Damit würden wir demographischem Sachverstand Unrecht tun. Politik aber würde letztlich zu Demographie mutieren. Dann allerdings könnten wir unsere Schreibtische aufräumen und könnten uns draußen in den Sandkasten setzen und mit Förmchen spielen.
Meine Damen und Herren, eine zweite prinzipielle Feststellung. Auch wenn die demographische Entwicklung, der demographische Wandel in der gegenwärtigen Diskussion omnipräsent zu sein scheint und naturgemäß und verständlicherweise vor allem die Demographen davon ausgehen, dass demographisches Verhalten beeinflussbar ist, wenn, so die Wissenschaft, in demographische Daten genügend investiert wird – bei all dieser Euphorie ist es fahrlässig beziehungsweise leichtfertig, wenn die Politik hierbei eigene Grenzen beziehungsweise Beschränkungen übersieht. Dies gilt für Landespolitik umso mehr. Politik kann und muss – und genau das wollen wir tun – Rahmenbedingungen für Familie und Beruf vorausdenken und gestalten, um aktuelle und künftige Wanderungsbewegungen zu beeinflussen. Das ist der Punkt. Das ist in unserer offenen Gesellschaft ohne Reisebeschränkungen und ohne großes Mutterschaftskreuz wohl nur bedingt möglich.
Außer Zweifel steht aber, dass sich demographische Entwicklungsprozesse – auch das Tausendjährige Reich gehört zu unserer Geschichte, ja – den Sach- und Zeitzwängen von Legislaturperioden einerseits und den verfassungsrechtlichen Grenzziehungen unserer bundesstaatlichen Ordnung andererseits kaum unterwerfen lassen. Also die Leute lassen sich nicht sagen, ob sie fortziehen sollen oder nicht.
Daraus leitet sich meine zweite prinzipielle Feststellung ab: Die demographische Entwicklung ist bei sachlicher Betrachtung kein Wahlkampfthema, damit kann man auch nicht viel gewinnen. Sie versuchen es trotzdem. Und genau an dieser Stelle verabschiedet sich ja die CDUOpposition von verantwortungsbewusster, realistischer und diskutabler Politik. Die Unzulässigkeit und der Irrweg, meine Damen und Herren von der CDU, Ihres Lösungsan
satzes besteht ja nicht allein darin, dass Sie Ihre althergebrachten konservativen Verheißungen und selbst Ihr Wahlkampfprogramm klammheimlich unter dem Titel „Demographische Entwicklungen“ verstecken wollen. Sie hätten ja auch schreiben können „Demographische Verwicklungen“. Dies war zunächst ein plumper Täuschungsversuch,
Verwerflicher, aber politisch unredlich ist, meine Damen und Herren von der CDU, heute demographische Entwicklung zu beklagen,
für die Sie zum Teil sogar persönlich vor wenigen Jahren durch Tun oder Unterlassen politisch die Weichen gestellt haben.
(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Ulrich Born, CDU: Was? – Harry Glawe, CDU: Die SPD macht doch Regierungspolitik.)
Um dies bei diesem wichtigen Thema zu veranschaulichen, möchte ich Ihnen den zeitgeschichtlichen Spiegel doch vor die Nase halten. Ich zitiere aus der Regierungserklärung des damaligen Ministerpräsidenten Gomolka vom 30. November 1990
zur weiteren Entwicklung unseres damalig noch jungfräulichen Bundeslandes. „Dabei beobachte ich“, sagte er, „quasi eine Zweiteilung unseres Landes: Ich sehe einen nordwestlichen Bogen“ – die große Vision – „von Stralsund über Rostock, Wismar nach Schwerin, um den ich mir nicht so große Sorgen mache. Da wird, salopp gesagt, viel aus dem Westen hineinschwappen und eine schnelle Stabilisierung eintreten. Ich sehe aber auch einen südöstlichen Bogen von Röbel, Waren über Neubrandenburg, Anklam nach Wolgast hinauf. Hierauf ist die Aufmerksamkeit der Landesregierung besonders gerichtet.“
Ja, Ihr demographischer Politikansatz, meine Damen und Herren von der CDU, bestand also – und dies müssen wir fürs Protokoll wohl festhalten – erstens in Bogen schlagender Beobachtung
(Dr. Ulrich Born, CDU: Da ist doch wenigstens noch was für Mecklenburg-Vorpommern getan worden. – Peter Ritter, PDS: Hereingeschwappt. – Heiterkeit bei Angelika Gramkow, PDS, und Gabriele Schulz, PDS)
Ein sträflicher Ansatz – Herr Born, Sie waren ja dabei – mit verheerenden Auswirkungen. Und die verheerenden Auswirkungen will ich Ihnen nicht erlassen:
440.000 Arbeitsplätze allein in Mecklenburg-Vorpommern. Bis 1994 wurden zwei Drittel der ostdeutschen Industrie zerstört
(Dr. Armin Jäger, CDU: Das, was gut war, haben wir ja erhalten. – Barbara Borchardt, PDS: Sie?! Das waren ganz andere.)
(Unruhe und Heiterkeit bei einzelnen Abgeord- neten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Von Ihnen doch nicht! – Zuruf von Harry Glawe, CDU)
von 85 Arbeitern oder Industriebeschäftigten auf 28 Industriebeschäftigte je 1.000 Einwohner gesunken.
Stellen Sie sich diese Dimension vor und dann wissen Sie, was das für ein geschichtlicher Vorgang war!
(Harry Glawe, CDU: Das waren ja alles wettbe- werbsfähige Arbeitsplätze, als Sie abgedankt ha- ben als SED. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)