Unter diesen gegebenen Umständen können wir der gesamten Beschlussempfehlung nicht zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Volker Schlotmann, SPD: Dafür nicht. – Heiterkeit bei Gabriele Schulz, PDS)
Es hat jetzt ums Wort gebeten die Sozialministerin des Landes Frau Dr. Linke. Bitte schön, Frau Ministerin.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich muss jetzt ein bisschen umdisponieren. Die Fraktionen von SPD und PDS haben ja am 1. September 2004 in den Landtag Mecklenburg-Vorpommern den besagten Antrag eingebracht. Das war natürlich ein Berichtsauftrag, aber im Grunde genommen auch ein Startschuss, Herr Brodkorb hat darauf hingewiesen, für einen doch länger währenden Prozess, weil es nicht nur ein Bericht sein soll, sondern ein begleitendes Instrument der politischen Arbeit. So verstehe ich es.
Eigentlich wollte ich jetzt Herrn Glawe für den ergänzenden Antrag der CDU loben, aber nun hat er ihn zurückgenommen und deshalb werde ich es auch lassen.
(Harry Glawe, CDU: Die Ergänzung haben wir nicht zurückgenommen. – Volker Schlotmann, SPD: Von welcher Ergänzung reden Sie denn?)
Mit den jetzt hier vorliegenden Unterlagen, die uns der Ausschussvorsitzende heute vorgetragen hat, denke ich, sind wir in den letzten Monaten ein gutes Stück bei der Erarbeitung dieses Berichtes vorangekommen. Wesentli
che Strukturmerkmale eines zukünftigen Berichtes sind mit der Beschlussempfehlung vorgegeben. Es geht um die Auswertung vorhandener Daten zur sozialen Situation der Menschen im Land Mecklenburg-Vorpommern. Es geht um die Zusammenhänge zwischen der sozialen Lage der Bürgerinnen und Bürger zwischen Bildung, Gesundheit und Arbeit. Und es geht in diesem Zusammenhang um die Entwicklung von Armut und Reichtum unter Berücksichtigung des demographischen Wandels, geringer werdende Bevölkerung, älter werdende Bevölkerung, weniger Kinder und so weiter. Es geht aber auch gerade darum, eine Analyse der Wirksamkeit der Instrumente zur Bekämpfung von Armut durch eine gezielte Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik aufzuzeigen und daraus Konsequenzen und Handlungsoptionen abzuleiten. Es handelt sich hierbei insgesamt um eine sehr komplexe und anspruchsvolle Aufgabenstellung, die nur auf der Grundlage eines sehr umfangreichen Datenmaterials bewältigt werden kann.
Ich möchte sagen, dass uns natürlich sehr viele Daten aus statistischen Analysen und aus Berichten vorliegen, zum Beispiel aus Gesundheitsberichten des Sozialministeriums. Aber ein derartiger Anspruch, so, wie er uns hier mit der Beschlussfassung vorliegt, braucht natürlich auch weitergehendes Datenmaterial. Das liegt aber zum Teil nur bruchstückhaft vor. Insofern gehe ich davon aus, dass, so, wie die Beschlussempfehlung lautet, in dieses Projekt Experten, Wissenschaftler, Praktiker eingebunden werden müssen, aber auch Bürgerinnen und Bürger, die im Ehrenamt im sozialen Bereich tätig sind. Und die Forderung, die der Sozialausschuss hier erhebt, erkenne ich vollkommen an, denn sie ist berechtigt.
In meiner Landtagsrede im September bin ich bereits auf einige Sozialdaten eingegangen. Ich hatte bereits dargelegt, dass in Mecklenburg-Vorpommern die Frauen und Männer zu denjenigen der Bundesrepublik gehören, die über das geringste verfügbare Einkommen verfügen, nämlich in Höhe von 13.720 Euro. Das liegt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, der 3.000 Euro darüber liegt. Die Zahlen der Arbeitslosigkeit wurden heute früh schon einmal genannt, aber ich möchte noch sagen, unter den etwas mehr als 210.000 arbeitslosen Frauen und Männern in Mecklenburg-Vorpommern
sind 93.000 Frauen und auch 5.240 Menschen mit Behinderungen, etwa 27.000 junge Menschen unter 25 Jahren und der Anteil der unter 20-Jährigen an den arbeitslosen Jugendlichen liegt bei rund 45 Prozent. So weit einige Zahlen zu Mecklenburg-Vorpommern.
Inzwischen hat die Bundesrepublik – vollkommen richtig, Herr Glawe – den zweiten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt und danach ist das Armutsrisiko in Deutschland auf 13,5 Prozent gestiegen. Sie haben die Zahl genannt und wir wissen, dass davon in großem Maße alleinerziehende Frauen betroffen sind. Mit einer Sozialhilfequote von 26,3 Prozent sind sie in deutlich höherem Maße auf Hilfen zum Lebensunterhalt angewiesen als alle anderen Bedarfsgemeinschaften.
Im gleichen Zeitraum konnten die 10 Prozent der am besten verdienenden Haushalte in der Bundesrepublik ihr Vermögen deutlich erhöhen, und zwar auf etwa 624.000 Euro. Das ist eine Steigerung von 29 Prozent. Ähnliche Aussagen, wie sie der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik trifft, konnten wir auch in der
vor kurzem zur Kenntnis genommenen UNICEF-Studie „Kinderarmut in reichen Ländern“ zur Kenntnis nehmen. Dieser Studie zur Folge hat sich gerade in Ostdeutschland der Anteil der in Armut lebenden Kinder seit 1991 deutlich erhöht. Zwischen 1991 und 2003 ist der Anteil von 8,3 auf 12,6 Prozent gestiegen.
All das sind Zahlen, die für konkrete Lebensschicksale stehen, Zahlen, die alarmieren und ein wesentlich stärker zielgruppenorientiertes Handeln erfordern. Armut gibt es auch in Mecklenburg-Vorpommern und mit dieser zentralen Frage wird sich der Bericht beschäftigen. Hierbei müssen wir allerdings feststellen, dass der Begriff „Armut“ sehr unterschiedlich definiert wird.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat im Jahre 1991 diejenigen Menschen als arm bezeichnet, deren Einkommen unter 50 Prozent des nach Haushaltsmitgliedern gewichteten durchschnittlichen Haushaltseinkommens liegen. Nach der Definition der Weltbank aus dem Jahre 1997 ist derjenige arm, der pro Tag nur über einen Dollar verfügt. Die Bundesregierung hat das Armutsrisiko im zweiten Armuts- und Reichtumsbericht nach dem so genannten Nettoäquivalenzeinkommen definiert. Das heißt also, wenn durchschnittlich 934 Euro pro Haushalt zur Verfügung stehen, ist nach Auffassung der Experten die Grenze zum Armutsrisiko überschritten. Und der Sozialbericht des Landes Nordrhein-Westfalen hat 604 Euro als Grenze zur Armut angegeben. Also auch hier müssen wir uns noch festlegen.
So unterschiedlich die Definitionen der einzelnen Experten auch sind, Konsens besteht überall darin, dass Armut stets mit Einschränkungen von Handlungsspielräumen und mit Einschränkungen von Teilhabechancen am gesellschaftlichen Leben verknüpft ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, hier zu analysieren und Schlussfolgerungen für politisches Handeln abzuleiten. Der Sozialausschuss empfiehlt, im September 2005 das Thema „Armuts- und Reichtumsbericht“ erneut auf die Tagesordnung zu setzen, um hier über den Fortgang der Arbeiten zu unterrichten, denn gerade die aktuelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt im Gesundheits- und Bildungswesen bedarf einer derartigen begleitenden und vertiefenden Analyse. Und ich bin davon überzeugt, dass der jetzt auf den Weg gebrachte Armuts- und Reichtumsbericht gerade im richtigen Augenblick auf den Weg gebracht worden ist. Ich bitte Sie, dem Antrag der Fraktionen der PDS und SPD, so, wie er hier mit der Beschlussfassung vorliegt, zuzustimmen.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der PDS der Abgeordnete Herr Koplin. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich sagen, dass ich schon sehr betrübt bin, Herr Glawe, dass Sie unsere doch recht solide Arbeit im Ausschuss in dieser Weise diskreditieren.
Ich möchte mich dagegen verwahren, dass wir mit unserer Entschließung ein Plagiat angefertigt haben.
Allein wenn Sie einmal die Chronologie der Ereignisse verfolgen, werden Sie feststellen, dass unsere Dokumente vorher da waren, bevor diese Dokumente, die Sie hier kiloschwer ans Rednerpult getragen haben, auch nur im Netz erschienen sind.
Nichtsdestotrotz es ist interessant in Armutsberichte zu schauen, in den ersten und auch in den zweiten der Bundesregierung, aber auch in die der Länder. Wir waren als Sozialausschuss im Bundesland Rheinland-Pfalz und haben uns dort mit der Armuts- und Reichtumsberichterstattung vertraut gemacht. Es ist auffällig, dass Armutsberichte ein eigenartiges Dasein führen. So möchte ich das einmal nennen. Es erfolgt erstens die Erarbeitung mit viel Aufwand, dann werden sie veröffentlicht, die Daten werden skandaliert, es gibt eine mediale Öffentlichkeit, so eine Art Strohfeuer, um dann als Armutsberichte oftmals ein Schattendasein zu führen und nicht Handlungsinstrument von aktueller Politik zu sein. Wir wollen eigentlich, nein, nicht eigentlich, sondern ganz gewiss, mit unserem Antrag einen anderen Weg gehen. Herr Kollege Brodkorb hat es gesagt, dass wir Armut nicht als ein Randproblem, sondern als ein zentrales gesellschaftliches Thema betrachten. Und wenn man es massiv angehen will, muss man auch einen Quantensprung gegenüber dem bisherigen Umgang mit Armuts- und Reichtumsberichten vollziehen.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Quantensprünge macht dieses Land.)
Armut bedeutet, Herr Riemann, gesellschaftliche Ausgrenzung. Sie kann nicht hingenommen werden, weil sie dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsgebot widerspricht und zugleich die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaftsordnung gefährdet. Und das sage ich aus bitterernstem aktuellen Anlass. Wer ernsthaft gegen das Eindringen von Faschisten in die Alltagskultur angehen will, muss etwas gegen Armut, Ausgrenzung und soziale Ungerechtigkeit tun.
Oder umgekehrt: Wer Armut produziert und den Aufstand der Anständigen nicht mit Ressourcen unterlegt, ihn lediglich deklariert und verlangt, macht keine glaubwürdige Politik.
Wir stellen, sehr geehrte Damen und Herren, selbst hohe Ansprüche an den Armuts- und Reichtumsbericht. Wir wollen keinen Datenfriedhof! Wir wollen keine Zahlenkolonnen, keine ewig langen Tabellen, die dann womöglich noch wortreich beschrieben werden, was man allein aus ihnen schon entnehmen kann. Es geht darum, quasi das Sichtbare mit dem Verborgenen zu verbinden.
Was meine ich damit, was verstehe ich darunter? Hinter der Einkommensarmut zum Beispiel verbirgt sich das Gespenst der Chancenarmut, ein zentrales Thema im inhaltlichen Ansatz unseres Anliegens. Chancenarmut selbst hat ein breites Spektrum. Ich denke allein an diesen Teufelskreis „Bist du arm, wirst du krank. Bist du krank, wirst du arm.“ Wie daraus ausbrechen? Oder: Beruf und
Kinder sind mit der Tugend Flexibilität und mit permanenten Überstunden immer schwerer vereinbar. Wir hatten das Thema heute in der Aktuellen Stunde.
(Zurufe von einzelnen Abgeordneten der CDU – Gabriele Schulz, PDS: Lenken Sie mal nicht vom Thema ab!)
Aber das ist nur ein Teil des gesamten Spektrums. Wenn es zum Verzicht auf Kinder kommt, ist es letztlich eine widernatürliche Alternative. Unser Bericht soll Gefährdungspotentiale aufzeigen, aber auch Entwicklungschancen und Gegenstrategien. Die Wertschöpfung in diesem Armuts- und Reichtumsbericht wird unter anderem die sein, Herr Glawe, es wird der erste Armuts- und Reichtumsbericht eines Landes sein nach Einführung der SGB II u nd XII, also der Hartz-IV-Gesetze – sehr interessant, denke ich mal. Der Bericht soll also soziale Prozesse unter die Lupe nehmen.
und zwar die Ziele der Agenda 2010, Teilhabe fördern, Chancen eröffnen, Sozialstaat sichern? Wie entwickeln sich beispielsweise soziale Beziehungen, die ja immer etwas mit Kommunikation zu tun haben, wenn den über 200.000 ALG-II-Empfängern hierfür 20,87 Euro monatlich zur Verfügung stehen? Das reicht zwar für die Grundgebühren fürs Telefon, aber nicht fürs Telefonieren. Das reicht zwar für ein Modem für den Internetzugang, aber nicht für die Internetnutzung.