Protocol of the Session on June 30, 2006

Der bundesweite Pfändungsfreibetrag, der jedem Schuldner ohne Unterhaltsverpfl ichtung vom Gesetzgeber zugebilligt wird, liegt derzeit bei 985,15 Euro. Bundesweit und auch in Mecklenburg-Vorpommern können viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst bei einem Vollzeitjob mit ihrer Hände Arbeit nicht mehr das Nötigste, das man zum Leben braucht, verdienen.

(Egbert Liskow, CDU: Glauben Sie das alles, was Sie sagen? – Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Offensichtlich kennen Sie das Leben in unserem Land nicht. – Egbert Liskow, CDU: Aber, Frau Gramkow, sie soll doch über die Auswirkungen sprechen.)

Deshalb sind sie auf ergänzende Hilfe, also Transferleistungen des Staates angewiesen. Darauf haben sie einen gesetzlichen Anspruch. Und allen, die über zu hohe Transferleistungen lamentieren, sage ich: Versuchen Sie doch einmal, mit so wenig Geld über die Runden zu kommen!

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Insbesondere die Verfechter des Sozialstaatsabbaus beklagen bekanntlich die hohen Transferleistungen und dabei, da bin ich mir sicher, nehmen nicht einmal alle, die darauf einen gesetzlichen Anspruch hätten, diesen auch wahr.

Niedrige Löhne haben weitere negative Folgen.

(Zuruf von Karin Strenz, CDU)

Neben hohen Transferleistungen sind sie ein Grund für geringere Einnahmen in den öffentlichen Kassen – weniger Steuereinnahmen, geringere Einnahmen bei Kranken- und Pfl egeversicherung, bei Arbeitslosen- und auch bei der Rentenversicherung. Die Folge: Beiträge schnellen hoch oder der Staat muss einspringen.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Armut, insbesondere Kinder- und Altersarmut sowie die Zahl der verschuldeten Haushalte nehmen ebenfalls zu.

(Wolfgang Riemann, CDU: Ja, durch Rot-Rot hier in Mecklenburg-Vorpommern.)

Im reichen Deutschland...

Hören Sie gut zu, Herr Riemann! Hören Sie gut zu, Herr Riemann!

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU und Linkspartei.PDS – Zuruf von Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS)

Im reichen Deutschland leben 1,7 Millionen Kinder in Armut und das darf man einfach nicht ignorieren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das muss erwirtschaftet werden.)

Existenzsichernder und armutsfester Mindestlohn ist wohl auch der richtige Schritt, um Artikel 1 des Grundgesetzes näher zu kommen. Denn die Würde des Menschen hat für mich vor allem auch mit der Möglichkeit zu tun, dass alle dies auch können, nämlich selbst für sich sorgen.

Notwendig ist ein gesetzlicher Mindestlohn auch, weil die Gewerkschaften sich unter dem Druck wachsender Arbeitslosigkeit gezwungen sahen, eine zunehmende soziale Polarisierung hinzunehmen. Umso wichtiger ist, dass die Gewerkschaften, aber vor allem die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Gewerkschaft NGG, aber auch der DGB als Dachverband mit ihren jüngsten Beschlüssen und Kampagnen Kurs auf den gesetzlichen Mindestlohn nehmen. Sie sind nahe bei uns mit unseren Forderungen nach 8 Euro Mindestlohn.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren zum einen Arbeitsmarktsegmente herausgebildet, in denen es keine Tarifbindungen gibt und in denen die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften nicht mehr zur Aushandlung armutssicherer Löhne ausreicht. Zum anderen unterlaufen immer mehr Unternehmen aus tarifgebundenen Branchen geltende Tarifverträge. Und genau diese Entwicklungen befördern niedrig entlohnte Beschäftigung. Mehr als 32 Prozent aller Beschäftigten im Westen und 47 Prozent aller Beschäftigten im Osten werden nicht mehr von Tarifverträgen erfasst. Im Gegensatz dazu benötigt man in Dänemark, Schweden, in Finnland und auch in Österreich keinen gesetzlichen Mindestlohn, denn die Höhe der Mindesteinkommen kann dort wegen der hohen Tarifbindung von 90 Prozent über Tarifverträge geregelt werden.

(Konrad Döring, Die Linkspartei.PDS: Hört, hört!)

In Österreich schätzen übrigens auch 86 Prozent der Manager die Existenz eines Betriebsrates in ihren Unternehmen als einen Vorteil ein. Auch das zeigt ein anderes Verständnis von Arbeitsbeziehungen. 18 der 25 EU-Staaten und die USA, Frau Strenz, haben einen Mindestlohn. Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte von 1989 verpfl ichtet die EU-Mitglieder sogar, dafür zu sorgen, dass entsprechend den Gegebenheiten eines jeden Landes den Arbeitnehmern ein gerechtes Arbeitsentgeld garantiert wird,

(Karin Strenz, CDU: Wie sind denn die Gegebenheiten im Land?!)

das ausreicht, um ihnen einen angemessenen Lebensstandard zu sichern. Wer also Ja sagt zu Europa, der muss auch Ja sagen zu einem gesetzlichen Mindestlohn,

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

auch um Arbeitnehmer/-innen nicht gegenseitig auszuspielen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gesetzlicher Mindestlohn sind machbar.

1944 führte das Großherzogtum Luxemburg als erstes europäisches Land einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Dieser ist an die Preisentwicklung gekoppelt und orientiert sich an der durchschnittlichen Entwicklung der Reallöhne. Die in Luxemburg zurzeit geltenden 8,69 Euro sind der höchste gesetzliche Mindestlohn in Europa. Für qualifi zierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegt er noch mal 20 Prozent darüber. Oder nehmen wir Großbritannien, Sie haben es ja kurz angeschnitten, Frau Strenz. Dort gibt es seit 1999 einen einheitlichen nationalen Mindestlohn. Die Low Pay Commission besteht aus Vertretern der Arbeitgeber, Gewerkschaften sowie Wissenschaftlern und empfi ehlt alle zwei Jahre eine Anpassung dieser Lohnuntergrenze nach wirtschaftlichen und sozialen Faktoren. Seit 1999 gab es einen realen Anstieg des Mindestlohnes auf derzeit 7,36 Euro die Stunde, das heißt also 1.273 Euro monatlich. Die Beschäftigung in Großbritannien hat zugenommen, insbesondere auch in denjenigen Branchen, in denen Mindestlöhne gezahlt werden. Dies führt zu einer breiten Unterstützung des Mindestlohnes nicht nur in der Politik, sondern vor allem auch bei der Bevölkerung.

In Deutschland haben wir, wie Sie wissen, im Baugewerbe seit 1996 über das Arbeitnehmerentsendegesetz einen gesetzlichen Mindestlohn. Das Europäische Parlament und der Rat haben mit der Richtlinie 96/71 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen für fairen Wettbewerb gesorgt und die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer garantieren wollen. Die Bundesregierung hat der Richtlinie bereits im Februar 1996 mit einem eigenen Entsendegesetz vorgegriffen. Anders als in anderen EU-Staaten gilt es jedoch nur für das Baugewerbe, für Maler, Lackierer, Dachdecker und Seeleute. Natürlich sind auch uns die Schwachstellen des Mindestlohnes am Bau bekannt.

(Egbert Liskow, CDU: Aha!)

Aber aus unserer Sicht überwiegen die positiven Effekte und wir können nicht warten, bis auch der letzte Unternehmer eingesehen hat, dass sich Lohndumping und Schwarzarbeit nicht auszahlen.

(Beifall Alexa Wien, Die Linkspartei.PDS – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Ein weiteres gutes Beispiel liefert uns auch die IG Bauen - Agrar - Umwelt anhand des jüngst vereinbarten Zeitarbeitstarifvertrages. Nur ein Mindestlohn also vermeidet aber Armutslöhne und er wäre eine einheitliche, politische und moralische Orientierung für die Untergrenze bei der Entlohnung jeglicher Beschäftigung. Er würde die zunehmende Praxis des Lohndumpings stabilisieren. Ähnlich der Low Pay Commission in Großbritannien sollte auch in Deutschland ein Mindestlohnrat die Einführung und Umsetzung begleiten. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

Ich möchte aber trotzdem zum Abschluss noch ein Wort an die CDU richten. Sie haben vielleicht mitbekommen, dass die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag sich ebenfalls des Themas „Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes“ angenommen hat.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Und ich sage Ihnen hier mit allem Nachdruck: Meine Fraktion, meine Partei verzichtet vollkommen auf jedwede Unterstützung der NPD

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS und Rudolf Borchert, SPD)

und anderer rechtsextremer, rechtspopulistischer und rechtsgerichteter Parteien.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das ist doch klar. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Wir verbitten uns also auch seitens dieser Parteien solche Angebote und weisen sie strikt zurück. Die NPD ist aus unserer Sicht keine verfassungskonforme Partei. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurde wegen Verfahrensfehlern eingestellt und bedeutet nicht, dass diese Partei demokratisch ist und verfassungsgemäß agiert. Also, Herr Jäger, wir verbitten uns diese Gleichsetzung in jeder Form. Wir fordern Sie auf, das zu unterlassen und stattdessen den Konsens aller Demokraten zu teilen. Keine Chance für Neonazis hier in Mecklenburg-Vorpommern und anderswo!

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS und Rudolf Borchert, SPD)

Danke schön, Frau Lück.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Mohr. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Verehrte Kollegin Strenz, ich kann Ihnen an der Stelle noch einmal ausdrücklich versichern, dass wir mit beiden Beinen – ich betone das, mit beiden Beinen – sehr wohl in der Realität stehen, wenn wir hier über Mindestlohn diskutieren. Bei Ihnen bin ich mir da nicht ganz sicher. Warum, das werde ich Ihnen gleich sagen, denn offensichtlich verkennen Sie hier die Fakten, Frau Strenz, und über diese möchte ich gern noch einmal ein Wort verlieren an dieser Stelle. Ihr Motto scheint zu sein „Mit Volldampf in die Zukunft“. Ich habe den Eindruck, man muss konstatieren: „Mit Karacho im Vorgestern gelandet und hängen geblieben“.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS)

Genau das ist der Eindruck, liebe Frau Strenz, der sich hier aufdrängen muss. Noch einmal: Sie verkennen hier ganz einfach die Fakten, wenn Sie sich den deutschen Arbeitsmarkt angucken. Wie sehen diese aus? Fakt ist, es ist schon von der Kollegin Lück angesprochen worden, dass die Löhne stagnieren. Und ein wichtiger Punkt ist der, das muss man einfach mal zur Kenntnis nehmen, eine erhebliche Anzahl von Menschen in diesem Land bezieht eben keine existenzsichernden Löhne mehr und diese Zahl steigt stetig. Eine aktuelle Auswertung der Beschäftigten- und der Grundsicherungsstatistik durch die Bundesagentur für Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass im Juni 2005 hochgerechnet 388.000 sozialver

sicherungspfl ichtig Beschäftigte ergänzend Arbeitslosengeld-II-Leistungen bezogen haben, Frau Strenz, 388.000 Frauen und Männer, die Vollzeit gearbeitet haben.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Und vor dem Hintergrund möchte ich noch einmal deutlich machen, das sind Frauen und Männer, das sind Beschäftigte, die jede Woche von Montag bis Freitag acht Stunden hart arbeiten, und diese Menschen haben am Ende des Monats so wenig in der Tasche, dass sie mit diesem Geld noch nicht einmal ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien bestreiten können.