Protocol of the Session on April 5, 2006

das stimmt, das gebe ich zu, meine Damen und Herren.

Ehrenamtlich im Großkreis, stellen Sie sich das doch mal vor! Also man merkt, hier haben Leute etwas zusammengeschrieben, die gar nicht wissen, wovon sie reden.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Sie sind selbst nie kommunalpolitisch tätig gewesen.)

Meine Damen und Herren, der Begriff „Professionalisierung“ der Arbeit der Kreistagsmitglieder ist schlichtweg eine unverschämte Beleidigung, eine Missachtung der Sachkunde der Bürger, die heute in den Kreistagen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Was bilden sich eigentlich solche Entwurfsverfasser, die das in die Begründung schreiben, ein?! Entweder haben sie null Ahnung, dann sind sie auf dem falschen Stuhl, oder aber sie haben kein Verhältnis zur kommunalen Selbstverwaltung, dann sollten sie sich anderen Aufgaben widmen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ich glaube, beides ist der Fall.)

Das dürfte so sein.

Meine Damen und Herren, wie soll eigentlich ein Kreistagsmitglied noch seine Aufgaben erfüllen, nämlich verantwortlich mitentscheiden? Das ist es doch. Wir wollen doch, dass diese beiden Organe, der Landrat und der Kreistag – das sind nach unserer Landkreisordnung in der Kommunalverfassung zwei sich gegenüberstehende und gleichberechtigte Organe, die Landräte glauben, sie sind mehr, und wir meinen, ehrenamtlich gesehen sind wir auch mehr, aber jedenfalls sind es zwei zur Zusammenarbeit verpflichtete Organe –, Entscheidungen treffen. Wie sollen wir eigentlich Kontrolle der Verwaltung machen? Wie sollen wir eigentlich auf ehrenamtlicher Ebene Entscheidungen treffen, wenn wir zum Beispiel eine Fläche von knapp 7.000 Quadratkilometern haben, Entscheidungen über eine kreisliche Immobilie oder Kreisstraßen irgendwo im Kreis, wo sie nicht so einfach, wie Sie sich das vorstellen, in ein Internetcafé gehen können? Der Innenminister hat ja jetzt gesagt, es braucht nicht jeder einen Computer. Ich nehme an, dass er dann demnächst die Internetcafés aufzieht. Das hilft ihm doch gar nicht. Sie haben doch gar keinen Überblick. Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden. Jeder von uns, der Kommunalpolitik selber lebt, weiß, welchen Charme es macht, über eine Sache richtig Bescheid zu wissen, wenn man entscheidet. Im Landtag kann das, das sage ich selber auch, nicht immer so der Fall sein, weil wir nicht so sachnah an den Dingen sind.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen so ein paar Entfernungen nennen: Wenn einer zum Beispiel von Dömitz an der Elbe – das wird jetzt leider immer genannt wegen der Hochwassergefahr – bis zu uns hier in diese

Landeshauptstadt will, wo der Sitz sein soll nach Ihrem Willen, zunächst einmal, vielleicht wird es später anders, das weiß ich nicht, muss der erst einmal zwei Stunden fahren, und zwar eine Fahrt, nicht etwa hin und zurück, das sind vier Stunden, das kann ich als Jurist ganz gut mitrechnen. Das heißt, wenn er jetzt noch zwei Stunden Ausschussarbeit hat, sind das sechs Stunden. Kann das jemand im Ehrenamt machen? Wie soll er das machen? Es wird nicht nur samstags und sonntags getagt. Wir wissen, dass das überhaupt nicht so ist. Wir wissen, dass an Wochentagen getagt wird. Und wir wissen, dass wir wegen der Berufstätigen tunlichst nicht vor 18.00 Uhr mit einer Sitzung anfangen. Rechnen Sie da mal sechs Stunden dazu und dann überlegen Sie sich, ob Sie jetzt noch von ehrenamtlicher Wahrnehmung dieser Aufgabe reden können.

Meine Damen und Herren, es ist eben nicht so, wie der Herr Ministerpräsident gesagt hat. Es geht uns allen schlecht, wir werden noch weniger Geld haben und deswegen müssen wir die Kreisstrukturen zukunftsträchtig machen. Das heißt Abschaffung der bisherigen Kreise. Das ist doch Ihre Aussage. Das ist eben nicht so. Wer kommunale Selbstverwaltung haben will, der muss Strukturen so schneiden, dass kommunale Selbstverwaltung noch möglich ist. Und alle Ihre Krücken mit professioneller Unterstützung von nicht gewählten Hauptamtlichen mit Dingen, die Übertragung von Nachrichten angehen und so weiter, ersetzen nicht den Menschen, ersetzen nicht das Vorhandensein von Sachverstand. Und, meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz einfach: Eine Kreisgebietsreform stößt da an Grenzen, wo das, was dort ehrenamtlich geleistet werden muss, nach der Vorgabe etwa unserer Kreisordnung, nicht mehr ehrenamtlich gemacht werden darf, gemacht werden kann, darf schon, aber nicht mehr kann. Sie müssen die Strukturen entsprechend anpassen.

Meine Damen und Herren! Diese These, die Sie seit 2003 so wie ein Heiligenbild vor sich herschleppen – halt, für eine Richtung ist es ein bisschen schwierig mit dem Heiligenbild.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Nee, ganz so unwissend sind wir nicht!)

Gut, okay, nehmen wir das Heiligenbild.

(Zuruf von Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS)

Diese These, die Sie so wie ein Demonstrationsobjekt vor sich herschleppen, wird nicht besser dadurch, dass Sie sie dauernd wiederholen. Es gibt in der Bundesrepublik, Herr Ministerpräsident, kein einziges Beispiel dafür, dass es erforderlich war, Kreise, die dann keine mehr sind, also diese Regionalkreise, zu schaffen, um die Verwaltung zu reformieren.

(Beifall Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Herr Innenminister, ich habe mich bei Ihnen etwas gewundert, als Sie von der dünn besiedelten Fläche gesprochen haben. Das spricht doch eigentlich dafür, dass man den Umfang der Kreise, die Flächenausdehnung der Kreise nicht so groß macht, dass man erst 500.000 Einwohner oder 400.000 Einwohner haben muss.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Das ist in allen Bundesländern erkannt worden. Dort sind die Kreise so geschnitten, dass die Entfernungen für ehrenamtliche Arbeit überbrückbar sind. Und das, meine Damen und Herren, was Sie da vor sich hertragen, ist

nicht gut und das wird auch nicht besser dadurch. Im Ausschuss, Herr Müller, das wissen wir beide, ist genau dieses Problem immer wieder deutlich gemacht worden, natürlich von denjenigen, die sich da auskennen. Zu sagen, wie der Ministerpräsident: Na, die Landräte wollen ihren Job nicht verlieren und Kreistagspräsidenten sind auch stolz auf ihr Amt! Herr Ministerpräsident, ich hoffe, dass die Kreistagspräsidenten stolz auf ihr Amt sind,

(Heinz Müller, SPD: Sind sie auch zu Recht.)

denn sie haben eine wichtige Funktion. Vielleicht sollten Sie sich einmal mit dem einen oder anderen unterhalten,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Wäre hilfreich.)

wie aufwändig diese Aufgabe schon in einem heute existierenden Landkreis ist. Aber das scheint Ihnen irgendwie zu entgehen, dass hier eine ehrenamtliche Funktion für die Allgemeinheit wahrgenommen wird. Wenn dann jemand sagt, ich möchte nicht, dass diese Funktion der ehrenamtlichen Vertretung der Bürger einfach weggenommen wird, ist das nicht der Kampf um eigene Pfründe, denn das ist ehrenamtlich, Herr Ministerpräsident, dafür bekommt man kein Gehalt, sondern das ist die Verantwortung für ein Amt, das ein Ehrenamt ist, um das man sich beim Bürger beworben hat und glücklicherweise dann auch in einem Kreistag, weil die Mehrheitsfraktion im Regelfall diese Funktion erhält, deshalb auch gewählt worden ist.

Meine Damen und Herren, gehen Sie bitte nicht mit denjenigen, die sich ehrenamtlich für unsere Gesellschaft einsetzen, so um, als seien sie aus lauter Überheblichkeit in diesen Ämtern. Das ist viel Opfer an Freizeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das ist viel Opfer auch, weil man sich bei Entscheidungen nicht nur Freunde macht. In der Kommunalpolitik ist das nicht so leicht, immer auf andere zu verweisen. Da wissen die Leute vor Ort, wenn es denn übersichtlich ist, sehr wohl, was Sie am letzten Abend beschlossen haben. In einer Stadt wie Schwerin höre ich mit Sicherheit am Tag nach der Stadtvertretersitzung von den Bürgern, was wir wieder alles falsch gemacht haben. Gönnen Sie sich einmal so ein Gespräch mit Stadtvertretern, Herr Ministerpräsident, oder mit Kreistagsmitgliedern! Dann werden Sie anders reden, denn Sie reden hier wirklich wie der Blinde vom Sehen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oje! – Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Na, na, na! Nenn Beispiele!)

Meine Damen und Herren! Wir machen uns häufig die Freude, die Ehrenamtlichkeit auch außerhalb der kommunalen Ehrenämter, etwa in der Jugendarbeit, zu loben. Das ist gut so. Aber in der ganzen Diskussion sind genau diese Belange überhaupt nicht betrachtet worden.

Das wissen wir auch.

(Heinz Müller, SPD: Das wissen wir auch.)

(Heinz Müller, SPD: Doch, doch, doch!)

Der Landesjugendring hat sehr deutlich darauf hingewiesen, Herr Müller, Sie entsinnen sich, nur Sie haben es leider nicht berücksichtigt.

(Heinz Müller, SPD: Das haben wir sehr wohl betrachtet!)

Der Landesjugendring hat darauf hingewiesen,...

(Heinz Müller, SPD: Ihnen gefallen unsere Entscheidungen nicht, das ist alles!)

Ja, genau, dem Landesjugendring gefallen Ihre vorgegebenen Entscheidungen nicht, denn an diesem Teil ist ja überhaupt nichts geändert worden an der Struktur der Kreise.

(Heinz Müller, SPD: Mit „ihnen“ meinte ich die CDU.)

Die gefielen dem Landesjugendring nicht, aber nicht etwa, weil der Landesjugendring genauso verbohrt ist wie die böse Opposition, wie der Ministerpräsident glaubt, sondern weil die draußen in der Praxis aktuelle und sehr effektive Jugendarbeit machen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: So ist es.)

Und die beschimpfen Sie auch noch, das sind die, die ihre Pfründe nicht loswerden wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das stimmt doch alles nicht. Das ist doch peinlich, was Sie hier treiben, dass Sie Menschen vor den Kopf stoßen, weil sie ein Ehrenamt und das auch noch gerne machen.

Herr Ministerpräsident, man muss nicht jeden Tag mit einer bitterbösen Miene durch die Gegend laufen wie Sie heute Morgen, als Sie aus dem Auto gestiegen sind, weil da ein paar Leute standen. So nah habe ich Sie noch nie an den Landtag heranfahren sehen. Es war schon beeindruckend,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Und schimpfend! Und schimpfend!)

wie Sie Ihren Bürgern aus dem Wege gegangen sind. So schlecht kann doch Ihr Standing gar nicht sein, dass Sie mit uns hätten mal reden können.

Meine Damen und Herren, wir lehnen aus diesem Grunde, weil die Schwächung des Ehrenamtes durch das Gesetz herbeigeführt wird – es ist nicht zu vermeiden durch dieses Gesetz, dieses Gesetz führt zu einer unausweichlichen Schwächung des Ehrenamtes –, diesen Gesetzentwurf ab.

Meine Damen und Herren! Wir werden demokratische Leitbilder erarbeiten. Auch das steht in dem Antrag, über den wir morgen reden und, wie ich hoffe, gemeinsam so beschließen.