heute erledigen die Erziehung nur noch die Schule und der Staat? Das Netz ist eben kein Babysitter.“

Der Ansatz des vorliegenden Rundfunkstaatsvertrages wird dann vollends zur Farce, wenn man das im vorigen Jahr ergangene Urteil des Landgerichts Köln zur Frage der Haftung bei Filesharing, also beim Herunterladen von Dateien aus dem Internet betrachtet. In dem von mir hier erwähnten Prozess wurde eine Mutter schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von knapp 6.000 Euro verurteilt mit der Begründung, dass sie ihren Kindern nicht nur untersagen müsse, urheberrechtlich geschütztes Material aus dem Netz herunterzuladen, sondern dass sie auch wirksame Maßnahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzung zu ergreifen habe.