Protocol of the Session on March 12, 2003

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 10. Sitzung des Landtages Mecklenburg-Vorpommern. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und demzufolge auch beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Geburtstagskind des heutigen Tages, Herrn Egbert Liskow, meine herzlichen Glückwünsche …

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Steht bei mir auf dem Zettel. Stimmt nicht?

(Angelika Gramkow, PDS: Eine Saalrunde! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Das ist sehr schade, dass wir dann diese Möglichkeit nicht haben, aber es ist mir so aufgeschrieben worden. Ich bitte um Entschuldigung.

Die Tagesordnung der 10. und 11. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 1 0. und 11. Sitzung des Landtages gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der PDS hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Gesundheitspolitik in Mecklenburg-Vorpommern – ,Solidarität rechnet sich‘“ beantragt.

Aktuelle Stunde Gesundheitspolitik in MecklenburgVorpommern – „Solidarität rechnet sich“

Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende der PDS-Fraktion Frau Gramkow.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesundheitsland Mecklenburg-Vorpommern, M-V tut gut,

(Beifall Volker Schlotmann, SPD)

der Kuraufenthalt in Lohmen oder Kühlungsborn, das Wellness-Wochenende auf Rügen, 46.000 Beschäftigte im Gesundheitsbereich in Mecklenburg-Vorpommern, verunsicherte Bürgerinnen und Bürger ob der Frage: Ist der Zahnersatz nun zukünftig drin oder ist er draußen?

Meine Damen und Herren, die Gesundheitspolitik ist wichtig für unser Land, sie ist wichtig für unsere Bürgerinnen und Bürger und Gesundheitspolitik erfordert einen gesellschaftlichen Diskurs. Was zurzeit als Reform angemahnt und diskutiert wird, macht allerdings Angst, auch für die Entwicklung unseres Landes. Es geht offensichtlich um die Frage: Markt auf der einen Seite, Menschenwürde auf der anderen? Es geht offensichtlich darum, ob Deutschland als Sozialstaat grundsätzlich in Frage gestellt wird. So, wie das Hartz-Konzept die Lohnabhängigen billig vermarktet, so soll das Gesundheitssystem neoliberalen Anforderungen passgerecht gemacht werden, beides mit der Behauptung, es sei nicht mehr finanzierbar. Aber diese Behauptung ist lediglich ein Vorwand.

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in ihrem Anteil am Bruttosozialprodukt betrugen zwischen

1980 und 1999 stets 6 Prozent. In den ostdeutschen Ländern waren es 1990 10,5 und 1999 9,6 Prozent. Der Durchschnitt des Anteils der Kassenausgaben am Bruttoinlandsprodukt in der Bundesrepublik Deutschland betrug 6 Prozent 1990 und 6,5 Prozent neun Jahre später. Von einer Kostenexplosion, meine Damen und Herren, kann also nicht die Rede sein. Durch Verschiebebahnhöfe, zum Beispiel Umverteilung zwischen den sozialen Sicherungssystemen, oder auch versicherungsfremde Leistungen, zum Beispiel Mutterschaftsgeld und Sterbegeld, werden der gesetzlichen Krankenversicherung jährlich 6 Milliarden Euro entzogen. Das Defizit der Krankenkassen im Jahr 2002 betrug aber nur 2,9 Milliarden Euro. Ist deshalb die Frage: „Aktuelle Finanzierungsdefizite sind zu lösen durch neoliberale Ansätze“ die richtige Frage? Nein. Die aktuellen Finanzierungsdefizite der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht durch das bestehende System der Gesundheitsvorsorge verursacht, sondern – und hier zitiere ich den Sachverständigenrat in dieser Frage – „in erster Linie auf die mäßige Steigerung der Arbeitsentgelte und die steigenden Arbeitslosenzahlen“ zurückzuführen.

Meine Damen und Herren, der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, das wäre die erste Antwort zur Sicherung des Gesundheitssystems auch in Mecklenburg-Vorpommern und dazu gehört zu bemerken: Wer sich die Beschäftigtenzahlen im Gesundheitswesen anschaut und sie der Wirtschaft gegenüberstellt, wird klar erkennen, dass das Gesundheitswesen eigentlich ein Jobmotor, eine Jobmaschine ist. Von 1980 bis 1996 verdoppelte sich die Zahl der Arbeitsplätze auf über vier Millionen Menschen, die in diesem Bereich heute arbeiten. Dagegen sind zum Beispiel im Stahl-, Maschinen- und Fahrzeugbau circa 2,3 Millionen Menschen beschäftigt, im Einzelhandel 1,9 und im Baugewerbe 1,4 Millionen.

Meine Damen und Herren, Gesundheit schafft Arbeit und deshalb wollen wir nicht zulassen, dass sich hier das Motto, alles muss sich rechnen und die Kriterien betriebswirtschaftlicher Effizienz erfüllen oder eine weitgehende Privatisierung des sozialen Sektors sei notwendig, nein, wir wollen nicht zulassen, dass sich dieses Motto durchsetzt. Vielleicht besteht ja gerade wegen dieses Mottos die Rürup-Kommission kaum aus Fachleuten des Gesundheitswesens, dafür umso mehr aus Ökonomen. Sie kennen die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen: mehr Selbstbeteiligung, stärkere private Absicherung, weiteres Ausdünnen des Leistungskataloges wie das Herauslösen zumindest eines Teils der zahnmedizinischen Leistungen, Bonusmodelle, ärztlicher Wettbewerb, Planungsleistungen nur noch für Arme, private Versicherung gegen Unfälle, Praxisgebühr bei Arztbesuch und so weiter und so fort. Das klar angestrebte Ziel scheint zu sein der Ausstieg aus der solidarischen, paritätisch finanzierten Gesundheitsversorgung. Die PDS sagt Nein. Das Gesundheitssystem ist eine Schutzzone, die gegen marktwirtschaftliche Einflüsse verteidigt werden muss, bei unbestreitbar vorhandenem Reformbedarf. Dies wird von uns nicht in Frage gestellt. Wir sagen: Erhalt der solidarischen Versicherung und Absicherung des Krankheitsrisikos, Erhalt der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Unternehmen und Beschäftigte und Gewährleisten eines umfangreichen Leistungskataloges für alle Menschen, unabhängig von ihrem eigenen Krankenversicherungsbeitrag.

Wir als PDS-Fraktion stellen uns der Diskussion und wir sind bereit, wirkliche Alternativen für eine Gesundheitsre

form zu entwickeln. Aber drei Säulen sind in diesem Diskussionsprozess für die PDS unverrückbar:

1. Es geht um die Stärkung der Einnahmeseite. Das soll geschehen durch Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, durch Einführen einer allgemeinen Versicherungspflicht für alle Bürgerinnen und Bürger, durch Verzicht auf eine Politik des Verschiebens sozialer Kosten, die letztendlich dazu geführt hat, dass dem System Geld entzogen worden ist, sowie durch Minimieren der riesigen Anzahl der Krankenkassen. Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist eine Volksversicherung.

2. Wir möchten gerne, dass der Arbeitgeberanteil nach der Leistungsfähigkeit der Unternehmen berechnet wird, das heißt Einführung einer Bruttowertschöpfungsabgabe anstelle eines Anteils je Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer.

3. Wir sind dafür, dass strukturelle Defizite beseitigt werden, Versorgungsangebote sollen integrativ und kooperativ angelegt sein, so wie die Polikliniken der alten DDR. Darauf greift in dieser Diskussion auch Ministerin Schmidt zurück, wenn sie von der Ausgestaltung von Gesundheitszentren spricht. Behandlungsleitlinien sollen zu einer verbesserten Qualität führen. Die Einführung einer Positivliste kann Einsparungen bis zu 4,1 Milliarden Euro erbringen. Dazu müssen aber die Pharmalobby zurückgedrängt und die Forschung wieder dem öffentlichen Bereich zugeordnet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wir bleiben dabei: Das Gesundheitswesen darf nicht der Marktlogik zugeordnet oder gar untergeordnet werden. Es muss dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet bleiben. Im Mittelpunkt stehen für uns die Patientin und der Patient. Es gilt, dies volkswirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich zu betrachten. Nur Solidarität rechnet sich.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und Thomas Schwarz, SPD)

Vielen Dank, Frau Gramkow.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete der CDU-Fraktion Herr Glawe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Gesundheit stand vor gut vier Wochen in diesem Hohen Hause auf der Tagesordnung. Nun hat die PDS dieses erneut zu einem Thema erkoren.

(Peter Ritter, PDS: Nicht schlecht.)

Meine Damen und Herren, es ist vielleicht auch richtig so, dass es heute wieder diskutiert wird. Das, was wir hier gehört haben, ist ein Vortrag der PDS, der unterstellt, dass die Solidarität aufgekündigt werden soll durch die anderen Parteien hier in Deutschland, also auch durch SPD und CDU. Das wird de facto unterstellt. Es ist aber mitnichten so, meine Damen und Herren!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Torsten Koplin, PDS: Zahnersatz?)

Wir haben zwei Probleme zu bewältigen. Es sind folgende Fragen zu stellen: Wie wird Arbeit in Deutschland billiger? Wie wird die Einnahmeseite bei den Krankenkas

sen verbessert? Wie bekomme ich Beschäftigung ins Land? Und letzten Endes auf der anderen Seite: Wie sind die Ausgaben sozialverträglich zu begrenzen? Das, was ich hier von der Fraktionsführung der PDS gehört habe, war nicht so überzeugend.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Gabriele Schulz, PDS: Da haben Sie aber schlecht hingehört.)

Meine Damen und Herren, Sie müssen sich daran messen lassen, Sie tragen Verantwortung.

(Beifall Kerstin Fiedler, CDU)

Auf der einen Seite haben Sie zu verantworten, dass in den letzten vier Jahren Ihrer Regierungsbeteiligung 60.000 Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern verloren gegangen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das heißt einnahmeseitig Belastungen für die Krankenkassen in diesem Land,

(Martin Brick, CDU: Und auf der Straße.)

denn die AOK alleine ist eine Kasse des Landes. Sie wird dadurch erheblich belastet. Deswegen brauchen wir auch eine Aussage in diesem Hohen Hause zu der Frage, wie steht die PDS, wie steht die Sozialministerin zu einem Landeskrankenhausplan, der fortgeschrieben werden muss am 01.01.2004. Wir hören in allen Fachressorts, dass das nicht stattfinden wird.

(Heiterkeit bei Angelika Gramkow, PDS, und Gabriele Schulz, PDS – Torsten Koplin, PDS: Ach!)

Ja, meine Damen und Herren, es wird nicht daran gearbeitet.

(Torsten Koplin, PDS: Denken Sie doch mal an die Sozialausschusssitzung! Da haben Sie ganz anders geredet.)

Sie arbeiten nicht daran und das kann es nicht sein. Diese Frage müssen Sie sich gefallen lassen. Sie haben ja bewiesen, wie Sie mit dem Landespflegegesetz umgegangen sind.

(Torsten Koplin, PDS: Ach!)

Im Dezember haben Sie verschlafen, es fortzuschreiben, wir mussten Ihnen helfen, es voranzubringen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Richtig.)

Die Dinge sind auch bis heute nicht zu Ende definiert.

Aber zu den Dingen, die weiterhin wichtig sind. Wir als CDU stehen dafür, dass der Beitragssatz auf 13 Prozent sinken muss, meine Damen und Herren.