Protocol of the Session on April 21, 2005

Dass eine europäische Verfassung nur durch einen Kompromiss zwischen den nunmehr weit über 20 Staaten

zustande kommen kann und sie darum auch nicht aus der Sicht des jeweiligen Betrachters Mängel und Defizite allein haben wird, liegt ebenfalls auf der Hand und ist eine Binsenwahrheit. Was der eine lebhaft begrüßt, wird der andere ebenso lebhaft beklagen oder gar bekämpfen.

(Heike Polzin, SPD: Das ist wie beim Schulgesetz.)

Aber allein schon gegenüber der überschwänglichen Darstellung der CDU, was die Verfassung alles bringt, dürften erhebliche Zweifel angebracht sein. Gleichwohl will ich auch für die PDS sagen: Es gibt Aussagen in diesem Verfassungsentwurf, die wir unterstützen,

(Torsten Renz, CDU: Oh! – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

aber – und darin besteht unsere Hauptkritik – die Philosophie dieses Vertrages wird gekennzeichnet durch eine verstärkte neoliberale Ausrichtung Europas.

(Lorenz Caffier, CDU: An den Haaren herbeigezogen.)

Uns ist schon bewusst, dass wir nicht erwarten konnten, dass am Ende des Diskussionsprozesses eine sozialistische Verfassung steht, aber mit dieser Verfassung werden aus unserer Sicht auch nicht die Türen geöffnet für sozialen Fortschritt, Demokratie, Friedfertigkeit, eine Vielfalt von Kulturen in diesem Europa. Mit diesem Verfassungsvertrag wird geworben für ein Europa des freien Marktes, der Konkurrenz unter allen Umständen und des Wettbewerbes.

(Lorenz Caffier, CDU: Das ist ’ne Haltung!)

Deutlich wird dieses insbesondere im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Ordnungsvorstellungen.

Im allgemeinen Teil wird der soziale Zusammenhalt gewürdigt. Bei der konkreten Darstellung und Würdigung sollen aber der freie Markt und der freie Geldverkehr, freier Wettbewerb und freie Konkurrenz das Zusammenleben in Europa regeln. Auch hier kann ich nur sagen: Uns wundert es nicht, dass die CDU diese Entwicklung will, stehen Sie doch schon lange nicht mehr zur sozialen Marktwirtschaft.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wer sagt denn das? Sie wissen doch gar nicht, was das ist! Gerade Sie wissen das nicht.)

Schauen wir uns doch die vielgepriesene …

Getroffene Hunde bellen, nicht?! So war es doch immer.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ach, Sie haben doch gar keine Ahnung!)

Schauen wir uns doch die vielgepriesene Verbesserung im Streikrecht an,

(Lorenz Caffier, CDU: Da müssen wir alle Flüge nach Brüssel streichen. – Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

auf dessen Basis auch die Gewerkschaften bis auf ein paar Ausnahmen Ja zur Verfassung sagen. Das ursprünglich vorgesehene Streikrecht wird vom nationalen Recht abhängig gemacht, das heißt, es bleibt alles beim Alten, und das angesichts der sich abzeichnenden Entwicklung.

(Lorenz Caffier, CDU: Das ist wirklich unglaublich!)

Auch hier ist uns klar, dass Sie das begrüßen. Genauso klar ist, dass wir damit ein Problem haben. Dies, die neoliberale Politikverankerung, ist, meine Damen und Herren von der CDU, für die PDS unakzeptabel.

(Lorenz Caffier, CDU: Wissen Sie eigentlich nicht, dass Sie Regierungsfraktion in einem deutschen Bundesland sind?)

Und hier liegt für uns einer der beiden wesentlichen Punkte, warum wir dieser Verfassung nicht zustimmen können.

(Lorenz Caffier, CDU: Das ist nicht zu glauben! – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Wir sind nämlich nicht dafür, dem Kapitalismus verfassungsmäßig eine Ewigkeitsgarantie zu geben und die Macht des Kapitals zu zementieren. Und dies soll passieren, denkt man daran, dass diese Verfassung bei den erforderlichen Mehrheitsverhältnissen im Prinzip unrevidierbar sein wird.

(Lorenz Caffier, CDU: Ich glaube, sie hat eine Rede zur DDR-Verfassung rausgeholt.)

Mit Freude habe ich in diesem Zusammenhang feststellen können, dass ich mich dabei durchaus im Schulterschluss mit Franz Müntefering befinde, denn nach einer Wiedergabe eines Textes zu einer beabsichtigten Rede von Müntefering zum geplanten Grundsatzprogramm der SPD in der „Süddeutschen Zeitung“ gilt die Kritik der SPD,

(Zurufe von Dr. Armin Jäger, CDU, und Andreas Petters, CDU)

ich zitiere, „,der international wachsenden Macht des Kapitals und der totalen Ökonomisierung eines kurzatmigen Profit-Handelns. Darüber gerieten‘“, so Müntefering, „,der Mensch, die Zukunft ganzer Unternehmen und die Regionen aus dem Blick.‘“

(Dr. Armin Jäger, CDU, und Torsten Renz, CDU: Das war doch nur für die Linke in der SPD. – Zuruf von Andreas Petters, CDU)

„,Die Handlungsfähigkeit von Staaten werde auf diese Weise von internationalen Finanzakteuren ,rücksichtslos reduziert‘“.

(Zuruf von Michael Ankermann, CDU)

So weit die Wiedergabe der Kritik von Franz Müntefering, die wir voll nachvollziehen können

(Lorenz Caffier, CDU: Der wird sich bei Ihnen bedanken.)

und die auch ein Teil unserer Kritik ist.

(Lorenz Caffier, CDU: Sie bekommen noch Dankesreden von ihm! – Zuruf von Michael Ankermann, CDU)

Schauen wir uns die Frage der Vollbeschäftigung näher an. Richtig ist, dass im Rahmen der Diskussion der Arbeitsgruppe „Soziales Europa“ sehr viel zu erwarten war. Hier wurden im Abschlussbericht Ziele festgeschrieben, die aus unserer Sicht eindeutig in die Verfassung gehören. Dazu gehören soziale Gerechtigkeit, Solidarität, insbesondere die Gleichstellung von Männern und Frau

en. Übernommen wurde leider nur, und bitte lesen Sie das nach, der Punkt „Gleichheit“ in den Artikel I-2. Gleiches gilt für die Festschreibung der Ziele der Union. Danach sollten Berücksichtigung finden: Vollbeschäftigung, soziale Gerechtigkeit, sozialer Frieden, nachhaltige Entwicklung, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, soziale Marktwirtschaft, Qualität der Arbeit, lebenslanges Lernen, soziale Eingliederung und ein hohes Maß an Gesundheitsschutz sowie effiziente und hochwertige Sozialdienste und Leistungen der Daseinsvorsorge. Auch hier ist davon leider nicht mehr viel übrig geblieben, wie zum Beispiel bei der Frage der Vollbeschäftigung, allerdings mit der Festschreibung, dass Vollbeschäftigung in der neuen Ökonomie mit Sozialabbau vereinbar sei, mehr noch, Sozialabbau wird als Weg in die Vollbeschäftigung in der neuen Ökonomie angesehen. Dafür kann es nun wirklich aus unserer Sicht keine Zustimmung geben.

Meine Damen und Herren, das Nein zu dieser Verfassung bedeutet nicht, dass eine Europäische Verfassung nicht von großer Bedeutung wäre für eine soziale, zivile und demokratische Politik in Europa, im Gegenteil. Natürlich weiß ich auch, dass der Verfassungsvertrag im Bundestag und im Bundesrat ohne Volksabstimmung schnell durchgestimmt werden wird. Trotzdem meine ich, dass ein anderer Verfassungsvertrag nötig wäre, und dazu werden wir, die PDS, unsere außerparlamentarischen und parlamentarischen Möglichkeiten nutzen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Ich will auch sagen, in welche Richtung wir diesen Vertrag ändern möchten:

Erstens ist aus unserer Sicht eine Europäische Fassung von der Mitverantwortung …

(Michael Ankermann, CDU: Es ist eh nichts mehr zu ändern! – Dr. Armin Jäger, CDU: Keine Ahnung! – Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Wenn dieser Vertrag nicht ratifiziert wird, dann gibt es wieder einen neuen Verhandlungsvertrag. Das wissen Sie doch genau.

(Lorenz Caffier, CDU: Das wünschen Sie doch nicht etwa? Das wünschen Sie doch nicht ernsthaft? Ist das Ihr ernsthafter Wunsch?)

Es ist doch überhaupt noch nicht klar, dass die Länder, die zustimmen sollen in den nächsten Wochen und Monaten, auch zustimmen. Für Sie ist immer alles alternativlos, nur nicht das, was Sie wollen.

(Rainer Prachtl, CDU: Seien Sie froh, dass wir ein vereintes Europa haben!)

Wir kommen gleich noch dazu.

(Zurufe von Dr. Armin Jäger, CDU, und Rainer Prachtl, CDU)

Es ist doch aber verständlich, und ich glaube, es ist auch richtig, und das verlangen Sie doch immer von uns, dass wir Alternativen darstellen beziehungsweise ganz konkret sagen, in welche Richtung dieser Vertrag geändert werden soll, welche Wünsche wir haben und welche Formen wir wollen.

(Beifall Gerd Walther, PDS)