Protocol of the Session on March 12, 2003

Und, Herr Kollege, ich muss Ihnen mal eines sagen: Von einem Herrn wie Ihnen muss ich mir nicht Vertiefung meiner Sachkenntnisse vorwerfen lassen, vor allen Dingen nicht nach so einer Rede, denn die war unter aller Würde,

(Zuruf von Angelika Peters, SPD)

ohne jede Sachkenntnis! Früher haben wir dazu bei der Seefahrt gesagt: Blabla! Um das auch mal deutlich zu sagen, Sie können mit mir gerne sachlich argumentieren, aber was unter der Gürtellinie ist, das muss auch mal klargestellt werden!

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wann denn?)

Und, Herr Ritter, zu unserem Pseudowissen beim Thema Bundeswehr: Unsere Befürchtungen sind doch leider zu hundert Prozent eingetroffen. Lassen wir doch mal den politischen Streit weg! Das Entscheidende ist doch, was für uns dabei herauskommt. Und das war doch bisher total negativ. All das, was wir befürchtet haben, ist doch eingetreten. Und wenn ich mir diesen Artikel durchlese, Sie sagen etwas zum Pseudowissen, da sagt ein Herr Rainer Kümpel: „,Es sollte so geregelt werden, dass es möglichst wenig Auswirkungen auf Ausbildung und Seefahrt hat.‘“ Es geht um die Einsätze in Bayern. Und dann: „,Es ist sichergestellt, dass jeder, der zu den Minensuchern oder Schnellbooten geht, auch Wasser sieht‘, sagt Kümpel.“ Na, das ist ein wirkliches Fachwissen!

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Worüber diskutieren Sie jetzt, Herr Thomas? – Alexa Wien, PDS: Wer ist Kümpel?)

Und da fragt man sich wie 1989: Von wem werden wir eigentlich in diesem Lande regiert?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Worüber diskutieren wir jetzt, Herr Thomas? – Zuruf von Dr. Gerhard Bartels, PDS)

Zu unserem Antrag gehört – und das kann ich Ihnen nicht ersparen – auch ein Rückblick. Nach der Unionsnie

derlage bei der Bundestagswahl 1998 trat Rudolf Scharping, den wir ja alle kennen, sein Amt an. Bedingung war, sein Ressort von Etatumschichtungen zu verschonen, also von Einsparungen zu Lasten des Wehretats. Diese Haltung brachte Scharping Sympathien und Respekt bei der Truppe ein. Aber dann folgte der tiefe Vertrauensbruch, nachdem er auf die Spar-die-Bundeswehr-kaputtPolitik letztendlich umgeschwenkt war. 1999 verkündete Scharping die Einsparung von 3,5 Milliarden DM im Wehretat. In den nächsten vier Jahren sollten es insgesamt 18,6 Milliarden DM werden. Damit fiel das reiche Deutschland beim Anteil der Verteidigungsausgaben innerhalb der NATO-Staaten auf Platz 17 zurück – von 19 NATO-Staaten! Peinlich, peinlich!

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oh Gott!)

Circa 80.000 Arbeitsplätze stehen in der Hightechbranche in Deutschland damit auf dem Spiel.

Am 15. September 1999 unterzeichnete Rudolf Scharping den Vertrag „Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“. Statt vernünftiger Privatisierung, das haben wir übrigens hier auch angesprochen, bestehender Instandsetzungs- und Serviceeinrichtungen erhielten Großkonzerne den Zuschlag zum Nachteil unseres Landes. Langfristig stehen mit diesem Vertrag auch 2.000 bis 3.000 technisch anspruchsvolle Arbeitsplätze in unserem Land, in Mecklenburg-Vorpommern, auf dem Spiel. Und wenn das für Sie nur eine kurze Rede von drei Minuten wert ist, dann ist das natürlich Ihr Problem.

(Beate Mahr, SPD: In der Kürze liegt die Würze. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Es kommt ja darauf an, was man sagt.)

Der Auftraggeber Bundeswehr vergab mit diesem Vertrag, also mit Steuergeldern, ein Monopol zum Nachteil von Arbeitsplätzen im Land und zum Nachteil der Sicherheit an Großkonzerne.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Den CDU-Antrag vom 29. März 2000, sich nicht den Sparplänen von Scharping zu beugen, lehnten Sie ab und damit auch unsere Aufforderung, sich beim Bund für den Erhalt der Bundeswehrstandorte bei Marine, Heer und Luftwaffe stark zu machen.

Am 11. Oktober 2000 stellte Rudolf Scharping die „Grobplanung für die Neuausrichtung in der Bundeswehr“ vor, wie es so schön hieß. Zuvor hatte Frankreich Mitte 2000 in Sintra vor dem Hintergrund der realen und zukünftigen Bedrohung vorgeschlagen, dass jedes EU-Land mindestens 0,7 Prozent seines Bruttosozialproduktes allein für die Verteidigungsinvestitionen aufwenden solle. Rudolf Scharping spricht zur gleichen Zeit von einer Investitionslücke von 20 Milliarden DM für die notwendige Modernisierung und Investition bei der Bundeswehr. Experten sagen, da brauchen wir 30 Milliarden DM.

Um die zukünftigen Verpflichtungen innerhalb der NATO, deren Partner von Deutschland schon damals einen angemessenen Wehretat forderten, erfüllen zu können, forderte die Union mittelfristig die Anhebung des Verteidigungshaushaltes auf 50 Milliarden DM bis 2003, danach auf 54 Milliarden DM in den folgenden Jahren. Trotz der Forderung der NATO-Partner nach einem angemessenen Wehretat sollte nach Scharpings Plänen der Verteidigungshaushalt in Deutschland weiter sinken.

Ausgehend von der damaligen sicherheitspolitischen Bedrohungsanalyse sollte die Bundeswehr nicht unter 300.000 Mann runtergefahren werden. Voraussetzung für die Bündnisfähigkeit innerhalb der NATO waren und sind die Modernisierungs- und Investitionsmaßnahmen für diese 300.000-Mann-Armee. Geplant waren 200.000 Mann Heer, 75.000 Mann Luftwaffe und 25.000 Mann Marine. Das war und ist aus der Sicht der Verbündeten und aus unserer Sicht die Stärke der zukünftig modernisierten Bundeswehr.

Für Mecklenburg-Vorpommern ging es um sehr viel. Von 21.490 Dienstposten in 30 Standorten sollten nur 17.600 in 24 Standorten übrig bleiben. Mitte Dezember 2000 lehnten Sie, meine Damen und Herren der Koalition, unseren Antrag „Strukturreform der Bundeswehr“ hier im Hause ab.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr gut, das verstehe ich.)

Am 1. Februar 2001 ging es mit dem Antrag „Pläne der Bundesregierung zur Strukturreform der Bundeswehr“ schwerpunktmäßig, wie wir uns alle erinnern können, um Vorpommern. Am 7. Juni 2000 sagte Rudolf Scharping im Bundestag: „Nein, es gibt ein ganz klares Prinzip, das zuverlässig eingehalten wird: Die Kleinststandorte mit weniger als 50 Dienstposten werden auf ihre militärische Notwendigkeit überprüft. Bei allen anderen 439 Standorten wird es oberste Priorität sein, zu prüfen, wie sie wirtschaftlicher geführt werden können, statt eine dumme Politik der Standortauflösung zu betreiben.“ Was war das also in Mecklenburg-Vorpommern? Das war eine dumme Politik der Standortauflösung. „Sie schädigt die Verankerung der Bundeswehr in der Fläche, sie schädigt die regionale Wirtschaftskraft …“ Richtig, diesen Worten hätten eigentlich Taten folgen müssen!

Unser nächster Antrag „Folgen der Umsetzung der Bundeswehrstrukturreform für das Land MecklenburgVorpommern“ vom 21. Februar 2001 wurde allerdings nicht sofort abgelehnt. Er schmorte dafür fast anderthalb Jahre im Innenausschuss. Am 7. März 2001 war hier im Parlament von Harald Ringstorff zu hören: „Fakt ist, Mecklenburg-Vorpommern wird als Ganzes durch die Reform nicht benachteiligt.“ Weiter nach dem Verweis auf vorherige Kürzungen: „Jetzt wird die Stellenzahl von gut 20.000 auf 17.600 zurückgeführt. Das ist ein Minus von 1 2 Prozent und im Übrigen auch im Ländervergleich ein unterproportionaler Rückgang.“ Und ich ergänze, es ging um 21.490 Dienstposten, die gesenkt werden sollten auf 17.600.

Mit dem Länderdurchschnitt waren damals 14 Prozent gemeint, also so groß war der Unterschied gar nicht. Entscheidend aber für das, was Scharping am 7. Juni 2000 im Hinblick auf die regionale Wirtschaftskraft sagte, ist der Vergleich im Norden. Also nehmen wir mal SchleswigHolstein: 50.000 Soldaten. Wir hatten mal 23.000. Bei der Auftragsvergabe der Bundeswehr lag Schleswig-Holstein bei 11,6 Prozent, wir nur bei 2,7 Prozent. Beim Wert der Aufträge lag Schleswig-Holstein bei 5 Prozent, während wir nur bei 1,1 Prozent lagen. Das sind die entscheidenden Auswirkungen auf die regionale Wirtschaftskraft, die für Mecklenburg-Vorpommern eben so verheerend sind. Und aus diesem Grunde haben wir diese Anträge hier immer eingebracht, aber das interessiert offenbar in dieser Koalition überhaupt niemanden.

Die Reform von Peter Struck zur Bundeswehrreform von Rudolf Scharping muss sehr kritisch betrachtet wer

den. Gerade deshalb sollten wir die gemeinsamen negativen Erfahrungen zum Anlass nehmen und uns gemeinsam wehren. Diese Chance haben wir hier in diesem Parlament wieder vertan und ich habe nicht einen Fakt in den beiden Reden gehört. Aber bitte nicht so wie beim Antrag vom 2 1. Februar 2001, so ähnlich ging es ja heute, der am 2 7. Juni 2002 hier im Parlament, also nach anderthalb Jahren, abgelehnt wurde.

(Peter Ritter, PDS: Heute lehnen wir den wieder ab.)

Da war schon alles zu spät. Der Rest war Wahlkampf, wie der damalige Zwischenruf von Frau Peters bestätigte: „Dann stimmen wir über den Antrag … ab und dann hat sich das.“

(Angelika Peters, SPD: Genau, Herr Thomas. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, so machen wir das.)

Ja, dann hat sich das allerdings auch für dieses Land unter dieser Regierung!

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ach was!)

Ich hoffte, das ist Vergangenheit, aber es scheint so zu sein, dass das bis 2006 in diesem Parlament hier so weitergeht. Die Auflösung des 143er-Schnellbootgeschwaders ist nur ein Beispiel dafür, dass es nicht u m Reformen zur Aufrechterhaltung der Handlungsu n d Bündnisfähigkeit auch unter Berücksichtigung des 11. September 2001 geht, sondern nur um Streichkonzepte, gegen die wir uns eigentlich gemeinsam hätten wehren sollen.

Gestrichen hat Struck zum Beispiel auch 13 A400MTransportflugzeuge, fast 600 Luftraketen für den Eurofighter für kürzere Reichweiten, fast 900 Meteor-Raketen für größere Reichweiten und statt der 220 Tiger-Kampfhubschrauber bekommt das Heer nunmehr 80. Das ist die neue strategische Ausrichtung, von der Struck spricht, aber da wird auch schon gestrichen. Genauso wird bei der Schnellbootflottille gestrichen und genauso soll es nach den Vorstellungen der Grünen-Chefin Angelika Beer weiter bei der Bundeswehr gehen, also weiter gestrichen werden. Überschrift in der „Ostsee-Zeitung“ vom Wochenende: „,Standort-Frage kann Wehrpflicht nicht legitimieren‘“. Zitat: „Wir halten eine Größenordnung von 200.000 Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr der Zukunft für real.“

Am 20. Februar 2003 sprach Peter Struck noch von einer Bundeswehr mit 285.000 Mann, davon 77.000 Wehrpflichtigen. Zehn Tage später, am 2. März 2003, fand er die Idee einer 240.000-Mann-Truppe mit nur noch 30.000 Wehrpflichtigen sehr gut. Dann kommt die Grünen-Chefin Angelika Beer mit der 200.000-Mann-Armee. Was ist denn das für eine Glaubwürdigkeit? Fällt denen das denn nicht selbst auf? Das heißt aber für uns:

Erstens. Wir können keinem Verteidigungsminister in dieser Bundesregierung glauben, weil jede Woche sprichwörtlich eine andere Sau durch das rot-grüne Hauptstadtdorf getrieben wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Gabriele Schulz, PDS: Na, na, das ist starker Tobak!)

Zweitens. Es geht um weitere Standortschließungen in diesem Lande.

Drittens. Kein Standort ist zukünftig mehr sicher, auch nicht der Flottenstützpunkt Warnemünde.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Das ist eine schöne Illusion, die Sie haben. Schön wäre es, wenn es dann so wäre.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie können auch alles kaputtreden.)

Viertens. Es werden nur Standorte geschlossen, wo seitens der Landesregierung der geringste Widerstand zu erwarten ist. Und Ihre beiden Reden waren nicht nur der geringste Widerstand,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie reden alles kaputt, Herr Thomas!)

das war null.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Obwohl die Bundesmarine deutliche Vorleistungen erbracht hat, soll munter weitergestrichen werden. Die Entwicklung der Marine – und das müssen Sie sich auch einmal anhören – von 1990 bis 2003 sieht wie folgt aus:

Reduzierung des gesamten Schiffs- und Bootsbestandes von 189 auf 113 Einheiten,

(Beate Mahr, SPD: Ich denke, wir sprechen jetzt von den Schiffen.)

Reduzierung des Luftfahrzeugbestandes von 197 auf 114,

Auflösung des Marinesicherungsregimentes und Reduzierung auf zwei Kompanien,