nach der fast jeder fünfte Gewalt- und Sexualstraftäter in Hessen nach der Haft gefährlich bleibt. Er sagte: Das Rückfallrisiko sei so hoch, dass sie nicht auf freien Fuß kommen dürften. Auch Baltzer stellt aber fest, dass wir kaum jemals in einem Fall die rechtliche Möglichkeit dazu haben, solche nach wie vor gefährlichen Täter festzuhalten, sondern dass wir sie sehenden Auges freilassen müssen. Diese nicht hinnehmbare Problemlage ist am Fall Maik S. noch einmal, finde ich, beklemmend deutlich geworden, vor allem deshalb, weil ein ganz aktuelles Gutachten die fortbestehende Gefährlichkeit am Haftende belegt hat und weil er tatsächlich innerhalb kürzester Frist rückfällig geworden ist. Ich meine, wir müssen deshalb handeln, auch wenn klar ist, dass es absoluten Schutz nicht geben kann. Deshalb habe ich meine Bundesratsinitiative mit Unterstützung der Regierungsfraktionen auf den Weg gebracht, die darauf abzielt, schon die erstmalige Sicherungsverwahrung wirkungsvoller auszugestalten. Ich habe Ihnen die Einzelheiten schon des Öfteren dargelegt, hier im Landtag, im Rechtsausschuss und im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Ich will dazu weiter nichts mehr sagen.
Ich möchte nur kurz auf das „Zeit“-Dossier eingehen, Herr Dr. Born, das Sie angesprochen haben. Auch bei Frau Borchardt ist, glaube ich, deutlich geworden, dass wir uns alle bewusst sein müssen, dass wir in einem sehr schwierigen Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit der Bürger sind. Ich möchte aber zu dem „Zeit“-Dossier sagen, dass es auf einer Grundeinstellung basiert, die ich nicht teile. Diese Grundeinstellung sagt, wir haben eine so geringe Zahl an schwersten Sexualstraftaten, höchstens 20 Morde im Jahr, die es nicht rechtfertigt, dass wir eine Gesetzesverschärfung machen, die sozusagen den liberalen Rechtsstaat gefährdet. Diese Auffassung teile ich nicht.
Jeder einzelne dieser 20 Fälle ist einer zu viel. Einer zu viel! Ich teile auch nicht die Auffassung, dass es schon eine ausreichende und befriedigende Lösung ist, wenn es
uns gelingt, und davon geht dieses Dossier aus, die Rückfallquote von 20 Prozent auf 10 Prozent zu senken. Das ist kein Erfolg. Insgesamt muss ich sagen, dass mir in dem Artikel die Opfer viel zu kurz kommen. Die Opfer werden, wenn Sie sich viele Seiten dieses Dossiers durchlesen, mit einem einzigen Satz erwähnt, und zwar mit dem Eingangssatz: Warum tut sich der Mann das an? Und damit ist nicht etwa gemeint, was der Täter diesem Mann angetan hat, sondern es wird suggeriert, dass sich der Vater von Carolin, der sich vor die Kamera gestellt hat, damit das Schlimme selbst antut. Ich finde, das kann man nur zurückweisen.
Meine Damen und Herren, auch ein deutlich verbessertes Instrumentarium wird natürlich nicht alle Gewalttäter, die zum Ende der Haft noch ein hohes Gefährdungspotenzial aufweisen, in Haft halten können. Wir müssen deshalb auch unsere Möglichkeiten weiter verbessern, um auf solche Gewalttäter während der Haft positiv einzuwirken. Wir brauchen auch bessere wissenschaftliche Erkenntnisse über die Täter, über einzelne Tätertypen. Dazu können wir beitragen und wir werden das auch tun, zum Beispiel durch enge Zusammenarbeit mit Frau Professor Herpertz von der Uni Rostock, die auf diesem Gebiet sehr wichtige Forschungen betreibt. Wir brauchen, und dafür werden sicherlich diese Forschungen eine Grundlage sein, bessere und genauere Therapien. Und schließlich muss die Führungsaufsicht, das ist heute schon mehrfach angesprochen worden, deutlich effektiver ausgestaltet werden. Einige der Verbesserungsvorschläge aus Mecklenburg-Vorpommern sind schon in dem neuen Gesetzentwurf, der hier erwähnt worden ist, der Bundesregierung berücksichtigt worden. Für andere, weitergehende Vorschläge werde ich mich weiterhin einsetzen.
Meine Damen und Herren, der Fall Maik S. hat die großen Probleme, die wir mit voll handlungsfähigen schweren Gewalt- und Sexualstraftätern haben, die wir nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe trotz bestehender Gefährlichkeit in die Freiheit entlassen müssen, sehr deutlich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Dazu haben die Eltern und Großeltern von Carolin ganz wesentlich beigetragen. Ich möchte ihnen dafür meinen Respekt ausdrücken. Ich habe ein langes Gespräch mit dem Präsidenten des Weißen Ringes hier in Mecklenburg-Vorpommern geführt, mit Hinrich Kuessner. Er hat mir gesagt, er hält für sehr wichtig und er unterstützt, dass Opfer, die das wollen und können, die dazu in der Lage sind, das ihnen zugefügte Leid öffentlich machen als wichtigen Schritt der eigenen Verarbeitung, aber auch als Beitrag dafür, dass immer wieder kritisch geprüft wird, können und müssen wir mehr tun für den Schutz der potenziellen Opfer. Hinrich Kuessner hat das allerdings mit der berechtigten Mahnung verbunden, dass die Presse mit solchem In-die-Öffentlichkeit-Treten von Opfern besonders verantwortlich umgehen muss. Ich denke, das ist richtig. Ich möchte hinzufügen, das gilt auch für die Politik.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Mahnung der Opfer aufnehmen wollen, mehr zu tun für den Schutz vor Gewalttätern, dann muss die Arbeit weitergehen, auch hier im Parlament, möglichst einvernehmlich und gemeinsam, vor allem im Rechtsausschuss. Schon bei den Beratungen für den nächsten Haushalt müssen wir zeigen, wie
ernst es uns allen gemeinsam ist, zum Beispiel mit personellen Verbesserungen in der Sozialtherapie.
Ich muss noch etwas sagen zu Punkt 2 des Untersuchungsauftrages, der in dieser Legislatur nicht mehr bearbeitet wird.
Die Opposition hat zur Begründung ihres Antrages öffentlich weitgehende Pauschalverurteilungen aller Staatsanwaltschaften hier im Land abgegeben. Sie hat allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern pauschal ein negatives Zeugnis erteilt.
Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 431 an der Zahl, die pro Jahr in den vier Staatsanwaltschaften des Landes mit großem Arbeitseinsatz und viel Engagement weit über 100.000 Ermittlungsverfahren durchführen
und dabei – bei aller möglicherweise berechtigten Kritik im Einzelfall – gute Arbeit leisten, diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ein Recht darauf, dass ich diesen pauschalen Abqualifizierungen heute in öffentlicher Sitzung des Landtages entgegentrete.
Die Staatsanwaltschaften des Landes sind, und jetzt kommen einige Zitate, kein „Augiasstall“ und kein „Schweizer Käse“, es gibt keine „Schlamperei ohnegleichen“, es gibt auch keine „geradezu haarsträubenden Zustände“, es war keine „Gruppentherapie“ nötig, um „eine ganze Behörde wieder leidlich arbeitsfähig zu machen“ und so weiter und so weiter.
Meine Damen und Herren, wenn es Fehlverhalten Einzelner gibt, die Anlass zu Kritik und Nachfragen geben, dann sollten wir aber nicht dieses Vokabular und diese Herangehensweise wählen.
Ich möchte dazu den Deutschen Richterbund zitieren, der am 7. Januar 2006 die pauschale Kritik an Staatsanwälten und Richtern „aufs Schärfste“ zurückgewiesen hat. Die Aufklärung einzelner, in der Vergangenheit aufgetretener Probleme, so heißt es weiter, sollte „bei gutem Willen möglich sein, ohne das Ansehen der gesamten Justiz zu beschädigen“. Die Behauptung, die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg sei lediglich leidlich arbeitsfähig gemacht worden, stelle eine Verunglimpfung aller dortigen Mitarbeiter dar. Absurd und völlig aus der Luft gegriffen seien Vorwürfe gegen die Rostocker Behörde im Kontext eines Rotlichtverfahrens. In Fachkreisen werde vielmehr anerkannt, dass diese Staatsanwaltschaft gerade in diesem Fall hervorragende Arbeit geleistet habe.
(Dr. Armin Jäger, CDU: Ich bitte Sie, die haben wir nicht kritisiert. Ganz im Gegenteil, wir haben sie doch gelobt. Dazu haben wir was gesagt.)
Und dann geht es wörtlich weiter: Die Einsetzung eines politischen Untersuchungsausschusses sei überzogen. Die Justiz dürfe nicht zur politischen Waffe werden.
Ich würde mich sehr freuen, wenn die Opposition die letzte Landtagssitzung der Legislaturperiode zum Anlass
nehmen könnte, eine klarstellende Äußerung in Richtung Staatsanwaltschaft abzugeben. Ich habe eben schon von Dr. Jäger gehört: „Wir haben Sie doch gelobt.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend ein wenig gemeinsam in die Zukunft schauen. Der Fall Maik S. hat zu einer hochemotionalen Auseinandersetzung geführt. Die wichtigen, notwendigen Folgerungen müssen wir aber sachlich ziehen, wir müssen sie besonnen ziehen und möglichst miteinander, in Verantwortung vor denen, die wir schützen wollen, und im Schulterschluss mit denen, die diese schwierige Aufgabe täglich vor Ort erfüllen, in den Staatsanwaltschaften, Haftanstalten, in der Sozialtherapie. Darum bitte ich Sie alle. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich hatte nicht vor zu reden, aber ich möchte etwas deutlich machen. Wer mit einem Untersuchungsausschuss, wer mit Bemühen der Abgeordneten Dinge untersucht, ist nicht jemand, der das Nest der Justiz beschmutzt, sondern jemand, der sich möglicherweise Sorgen um diese macht, Herr Minister. Wir hatten sehr viel Veranlassung, gerade nach Ihren ersten Erklärungen in diesem Fall, dass dies in der Öffentlichkeit eher zu einem Schaden für die Justiz gerät, was Sie in erster Instanz in den ersten Tagen und Wochen gesagt haben.
Sie haben damals, was Sie heute nicht getan haben, in einer Art und Weise argumentiert, als sei dieser Fall vom Himmel gefallen. Das, lieber Herr Minister, ist er nicht. Sie haben gesagt, dass wenn drei Juristen ihre Meinung sagen, vier Meinungen dabei rauskommen. So ähnlich haben Sie sich ausgedrückt. Das ist ja ein allgemein bekannter Schnack, dass das üblich sei. Herr Minister, Sie haben eine Richterin am Bundesgerichtshof in einer Weise kritisiert, dass sollten wir beide als ehemalige Richter nicht tun.
Das ist nicht gerade richtig, denn erfahrungsgemäß kommt immer dann Richterschelte, wenn die Richter sich nicht so verhalten, wie man sich das von Ihnen gewünscht hat. Und wenn mein Kollege Dr. Born zum Ausdruck gebracht hat, dass er nicht voraussagen kann, wie ein Gericht entscheidet, dann hat das ein höheres Maß an Ehrlichkeit als das, was Sie in Ihrem Vortrag hier vorgetragen haben, das ist solide.
Aber ich möchte etwas ganz deutlich sagen. Ich glaube, niemand in meiner Fraktion hat die Justiz dieses Lan
Wir haben große Sorge darum, dass das, was in den letzten Jahren mit der Justiz geschehen ist, nämlich dass viele Dinge, die aus meiner Sicht an der falschen Stelle eingespart worden sind, dazu geführt haben, dass Kolleginnen und Kollegen in der Justiz zumindest objektiv überfordert sind, subjektiv nur deshalb nicht, weil sie mit so viel Engagement ihre Arbeit tun. Und das sage ich hier sehr gerne.
Herr Minister, da hätten wir manchmal ein bisschen mehr Unterstützung der Justiz von Ihnen erwartet. Ich möchte eines ausräumen, und zwar als ob wir von Anfang an auf einer von uns erst einmal eingenommenen Rechtsauffassung beharren und uns nicht durch Sachverständige, auch juristische, beeinflussen lassen. Meine Damen und Herren, es geht um eine tatsächliche Streitfrage. Es geht ganz einfach nicht um eine juristische, sondern es geht um die Streitfrage, ob durch das Verhalten gegenüber einem Strafgefangenen, der als hochgefährlich in erster Instanz erkannt worden ist, was ja in den Gründen – Sie haben vollkommen mit Recht gesagt, nicht im Entscheidungstenor, in den Gründen, die nehmen an der Entscheidung teil bei der Auslegung – schon festgestellt worden ist. Was mich stört, und deswegen habe ich Sorge, Herr Minister, dass Sie in der Lage sind, für die Zukunft das Richtige zu tun, da Sie nach wie vor behaupten, es sei so gewesen, dass dieser Straftäter von Anfang an therapieunfähig gewesen sei. Er war damals 21 Jahre alt. Wäre damals das gemacht worden, was ihm und uns als Allgemeinheit zugestanden hat, nämlich sofort begonnen worden mit dieser Sozialtherapie, wäre möglicherweise ein ganz anderes Ergebnis herausgekommen. Herr Minister, das ist ein Vorwurf, der bedauerlicherweise nicht ausgeräumt werden konnte, denn mit dem „hätte“ und „könnte“ und so weiter kommen wir – Frau Gramkow, Sie haben sicher Recht, wenn Sie den Kopf schütten – nicht so richtig weiter. Ich schüttle über einen Justizminister den Kopf, der nicht einsieht, dass die Dinge, die nötig waren und die nicht gemacht worden sind, von uns auch berücksichtigt werden.
Und wenn man eine Situation schafft, in der jemand mit 21 Jahren in Haft kommt, als ein nicht unbeschriebenes Blatt in Haft kommt, und therapeutische Maßnahmen vollständig ausfallen und man viel zu spät damit anfängt, dann kann man doch nicht hinterher sagen: Das war dem Gericht schon bekannt, der war nicht therapiefähig und deswegen ist es keine neue Tatsache. Deswegen, Herr Minister, ist es zu dünn, wenn Sie sagen: Wir müssen das Gesetz ändern, weil dieser Fall nicht mit der geltenden Rechtsordnung hätte gelöst werden können. Sie haben nichts dazu beigetragen, dass man das hätte klären können, weil nicht mit dem begonnen worden ist, was nötig gewesen wäre, nämlich mit der Sozialtherapie. Ich weiß es nicht, und ich bin da ehrlich genug, ob sie etwas genützt hätte, wenn sie rechtzeitig gekommen wär, wenn sie sofort gekommen wäre. Aber umgekehrt den Schluss zu ziehen, dass das keine neue Tatsache ist, dass das Gericht erst geglaubt hat, er ist sozialtherapeutisch behan
delbar, sonst hätte es das nicht empfohlen, und hinterher zu sagen, ja weil wir es nicht gemacht haben, steht hinterher fest, er ist nicht behandelbar, so ein Kurzschluss, der ist eigentlich der Untersuchung, die hier die Kolleginnen und Kollegen im Untersuchungsausschuss gemacht haben, und auch der Mitarbeiter nicht würdig. Wir sollten hier lieber sehen, dass dort viel sorgfältiger gearbeitet wurde, als Sie jetzt den Schluss gezogen haben.
Aber ich sage auch sehr deutlich, weil Sie gesagt haben, Sie hätten gerne die Unterstützung bei Ihrer Gesetzesinitiative, wir haben immer auf Unterstützung gewartet. Diese nachträgliche Sicherungsverwahrung, Herr Minister Sellering, kommt nicht aus Ihrer Ecke. Sie wissen, wer sie beantragt und auch wer sie durchgesetzt hat. Aber das ist Schnee von gestern. Ich sage Ihnen hier zu, wenn Sie Unterstützung brauchen für das Ziel, Lücken im Gesetz zu schließen – das hat Herr Krumbholz sehr deutlich gesagt, am Schluss seiner Rede, das hätte ich genauso sagen können, was ich sofort unterschreiben würde –, entspricht das genau meiner Meinung. Wenn es etwas gibt, was wir hier mit rechtsstaatlichen Mitteln beschließen und als Gesetz festlegen können, dann sollten wir es tun. Ich hatte bei der PDS den Eindruck, das ist weniger gewesen, Frau Gramkow, aber ich hoffe, dass das missverständlich war, was Frau Borchardt gesagt hat.