Protocol of the Session on May 17, 2006

Ich finde es einfach toll, dass wir aus der Erfahrung einer Zeit, wo wir etwas weiter waren mit der Frage der Gleichstellung von Frauen und Männern, partizipiert haben. Letztlich mit der Drucksache 14/2759, im Jahr 2000 hat meine Bundestagsfraktion, die der PDS, ein Konzept zu einem Elterngeld als Lohnersatzleistung in den Deutschen Bundestag eingebracht.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Genau! Das will nur heute keiner mehr hören. – Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Siehste!)

Es wurde abgelehnt, für nicht wichtig befunden. Aber egal, sechs Jahre später stellen wir heute fest, und das ist erst einmal etwas Positives, dass die von uns seit Jahren vertretene Auffassung, familien- und gleichstellungspolitisch, sich parteiübergreifend durchgesetzt hat und mehrheitsfähig ist, und das ist gut so.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Das Elterngeld zeigt aber auch wieder, wie aus einer tollen Idee aufgrund von finanziellen Erwägungen etwas Bösartiges herauskommen kann. Ja, das Elterngeld ist fortschrittlich, aber es ist auch janusköpfig und ich finde es unredlich, wenn wir das nicht erwähnen. Es ist fortschrittlich, weil es mit dem erzkonservativen Familienverständnis aufräumt, der Mann arbeitet und die Frau bleibt zu Hause.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das wird auch durch ständige Wiederholung nicht wahrer.)

Es ist fortschrittlich und es ist gleichstellungsfreundlich, denn es nimmt einerseits uns Frauen und Männer in die Pflicht. Andererseits ist es männerfreundlich, denn eine Großzahl von Vätern wünscht sich auch mehr Zeit, um sich um ihren Nachwuchs, um ihre Babys zu kümmern, ohne gravierende Einkommensnachteile zu erleiden oder gar Angst haben zu müssen, dass sie den Arbeitsplatz verlieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhem, CDU)

Ich glaube, das Elterngeld trägt wesentlich zu Gleichberichtigung und Chancengleichheit von Männern und Frauen bei, denn die Realität ist jetzt, dass ich, wenn ich zu Hause bleibe und nicht genügend Einkommen da ist, ein Taschengeld von 300 Euro bekomme, am Ende finanziell abhängig bin. Insofern sage ich es noch einmal: Es ist ein richtiger Ansatz, aber warum, frage ich Sie, erkaufen wir uns diesen Ansatz, diesen fortschrittlichen Ansatz unsozial, unfair zulasten derjenigen, die am meisten unsere Unterstützung brauchen. Ich sage noch einmal, das Elterngeld ist janusköpfig, denn das ist das andere Gesicht des Vorteils: Wenn ich verdiene, habe ich auch ein bestimmtes Einkommen. Dass ich mich um mein Baby kümmere, bezahlen wir damit, dass massiv schwach finanziell ausgestattete Familien Verliererinnen und Verlierer in diesem Prozess sind. Es sind die Kleinverdiener, es sind die ALG-II-Empfänger, es sind Studierende und Auszubildende. Es sind insgesamt – und die Zahl ist nicht von uns, sondern sie ist von der Bundesregierung aufge

schrieben – 340.000 Familien, die schlechter gestellt sind. Leider ist die Zahl derer, die in Mecklenburg-Vorpommern davon nicht mehr partizipieren können, nicht zu ermitteln. Darüber können wir nicht hinwegsehen, denn wer nach zwölf Monaten gerne arbeiten möchte, aber nicht arbeiten kann, den können wir doch sozial nicht ins Abseits stellen, weil er ein Baby bekommt!

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Die gegenwärtige Regelung heißt, dass 24 Monate 300 Euro oder 12 Monate 450 Euro gezahlt werden, und das ersetzt nicht die Lösung des Elterngeldes für 12 oder 14 Monate.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Genau.)

Ich denke deshalb, es ist nur fair zu sagen, wir brauchen für die Familien in unserem Land, für Frauen und Männer, die sich für Kinder entscheiden und nicht arbeiten können, eine vergleichbare soziale Lösung, und ich mahne hier dringend Nachbesserungen an.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Ich bin aber auch bei Ihnen, Herr Renz, und sage, finanzielle Anreize allein haben uns noch nie dazu bewogen, Kinder zu bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Torsten Renz, CDU: Ich habe von einem Mix gesprochen!)

Ich glaube, ich habe gesagt, ich bin bei Ihnen. Hören Sie doch zu!

(Beifall Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS)

Die finanziellen Anreize allein bewegen es nicht, sondern es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die uns ermöglichen, moderne Familienpolitik und -freundlichkeit in diesen Prozess zu legen. Dazu gehört zu allererst Arbeit, und zwar Existenz sichernd, von der man auch leben kann. Dann gehören flexible Arbeitszeiten dazu, die es ermöglichen, dass Frauen und Männer sich der Erziehung auch widmen können. Dazu gehört natürlich, dass Unternehmerinnen und Unternehmer dieses ermöglichen. Und es gehört dazu das Betreuungsnetz in den Kindertagesstätten.

Ich denke, hier haben wir sehr gute Bedingungen. 96, nein 97 Prozent unserer Kinder besuchen die Kindereinrichtungen. Wir haben das Vorschuljahr wieder eingeführt, Bildung und Erziehung in diesem Prozess erweitert, die Gesundheitsvorsorge auf die Tagesordnung gesetzt, mehr Chancengleichheit auch für die Kleinen. Lassen Sie uns den Strauß zusammen bündeln! Lassen Sie uns das Erziehungsgeld als positiven Ansatz weiterentwickeln! Aber es muss fortschrittlich und sozial, es muss frauenfreundlich und männerfreundlich sein und es darf nicht gegeneinander gestellt werden. Da hoffe ich auf Ihre Unterstützung.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Gramkow.

Das Wort hat jetzt die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Dr. Linke.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete!

Eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft in unserem Land Mecklenburg-Vorpommern, das sind politische Ziele, für die wir hier alle gemeinsam streiten, für die wir alle gemeinsam eintreten, politische Ziele, von denen wir wissen, dass man dafür Weitblick braucht, aber in vielen Fragen auch einen langen Atem.

Eine Familie mit Kindern ist seit Menschengedenken ein zentrales Lebensziel junger Menschen. Junge Menschen wünschen sich selbstverständlich auch eine gute Ausbildung, eine interessante Arbeit, einen Beruf, der sie ausfüllt, und natürlich finanzielle Unabhängigkeit. Wenn es in Deutschland für junge Menschen darum geht, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, dann gibt es mitunter erhebliche Schwierigkeiten. Wir wissen, der Arbeitsmarkt erfordert von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein hohes Maß an Flexibilität, an zeitlicher Verfügbarkeit, an Mobilität. Kinder aber erfordern Zuwendung, Verlässlichkeit, Kontinuität, Regelmäßigkeit. Und das ist oftmals für arbeitende Eltern nicht in Übereinstimmung zu bringen.

(Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: So ist es.)

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen sich oft gezwungen, deshalb ihre Berufstätigkeit zu reduzieren, zeitweise zu unterbrechen, damit sie ihrer Verantwortung gegenüber ihren Kindern nachkommen können. Wir sind sehr froh, Frau Gramkow hat es angesprochen, dass Mecklenburg-Vorpommern ein sehr gutes Netz an Kindertagesbetreuungseinrichtungen hat

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

für alle Altersgruppen, für unterschiedlichste Öffnungszeiten, eben für die Bedarfe, die sich aus dem Arbeitsprozess ergeben. Wir wissen aber auch, in den Altbundesländern ist ein derartiges Netz so gut wie nicht verfügbar. Es fehlt dort schon in erheblichem Maße an Kindergartenplätzen. Krippenplätze sind fast überall Mangelware. Diese Versäumnisse eines langjährigen Reformstaus in diesem Bereich lassen sich nicht von einem Jahr zum anderen ändern. Dazu gehört das traditionelle Familienbild, das sich am Modell der westdeutschen 50er Jahre, so könnte man sagen, in Deutschland orientiert. Es zementiert immer noch die überkommene Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, der Mann als Hauptverdiener – Sie kennen den Begriff „der Mann, der Ernährer der Familie“ – und die Mutter als Hausfrau oder Zuverdienerin.

Auch wenn die Frauen in unserem Lande, im Osten überhaupt, hoch qualifiziert sind und ein sehr starkes Interesse daran haben, beruflich tätig zu sein, so prägt dieses eben gezeichnete Leitbild immer noch stark die Diskussionen und die Verhaltensweisen in der bundesdeutschen Gesellschaft. Die Ausgestaltung des jetzigen Erziehungsgeldes nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz mit der Elternteilzeit hat zu diesem Bild und zu einer Verfestigung der traditionellen Rollenverteilung innerhalb der Familie ganz massiv beigetragen. Die Entscheidung für ein Kind war in Deutschland unter diesen Bedingungen immer noch eine Entscheidung auch über die Berufstätigkeit der Frau.

(Torsten Renz, CDU: Schauen Sie doch mal in die Zukunft!)

Nur 4,9 Prozent der Väter haben Anspruch auf Elternteilzeit in Anspruch genommen nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz. Dagegen waren es 99,8 Prozent der

anspruchsberechtigten Mütter. Und gerade dieses vergangene Bild, Herr Renz, war es, was so massiv die Debatte über die Einführung von Vätermonaten geprägt hat.

(Torsten Renz, CDU: Wir werden die beschließen. Wir werden die beschließen.)

Die aktuelle Debatte hat gezeigt, dass in den Köpfen vieler Männer Kindererziehung noch Müttersache ist,

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Genau.)

und deshalb begrüße ich es außerordentlich, dass wir mit dem Elterngeld auch diese Debatte über die Rolle des Vaters bei der Erziehung der Kinder hier geführt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Seien wir doch ganz ehrlich, Herr Renz,

(Torsten Renz, CDU: Ja.)

die Mehrheit der Männer wird durch die Geburt ihres Kindes bisher nicht in ihrer Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt eingeschränkt. Das gilt für Väter innerhalb ihrer Familie. Aber dieser neue Denkansatz gilt doch auch für die Väter in den Führungsetagen.

(Torsten Renz, CDU: Wer setzt sie denn um? Die CDU auf Bundesebene! – Unruhe bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Auch sie müssen sich gerade mit der Rolle der Frau, mit der Rolle der Mutter, die bei ihnen im Unternehmen tätig ist, auseinander setzen. Hier gilt es auch, gefestigte Strukturen zu durchbrechen. Ich finde es, wie gesagt, besonders wichtig, dass gerade diejenigen Männer, die als Arbeitgeber, die als Führungskräfte ganz maßgeblich über die Perspektive von Frauen in ihrem Unternehmen mit entscheiden, sich mit dieser Frage auseinander setzen. Insofern sehe ich in dieser geführten Debatte einen wirklich wichtigen und auch richtigen Schritt.

Wir wissen, Kinder sollen in unserer Gesellschaft willkommen sein. Das bedarf einer neuen Kultur, das bedarf neuer Lösungswege, das bedarf neuer Denkansätze, neuer Verhaltenweisen in den unterschiedlichsten Ebenen der Gesellschaft. Ich bin sehr froh, dass ich noch einmal an den Antrag anknüpfen kann, den die PDS-Fraktion im Jahr 2000 in den Bundestag eingebracht hat, weil seitdem – und das zieht sich durch alle Reden, die ich hier im Landtag halten konnte – immer wieder herausgestellt wurde, dass wir durch das Elterngeld, so, wie wir es jetzt hier durch die Bundesregierung auf den Weg gebracht sehen, tatsächlich in der Lage sind, einen Schritt in die Richtung der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gehen.

Es geht darum, die wirtschaftliche Grundlage der Familien zu stärken, es geht aber auch darum – das betone ich noch einmal –, ein Signal an die Arbeitgeber zu senden, denn sie sind es, die junge Menschen einstellen. Sie müssen wissen, junge Menschen sind im Arbeitsprozess gewünscht und mit ihnen sind auch Kinder in dieser Zeit des Arbeitsprozesses gewünscht. Das heißt, ein Unternehmen ist gut beraten, wenn es auch diese Kindererziehungszeiten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter plant, also ein Stück weit Personalmanagement im Sinne von Zukunftssicherung hier vorgenommen wird. Insofern ist das Elterngeld ein Beitrag zur Gleichstellung von Mann und Frau.

So weit, so gut, so lobenswert. Aber es wurde schon angedeutet, es knirscht dennoch ein wenig im Gebälk, denn das Elterngeld – und dafür plädiere ich ganz außerordentlich – muss sich auch für gering verdienende Eltern rechnen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Gering verdienende Eltern dürfen bei dieser grundlegenden gesellschaftlichen Reform nicht zu Verlierern werden. Das gilt gerade für Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben nach 1990 einen deutlichen Einschnitt bei den Kinderzahlen. Sie erinnern sich: Im Jahre 1990 wurden noch 23.500 Kinder in unserem Land geboren. Im Jahr 2002 waren es 12.500 Kinder. Bei dieser Zahl stabilisiert sich etwa die Zahl der geborenen Kinder. Wir wissen, das ist zu wenig. Wir wollen hier Anregungen. Wir wissen aber auch, die wirtschaftliche Situation vieler Familien in Mecklenburg-Vorpommern ist für die geringe Kinderzahl mit entscheidend. Ende 2004 bezogen 69.000 Menschen im Land Sozialhilfe, davon waren 36 Prozent der Kinder unter 18 Jahren. Ich sage es noch einmal: Der Anteil der Familien mit Kindern, die ein Nettoeinkommen unter 500 Euro haben, beträgt im Land 9,3 Prozent. Der Anteil der Familien mit einem Nettoeinkommen unter 1.500 Euro beträgt im Land Mecklenburg-Vorpommern 76,1 Prozent.

(Zuruf von Birgit Schwebs, Die Linkspartei.PDS)