Protocol of the Session on April 1, 2004

Meine Damen und Herren, wir haben speziell in den neuen Ländern von Anfang an – und da weiß ich sehr genau, wovon ich rede, das dürfte etlichen von Ihnen bekannt sein – niedrigere Löhne und Gehälter als in den alten Bundesländern, und das auch jetzt noch. Wir haben hier in den neuen Bundesländern seit 1990 in vielen Bereichen als Experimentierfeld hergehalten für Vorhaben, Arbeitnehmerrechte zu reduzieren, zu beschneiden, um diese dann im Umkehrschluss auch in den alten Bundesländern wieder umzusetzen, nachdem man sich hier damit durchgesetzt hat. Ich sage es also noch einmal: Wenn die vermeintliche Wirtschaftslogik stimmen würde, dass extrem niedrige Löhne die Wirtschaft nach vorne bringen, müsste es hier seit Anfang der 90er Jahre wirtschaftlich nur so brummen, dann hätten wir tatsächlich nur blühende Landschaften. Es ist aber nicht so.

(Beifall Regine Lück, PDS – Zuruf von Gesine Skrzepski, CDU)

Die Vorstellung aus CDU-Kreisen, die Löhne und Gehälter seien zu hoch, verkennt auch, dass diese gerade durch die Tarifvertragsparteien im Rahmen der Tarifautonomie einvernehmlich vereinbart worden sind. Da, wo es wirtschaftliche und finanzielle Probleme gibt, werden betriebliche Lösungen längst gesucht und in aller Regel auch gefunden. Darüber haben wir hier unlängst in der Debatte zur Tarifautonomie schon diskutiert.

Ich möchte jemanden zitieren, der auch sehr unverdächtig ist. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat gerade in der zurückliegenden Woche festgestellt: „Neun von zehn ostdeutschen Industrieunternehmen seien nicht in einem tariffähigen Arbeitgeberverband organisiert“, und dass sie „in der Mehrzahl untertarifliche Löhne“ zahlen. Hier hat das DIW interessante Feststellungen getroffen, meine Damen und Herren, und zwar, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass die ostdeutsche Industrie wegen des Lohnniveaus Probleme hat, sich gegen die osteuropäische Konkurrenz zu behaupten. Und des Weiteren wurde festgestellt, dass die „Abkehr von der kollektiven Lohnfindung“ für Unternehmen häufig zur Folge hat, dass es extrem schwer ist, Fachkräfte zu finden. Meine Damen und Herren, wir dürfen doch nicht vergessen, dass wir die gut ausgebildeten Fachkräfte im

Lande halten wollen. Ich denke nicht, dass es hier einen Dissens gibt. Ich sage aber auch, halten müssen. Das wird uns aber in einem Billiglohngebiet nicht gelingen,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

denn die Besten werden dahin gehen, wo sie am meisten verdienen. Das ist ganz normal.

Das DIW hat bei seinen Umfragen ebenfalls festgestellt, dass die Abkehr von der kollektiven Lohnfindung in der Regel mit einer untertariflichen Bezahlung der Beschäftigten einherging. Es sind gerade diese Unternehmen, meine Damen und Herren, die jetzt unter Fachkräftemangel leiden. Das ist auch nachvollziehbar, denn die untertarifliche Bezahlung konnten sich die Unternehmen selbstverständlich leisten, solange das Arbeitsangebot die Nachfrage überstieg. Das ist aber bei Fachkräften bei weitem nicht mehr der Fall. Und ich füge hinzu: In der Regel kommt dann der Ruf nach der Politik, sich mehr um den Fachkräftemangel zu kümmern. Löhne runter, Probleme bei der Gewinnung von Fachkräften, und sofort kommt der Ruf, die Politik soll es richten. Das, meine Damen und Herren, hat mit verantwortlichem Tun und Handeln nicht mehr viel zu tun.

Meine Damen und Herren, in einer zweiten Veröffentlichung hat das erwähnte DIW weiter festgestellt, dass das Flächentarifsystem keine Behinderung für die Unternehmen darstellt, sondern vielmehr den Innovationswettbewerb befördert. Erfolgreiche Unternehmen würden vor überzogenen Lohnforderungen geschützt, weniger innovative Unternehmen könnten ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht durch die Senkung ihrer Lohnkosten erhöhen. Es stellt sich also die Frage, warum die Forderungen nach Beendigung des Flächentarifvertragssystems – die Sie von der CDU hier ja auch im Landtag schon erhoben haben – und gleichzeitig Forderungen nach Lohnsenkungen erhoben werden, obwohl, wie es das DIW belegt hat, das den ostdeutschen Unternehmen keinerlei Vorteile bringt, sondern es im Gegenteil Fachkräftemangel bewirkt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, könnte ich sagen, wenn ich feststelle, dass es bei diesen Forderungen in Wirklichkeit weniger um Wirtschaftspolitik, sondern viel mehr um Verteilungspolitik geht.

Ich bin ja gespannt, ob sich die CDU hier im Landtag hinstellen und diesen Antrag wirklich ablehnen wird. Denn damit sagen Sie letztendlich den Menschen hier im Land, dass sie zu viel verdienen und dass sie weiter auf Lohn verzichten sollen, und zwar ohne Perspektive nach vorne, und dass wir die gut qualifizierten Menschen hier im Lande nicht mehr halten können. Diese, meine Damen und Herren von der CDU, politische Bankrotterklärung können Sie gerne geben.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Wissen Sie, wie die Unternehmen ums Überleben kämpfen?)

Wir werden dafür sorgen, dass das in ausreichendem Maße in der Öffentlichkeit bekannt wird und auch in den Wahlkreisen,

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Sie haben doch überhaupt keine Ahnung, was draußen los ist! – Rainer Prachtl, CDU: Also doch Wahlkampf.)

so, wie Sie uns bedrohen.

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Herr Prachtl, Sie sind doch nun lange genug hier. Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun. Ich rede von Wahlkreisen.

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Rennen Sie nur in Ihren Wahlkreis, wenn Wahlkampf ist? Na, dann sollten Sie sich schämen.

Meine Damen und Herren, ein Billiglohngebiet Ost löst die Probleme nicht. Vielmehr sind Reformen unumgänglich, auch wenn sie schmerzhaft sind. Wir sind dabei. Das gefällt uns auch nicht immer, aber wir wissen, dass wir keine Alternative haben. Das wissen Unternehmer wie auch die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer. Wer so redet wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU, der verabschiedet sich vom sozialen Konsens dieser Gesellschaft.

(Beifall Heinz Müller, SPD, und Heike Polzin, SPD)

Zum Schluss sage ich Ihnen ganz ausdrücklich für die SPD – und ich denke, da kann ich auch im Namen der PDS-Kolleginnen und PDS-Kollegen sprechen: Ostdeutschland darf nicht auf ewig Billiglohnland bleiben! Dafür stehen wir nicht zur Verfügung! – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke, Herr Schlotmann.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Strenz von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Werter Herr Schlotmann, Ihre Rede war so zündend, dass der Wirtschaftsminister auf dem Stuhl eingeschlafen ist.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Heinz Müller, SPD: Er macht doch einen ganz wachen Eindruck. – Siegfried Friese, SPD: Der war konzentriert.)

Das Ziel dieses Antrages war aus Ihrer Sicht politisch moralisch. Für einen ganz kurzen Moment habe ich mir gedacht, ich werde ihm das nicht unterstellen, aber er ist ausschließlich parteitaktisch und ideologisch geprägt, er wird von uns auch so bewertet, denn er steht tatsächlich im Dunstkreis von Wahlen.

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

Das ist sehr bedauerlich, weil Sie ganz genau wissen, dass Sie dort den größten Zündstoff erzeugen können, und dazu ist Ihnen gerade jedes Mittel recht.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Ich frage mich an dieser Stelle auch ganz deutlich, wo denn hier die Wortbeiträge vom Arbeitsminister, vom Wirtschaftsminister oder von der Finanzministerin bleiben. Wahrscheinlich haben Sie überhaupt nichts dazu beizutragen, weil Sie wissen, worauf sich dieses Thema am Ende reduziert.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Ich frage mich auch, mit welchen Visionen Sie hier gedenken, Mecklenburg-Vorpommern und die Menschen zu

retten oder womöglich zu beschwören, und das zu diesem Zeitpunkt.

(Ute Schildt, SPD: Sprechen Sie zum Thema!)

Hier klingen für uns in der CDU-Fraktion ausschließlich aus Ihren Reihen postsozialistische Ideen an, die sich in diesem Bundesland nicht umsetzen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Heiterkeit bei Heinz Müller, SPD, Ute Schildt, SPD und Angelika Gramkow, PDS – Ute Schildt, SPD: Sprechen Sie zum Thema! – Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

Gerade in unserer wirtschaftspolitisch desaströsen Zeit Forderungen aufzumachen wie „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“,

(Ute Schildt, SPD: Steht das im Antrag?)

möglicherweise noch in der gesamten Bundesrepublik, klingt fast wie „gleicher Lohn für alle“.

(Ute Schildt, SPD: Das steht doch überhaupt nicht im Antrag!)

Und vor meinem inneren Auge, das will ich nicht verhehlen, taucht da so etwas auf, das kenne ich noch aus der DDR-Jugend, wenn man die Zeitung aufschlug – nein, es war das Deckblatt –, wo draufstand: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“.

(Angelika Gramkow, PDS: Recht haben Sie!)

Das haben wir noch vor Augen. Diese Art von Galerieanträgen, wie Sie sie hier gebracht haben –

(Heinz Müller, SPD: Jaja! – Zurufe von Regine Lück, PDS, und Gabriele Schulz, PDS)

und da sollten Sie zuhören –, was Sie hier tun, ist das Spielen mit Existenzängsten und Gefühlen der Menschen in diesem Land.

(Zuruf von Ute Schildt, SPD)

Und Sie bedienen es für Ihre leicht durchschaubaren Zwecke.

(Beifall Rainer Prachtl, CDU – Ute Schildt, SPD: Gehen Sie doch aufs Thema ein, Frau Strenz!)