Gestern hatte die Ministerin abermals die Gelegenheit genutzt, ihre Kritik zu erneuern und zu untermauern. Sie hat auch heute wieder Kritik an den Überlegungen von Professor Kirchhof aufgegriffen
und ganz leichtfüßig gemeint: 400 Millionen weniger im Jahr würden bei der Verwirklichung der Vision von Professor Kirchhof herauskommen.
Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, es muss doch einen Grund geben für diese massiven Attacken gegen Professor Kirchhof und seine Vorstellungen von der Steuerreform in Deutschland.
Niemand kann bestreiten, meine Kolleginnen und Kollegen, dass die Steuer auf die Einkommen dringend erneuerungsbedürftig ist, dass wir ein irreparables Steuersystem in Deutschland haben, das durch ein neues und gerechtes System ausgewechselt gehört.
Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist doch ein Irrtum zu meinen, die Vorstellungen von Professor Kirchhof seien eine Weltneuheit. Solche Konzeptionen funktionieren anderswo längst.
Es ist doch bezeichnend, Frau Kollegin Gramkow, dass in einer internationalen Bewertung der Rangfolge von nationalen Steuersystemen in ihrer Effizienz beispielsweise Hongkong auf den vorderen Plätzen rangiert und Deutschland von 104 ausgewählten Ländern nahezu am Ende zu finden ist, und zwar unmittelbar vor Ghana.
Das ist ganz einfach: Sie nehmen die Gesamtsumme der Einnahmen und multiplizieren sie mit dem Steuersatz. Das reicht, das ist weniger als ein halber Bierdeckel.
(Dr. Armin Jäger, CDU: Das versteht auch Herr Müller. – Zurufe von Torsten Renz, CDU, und Birgit Schwebs, Die Linkspartei.PDS)
Die Gesamteinkünfte werden, und das ist richtig so, mit einem einheitlichen Steuersatz berücksichtigt. Es gibt auch schon erste EU-Beitrittsländer wie die Slowakei, die sich mit ähnlichen Gedanken tragen wie Professor Kirchhof.
Beruht, frage ich Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, die Kritik an Professor Kirchhof nicht auch darauf, dass die Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung nicht aus der Sackgasse herausfindet, die sie sich selbst gewählt hat?
Professor Kirchhof hat in seinem Buch „Der sanfte Verlust der Freiheit“ – das ist ein Buch, das ich Ihnen sehr zu lesen empfehle – die Mängel des geltenden Steuersystems beschrieben und deren Korrektur in fünf aktuellen Verfassungsaufträgen dargelegt. Diese Mängel sind:
Darum ist Kirchhofs Ziel Steuergerechtigkeit und Verlässlichkeit des Systems. Die fehlende Verlässlichkeit unseres Steuersystems hat unsere Wirtschaft oft genug angemahnt.
Meine Kolleginnen und Kollegen, eines muss ganz deutlich werden. Wir dürfen uns nicht um die Frage herumdrücken, ob entweder der Staatsbedarf oder die individuelle Belastbarkeit die Intensität der Steuer ausmachen.
Bei uns in Deutschland wird die Steuerdebatte vorwiegend ideologisch geführt. Ein Zusammenhang mit der Neiddiskussion unserer Tage ist nicht zu verkennen,
verbunden mit der häufig erhobenen Forderung nach Gleichheit in der Gesellschaft. Vielen ist nach wie vor Reichtum suspekt. Deshalb fordert die SPD ja auch eine Reichensteuer.
Unsere Diskussion, die wir im Augenblick innerhalb der Gesellschaft führen, verstellt uns den Blick für die Gesamtverantwortung für unsere Gesellschaft.
Und deshalb ist es gut, dass ein Mann wie Professor Kirchhof, dessen Fachkompetenz unbestritten ist und nur zu Wahlkampfzwecken diskreditiert wird, eine Vision für unser künftiges Steuersystem entwickelt. Visionen, meine Kolleginnen und Kollegen, daran muss man heute erinnern, sind nun einmal in der Politik notwendig, denn ohne sie versinkt Politik in Populismus und Pragmatik.
Die massiven Angriffe auf Kirchhof machen aber auch deutlich, dass weder bisher noch in Zukunft von Rot-Grün eine überzeugende Alternative erwartet werden kann.