(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, eben, ja. – Zuruf von Heike Polzin, SPD)
Er hat gesagt: Daran zeige sich, dass Maik S. durch Therapie nicht erreichbar gewesen wäre. Nach gegenwärtiger Einschätzung der Fachwelt gebe es keine Therapie für jemanden wie ihn. Deshalb könne man nicht sagen, andere oder mehr Therapie hätte seine Gefährlichkeit mindern können. Über die Frage, ob Maik S. richtig behandelt worden sei, könne man deshalb eigentlich nicht reden, sondern nur hypothetisch, wenn man nämlich unterstellte, entgegen den jetzt vorliegenden Erkenntnissen, dass Maik S. für eine Therapie erreichbar gewesen wäre. Wenn er erreichbar gewesen wäre, sagt Dr. Orlob, dann wäre es jedenfalls nicht fehlerhaft gewesen, nicht sofort in der Haft mit Therapie im eigentlichen Sinne und im engeren Sinne zu beginnen. Er hat gesagt, die damals vom Gutachterteam empfohlene und dann auch in das Urteil aufgenommene – Sie haben das zitiert – sozialtherapeutische Hilfe, die würde er – Dr. Orlob – klar als Maßnahmen definieren, die sich nicht nur auf Therapien im engeren Sinne, sondern in gleicher Weise auf Kompetenzerweiterung in den Bereichen Ausbildung, Schule, Beruf und allgemeines Verhalten richten würden. Er hat gesagt: Grundsätzlich sollten die Inhaftierten vor der Therapie vorbereitet sein durch allgemeine vollzugliche Maßnahmen. All das, was hier geschehen ist.
Der Vorwurf zu sagen, Maik S. habe nur 15 Monate Therapie absolviert, so Dr. Orlob, sei zu kurz gegriffen, weil eine ambulante Fortsetzung der begonnenen Therapie im Rahmen der Führungsaufsicht vorgesehen war. Dr. Orlob sagt, ambulante Therapie schneide nicht schlechter ab als stationäre.
Manche sagen, im Gegenteil, allerdings eben nur, wenn Maik S. erreichbar gewesen wäre, was für die Tatzeit nicht der Fall war. Und einer der wichtigsten Sätze: Wer sich nicht wirklich bemühen wolle, nicht mehr Täter zu sein, sagt Dr. Orlob, der sei für Therapie nicht erreichbar. Ich denke, es lohnt sich, diese Aussagen von Dr. Orlob den Vorwürfen, die hier erhoben worden sind, gegenüberzustellen.
Meine Damen und Herren, der Rechtsausschuss hat bereits jetzt durch seine umfangreiche Anhörung, vor allem von Dr. Orlob, wichtige Erkenntnisse gewonnen. Die weitere Expertenanhörung am 2. Februar wird abschließend die Rechtslage klären, so dass wir dann eine gute Grundlage haben, um aus diesem schrecklichen Mord die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Mir geht es nach wie vor darum, bessere Voraussetzungen, ein konsequenteres rechtliches Instrumentarium zum Schutz vor schwersten Sexualstraftätern zu schaffen. Deshalb habe ich die Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, mit der erreicht werden soll, für schwerste Täter im Ausnahmefall schon nach nur einer Tat bereits bei der Verurteilung Sicherungsverwahrung anordnen zu können, damit wir nicht, wenn wir einen eher unauffälligen Haftverlauf haben, trotz der am Ende fortbestehenden Gefährlichkeit mit leeren Händen dastehen.
Ich muss zugeben, es sind dagegen rechtsstaatliche Bedenken erhoben worden, die politisches Gewicht haben und auch nur durch allgemein akzeptierte Lösungen ausgeräumt werden können. Deshalb wäre es wichtig, wenn auch die CDU in Mecklenburg-Vorpommern sich klar zu dieser Bundesratsinitiative bekennen und sie unterstützen würde. Bisher hat sie das nur in der nichtöffentlichen Sitzung im Rechtsausschuss getan.
Meine Damen und Herren, mit der Auffassung, dass der Umgang mit rückfallgefährdeten Gewalt- und Sexualstraftätern verbessert werden muss, stehen wir nicht allein. Die „Frankfurter Rundschau“ hat in ihrer Ausgabe vom 30. Dezember 2005 sehr ausführlich eine Studie zu einem Forschungsprojekt des Hessischen Justizministeriums vorgestellt, in der sich der frühere Vorsitzende der Frankfurter Schwurgerichtskammer Ulrich Baltzer mit diesen Fragen beschäftigt hat. Diese Studie ist sehr ernst zu nehmen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass es sich um eine Doktorarbeit handelt mit den Doktorvätern Rudolf Egg, das ist der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, und Winfried Hassemer, das ist der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Diese Studie hat ergeben, dass fast jeder fünfte Gewalt- und Sexualstraftäter in Hessen nach der Haft gefährlich bleibt. Das Rückfallrisiko sei so hoch, dass sie nicht auf freien Fuß kommen dürften. Auch Baltzer kommt zu dem Ergebnis, dass die ab Sommer 2004 geltende gesetzliche Möglichkeit, nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, die Probleme nicht lösen kann. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung sei eben eine Durchbrechung der Rechtskraft und deshalb an enge verfassungsrechtliche Grenzen gebunden, wenn nicht sogar, sagt Baltzer, verfassungswidrig. Dazu muss man im Kopf behalten, Doktorvater ist eben der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Eine Patentlösung hat auch Baltzer nicht, seine Studie zeigt aber, dass wir Verbündete finden können, wenn wir die schwierige Aufgabe angehen, das Instrumentarium zum Schutz vor schwersten Sexualstraftätern konsequenter und effektiver auszugestalten. Ich möchte auch die Opposition in diesem Haus ermuntern, hierbei mitzumachen. Stellen Sie sich den Schwierigkeiten, die für den demokratischen Rechtsstaat objektiv bestehen, wenn es darum geht, Täter für immer wegzusperren!
Meine Damen und Herren, mein Appell an Sie heißt natürlich nicht, dass ich Ihnen Ihren Ausschuss ausreden will, ich will allerdings nicht verhehlen, dass nach meiner Meinung die sachliche Prüfung einfacher und schneller im Rechtsausschuss hätte zu Ende geführt werden können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Das stimmt doch einfach nicht!)
Einzelne Vorwürfe sind übrigens noch einfacher durch bloßen Blick ins Gesetz zu klären. Um einmal mit einem ganz zähen Vorurteil aufzuräumen: Es besteht keine gesetzliche Pflicht für das Land, eine eigene sozialtherapeutische Anstalt zu bauen. Selbstverständlich können wir die Täter, deren Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt angezeigt ist und die wir deshalb nach Paragraf 9 des Strafvollzugsgesetzes in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegen müssen – das ist die einzige gesetzliche Pflicht, die wir haben –, auch in Hamburg oder Niedersachsen behandeln
oder aber, wie dies in 2003 und 2004 geschehen ist, in einer gesonderten Abteilung in einer unserer bereits bestehenden Anstalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mir wäre sehr wichtig, wenn es gelänge, den Mitarbeiterinnen und Mit
arbeitern im Vollzug und auch in der Sozialtherapie das Signal zu geben, dass die Politik sie in ihrer schwierigen und verantwortungsvollen Arbeit nicht allein lässt.
Sicher ist es richtig, dass dieser schreckliche Fall auch zum Anlass genommen werden muss, die Arbeit der Sozialtherapie überall dort zu verbessern, wo die Analyse ergibt, dass Verbesserungsbedarf besteht. Aber wenn klar ist, dass Maik S. durch Therapie nicht zu bessern war,
(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, da muss man sie erst mal machen. So einfach geht das nicht. – Zuruf von Ilka Lochner-Borst, CDU)
wenn klar ist, dass seine Gefährlichkeit durch Therapie nicht ernsthaft verringert werden konnte, dann steht, Herr Dr. Jäger, die Untersuchung der Arbeit der Sozialtherapie doch wohl unter einem anderen Vorzeichen.
Dann geht es nicht um den Vorwurf, durch Fehleinschätzungen möglicherweise mit dazu beigetragen zu haben, mit ursächlich zu sein für diesen schrecklichen Mord. Diesen Vorwurf kann, meine ich, niemand mehr erheben. Dieser Vorwurf ist durch die klare Aussage von Dr. Orlob ausgeräumt, der die Entwicklung von Maik S. wohl am besten kennt.
(Dr. Armin Jäger, CDU: So einfach ist das nun auch wieder nicht. Was soll der denn sonst sagen? – Ilka Lochner-Borst, CDU: Das ist unglaublich! – Dr. Armin Jäger, CDU: Was soll der sonst sagen? – Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)
Ich habe eben über die Rechtsänderungen gesprochen, aber lassen Sie uns auch über den Vollzug und die Sozialtherapie reden. Wenn wir dafür die richtigen Konsequenzen aus diesem schrecklichen Fall ziehen wollen, dann muss es uns gelingen, den Vorwurf der Mitverursachung, der Mitverschuldung auf der einen Seite zu trennen von dem möglicherweise bestehenden ganz allgemeinen Verbesserungsbedarf. Ich meine, das muss möglich sein, auch wenn ein Parlamentarischer Untersuchungsau sschuss eingesetzt ist.
Selbstverständlich ist ein solcher Fall Anlass, den gesamten Bereich allgemein zu überprüfen, zu evaluieren, Verbesserungsbedarf zu ermitteln und umzusetzen.
Wie können wir unsere noch junge Sozialtherapie besser machen, ihre Arbeit erfolgreicher für einen besseren Schutz der Bevölkerung? Das sind Fragen, mit denen meine Vollzugsabteilung sich selbstverständlich auseinander setzt, und zwar auch unter Berücksichtigung der Hinweise, die wir hier durch externen Sachverstand bekommen, denn es geht um ein besonders schwieriges Arbeitsgebiet. Möglicherweise werden wir über organisatorische Veränderungen, über konzeptionelle Verbesserungen beraten und entscheiden müssen. Es wird wohl auch eine grundsätzliche politische Verständigung darüber geben müssen, welche Chancen wir der Therapie von Sexualstraftätern überhaupt beimessen. Ganz klar ge
sagt: Kompetenzverbesserungen, wenn wir sie am Ende für nötig halten sollten, wird es auch kaum zum Nulltarif geben können. Auch darüber muss gesprochen werden.
Meine Damen und Herren, der Parlamentarische Untersuchungsausschuss ist das schärfste Instrument des Parlaments zur Sachaufklärung und er ist außerdem in der politischen Wirklichkeit – das lässt sich in jedem Kommentar nachlesen – eines der wichtigsten Mittel der parteipolitischen Auseinandersetzung. Darin liegt auch eine Gefahr. Wenn in dieser für den Rechtsstaat sehr schwierigen Frage – weitestgehender Schutz unter Beachtung der Grundrechte – öffentlich nicht nur noch Hickhack unter den politischen Parteien wahrgenommen werden soll, so war neulich schon eine Überschrift,
dann, glaube ich, müssen wir aufpassen. Wenn das so passiert, dass das nur noch wahrnehmbar ist, dann nehmen alle Parteien Schaden, dann nimmt auch der Rechtsstaat Schaden und ich denke, das sollten wir im Auge behalten.
Vielleicht schauen Sie zum Beispiel einmal nach, was ein „Persilschein“ historisch bedeutet und wer den nötig hatte, bevor Sie den Begriff nochmals gebrauchen.
Und wenn wir uns in Zukunft Zitate vorhalten, auch von Zeugen oder Sachverständigen, das wird einen wichtigen Teil der Arbeit im Ausschuss ausmachen,
dann sollten wir uns darauf verlassen können, Herr Dr. Jäger, dass sie nicht sinnentstellend verkürzt worden sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei aller Kontroverse in der Sache müssen wir so miteinander umgehen, dass wir dem Ernst des Falles gerecht werden. Wir sind uns doch jedenfalls einig, dass aus diesem schrecklichen Fall die richtigen Konsequenzen gezogen werden müssen. Wir streiten darüber, was der richtige Weg zu mehr Sicherheit ist. Sie, meine Damen und Herren, sagen, die richtige Konsequenz ist ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss,
der Sachaufklärung betreibt, unter der Fragestellung des Skandals und vorwerfbaren Fehlverhaltens. Das ist Ihr gutes Recht. Ich werde auch weiterhin alle Fragen natürlich rückhaltlos beantworten, alle Akten zugänglich machen. Das ist selbstverständlich.
Aber lassen Sie uns doch darüber hinaus bitte die allgemein zu ziehenden Konsequenzen nicht zu kurz kommen, die ich Ihnen skizziert habe bei der Veränderung der Rechtslage, bei der Verbesserung der Arbeit in unserer Sozialtherapie. Vielleicht passt dieser zukunftsgerichtete konstruktive Teil der notwendigen politischen Arbeit nicht
in den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, zumal dessen Zeitrahmen ohnehin schon äußerst eng erscheint, aber getan werden muss diese Arbeit. Lassen Sie uns doch dann vielleicht versuchen, im Rechtsausschuss wieder zur Gemeinsamkeit zu kommen und dort an diesen Fragen zu arbeiten, indem wir zum Beispiel die Professorin Herpertz hören, vielleicht auch Herrn Baltzer, um den Rechtsänderungsbedarf auszuloten, und wir können gern über die Sozialtherapie sprechen. Wir sollten jedenfalls gemeinsam alles tun, um bestmöglichen Schutz vor schwersten Sexualstraftätern zu gewährleisten. – Vielen Dank.