Meine Damen und Herren, gibt es ein Mitglied dieses Hauses, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? –
Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, und unterbreche für drei Minuten.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt.
An der Abstimmung haben insgesamt 67 Abgeordnete teilgenommen. Mit Ja stimmten 39 Abgeordnete, mit Nein stimmten 26 Abgeordnete, es enthielten sich 2 Abgeordnete. Damit ist der Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des Bildungsausschusses auf Drucksache 4/2070 angenommen.
In der Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Bildungsausschuss, einer Entschließung zuzustimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Danke. Damit ist die Ziffer 2 der Beschlussempfehlung des Bildungsausschusses auf Drucksache 4/2070 mit den Stimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion der Linkspartei.PDS gegen die Stimmen der Fraktion der CDU angenommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3: Zweite Lesung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Schulgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 4/1910, hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Bildungsausschusses, Drucksache 4/2071.
Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Schulgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Schulgesetz – SchulG M-V) (Zweite Lesung und Schlussabstimmung) – Drucksache 4/1910 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft und Kultur – Drucksache 4/2071 –
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zum jetzt abgeschlossenen Tagesordnungspunkt verlief die Beratung zum Schulgesetz ja eher unspektakulär. Wir erinnern uns daran, dass die Erste Lesung im Grunde von dem Widerspruch getragen wurde, ob eine erneute Schulgesetzberatung überhaupt noch erforderlich ist. Dieser Dissens scheint bis heute nicht ganz ausgeräumt zu sein. Ich bin aber der Auffassung, dass man in jedem Fall, so auch die Auskünfte des Landesverfassungsgerichtes, auch keinen Fehler macht, wenn man zur Sicherheit doppelt näht. Das weiß ich auch noch aus meinen Zeiten, als die Zeit noch
reichte für Handarbeiten, da habe ich auch ganz gerne einmal eine doppelte Naht für strapazierte Stellen gemacht.
Ich denke, wir haben uns im Ausschuss auch sehr sachlich und schnell darauf verständigt, dass eine erneute Anhörung zu Sachverhalten, die ja bereits umfänglich angehört wurden, nicht mehr erforderlich wäre. Insofern konnten wir auch sehr zügig die Beratungen im federführenden Ausschuss abschließen. Im Hinblick auf mögliche Klagen vor den Verwaltungsgerichten zu Beginn des nächsten Schuljahres, wenn es um Entscheidungen zu Schulstandorten geht, haben wir ein Stück mehr Sicherheit. Diese Sicherheit betrifft vor allem die Kinder, die Eltern und die Lehrer vor Ort. Wir haben ja schon erlebt, was passiert, wenn Gerichtsurteile andere Entscheidungen aufheben. Dieses Hin und Her für Kinder, morgen geht’s an diese Schule und übermorgen vielleicht schon wieder an eine andere, kann für einen Prozess, der im Rahmen der Schulentwicklungsplanung notwendig ist, nicht förderlich sein. In diesem Sinne sehe ich auch keinen Anlass, meine Rede heute über Gebühr auszudehnen, auch mit Rücksicht auf mein Alter,
(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und Linkspartei.PDS – Volker Schlotmann, SPD: Oh, Sie kokettieren mit Ihrem Alter.)
und bedanke ich mich für die konstruktive Mitarbeit. Ich bitte darum, dass wir dem Gesetzentwurf in der Zweiten Lesung in unveränderter Form zustimmen.
Verehrte Frau Kollegin Polzin, hier geht es um das Schulgesetz, um Schulen, um Schüler und nicht um Handarbeit und nicht um Nähte. Wir haben schon im Juni, als dieses Schulgesetz – also die neunte Gesetzesnovelle – vera bschiedet wurde, dieses Gesetz abgelehnt. Das werden wir natürlich auch heute tun, also auch heute die doppelte Naht, wenn Sie so wollen, ablehnen.
Das Gute einmal vorweg: Wir reden in unseren Schuldebatten jetzt nicht mehr von der neunten Änderung des Schulgesetzes aus dem Jahre 1996, denn wir haben jetzt ein neues Schulgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern. Jetzt beginnen wir künftig bei der ersten Änderung des Schulgesetzes, die zehnte Änderung bleibt uns Gott sei Dank erspart.
Die erneute Einbringung des Schulgesetzes – Sie haben es bereits betont – schießt aber für unsere Begriffe weit über das Ziel einer dringend notwendigen Neuverkündung zur besseren praktischen Handhabbarkeit angesichts der vielen Änderungen in den vergangenen Jahren
hinaus. Die Ausschussvorsitzende hatte diese Neuverkündung in der Junisitzung gefordert. Plötzlich wollen Sie, meine Damen und Herren von Landesregierung und Koalitionsfraktionen, dieses Gesetz gerichtsfest machen und bezeichnen die erneute Einbringung als formellen Akt, den es schnell hinter sich zu bringen gilt. Und so ist ja auch damit umgegangen worden.
Zu dieser Art von Rückversicherungsmentalität aus Angst vor erneuten Fehlern im Gesetzgebungsverfahren und damit einhergehenden Einschränkungen von Rechten der Parlamentarier dieses Hauses, wie sie Ihnen vom Landesverfassungsgericht im Sommer ja ins Stammbuch geschrieben wurden, hat unser Fraktionsvorsitzender im November letzten Jahres bereits deutliche Worte gefunden. Wie wir es drehen und wenden, das Verfahren ist nach wie vor lückenhaft. Ein Journalist beschrieb dieses Verfahren zutreffend als so genanntes doppeltes Pflaster mit einem Loch darin.
Einer solchen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den Landtag, den Bildungsausschuss und drei weitere mitberatende Ausschüsse hätte es nach unserer Ansicht nicht bedurft. Vor Klagen sind Sie, meine Damen und Herren, trotzdem nicht sicher. Gerade die Schulen in freier Trägerschaft stehen im Zwang, die Schulstrukturen staatlicher Schulen übernehmen zu müssen. Das ist ein grundgesetzlich bedenklicher Eingriff in die strukturelle und pädagogische Autonomie und eine Einschränkung des pädagogischen Wahlrechts der Eltern für die schulische Ausbildung ihrer Kinder.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben es sich zur Gewohnheit gemacht, allen an Schule Beteiligten, den Lehrern, den Eltern, den Schülern, den Verbänden und Institutionen, im Rahmen von Schuldebatten teilweise salbungsvoll für ihre hervorragende Arbeit zu danken. Der Dank ist auch angebracht, denn ohne die vielen engagierten Lehrer und Eltern sowie außerschulischen Vereine und Verbände hätten viele Ihrer ständig neuen strukturellen Experimente nicht einmal die Chance zur Erprobung. Sie formulieren immer neue Ansprüche und Anforderungen an die Schule und vernachlässigen dabei in unverantwortlicher Art und Weise, den Schulen dafür die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Am Ende sind es die Schulen, die vor dem Ministerium und den Eltern den Ansprüchen gerecht werden müssen, zu denen sie gesetzlich verdonnert werden. Bei allem Dank, den Herr Bluhm gebetsmühlenartig jeder Schuldebatte voranstellt, das wird er sicherlich auch heute wieder tun,
bleibt das schale Gefühl bei den Lehrern im Land, dass sie bei der Umsetzung der vielen gut gemeinten Projekte weitgehend allein gelassen werden. Im Alltag hilft auch der Dank nicht weiter,
er wird dann nämlich zum Zynismus, Herr Bluhm, wenn dieser Landtag das Engagement der Lehrkräfte mit einer Erhöhung der Pflichtstundenzahl dankt. Dafür haben Sie, Herr Bluhm, auch 2003 im Landtag gestimmt.
Das ist im Übrigen keine isolierte Sicht der CDU. In der letzten Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung Mecklenburg-Vorpommern 2005 heißt es, ich zitiere: „Lei
der ist es wieder einmal so, dass erst Änderungen beschlossen werden und erst dann nach und nach darüber nachgedacht wird, wie man die damit verbundenen Probleme lösen kann.“ Dies war auch der Tenor der Anhörung zur neunten Schulgesetznovelle, wo fast einhellig vor diesen Schnellschüssen gewarnt wurde. Leider blieben diese Warnungen ungehört! Auf Schülerzahlentwicklungen und Leistungsvergleichsstudien muss schließlich reagiert werden. An der Richtigkeit Ihrer bildungspolitischen Schlussfolgerungen zweifeln Sie nicht im Geringsten.
Sie brauchen keine vorangehende Analyse der Stärken und Schwächen unseres Schulsystems, der Gestaltung des Unterrichtes, der räumlichen Voraussetzungen, der Lehrpläne, der Fort- und Weiterbildung der Lehrer, der Lehrerausbildung sowie Profession der Schulleiter, der kaum vorhandenen Unterstützungssysteme, der Unterrichtsversorgung oder der Förder- und Integrationsmöglichkeiten. Dabei bringt es die Kultusministerkonferenz in ihrer Stellungnahme zur PISA-Ergänzungsstudie aus dem Jahr 2003 mit dem Vergleich der Bundesländer auf den Punkt. Sie schreibt, ich zitiere: „Die größeren Anteile für die Kompetenzentwicklung“, damit sind gemeint, Probleme lösen, Mathematik, Naturwissenschaften, Lesen, Textverständnis, Sie kennen das, „lassen sich auf den Einfluss von Unterricht, Schule und schulische Rahmenbedingungen zurückführen“. Sie zweifeln auch nicht, wenn die Vertreter des Landeselternrates ein Volksbegehren gegen Ihren Aktionismus ernsthaft in Erwägung ziehen. Im Gegenteil, Sie leiten aus den Anstrengungen der Schulen noch großflächige Unterstützung Ihrer bildungspolitischen Achterbahnfahrten ab. Irgendwie schüttelt sich das am Ende ja immer wieder zurecht. Sie blenden völlig aus, dass im Land ein unbeschreiblicher Überlebenskampf der Schulstandorte stattfindet. Viele Schulen versuchen mit besonderer Profilbildung, Schulprogrammarbeit und Modellprojekten die Gunst des Ministeriums als obersten Dienstherren zu erringen, um ihren Schulstandort zu erhalten. Der O-Ton eines Schulleiters, ich zitiere: „Ich habe ja noch ein paar Jahre, irgendwas müssen wir ja tun.“
Die Schulen hoffen darüber hinaus, und das muss man gerechterweise auch sagen, vielen auch guten bildungspolitischen Ansätzen ein Gesicht zu geben und deutlich zu machen, wie sie in der Praxis unter welchen Bedingungen funktionieren könnten. Das ist insbesondere bei dem Modellprojekt „Selbstständige Schule“ der Fall. Wenn es all zu arg kommt, wird auch schon einmal vom Schulleiter einer Vorzeigeschule für unrealistische Vertretungsvorgaben für seine Lehrer an anderen Schulen ein Hubschrauber beim Schulamt bestellt. Aber Spaß beiseite!
Der Ministerpräsident hat sich gerade über den Anstieg der Ganztagsschulen auf 200 im Land gefreut und der Bildungsminister hat erklärt, dass weitere 74 Anträge im Ministerium bearbeitet würden. Aber auch hier muss ich Ihnen Wasser in den Wein schütten, meine Damen und Herren. Es sind nach meiner Beobachtung zunächst dringend notwendige Sanierungs- und Neubaumaßnahmen von Schulen oder Turnhallen ein wichtiger Beweggrund, sich mit einem entsprechend gestrickten Konzept die Förderung aus dem Ganztagsschulfonds der Bundesregierung hierfür zu sichern. Der Betreuungsfaktor reicht natürlich längst nicht aus, um ein vollständiges nachmittägliches Angebot zu machen. Musikschulen und Sportvereine helfen hier aus. Besonders in ländlichen Regionen wird mittlerweile
auf die starke zeitliche Beanspruchung der Schüler hingewiesen, die oftmals aufgrund langer Fahrwege so anstrengende und lange Arbeitstage haben wie Erwachsene. Dass nach einer jüngsten forsa-Umfrage mittlerweile jeder fünfte Schüler in Deutschland unter Stresssymptomen leidet und Lehrer und Eltern irgendwie damit umgehen müssen, sollte vor diesem Hintergrund auch Beachtung finden. Nicht alles ist für alle gleich gut oder gleich schlecht.
Meine Damen und Herren, Ihre Ankündigung, dem neuen Schulgesetz die nächste Änderung folgen zu lassen, nämlich das so genannte längere gemeinsame Lernen bis auf die 8. Klasse ausdehnen zu wollen, zeigt, dass die Schulen auch in Zukunft nicht zur Ruhe kommen sollen. Ich habe schon in der Haushaltsdebatte die vielen Ansprüche, mit denen die Lehrer, Eltern und Schüler erst einmal fertig werden müssen, aufgezählt: die neue schulartunabhängige Orientierungsstufe in Klasse 5 und 6, die selbstständige Schule, die Schulprogrammarbeit, die Selbst- und die Fremdevaluation, neue Rahmenpläne, Integration förderbedürftiger Schüler in die allgemein bildenden Schulen, neue Abiturprüfungsverordnung, Abkehr vom Kurssystem in der gymnasialen Oberstufe oder Ganztagsbetreuung, von den vielen diese Vorhaben begleitenden Verordnungen und Erlasse, die den Schulleitern ja beinahe wöchentlich auf die Tische flattern, ganz zu schweigen. All diese Ankündigungen wie auch ein Erlass zur Vergütung der Mehrarbeitszeit, die diesen Namen eigentlich gar nicht verdient, können nicht zu großen Motivationsschüben bei Lehrern beitragen, denn ohne sie geht es leider nicht. Deshalb werden Sie auch nicht müde, sich bei ihnen zu bedanken, aber Sie ziehen bedauernswerterweise aus ihrer Arbeit falsche Schlussfolgerungen.
Geben Sie den Schulen endlich die Chance, sich zu sortieren, ihre Programme zu formulieren, in Austausch zu gehen, sich in entsprechenden Fortbildungen auf die neuen Aufgaben vorzubereiten und die Eltern dabei mitzunehmen! Nehmen Sie auch Kritiken und Anregungen auf, die aus der Praxis kommen! Auf die abgelehnten Haushaltsanträge komme ich jetzt einmal nicht zu sprechen, aber auch da hätten Sie ein Zeichen setzen können.
Erst dann, Herr Ministerpräsident, können wir von Anstrengungen sprechen, die sich in jeder einzelnen Schule positiv bemerkbar machen, die nicht nur da sind, um quantitativ vor dem Landtag Statistiken zu präsentieren. Dann geht es nämlich wirklich um Qualität und nicht um Quantität.
Sie schauen immer gerne nach Finnland, es lohnt sich aber auch ein Blick nach Kanada. Ein Erfahrungsbericht einer Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen, die ein Jahr in Kanada an einer Ganztagsschule gearbeitet hat, zeigt plastisch, wie weit wir von der wirklich guten Ausgestaltung von Schule und Unterricht entfernt sind und weshalb wir uns über PISA-Ergebnisse und Beschwerden von Unternehmen über mangelnde Ausbildungsreife, wie mir erst in der vergangenen Woche sehr drastisch geschildert wurde, nicht zu wundern brauchen.