Protocol of the Session on March 9, 2006

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin froh, meine erste Rede vor diesem Hohen Hause zu einem Thema halten zu können, das mir persönlich am Herzen liegt, weil es Bestandteil meiner bisherigen Tätigkeit war, bei dem die CDU sehr gut aufgestellt ist und über das interfraktionell große Einigkeit besteht.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

Frauen steht heute die Möglichkeit offen, selbstbestimmt zu leben und verantwortungsvolle Posten zu bekleiden. Dafür steht als Allererste unsere Bundeskanzlerin,

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

die noch dazu ihre politische Heimat in MecklenburgVorpommern hat. Dafür stehen wir, liebe Parlamentskolleginnen, die Gleichberechtigung leben und die entsprechende Voraussetzungen vorfanden. Wir fungieren als Vorbild für viele Frauen, deren Rolle sich in der heutigen Gesellschaft vielleicht noch nicht so klar herauskristallisiert hat.

Was aber, wenn es nicht so abläuft? Es gibt auch Familien, in denen das Gefüge alles andere als intakt bezeichnet werden kann. Die Medien sind voll von Beispielen, die Frauen und Kinder als Opfer häuslicher Gewalt darstellen. Jeder kennt Beispiele aus seinem Umfeld und Fälle gibt es nicht nur im sozial schwachen Milieu. Ich bin überzeugt davon, dass durch vernünftige Politik auch Zündstoff aus dem familiären Bereich herausgezogen werden kann, der durch klassische Rollenverteilung, finanzielle Nöte und möglicherweise komplizierte Lebenslagen hervorgerufen wurde und wird. Es wird jedoch noch ein paar Jahre dauern, b i s die Verschiebung des Machtgefüges zwischen Männern und Frauen keinen Aufschrei mehr auf der jeweils anderen Seite erzeugt und Gleichstellung normal ist.

Gewalt gegen Schwächere, insbesondere gegen Frauen und Kinder, ist nicht normal, gehört aber leider zu unserem Alltag. Normal nach unserer, das sage ich bewusst, abendländischen Vorstellung ist, dass sozusagen die Familie den Schutzraum bildet gegen all die kleinen und großen Sorgen, die das Leben zu bieten hat. Hier werden Verhaltensweisen in großem Maße geprägt. Das, was im Landesaktionsplan als sozialer Nahbereich bezeichnet wird, sollte Gewalt normalerweise ausschließen. Das ist aber nicht so, das wissen wir alle, sonst bräuchten wir ja diesen Aktionsplan nicht. Darüber hinaus haben sich einige besondere Problemfelder herauskristallisiert, die über das erforderliche Maß an Sensibilität noch einmal hinausgehen.

Hier fiel das Stichwort „Fremdbestimmung“. Wie kann man Opfern von Frauenhandel helfen, die dazu häufig aus einem anderen Kulturkreis kommen und kaum einen Brocken deutsch sprechen? Wie kann man Migrantinnen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder die zwangsverheiratet werden sollen, helfen? Wie kommt man überhaupt an sie heran? Da reicht ein deutschsprachiges Infoblatt leider nicht. Was kann man für Stalkingopfer tun? Wie kann man Behinderten und psychisch kranken Frauen helfen, die Gewalt ausgesetzt sind? Wichtig erscheint mir auch, dass betroffene Kinder mehr ins Blickfeld gerückt werden und gegebenenfalls tatsächlich als eigenständige Opfer angesehen werden.

Häufig werden Anzeichen von Gewalt in Familien von außen wahrgenommen, aber ebenso häufig vertuscht und totgeschwiegen. In der Regel sind es Männer, die die Täter sind. Harald Dressing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim beantwortet die Frage, warum dies so sei, wie folgt, Zitat: „Für alle Formen von Kriminalität sind Männer immer die größte Gruppe. Das ist eine biologische und anthropologische Konstante. Männer neigen eher zu gewalttätigem Verhalten.“ Und das, meine Damen und Herren, hat was mit Macht zu tun. Selbstverständlich gibt es inzwischen auch Täter, die gegen ihr eigenes Fehlverhalten ankämpfen. Es gibt, wie Sie wissen, das wurde auch schon gesagt, Männerberatungsstellen. Schade ist nur, dass solche Einrichtungen aus Kostengründen zumindest in nächster Zeit keine Förderungen zu erwarten haben.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das ist nicht richtig.)

In einem gestrigen Telefongespräch mit dem Kreisdiakonischen Werk Greifswald, Träger einer solchen Beratungsstelle, wurde mir gesagt, dass man dort mit einem alternativen Finanzierungsflickwerk ums Überleben kämpft. Anderswo konnte man sich gar nicht erst dazu durchringen, solche Anlaufstellen einzurichten. Möglicherweise lässt sich hier der Faden ja wieder aufnehmen, das wird sich zeigen. Es ist hier auf Landesebene offenbar möglich, das hatte ich gar nicht erwartet, sogar bei einigen Themen parteiübergreifenden Konsens herzustellen. In meiner ersten Sitzung im Januar durfte ich das schon einmal erleben und wir haben es eben gerade erlebt. Dies zeigt sich einmal mehr am Beispiel der heutigen „Fortschreibung des Landesaktionsplanes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder“ in MecklenburgVorpommern.

Ich habe mir von meinen Kollegen in der CDU-Fraktion berichten lassen, dass es in der letzten Legislaturperiode im Innenausschuss große Einigkeit über den Landesaktionsplan und die Maßnahmen zu seiner Durchsetzung gegeben hat. Ich erinnere, das wurde auch schon gesagt, an die einvernehmliche Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes, mit dem für die Polizei eine Eingriffsbefugnis erteilt werden konnte, Gewalttäter aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen, sowie an die Arbeit des Interventionsprojektes CORA mit den fünf regionalen Interventionsstellen.

Trotz der positiven Ergebnisse darf nicht verkannt werden, dass ein noch konsequenteres und systematischeres Handeln erforderlich ist und die Hilfe- und Reaktionssysteme zum Wohle der Opfer weiterentwickelt werden müssen, um noch frühzeitiger und wirksamer den Schutz der von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder sichern zu können. Bisher blieben, das hat Frau Seemann auch schon gesagt, einige Bereiche häuslicher Gewalt ausgeblendet, um zunächst Kernaufgaben zu lösen, was selbstverständlich nicht heißen soll, dass diesen Aufgaben nun weniger Aufmerksamkeit zu schenken wäre.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt sind weitere Problemfelder zu bearbeiten und neue Zielgruppen zu erreichen. Ich bin schon kurz darauf eingegangen und Sie, Frau Dr. Seemann, ebenfalls. Auf Bundesebene hat sich die CDU bereits in der letzten Legislaturperiode mit diesen Themenfeldern intensiv auseinander gesetzt. Mit einem Gesetzentwurf zur Änderung des Strafrechts hat sie im April 2005 den Versuch unternommen, auch Freier von Zwangsprostituierten zu bestrafen. Ein neuer Paragraf im Strafgesetzbuch sollte den sexuellen Missbrauch von Menschenhandelsopfern mit bis zu fünf Jahren Haft bestrafen, wenn die Freier die Zwangslage der Prostituierten kannten.

Im Sommer 2004 unterstützte die CDU einen Gesetzentwurf aus Hessen, der das so genannte Stalking unter Strafe stellen soll. Stalking ist, um es vielleicht den anwesenden Gästen auch gleich zu erklären, ein aus der Jägersprache abgeleiteter Begriff und heißt Einkreisen oder Anschleichen. Er steht für das Phänomen, andere Menschen zu belästigen. Davon sind nicht nur Popstars betroffen.

(Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Auch Politiker.)

Es ist jedoch schwer zu fassen, genau wie Mobbing. Und die erste und einzige Studie zu diesem Thema des

Zentralinstituts für Seelische Gesundheit stammt aus dem letzten Jahr und besagt, dass Stalkingopfer im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung eine signifikant schlechtere psychische Befindlichkeit haben und häufiger Ärzte, Therapeuten und auch die Polizei konsultieren. Im Strafgesetzbuch einen eigenen Straftatbestand zu schaffen, der diesen seelischen Terror verhindern hilft, das will man in Berlin alsbald aufgreifen. Der Koalitionsvertrag sieht es auf Drängen der CDU so vor. Ebenso will die CDU einen neuen Straftatbestand der Zwangsheirat einführen. Ein klar definiertes Tatbestandmerkmal würde für mehr Rechtssicherheit sorgen. Ich hoffe, dass die rot-rote Landesregierung diese Gesetzentwürfe unterstützt und sich bei entsprechenden Bundesratsinitiativen nicht – wie in der Föderalismusreform – der Stimme enthält.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Da hat sie aber gut daran getan, sich zu enthalten. – Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS: Auch im Interesse der Frauen. – Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Doch zurück zu unseren diesbezüglichen Angelegenheiten. Wir haben uns im Innenausschuss zunächst auf das beschränkt, was Aufgabe des Landes ist, und zwar die Einbindung der Beratung und Betreuung der betroffenen Frauengruppen in das bestehende Interventionsprogramm. Hierzu hat die CDU im Innenausschuss einen Antrag vorgelegt,

(Karin Schmidt, Die Linkspartei.PDS: Interfraktionell.)

mit dem die Landesregierung aufgefordert wird, ein Konzept für die wirksame Bekämpfung von Frauenhandel und für die Verbesserung der Situation der von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat betroffenen Migrantinnen zu erstellen. Erfreulicherweise wurde der Antrag mit kleinen Änderungen von allen Fraktionen mitgetragen

(Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: Es ist nicht so, dass wir immer alles ablehnen.)

und liegt jetzt als interfraktionelle Beschlussempfehlung des Innenausschusses zur Abstimmung hier im Landtag vor. Die CDU-Fraktion wird der Beschlussempfehlung zustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS und Dr. Margret Seemann, SPD)

Vielen Dank, Frau Friemann-Jennert. Ich denke, Sie haben Ihre erste Rede hier mit Bravour geleistet.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS)

Ich darf jetzt ans Rednerpult bitten die Abgeordnete Frau Schmidt von der Fraktion der Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, heute einen Tag nach dem Internationalen Frauentag dieses Thema auf der Tagesordnung zu haben. Ich bin des Weiteren froh darüber, dass hier – wenn Sie sich erinnern, im vergangenen Jahr hatten wir am selben Tag, am 9. März, eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Frauen in MecklenburgVorpommern“ – so unstrittig diskutiert worden ist, und die Atmosphäre in diesem Saal eine ganz andere ist. Ich bin, wie gesagt, froh darüber, dass wir heute in dieser Art und

Weise miteinander über ein sehr wichtiges Thema diskutieren.

Nichtsdestotrotz möchte ich eine Sache klarstellen: Das, was hier gerade dargestellt worden ist, und zwar der Antrag, von dem im Innenausschuss die Rede war, ist nicht nur ein Antrag der CDU-Fraktion, sondern es ist ein interfraktioneller Antrag, der von uns allen hier getragen wird,

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig.)

zu dem wir uns alle bekannt haben.

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Dr. Margret Seemann, SPD)

Des Weiteren freue ich mich an der Stelle – denn es ist so, wie Sie darstellten, der Entwicklungsprozess zum Landesaktionsplan war ja nicht ganz so unstrittig, wie das vielleicht hier den Eindruck erweckt –, dass die CDU und wir um einheitliche Meinungen gerungen haben. Die CDU hat insbesondere einige Positionen überarbeitet und auch begrüßt, dass die Migrantinnen mit ins Blickfeld des Landesaktionsplanes rücken. Umso weniger ist zu verstehen, deshalb sollte man darauf hinwirken, da das Bundesministerium momentan ja darüber nachdenkt, Mittel für die Sprachförderung bei Migrantinnen zu kürzen, sich damit von Seiten der CDU auseinander zu setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD – Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Sehr richtig, Frau Schmidt.)

Seit über 100 Jahren fordern Frauen weltweit die Gleich

berechtigung von Frauen und Männern, die Beseitigung bestehender Nachteile für Frauen und ganz aktuell die Forderung der heutigen Frauengeneration nach einer Gleichstellungspolitik, die den heutigen Erfordernissen entspricht. Und wenn vorhin die Rede davon war, dass wir heute parteiübergreifend viele Fragen miteinander diskutieren, möchte ich doch ganz persönlich bemerken, dass dieser große Zeitraum von 100 Jahren vielleicht daran liegt, dass es vorher nicht so war. Es wird sicher noch Zeit in Anspruch nehmen, diese vielen Fragen zu realisieren, obwohl die Parteien mittlerweile auch bei uns im Hause fraktionsübergreifend zusammenarbeiten. Dennoch muss die Solidarität von Frauen noch stärker in diesem gesamten Prozess gefördert werden,

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS und Thomas Schwarz, SPD)

denn zum Kampf um Gleichstellung gehört auch der Kampf gegen die Gewalt an Frauen und Kindern. Gewaltanwendung gegen Frauen und Kinder ist nach wie vor die am häufigsten begangene Menschenrechtsverletzung und gleichzeitig ein Menschheitsverbrechen, das am meisten verschwiegen wird.

Die Gewalt gegen Frauen und Kinder hat viele Fassetten. Über das tatsächliche Ausmaß lassen sich schon aufgrund der Definitionsbreite keine gesicherten Angaben machen, zumal es diesbezüglich auch keine aussagekräftige Kriminalstatistik gibt. Erschreckend ist, dass körperliche, sexuelle und psychische Gewalt gegen Frauen und Kinder, aber auch in geringerem Ausmaß an Männern, in allen Kulturen und Gesellschaftsschichten anzutreffen sind. Dabei hat ein wichtiger Erkenntnisprozess stattgefunden, welcher in der Studie der Bundesregierung zur Begleitung der Interventionsprojekte, von denen hier vor

hin schon die Rede war, gegen häusliche Gewalt Folgendes feststellt, Zitat: „Lange Zeit war die Bearbeitung der Fälle häuslicher Gewalt durch die Polizei und Amts- bzw. Staatsanwaltschaften geprägt von der Haltung, dass Gewalt, die in privaten Beziehungen stattfindet, auch dort geregelt werden sollte. Häusliche Gewalt wurde als Familienstreitigkeit definiert.“ Dieses passiert leider auch heute noch oft.

Die Last des gesamten Gewaltproblems mit all seinen Begleiterscheinungen wurde auf die Institution Frauenhaus gelegt. Das Problem, das ihnen in der Praxis als strukturell verankerte Männerwelt gegen Frauen begegnete, wurde den Frauenprojekten überlassen und damit aber erneut privatisiert. Als Folge erlebten die Tätigen vor Ort, dass ihre Arbeit vielfach ins Leere lief. Mit einem unablässigen Strom misshandelter Frauen konfrontiert wurde deutlich, dass allein Hilfe für Betroffene nicht zum nachhaltigen Abbau von Gewalt im Geschlechterverhältnis führen kann.

Bei der Polizei, die häufig direkt das Ausmaß der Gewalt und die schwierige Situation der Opfer und ihrer Kinder erlebte, wuchs das Problembewusstsein, aber es wurden kaum effektive Handlungsmöglichkeiten in diesen konkreten Beziehungen gesehen. Wiederholte Einsätze in der gleichen Familie sowie die Erfahrung, die Situation der Opfer nicht nachhaltig verändern zu können, machten diese Einsätze unbeliebt. Bei den wichtigsten Beteiligten hatte sich also Unzufriedenheit mit den Grenzen des eigenen institutionellen Handelns angesammelt. Es gab eine starke Motivation, diese Grenzen zu überschreiten, und die Kenntnis, dass dies nicht allein für jede Institution zu bewältigen war. In dieser Situation hat die Idee der Interventionsprojekte trotz vielfacher Skepsis erstaunlich schnell Fuß gefasst, was hier ja auch deutlich dargestellt wurde. Daraus entwickelten sich die zentralen und übergreifenden Forderungen: erstens, private und öffentliche Gewalt im staatlichen Sanktionssystem gleichzustellen, zweitens, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, und drittens, für die Opfer zuverlässigen Schutz und Unterstützung sicherzustellen.

Wie notwendig dieses ist, unterstützt auch eine Meldung der Europäischen Kommission für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten aus Brüssel vom 03.03.2006 – also sehr aktuell – mit der Überschrift: „Kommission sagt geschlechterspezifischer Benachteiligung den Kampf an: neuer Aktions-Fahrplan und 50 Millionen Euro für ein Gender-Institut.“ Der beschriebene Fahrplan legt sechs prioritäre Aktionsbereiche für 2006 bis 2010 fest:

„– gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit für Frauen und Männer;

bessere Vereinbarkeit von Beruf-, Privat- und Familienleben;

Förderung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen;

Bekämpfung geschlechterbezogener Gewalt und geschlechterbezogenen Menschenhandels;

Abbau von Geschlechterstereotypen in der Gesellschaft;

Förderung der Gleichstellung außerhalb der EU.“