Protocol of the Session on April 21, 2005

fen, sondern müssen damit die auf uns zukommenden Probleme offensiv angehen. Mecklenburg-Vorpommern reiht sich mit der demographischen Entwicklung wie alle anderen ostdeutschen Länder in die Reihe der Abwanderungsländer ein, nur mit dem Unterschied, dass andere Länder wie beispielsweise Sachsen konkret reagieren, hier im Übrigen hauptsächlich betrieben vom SPD-Landesvorsitzenden und Staatsminister Herrn Jurk. Aber es wird auf die demographische Herausforderung keine einzige und allgemein gültige Antwort für alle geben, notwendig ist eine spezifische Vorgehensweise. Deshalb soll die Enquetekommission zwar auch nach links und rechts und über den berühmten Tellerrand schauen, aber am Ende doch Lösungen für Mecklenburg-Vorpommern vorschlagen.

Links und rechts, darauf kam ich schon zu sprechen, tut sich eine Menge. Im Bundestag gab es eine Enquetekommission und in Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen arbeiten entsprechende Kommissionen beziehungsweise wurden in diesen Tagen eingesetzt. Auch in unserem Nachbarland Brandenburg hat man sich mit den Auswirkungen der demographischen Veränderungen befasst. Hierzu legte die dortige Landesregierung im Februar des vergangenen Jahres einen Bericht vor. In einigen Bundesländern wurden Kommissionen gebildet, die den jeweiligen Staatskanzleien zugeordnet sind.

Diesem Prozess, meine Damen und Herren, sollten wir uns jetzt anschließen, um aus den Erfahrungen der anderen Bundesländer zu lernen und gemeinsam zukunftsfähige Strukturen für Mecklenburg-Vorpommern zu schaffen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern ist die Tatsache des demographischen Wandels, der sich nicht allein auf die Abwanderung reduzieren lässt, auch das sage ich deutlich, inzwischen unbestritten.

Ich freue mich besonders, dass auch die hiesige SPD auf ihrem letzten Landesparteitag angekündigt hat, sich dieses Themas anzunehmen. Insoweit herrscht wohl politischer Konsens darüber, meine Damen und Herren von der SPD, was bis 2002 nicht so war, dass etwas getan werden muss. Allerdings, Herr Backhaus, wird es wohl nicht reichen, wenn wie bei Ihnen sich nur eine Parteikommission mit dem Thema Demographie beschäftigt.

(Beifall Torsten Renz, CDU, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU – Torsten Renz, CDU: Richtig.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen das Thema Demographie über Parteigrenzen hinweg und ohne politische Scheuklappen ernsthaft angehen. Die Opposition, das betone ich hier ausdrücklich, bietet ihre Mithilfe an. Das sollte in einem dafür geschaffenen und demokratisch legitimierten Gremium des Landtages passieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Bevölkerungsprognosen, die uns in regelmäßigen Abständen einen dramatischen Bevölkerungsrückgang prognostizieren, sind in die Zukunft projizierte Berechnungen. Sich diesen nicht sklavisch zu unterwerfen ist die Aufgabe einer gestaltenden und zukunftsorientierten Landespolitik. Deshalb sollten und müssen wir Handlungsstrategien entwickeln, die die Landespolitik aus der Rolle des Reagierens hin zum Agieren bringt. Wir sind davon überzeugt, dass sich unser Land den demographischen Szenarien nicht schicksalsgegeben hingeben muss. Ich erspare mir hier das Hantieren mit den statistischen Zahlen, die wir alle immer wieder für die eine oder andere politische Richtung nutzen.

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich der demographischen Verschiebung innerhalb der Bevölkerung und des Bevölkerungsrückgangs zu stellen. Einige Kommunen unseres Landes stellen sich diesen Herausforderungen bereits mit kommunalpolitischen Entscheidungen wie beispielsweise beim Rückbau von überflüssigem Wohnraum. Aber, ich denke, da werden Sie mir zustimmen, nur durch den Rückbau lösen wir das Problem der Alterspyramide nicht, denn dafür brauchen wir konkrete Vorgaben des Gesetzgebers.

Sehr geehrte Damen und Herren, es wird eine Vielzahl von Lösungen geben, die auch in Mecklenburg-Vorpommern wieder zu stabilen Einwohnerzahlen beitragen können. Hier wird es vor allem darauf ankommen, dass wir in die Zukunft des Landes investieren. Das bedeutet für mich vor allem, dass wir in Kindergärten, Schulen und selbstverständlich auch in Hochschulen investieren. Nur so können wir junge Menschen und Familien in unser Land locken, um den dramatischen Prognosen entgegenzuwirken.

Diese und viele andere Lösungsansätze werden sich letztendlich in einem Leitbild der Landespolitik für die Zukunft unseres Bundeslandes niederschlagen und von diesem ausgehend, in politisches Handeln übergehen. Ich bin überzeugt davon, dass die Enquetekommission der richtige Weg ist, einen politischen Grundkonsens – ich betone auch wieder, einen Grundkonsens – zu finden. Für mich lautet dieser: Mecklenburg-Vorpommern hat Zukunft! Ich möchte Sie alle an diesem Scheideweg für unser Land dazu auffordern, gemeinsam die Zukunft für Mecklenburg-Vorpommern zu gestalten, und bitte auch die Koalitionäre um Zustimmung zu unserem Antrag! – Haben Sie vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU und Mathias Brodkorb, SPD)

Danke schön, Herr Kokert.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Brodkorb von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Genau deshalb, weil wir beim letzten Mal eigentlich schon alle Fragen erörtert haben, habe ich auch nicht vor, viel zu diesen Dingen zu sagen.

(Heiterkeit bei Torsten Renz, CDU: Die Rede kennen wir doch schon vom letzten Mal! Aber die Pressemitteilung, die würde ich gerne noch einmal hören.)

Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie feststellen, dass das Thema Demographie in den nächsten Jahrzehnten nicht nur für Ostdeutschland, aber insbesondere für Ostdeutschland von herausragender Bedeutung sein wird, und dass es nötig und wert ist, dieses Thema sehr intensiv zu traktieren und auch in Politik zu überführen.

Ein Beispiel, dass wir das schon tun, und zwar seit Jahren, können Sie auch daran sehen, dass in den Verhandlungen zur Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, der ab dem Jahr 2005 gültig wird, durch die derzeitige Regierung – ich denke, federführend durch die jetzige Finanz

ministerin – auf Bundesebene eine Regelung eingeführt wurde, die dem Land jährliche Mehreinnahmen gegenüber einer alternativen Rechnung von 35 bis 40 Millionen Euro beschert, nämlich den Dünnsiedlerfaktor. Insofern sehen Sie, dass das von Anfang an in eine nachhaltige Politik dieser Landesebene bereits integriert, aber sicherlich noch verbesserungsfähig ist.

Wir haben beim letzten Mal bereits darauf hingewiesen, dass wir eine Enquetekommission nicht für geeignet halten, um diese Diskussion zu führen, einfach deshalb, weil es nicht nur eine Frage ist, die man hier im parlamentarischen Raum zu erörtern hat, sondern weil wir der Auffassung sind, dass die Frage des demographischen Wandels von übergeordneter und außerordentlich großer öffentlicher Bedeutung ist.

(Torsten Renz, CDU: Deshalb ja auch die Kommission, weil da Wissenschaftler mit drin sind. Das ist ja der Punkt!)

Und dass wir Ihnen beim letzten Mal genau deshalb einen Weg vorgeschlagen haben, den wir auch dieses Mal wiederholen wollen, nämlich dass wir nicht zu einer Enquetekommission kommen, sondern dass wir Ihnen anbieten, eine überfraktionelle Konferenz, einen Kongress zum Thema Demographie in Mecklenburg-Vorpommern durchzuführen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das hilft nicht. Das hilft doch nicht.)

und zwar nach Möglichkeit noch in diesem Jahr unter Beteiligung nicht nur aller politischen Kräfte hier im Landtag, sondern auch der regionalen Presse sowie unter Beteiligung von Hochschulen, von Verbänden, von Vereinen und von allen Bürgern, die daran ein Interesse haben.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist doch nur eine einmalige Veranstaltung.)

Ich denke, ein so wichtiges Thema wie Demographie verträgt eine überparteiliche Initiative, die auch aus dem parlamentarischen Raum hinausgeht. Wir werden diesen Vorschlag, den wir Ihnen bereits in der letzten Landtagssitzung unterbreitet haben, Ihnen auch noch einmal in einem Brief schriftlich darlegen. Dann haben Sie die Möglichkeit, sich daran zu beteiligen oder nicht. Wir jedenfalls würden uns freuen, wenn Sie es täten. Und falls Sie es nicht tun, werden wir das Thema Demographie in geeigneter Weise weiterhin alleine bearbeiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall Reinhard Dankert, SPD, und Ute Schildt, SPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Ganz schön mager! Das war’s dann wieder. – Torsten Renz, CDU: Das war sehr dünn, Herr Mathias Brodkorb!)

Danke schön, Herr Brodkorb.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Schulz von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die bloßen Zahlen nimmt und die Statistik liest, ist die demographische Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern beklagenswert und besorgniserregend. Nichts anderes ist wohl auch in der Sache gemeint, wenn im CDU-Antrag formuliert wird, die demographische Entwicklung sei das größte „gesellschaftspolitische Zukunftsproblem in unserem Land“.

(Vincent Kokert, CDU: Das stimmt doch!)

Diese Aussage ist nicht neu. Sie ist wohl hundertfach so oder auf ähnliche Art und Weise geschrieben worden.

(Torsten Renz, CDU: Die SPD hat wohl vor einem halben Jahr noch gar nichts gewusst.)

Das klingt dramatisch. Indes entspricht die demographische Entwicklung hierzulande, meine Damen und Herren,

(Torsten Renz, CDU: Vor einem halben Jahr hat doch die SPD schon davon gewusst. – Dr. Armin Jäger, CDU: Eben nicht.)

der in den anderen Bundesländern sowie auch der Entwicklung im Rahmen der gesamten BRD. Hinzu kommt – bekanntlich bei uns eine besondere Ostkomponente –, dass inzwischen die politischen Entscheidungen in der Nachwende- und Wendezeit demographische Folgen zeigen. Mecklenburg-Vorpommern ist hierin durchaus mit anderen Ostländern vergleichbar. Ich denke, dass es hinsichtlich der Beurteilung der statistischen Ausgangslage mit der CDU wenig Streit geben dürfte. Aber einen Widerspruch ruft es dennoch hervor, wenn in einem Antrag die Demographie als das größte Zukunftsproblem definiert wird.

Ich gehe davon aus, dass es auch Übereinstimmung gibt, wenn ich einen Diskurs zurück in die Rede von Herrn Prachtl hier im Landtag am 15. November 2001 mache. Herr Prachtl sprach damals davon, dass angesichts der demographischen Entwicklung Umkehr und dringende Hilfe nötig wären. Er stellte fest, dass mit übergestülpten „Westmethoden und -modellen nicht immer eine politische Lösung in den neuen Bundesländern möglich (ist)“. Das ist in der Tat so.

Aber diese Erkenntnis ist heutzutage nicht mehr allzu viel wert, bedenkt man, dass wir jetzt in puncto Demographie das ernten, was Politik bislang getan oder unterlassen hat. Mit den Kollegen der CDU will ich nicht darüber streiten, ob es berechtigt und sinnvoll ist, lediglich die Abwanderung im Auge zu haben, denn es gibt ja schließlich auch die Möglichkeit der Zuwanderung. Ich möchte vor allem anmerken, dass demographische Entwicklungen ihrerseits Folgen beziehungsweise Reflexe gesellschaftspolitischer Entwicklung sind.

Das Zukunftsproblem liegt ganz woanders und das ist in den vergangenen Debatten zu anderen Themen hier im Landtag mehrmals deutlich geworden. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur feststellen, dass in einem kinder- und frauenunfreundlichen Land – wie es die Bundesrepublik Deutschland nun einmal ist, gerade auch verglichen mit anderen europäischen Ländern – eine positive Demographie eben nicht zu erwarten ist. Es genügt, darauf zu verweisen, dass nach Angaben einer UNICEF-Studie die Kinderarmut in Deutschland seit 1990 stärker gestiegen ist als in den meisten Industrienationen. Gegenwärtig leben 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre in relativer Armut. Armut ist nicht mehr wie bislang vor allem das Los der älteren Generation, denn heute ist Armut jung. Sie hat natürlich ihre wesentliche Ursache in der überdurchschnittlichen Erwerbslosigkeit von Frauen und Müttern. Die Frauenerwerbslosigkeit in der BRD ist von Januar 2004 bis Januar 2005 um 13,8 Prozent gestiegen und der Anteil der Frauenarbeitslosigkeit liegt immerhin aktuell bei 45 Prozent. Und dass die Hartz-Pakete und die Gesundheitsreform eher Gift als Wohltat für die demo

graphische Entwicklung sind, liegt doch wohl auf der Hand.

Zur Wahrheit gehört, dass die Bundespolitik in Vergangenheit und Gegenwart schlicht und einfach ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat,

(Vincent Kokert, CDU: Das stimmt, Frau Schulz.)

da muss man sich über die demographischen Auswirkungen nicht wundern. Hinzu kommt der enorme Realitätsverlust von Politik. Was soll man beispielsweise davon halten, wenn ein namhafter Bundestagsabgeordneter, dessen Name hier gar keine Rolle spielt, kürzlich mit folgendem Spruch in die Öffentlichkeit trat: „Im Osten kommt man in vielen Regionen mit 331 Euro ganz gut hin, auch wenn die Betroffenen das als ungerecht empfinden. Aber es ist so.“ Nun, meine Damen und Herren, diese Region im Osten, wo man mit 331 Euro ganz gut hinkommt, würde ich gerne einmal besuchen.

(Vincent Kokert, CDU: Ja, ich auch.)

So macht es eben wenig Sinn, dauernd darauf abzuheben, dass die Gesellschaft vergreist und die Menschen mittleren Alters ab 2020 oder eher ab 2050 die Veteranen nicht mehr ernähren könnten. Das sind, denke ich, nichts weiter als Horrorszenarien, denn die wachsende Produktivkraft wird beispielsweise dabei völlig außer Betracht gelassen. Und es wird bewusst vergessen, dass man über die Verteilung des Reichtums neu nachdenken kann und muss. Die gegenwärtige demographische Entwicklung ist selbstverständlich kein blindwirkendes statistisches Naturgesetz, auf das die Politik keinen Einfluss nehmen könnte.

Es ist doch interessant, dass eine angebliche Dramatik der Demographie und des demographischen Faktors immer dann angeführt wird, wenn beispielsweise das Rentenniveau gesenkt werden soll, wenn Einschnitte im Gesundheitswesen vorgenommen werden, Tarife abgebaut, Schulen geschlossen, kurzum, wenn soziale Dienstleistungen und Errungenschaften abgebaut werden sollen.

(Dr. Martina Bunge, PDS: Sehr richtig.)

Meine Damen und Herren, Demographie ist weitgehend nicht die Ursache, sondern vor allem der Vorwand für soziale Verschlechterungen. Darin besteht in erster Linie die gegenwärtige Dramatik und Dramaturgie.

(Dr. Martina Bunge, PDS: So ist das.)

Ich denke, wir brauchen keine demographischen Totschlagargumente, um Sozialabbau zu rechtfertigen oder gar zu begründen.

Meine Damen und Herren, das Thema Demographie ist, wie man weiß, ein immergrünes Thema. Wir haben uns im Landtag in regelmäßigen Abständen damit befasst. Seit 2000 haben uns beispielsweise allein fünf CDU-Anträge dazu erreicht. So heißt es beispielsweise im CDU-Antrag vom 29. März 2000: „Die Umkehr der Entwicklung der Einwohnerzahl Mecklenburg-Vorpommerns zu einem positiven Trend gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Landespolitik.“ Ich gestehe, eine solche Mahnung müsste doch wohl eigentlich für jeden der Wink mit dem Zaunpfahl sein.