Protocol of the Session on November 25, 2002

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 4. Sitzung des Landtages. Die Fraktion der CDU hat gemäß Paragraph 72 Absatz 4 unserer Geschäftsordnung die heutige Dringlichkeitssitzung beantragt. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 4. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 4. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Ich rufe auf den einzigen Tagesordnungspunkt: Aussprache zum Thema „Situation der öffentlichen Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern unter Berücksichtigung der aktuellen Steuerschätzung“, hierzu Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Nachtragshaushalt 2002, Drucksache 4/35, und Beratung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD – Einnahmesituation verbessern, Drucksache 4/36.

Situation der öffentlichen Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern unter Berücksichtigung der aktuellen Steuerschätzung

Antrag der Fraktion der CDU: Nachtragshaushalt 2002 – Drucksache 4/35 –

Antrag der Fraktionen der PDS und SPD: Einnahmesituation verbessern – Drucksache 4/36 –

Das Wort zur Begründung des Antrages der Fraktion der CDU hat der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete Herr Rehberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Frau Finanzministerin hat am 30. Mai 2002, vier Monate vor den Wahlen in Bund und Land, zur Steuerschätzung im Mai Folgendes ausgeführt: „Wenn Sie mit den Menschen reden und sie direkt darauf ansprechen, dann werden die Ihnen auch sagen, natürlich haben wir mehr im Portemonnaie.“ Meine Damen und Herren, 82 Prozent der Bürger in Deutschland antworten auf die Frage, ist die Bundesregierung mit ihrer Politik gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern offen und ehrlich, mit Nein.

Sehr geehrte Frau Keler, stellen Sie diese Frage den Menschen heute noch einmal! Die Staatsfinanzen sind dramatisch eingebrochen, die jetzige und die damalige Finanzministerin war der Meinung, dass die Menschen mehr Geld im Portemonnaie hätten. Und warum, Frau Keler, sind dann die Steuerausfälle im November dreimal so hoch ausgefallen wie die der Steuerschätzung im Mai?

Die Sondersitzung ist dringend geboten, nicht nur weil die Situation außergewöhnlich ist, sondern sie ist auch bezeichnend für die politische, wirtschaftliche und finanzpolitische Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Und, meine Damen und Herren, die zweite Sondersitzung ist bezeichnend für den Umgang dieser Landesregierung mit dem Parlament, mit den neu gewählten Abgeordneten des Landtages. Die Sondersitzung ist geboten, da die Finanzministerin erst die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Steuerschätzung informierte, der Landtag aber bisher keine Detailinformationen über die Steuerschätzung und ihre Folgen erhielt, bis heute nicht erhalten hat.

Meine Damen und Herren, diese Landesregierung hat die Maßstäbe dafür verloren, welche Verpflichtungen sie gegenüber den Abgeordneten des Landtages hat. Ich zitiere, der Paragraph 10 Absatz 2 ist eindeutig: „Die Landesregierung unterrichtet den Landtag durch das Finanzministerium“, wenn „erhebliche Änderungen der Haushaltsentwicklung und deren Auswirkungen auf die Finanzplanung“ zu verzeichnen sind.

(Wolfgang Riemann, CDU: Richtig.)

Meine Damen und Herren, unterrichtet! Nicht kann unterrichten, nicht soll unterrichten, sondern unterrichtet! Und, meine Damen und Herren, sind 746 Millionen Euro Steuerausfälle in zwei Jahren – wer in Euro nicht richtig die Dimensionen begreift, das sind 1.480 Millionen DM – kein Grund, diesen Landtag zu unterrichten, hier eine Erklärung abzugeben, eine Regierungserklärung, wie es der Bundesfinanzminister im Bundestag getan hat und viele andere deutsche Landesregierungen es in diesen Tagen tun oder getan haben?! Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Landesregierung, welche Achtung haben Sie gegenüber diesem Parlament?! Diese Frage muss man stellen. Ich kann nur konstatieren, keine.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Und, meine Damen und Herren, es ist schon eigenartig, dass die Opposition ihr, übrigens, meine Damen und Herren von SPD und PDS, unser eigenes Recht auf Information durch eine Sondersitzung geltend machen muss. Das Kabinett hat auf Vorschlag der Finanzministerin für 2003 die Eckdaten des Nachtragshaushaltes beschlossen und die Auswirkungen für das Jahr 2002 werden einfach mal so am Landtag vorbeigedrückt. So war es einer Pressemitteilung am 19. November zu entnehmen. Meine Damen und Herren, was hat das noch mit Haushaltswahrheit, mit Haushaltsklarheit zu tun? Hat der Landtag, haben wir, wir als Haushaltsgesetzgeber nicht nur aufgrund der Landeshaushaltsordnung ein Recht auf Informationen, sondern ist diese Landesregierung nicht auch verpflichtet, uns, uns, den Landtagsabgeordneten, diese Informationen unverzüglich zu erteilen?! Und, meine Damen und Herren, zweitens haben die Menschen im Land ein Recht zu erfahren, welche Investitionen in diesem Jahr nicht mehr vollzogen werden können, welcher Fördermittelbescheid, die ja zuhauf ein Vierteljahr vor den Wahlen verteilt worden sind, in diesem Jahr nicht mehr ausgezahlt wird und wo gegebene Zusagen nicht eingehalten werden.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

Meine Damen und Herren, ich wiederhole das noch einmal: 375 Millionen Euro Steuerausfälle in diesem Jahr, 371 Millionen Euro im nächsten Jahr. Die Mittelfristige Finanzplanung, der Doppelhaushalt, auf den Sie ja so stolz waren, meine Damen und Herren, der ist Makulatur. Er ist nicht mehr das Papier wert, auf dem er gedruckt worden ist. Und ich sage Ihnen eins ganz klar und deutlich: Wir werden keine Kosten und keine Mühen scheuen, die Rechte des Parlaments, unsere Rechte als Opposition, aber auch Ihre Rechte insgesamt des Parlaments beim Landesverfassungsgericht in Greifswald einzuklagen. Und ich bin hoch gespannt, wie das Urteil am 19. Dezember aussehen wird bezüglich der Klage des Abgeordneten Dr. Born hinsichtlich der Beantwortung von Kleinen Anfragen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer so mit einem Parlament wie Sie umgeht, hier ganz speziell was

die Steuerausfälle betrifft, der muss sich dann wirklich fragen, wie ernst meint er es mit Politik in diesem Land. Oder haben sich bei Ihnen die politischen und demokratischen Horizonte völlig verschoben? Und fragen Sie sich das nicht selber, in dem Wissen – und das müssen Sie doch wohl in den Oktobertagen gewusst haben, das ist nur wenige Tage her –, dass Ihr ganzer Koalitionsvertrag Makulatur ist, eh dünn und mager auf 55 Seiten, 14 Artikel, 296 Punkte?! Nur ein Artikel, der Artikel 283, ist noch entscheidend. Darin heißt es: „Die in dieser Vereinbarung vorgesehenen Maßnahmen stehen ebenso wie alle laufenden Maßnahmen unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit der erforderlichen Haushaltsmittel.“ Zitatende.

Meine Damen und Herren, hier muss man natürlich nicht nur die Frage nach der Schuld stellen, sondern die Frage nach der politischen Verantwortung. Wer hat in den letzten sechs Jahren hier für die Finanzpolitik Verantwortung getragen und wer trägt insgesamt für die Politik in den letzten vier Jahren Verantwortung? Ich kann ganz einfach konstatieren, Sie stehen vor dem Scherbenhaufen Ihrer eigenen Politik, von rot-roter Politik in den letzten vier Jahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und, meine Damen und Herren, wir hatten hier im Mai eine interessante Debatte zur Steuerschätzung, zur Maisteuerschätzung. Und dort, ich zitiere, das ist eine offizielle Drucksache des Landtages, und zwar die vom 30. Mai, die Landtagsdrucksache 3/2948, sagt diese Landesregierung: „Die der Steuerschätzung zugrunde liegenden aktuellen Einschätzungen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kommen zum Ergebnis, dass Deutschland am Beginn eines Wirtschaftsaufschwungs steht.“

(Heiterkeit bei Dr. Armin Jäger, CDU)

Und weiter, meine Damen und Herren: „Das nominale Bruttoinlandsprodukt soll 2002 um 2,4 %, 2003 um 3,9 % und um 4,1 % in den Jahren 2004 bis 2006 steigen.“ Und jetzt hören Sie gut zu, denn im Punkt 3 Ihres Antrages wollen Sie ja für mehr Steuergerechtigkeit bei den Unternehmen sorgen: „Stabilisierend für die Konjunktur hat sich die Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung erwiesen,“ – und der Halbsatz heißt – „die von der Landesregierung voll unterstützt wird.“

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: So ist es.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Keler, was ist denn im Juni 2000 bei der Steuerreform abgelaufen, was die Körperschaftssteuer betrifft? Hatte dort der Ministerpräsident ein Blackout, als er Ja gesagt hat? Das wäre schlimm. Hat er gewusst, was er tat?

(Harry Glawe, CDU: Dann hat er es nicht gelesen.)

Das ist genauso schlimm. Und wenn er es nicht gewusst hat – und dieser Eindruck, der muss sich mir nach dem Unternehmertag vor wenigen Tagen in Hasenwinkel stellen –, haben Sie wirklich nicht gewusst, was Sie da getan haben? Und die PDS hat noch Beifall geklatscht.

(Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Sie haben es noch begrüßt, dass die Körperschaftssteuer so strukturiert wird, dass die Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen steuerfrei gestellt wird.

Meine Damen und Herren, gehen Sie heute mal in die Hansestadt Rostock! Ich zitiere gleich noch dort den

Finanzdezernenten Herrn Sebastian Schröder. Woran liegt es, dass die Gewerbesteuereinnahmen massiv eingebrochen sind? Oder haben Sie nicht gewusst, was Sie taten, als Sie die Fristen für Verlustvorträge aufgehoben haben?

Und, meine Damen und Herren, Frau Keler, Sie sagen hier weiter, Zitat Landtagsdebatte am 30. Mai: „Das ändert aber nichts an der Richtigkeit der Reform der Körperschaftssteuer, die unabweisbar war, um ausländische Investoren anzulocken.“

(Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Keler, wie blauäugig sind Sie eigentlich? Sie haben das mitzuverantworten, weil Ihre Stimmen die entscheidenden waren im Bundesrat. Ihre Stimmen waren die entscheidenden, dass die Körperschaftssteuer in den Jahren 2001 und 2002 um 48 Milliarden Euro – in DM: um 95 Milliarden Deutsche Mark – eingebrochen ist. Und die Auswirkungen, die haben Sie jetzt bei der Novembersteuerschätzung zu spüren bekommen. Sie tragen mit die politische Verantwortung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und, meine Damen und Herren, wenn Sie im Mai immer noch davon ausgegangen sind, dass wir dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent haben, dann sind das Mehreinnahmen von 12 Milliarden Euro. 0,1 Prozent Wirtschaftswachstum sind 500 Millionen Euro Einnahmen. Und wenn Sie 2,2 Prozent weniger bekommen, dann sind das minus 11 Milliarden. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch hier ein Stück Nachhilfe: 100.000 Arbeitslose mehr oder weniger sind 2,3 Milliarden Euro mehr oder weniger Ausgaben beziehungsweise Einnahmen in die Sozialkassen, Einkommenssteuer und so weiter und so fort.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Und an diesen bitteren Tatsachen gehen Sie vorbei und sind Sie vorbeigegangen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Ministerin Keler, ich zitiere den Kollegen Riemann. Er sagte in dieser Sitzung: „Wenn die Landesregierung auf die steuerlichen Entlastungen der Bürger und Unternehmer hinweist, so vergisst sie, dass Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger davon gar nichts, aber auch gar nichts haben. Sie vergisst bewusst, dass über steigende Kassenbeiträge, steigende Ökosteuer, steigende Versicherungs- und andere Steuern die Bundesregierung den Bürgern, aber auch den Unternehmen das Geld wieder aus den Taschen zieht und dass der Mittelstand im Gegensatz zu den Großunternehmen nur wenig oder gar nicht entlastet wird, teilweise sogar belastet wird.“ Und wissen Sie, was Sie da gerufen haben von der Regierungsbank? „Das ist gelogen!“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das machen sie doch immer.)

Und weiter geht es in diesem Kontext, in diesem Stil im Verlauf der Debatte zum Kollegen Riemann: „... Sie sind in diesen Äußerungen regelrecht blöd.“ „... lassen Sie mich zufrieden mit Ihren blöden Äußerungen!“ Zitatende, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Unglaublich!)

So viel, Frau Ministerin Keler, zu der Debatte vom 30. Mai, als wir darauf hingewiesen haben – genauso wie bei der

Verabschiedung des Haushaltes im Dezember 2001 –, dass Ihre Erwartungen vom Wirtschaftswachstum auf der Einnahmeseite der Steuern viel zu hoch angesetzt sind. Wir predigen gebetsmühlenartig seit dem Sommer 2000, dass diese Steuerreform verfehlt ist. Und die Auswirkungen haben Sie heute und jetzt zu tragen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und jetzt müssen Sie uns heute schon mal erklären, warum Sie so gehandelt haben. Sie haben vor der Wahl die Menschen über die tatsächliche Situation der öffentlichen Kassen im Unklaren gelassen – ich drücke mich da mehr als vorsichtig aus. Und, Frau Keler, ich sage Ihnen eins auch: Eine gute Buchhaltung ist noch lange keine gute Finanzpolitik.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Und wenn Sie die Aufstellung eines Nachtragshaushalts für das Jahr 2002 umgehen wollen, dann kann ich Ihnen nur eins sagen: Dass Sie tricksen, dass Sie verschleiern und dass Sie den Menschen im Land nicht die volle Wahrheit über das Ausmaß der Folgen der Steuerschätzung klar machen wollen. Sie mogeln, Sie schieben, dass sich die Balken biegen, bei den Einzelplänen. Und, meine Damen und Herren, mit welchem Trick arbeiten Sie? Sie schieben einfach 250 Millionen Euro – eine halbe Milliarde DM, die Dimension wird einem offenkundig erst klar, wenn ich die Euros in etwa mal zwei nehme –...

(Angelika Gramkow, PDS: Ich denke, Sie sind nicht unterrichtet, Herr Rehberg?! – Wolfgang Riemann, CDU: Lesen Sie mal die Pressemitteilungen, Frau Gramkow!)

Frau Gramkow, wissen Sie, ich schätze Ihr persönliches Engagement gerade im Bereich der Finanzpolitik. Ich habe immer Ihr Engagement geschätzt für diesen Landtag. Und wenn Sie mir jetzt mit einem Zwischenruf kommen, obwohl ich vorher Paragraph 10 Absatz 2 Landeshaushaltsordnung zitiert habe, und Sie sind stellvertretende Ausschussvorsitzende im Finanzausschuss, dann hätte ich erwartet, dass Sie als Fraktionsvorsitzende der PDS in diesem Landtag als eine der Regierungsfraktionen dafür sorgen,

(Torsten Koplin, PDS: Frau Gramkow spricht noch.)

dass die Frau Finanzministerin hier zuerst eine Regierungserklärung zur Situation der öffentlichen Haushalte abgibt.