Protocol of the Session on November 25, 2002

dass die Frau Finanzministerin hier zuerst eine Regierungserklärung zur Situation der öffentlichen Haushalte abgibt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Ich habe die Unterrichtung im Finanzausschuss letzte Woche beantragt. Die CDU nicht! – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Frau Kollegin Gramkow,

(Angelika Gramkow, PDS: Herr Rehberg, Sie sollten sich informieren.)

ich hätte erwartet, dass diese Landesregierung – und Sie sitzen mit im Kabinett – mit Bekanntwerden der Steuerschätzung den Finanzausschuss bittet, den Vorsitzenden, er war damals schon gewählt worden, bittet,

(Angelika Gramkow, PDS: Das ist gar nicht wahr! – Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

dass der Finanzausschuss bei der ersten Finanzausschusssitzung informiert wird. Und ich hätte weiter erwartet, dass diese Landesregierung den Landtag, die Öffentlichkeit informiert über die Situation der öffentlichen Haushalte.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Genau!)

Wir reden doch nicht über Peanuts! Wir reden über Steuerausfälle von 1,5 Milliarden DM oder 750 Millionen Euro!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Das sind die Tatsachen.

Und wissen Sie, was noch mehr als makaber ist? Sie lassen sich drei Monate Zeit, um in einer Regierungserklärung als SPD und PDS die Menschen im Land darüber zu informieren – Sie wollen es ja erst am 11. Dezember tun –, wie Sie sich vorstellen, wie Politik in den nächsten vier Jahren gestaltet werden soll. Übrigens, das ist auch einmalig in der deutschen Parlamentsgeschichte,

(Torsten Koplin, PDS: Das steht im Koalitions- vertrag. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

dass drei Monate Zeit gebraucht wird, um den Landtag, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, wie Sie Landespolitik vornehmen wollen und wie Sie weiterregieren wollen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Gucken Sie mal ins Grundgesetz, Herr Koplin!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich mir das einmal angucke, und der Nachtragshaushalt 2002, der Kollege Riemann wird darauf noch eingehen, soll ja mit Tricksereien umgangen werden, dann muss man doch ehrlich zur Kenntnis nehmen, dass wir ohne Bundeszuweisungen, ohne europäische Mittel in Mecklenburg-Vorpommern mehr als eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts hätten.

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Und, Frau Keler, Sie haben früher mal so gern mit dem Modellhaushalt operiert. Diesen Begriff habe ich seit Wochen und Monaten, seit Jahren nicht mehr aus Ihrem Mund gehört.

(Angelika Gramkow, PDS: Oh! Nicht zugehört.)

Das heißt, es ist doch die Frage zu stellen, ob Sie jetzt als Buchhalter so weitermachen wollen, das heißt ein „Weiter so!“, wie Sie das seit 1998 treiben oder bis 2005 eigentlich geplant haben, Streichen von Investitionen in Höhe von 503 Millionen Euro – die Absenkung der Nettoneuverschuldung von 560, die können Sie ja nun wohl verschieben –, oder ob Sie endlich darangehen wollen, wirklich einmal Vorsorge zu betreiben, strukturierte Politik auch mit Blick auf das Jahr 2006, auslaufende EU-Strukturfonds und ab diesem Zeitpunkt auch eine stark degressive Gestaltung der Zuweisungen an die neuen Bundesländer.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, wir müssen, Sie müssen endlich lernen, die wenigen Mittel, die wir haben, gezielt für die Zukunftsvorsorge einzusetzen. Aber wie sieht im Augenblick verantwortliches politisches Handeln in Berlin und in Schwerin aus?

Meine Damen und Herren, ein derartiges Chaos von Ankündigungen, Widerrufen und unstrukturiertem, willen

losem Handeln der politisch Verantwortlichen hat es im Nachkriegsdeutschland noch nicht gegeben – einstimmige Kommentarlage bundesweit. Und, meine Damen und Herren, wenn Roman Herzog, unser Altbundespräsident, Folgendes sagt: „Von Politikverdrossenheit kann heute keine Rede mehr sein, wir haben eine handfeste Vertrauenskrise“, dann muss man sich doch wirklich einmal fragen, woher kommt dieses.

Wenn ich die letzten Tage ansehe – ich nehme nur das Thema Ökosteuer und Rentenbeiträge –, ist es denn völlig aus dem Blick geraten, dass Sie zugesagt hatten, die Ökosteuer wird eingeführt, um die Rentenbeiträge stabil zu behalten. Und als Maß- und Messgröße waren für das kommende Jahr 18,7 Prozent angesetzt. Meine Damen und Herren, Frau Ministerin Keler, wo sind die fast 20 Milliarden Euro Einnahmen bei der Ökosteuer geblieben? Sie stehen bei einem Rentenbeitrag von 19,5 Prozent. Ohne den Trick mit der Schwankungsreserve und ohne den Vorgriff auf die Zukunft, Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, würden Sie bei 19,9 Prozent stehen. Meine Damen und Herren, 1,2 Prozent mehr, als Sie versprochen haben!

Und das Deutsche Institut für Wirtschaft hat ausgerechnet, dass im nächsten Jahr aufgrund der Notgesetze, Rente, Gesundheit, aufgrund der Steuererhöhungen – das sind Steuererhöhungen, was Sie hier betreiben, das ist nicht die Wegnahme von Steuervergünstigungen – Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit 9,1 Milliarden Euro zusätzlich belastet werden. Und, Frau Keler, die Hälfte, in aller Regel, was die Sozialkassen betrifft, tragen die Arbeitnehmer. Und jetzt überlegen Sie sich noch einmal gut Ihren Satz, dass die Menschen wissen, dass sie mehr im Portemonnaie haben!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Menschen haben deutlich weniger im Portemonnaie. Das Problem der Bundesrepublik Deutschland ist nicht die weltwirtschaftliche konjunkturelle Gesamtsituation. Übrigens, die Vereinigten Staaten erwarten dieses Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes real um 2,4 Prozent, Deutschland um 0,2 Prozent, nächstes Jahr Deutschland um 1 Prozent, die USA um 2,6 Prozent. Unser Problem ist doch nicht die Konjunkturlage in den Vereinigten Staaten, unser Problem ist die Binnennachfrage, sind strukturelle Probleme, die Sie in den letzten vier Jahren nicht gelöst haben, oder Probleme, die Sie heraufbeschworen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und, meine Damen und Herren, wenn Sie Zeugen dafür brauchen, dann zitiere ich Ihnen gerne den Sachverständigenrat.

(Angelika Gramkow, PDS: Den kann man auch beschimpfen.)

Übrigens, nur mal nebenbei bemerkt, man kann ja noch die Unternehmer beschimpfen. Aber im Sachverständigenrat sitzen fünf, drei von fünf Sachverständigen nicht mit dem Parteibuch der CDU, sondern mit dem Parteibuch der SPD. Und die haben Ihnen ins Stammbuch geschrieben: „Die angespannte Haushaltslage ist nicht nur eine Folge der schlechten Konjunktur, sondern auch unzureichender Konsolidierungsanstrengung der vergangenen Jahre – die Versäumnisse der Vergangenheit und nicht der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt sind dafür verantwortlich, dass nun kaum finanzpolitischer Spielraum besteht.“ Und, meine Damen und Herren, sie sagen weiter: „Die konjunkturelle Aufwärtsbewe

gung steht... auf tönernen Füßen – solange die Binnennachfrage keine Dynamik entwickelt.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das heißt, man muss sich die Frage stellen, ist das, was im Augenblick abläuft, ist das dazu angetan, dass die Binnennachfrage die Konjunktur anzieht. Ich habe die dringliche Bitte, ich würde sogar sagen, Forderung an diese Landesregierung: Stellen Sie endlich Landesinteressen über Parteiinteressen!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich sage das deswegen, weil wohl weder bei der Steuerreform im Juni 2000 noch als Sie Ja gesagt haben zur so genannten Riester’schen Rentenreform die Landesinteressen im Vordergrund gestanden haben können. Wenn Sie sich einmal das Thema Grundsicherung ansehen, zu dem kann man ja noch inhaltlich Ja sagen, aber wie Sie die Lasten auf die Kommunen verschoben haben, ausgabeseitig, Frau Finanzministerin! Gucken Sie sich die kommunalen Haushalte an! Steigerungen im Sozialhilfebereich zwischen 10 und 20 Prozent werden prognostiziert, ohne dass man bisher genau weiß – man geht eher von höheren Kosten aus im Bereich der Grundsicherung –, ob diese Anstiege in den Planzahlen im Ist auch eingehalten werden können. Und wenn Sie sich dann noch erdreisten, zur Einnahmeseite, ich zitiere zum Thema Kommunalfinanzen, zu sagen: „Die Ergebnisse der Steuerschätzung zeigen, dass die Kommunen insgesamt 2002 und 2003 nur geringfügig von Steuerausfällen betroffen sind.“!

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Wo leben Sie eigent- lich? Gucken Sie sich das mal an!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Finanzministerin Keler, haben Sie sich wirklich mal die Mühe gemacht, haben Sie sich wirklich einmal die Mühe gemacht, an irgendeiner Stelle sich anzugucken, wie massiv vor Ihrer desolaten Steuerreform im Jahr 2000 – und nicht wegen der geringfügigen Absenkung des Spitzensteuersatzes, der geringfügigen Absenkung des Eingangssteuersatzes – die Gewerbesteuern eingebrochen sind, wie massiv die Einkommenssteuer auch im Land runtergegangen ist?!

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Ich will Ihnen sagen, warum zum Beispiel die Einkommenssteuer massiv heruntergeht. Weil wir seit dem Juni 1999 55.000 Beschäftigte weniger in den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen haben. Dann können Sie mal beigehen, beim Durchschnittseinkommen von 1.500 netto in Mecklenburg-Vorpommern, was das für die Sozialkassen letztendlich bedeutet. Das können Sie doch mal ausrechnen! Sie sind zumindest schon so weit, dass Sie die Abwanderungsquoten mit einrechnen beim Minus im Länderfinanzausgleich.

Ich habe mir einige Haushalte angeguckt, Frau Finanzministerin Keler. Unter 15 Prozent wird das Minus bei den Einkommenssteuern und bei den Gewerbesteuern vom Jahr 2002 mit Blick auf das Jahr 2000 – und das ist das relevante Jahr – nicht abgehen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sieht das in einzelnen Kommunen aus? Die Stadt Rostock sagt, sie hätte im Jahr 2000 – das gibt sie an – eine Gewerbesteuer von 52 Millionen Euro gehabt, im darauf folgenden Jahr hat es sich halbiert.

(Angelika Gramkow, PDS: Warum? Sagen Sie das hinzu!)

Das will ich Ihnen sagen. Weil Sie Ja gesagt haben, Frau Gramkow. Sie haben Ja gesagt, Sie als PDS, zu einer Körperschaftssteuerreform, die dazu führt,

(Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

dass Banken, Versicherungen, Energieversorgungsunternehmen und Telekommunikationsunternehmen in Rostock deutlich weniger Gewerbesteuer bezahlen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: So ist das.)

Sie sind dafür verantwortlich mit Ihrem Ja zur Körperschaftssteuer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren,...

(Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Aber, Frau Gramkow, das hat es in Deutschland noch nicht gegeben.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: Ich sage noch ein paar Zahlen zu Schwerin, Frau Gramkow. – Angelika Gramkow, PDS: Die kenne ich sehr gut. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Das hat es in Deutschland noch nicht gegeben, dass eine Steuerart mit einem Minus davor stand.