Protocol of the Session on March 14, 2002

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Das habe ich aber immer noch nicht verstanden. – Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Und das soll nur gewährleistet werden können durch Nichtöffentlichkeit der Verhandlung, also, und das schimmert überall durch, es zu unterbinden, dass die Öffentlichkeit, die Betroffenen, die Eltern der Opfer beispielsweise, aber eben auch wir als politisch Verantwortliche oder die Bürgerinnen und Bürger gerade ja in den Küstenstädten, die oft auch mit ihren Familienangehörigen der Seefahrt verbunden sind, eben keinen Einblick erhalten in widerstreitende Auffassungen und widerstreitende Aussagen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Und das soll Teil einer modernen kooperativen Sicherheitskultur sein. Wer ist denn Teil dieser Sicherheitskultur, wenn nicht die Öffentlichkeit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Schiffen, die Kapitäne und Bootsleute?

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Dr. Armin Jäger, CDU)

Und dann kommt ein sehr schönes Argument: Die Hauptbetroffenen der Seeunfalluntersuchungen können ohnehin nicht zur mündlichen Verhandlung hinzugezogen werden. Es sind die potentiellen Opfer eines Unfalls. Richtig, gerade weil es um die potentiellen Opfer weiterer Unfälle geht, brauchen wir das öffentliche Verfahren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Dr. Armin Jäger, CDU)

Und jetzt kommt, entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, jetzt kommt ein Beamtenargument.

(Heiterkeit bei Gesine Skrzepski, CDU)

Eine den internen Ermittlungen nachfolgende mündliche Verhandlung bei der Bundesstelle würde nicht dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit genügen. Warum? Weil es zu lange dauert. Weil es zu lange dauert.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Na ja, klar.)

Weil natürlich die öffentliche Verhandlung erst nach Abschluss der technischen Ermittlung und so weiter stehen kann.

(Torsten Koplin, PDS: Nicht die Beamten beschimpfen!)

Eine Verbesserung der Sicherheitsqualität, das nächste Argument, lässt sich zumeist nur bei möglichst sofortiger und unverfälschter Aufnahme der unfallrelevanten Spuren als nicht konstruierbare Sachverhalte erreichen. Richtig. Auch das wollen wir, auch dazu haben wir genug Maßnahmen gefordert in Auswertung der Schiffsunfälle.

Und jetzt das Argument, das ich schon andeutete: Bei Konzentration auf eine mündliche Verhandlung Monate oder Jahre nach dem Unfallgeschehen wird dagegen die rhetorische Form des Erinnerten maßgebend, die zwangsläufig lückenhaft, tendenziös und von Fremdeinflüssen mitgeprägt ist, so dass die Unfallereignisse zunehmend eine fiktive Struktur annehmen. Also auch hier das Argument, da das alles so lange dauert, die Leute sich nach dem Unfall gar nicht mehr so recht daran erinnern können, was da passiert ist, sei das ein Argument für den Ausschluss eines öffentlichen Verfahrens.

Ich denke, hier wird in der Begründung sehr deutlich, dass der Bundesgesetzgeber sich von dem Prinzip der Öffentlichkeit entfernen will, und zwar auch mit dem Argument, dass dieses Prinzip der Öffentlichkeit von Verhandlungen ja keinen Verfassungsrang habe. Das ist auch völlig richtig.

Die Frage stellt sich also: Was ist denn der Maßstab, nach dem wir als Politiker in diesem Abwägungsprozess zu entscheiden haben, ob wir öffentlich oder nichtöffentlich verhandeln lassen sollten? Und dieser Maßstab ist bereits niedergelegt in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1954, Band IV, Seite 74, 94, wer es nachlesen will. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht genau die Frage zu beantworten, wann es denn zulässig ist, ein nichtöffentliches Verfahren zuzulassen. Und es sagt dort salomonisch wie immer: „Wie weit der Grundsatz der Öffentlichkeit für eine Verfahrensart schlechthin durchbrochen werden darf, hängt in erster Linie von der Bedeutung des Verfahrens für die Öffentlichkeit und die Verfahrensbeteiligten ab.“

Und in diesem Abwägungsprozess stehen wir. Die Bundesländer haben sich geäußert im Bundesratsverfahren und haben ganz einfach gesagt: In dieser Abwägung, ob der Schutz der arbeitsrechtlichen Belange eines Betroffenen oder das Interesse der Öffentlichkeit an der Darstellung und Veröffentlichung der Ergebnisse von Seeunfalluntersuchungen Vorrang hat, diese Frage beantworten wir ganz eindeutig zugunsten der Öffentlichkeit. Es ist uns wichtig, dass wir neben dem Aspekt der Klärung von Schuldfragen eben genau die Möglichkeit haben zu zeigen und aufzuzeigen, wie Sicherheit entwickelt werden kann und wie künftige Unfälle vermieden werden können. Und ich denke, das ist das wichtige Anliegen.

(Beifall Dr. Armin Jäger, CDU, Torsten Koplin, PDS, und Caterina Muth, PDS)

Das erste Gesetz zur Untersuchung von Schiffsunfällen wurde 1877 beschlossen. Nun bin ich ja nicht so, dass ich sage, alles, was alt ist, ist auch gut. Nein, bei weitem nicht. Aber einige der bewährten Verfahren sollten durchaus beibehalten werden und sind hier auch notwendigerweise beizubehalten. Emanuel Kant sagte: „Alles, was sich nicht zur Publizität eignet, ist Unrecht.“ Nun möchte ich das niemandem unterstellen, aber zumindest die Tendenz vermutet jeder. Im Dunkeln ist gut munkeln, sagt man so schön.

(Torsten Koplin, PDS: Da kommt das her.)

Und wir wollen, dass die Bundesregierung in ihrer Entscheidung bereits den Anschein, die Möglichkeit des Anscheins ausschließt, dass es genau darum ginge.

Und im Weiteren würde ich mich natürlich auch freuen, wenn in diesem Verfahren der Artikel 2 Paragraph 1

Absatz 4 eine Rolle spielen würde. Aber ich weiß schon, warum eine Stellungnahme in diesem Punkt nicht beantragt wurde. Da heißt es nämlich leider: „Dieses Gesetz gilt nicht für die Untersuchung von Vorkommnissen, an denen militärische Schiffe beteiligt sind.“ Leider. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Thomas für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Thema nationales Sicherheitskonzept haben wir seit 1999 in diesem Landtag leider mehr gestritten, als die Bundesregierung gemeinsam unter Druck zu setzen. Wir haben also fast zwei Jahre verloren. Und unter Umständen – ich habe das ja schon mal gesagt – hätte man die Katastrophe vor Møn vielleicht gemeinsam verhindern können, wenn unsere Forderungen eher in die hiesigen Köpfe der SPD und die der Berliner SPD vorgedrungen wären.

Ich möchte noch mal auf ein Zitat der SPD-Bundestagsabgeordneten Lucyga am 21. Februar hinweisen: „Wir wollen, dass die Schifffahrt in der Ostsee sicherer wird.“ Sie spricht von 20 Grundberührungen, 60.000 Schiffsbewegungen im Jahr in der Kadet-Rinne und von der von der Katastrophe vor Møn. Und sie sagt – und das ist das Erschreckende – auch noch die bittere Wahrheit: „Unsere Anträge zur Schiffssicherheit … entstanden unmittelbar nach dem 30. März 2001 aus der Situation heraus“. Und genau diese Einstellung der SPD war es, mit der wir uns hier im Landtag und im Bund auseinander setzen mussten. Und eine solche Einstellung führt eben direkt in die nächste Katastrophe, weil im Vorfeld eben nicht genügend getan wird, außer warten, bis es knallt. Und gerade das haben wir hier kritisiert. Wir brauchen starke Interessenvertreter im Bundestag und keine Interessenvertreter, die es schlicht und einfach nicht wagen, dem Bundesverkehrsminister zu widersprechen, wenn es um die Interessenlage der norddeutschen Küstenländer geht.

Zum Seeunfalluntersuchungsgesetz sagte Frau Dr. Lucyga, dass keines der fünf Seeämter bis jetzt in der Lage oder befugt sei, eine solche Katastrophe wie die vor der Insel Møn zu untersuchen. Ich glaube, sie weiß gar nicht, wovon sie redet.

Abschließend empörte sich die SPD-Abgeordnete aus der größten Hafenstadt unseres Landes noch über die Verweigerungshaltung von CDU/CSU, FDP und PDS gegenüber einem Gesetzentwurf, dem nun wirklich kein vernünftiger Mensch zustimmen kann. Und ein Kapitän aus Flensburg sagte dazu treffend in der schleswig-holsteinischen Landeszeitung vom 4. März: „Diesen abstimmungsberechtigten Politikern muss man entweder Dummheit oder Feigheit unterstellen. Dummheit in dem Falle, wenn sie sich nicht informiert haben, was sie mit ihrem Verhalten anrichten. Und Feigheit in dem Falle, wenn sie es, aus welchen Gründen auch immer, nicht wagen, gegen einen Antrag des Bundesverkehrsministeriums zu stimmen.“

(Zuruf von Beate Mahr, SPD)

Deswegen und gerade deswegen stehen wir beim Sicherheitskonzept Ostsee erst ganz am Anfang, aber leider vor der nächsten Katastrophe. Und deswegen werden im Bundestag solche Gesetze beschlossen, gegen die die ganze Küste Sturm läuft.

Das bestehende Seeunfalluntersuchungsgesetz entspricht im Grundsatz dem internationalen Standard, insbesondere den Anforderungen des IMO-Codes. Das hat das Bundesverkehrsministerium in einem Schreiben vom 23. April 2001 der Europäischen Kommission mitgeteilt, nicht irgendwem. Der Bodewig-Gesetzentwurf liegt zeitlich völlig unpassend vor der geplanten EU-Regelung – ich wies schon darauf hin – für Schiffsunfalluntersuchungen. Er ist fachlich, wie in meiner Einbringung vorgetragen, falsch –

(Karsten Neumann, PDS: Ach was!)

der Kollege Neumann hat das ja auch noch mit bestätigt – und zudem inhaltlich aus unserer Sicht völlig undemokratisch,

(Zuruf von Karsten Neumann, PDS)

weil die Öffentlichkeit bei den jetzigen Kernverfahren völlig ausgeschlossen wird. Die neue Bundesstelle ermittelt ohne öffentliche Seeamtsverhandlungen, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Damit verstößt dieses Gesetz aus unserer Sicht auch gegen die Pressefreiheit. Die Aufsicht über das neue Amt übt das Berliner Verkehrsministerium aus. Verwaltungstechnisch ist das neue Hamburger Amt beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie angesiedelt. Auch diese Behörde ist wiederum Berlin unterstellt. Also doppelte Abhängigkeit vom Ministerium.

Die Seeämter können nur noch bei Patententziehungsfällen öffentlich verhandeln. Und das ist das Entscheidende, Herr Neumann. Sie sind nicht mehr unabhängig, weil sie nur noch auf Weisung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion tätig werden dürfen. Der Spruchkörper des Seeamtes ist in seiner Entscheidungsfindung nur eingeschränkt unabhängig, weil sich seine Unabhängigkeit nicht mehr auf weitergehende Beweisbeschlüsse bezieht. Die Seeämter können zukünftig auch keine vorläufigen Patententziehungen, wie im Straßenverkehr üblich, mehr anordnen. Das heißt praktisch, dass im Extremfall betrunkene Kapitäne ihre Schiffe so lange weiter führen können, bis das reguläre Verfahren abgeschlossen ist, und das dauert zurzeit drei bis fünf Monate. Drei bis fünf Monate tickende Zeitbomben vor unserer Küste! Und die bisherigen ehrenamtlichen Beisitzer, das sind wirklich akzeptierte Praktiker, werden sich für so etwas nicht mehr zur Verfügung stellen.

Die Rechtsschutzmöglichkeiten für die Betroffenen werden durch die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens stark eingeschränkt. Es gibt keine zweite Tatsacheninstanz zur Korrektur von Ermittlungs- und von Bewertungsfehlern. Rechtsmittel gegen den Untersuchungsbericht sind nicht vorgesehen. Die Verwaltung kontrolliert sich also selbst. Und das ist wohl der entscheidende Beweggrund für Rot-Grün: Die De-factoAbschaffung – und das ist entscheidend – der Seeämter Emden, Bremerhaven, Hamburg und Rostock sowie die Verkleinerung des Seeamtes Kiel ist wohl für SPD und Grüne der gewünschte Nebeneffekt. Als größter Gegner – und daran darf ich erinnern und das weiß auch der Herr Professor Methling – mit unglaublich gefährlichem und teurem Beharrungsvermögen für den Steuerzahler hat sich bei den Forderungen zur Umsetzung eines nationalen Sicherheitskonzeptes Nord- und Ostsee die Verwaltung des Bundes erwiesen. Die Parlamentarische Staatssekretärin Mertens ist das beste Beispiel dafür, Sie wissen das.

Das neue Gesetz ist aus unserer Sicht eine Lex „Pallas“, mit der fehlerhaftes Verhalten von Behörden und Politikern im Vorfeld und bei der Bekämpfung von Ölkatastrophen nicht mehr zum Gegenstand eines öffentlichen Seeamtsverfahrens gemacht werden soll. Rot-Grün leidet also bis heute darunter, dass sich nach der „Pallas“-Katastrophe Seerechtsexperten und Bergungsprofis, Journalisten und Seeämter, also auch Behördenleiter, erdreistet haben, Kritik an dem dilettantischen rot-grünen Krisenmanagement in Kiel und Berlin und an dem völlig unzureichenden Sicherheitskonzept für die Nord- und Ostsee zu üben.

Rot-Grün in Berlin geht es mit diesem Gesetzentwurf also nicht um ein Mehr an Schiffssicherheit und um ein wirksames nationales Sicherheitskonzept für die Nordund Ostsee, sondern um die Kaschierung eigener Fehler und wahrscheinlich politischer Fehlentscheidungen. Und die zeichnen sich ja beim Sicherheitskonzept Nord- und Ostsee schon heute wieder ab. In Sachen Schiffssicherheit auf der Ostsee ist praktisch dreieinhalb Jahre nach der „Pallas“-Katastrophe und nach der Ölkatastrophe vor Møn viel zu wenig passiert. Einzig ein 60-Tonnen-Schlepper, der aber kein größeres Schiff bei Sturm auf den Haken nehmen und vor der Standung bewahren kann, liegt nunmehr in Warnemünde. Bei den Stürmen, die wir hatten in den letzten 14 Tagen, wird er einen 20.000- bis 30.000-Tonnen-Tanker nicht halten können. Und das haben wir immer gesagt, wir brauchen viel mehr Notschleppkapazität in der Ostsee.

(Beifall Dr. Christian Beckmann, CDU, und Gesine Skrzepski, CDU)

Und schon jetzt ist abzusehen, dass das zukünftige Havariekommando nicht das von uns vorgeschlagene Küstenwachzentrum mit militärischer Führungsstruktur ersetzen kann. Rot-Grün in Berlin weiß also, dass mit der jetzigen Seesicherheitspolitik die nächste Katastrophe eben nicht, wie von uns gewünscht, verhindert beziehungsweise effektiv bekämpft werden kann. Und deswegen wollen sie offenbar per Gesetz eine Mauer des Schweigens zur Vertuschung errichten. Wir meinen, gerade das ist undemokratisch, und das dürfen wir nicht zulassen.

Interessant ist neben dem Aspekt auch die Frage: Wem nützt die Reform eigentlich und wem schadet sie? Diese Reform geht eindeutig zulasten der Seeleute. Anders als bei den Reedern, welche die neuen Kosten gemäß Paragraph 24 Flugunfalluntersuchungsgesetz abwenden konnten, ist es bei den Seeleuten. Gemäß Paragraph 22 Absatz 2 des noch gültigen Seeunfalluntersuchungsgesetzes werden keine Auslagen erhoben. Das ändert sich aber mit dem Regierungsentwurf, Paragraph 32 Absatz 3. Wird einem Patentinhaber ein regelwidriges Verhalten vorgeworfen, welches sich im Ausland ereignet hat, so gehören sämtliche Kosten für Übersetzung, Kosten für Zeugen, Sachverständige sowie Kosten für in- und ausländische Behörden zu den Auslagen des Verfahrens. Diese Kosten können sehr schnell einige Tausend Euro erreichen. Und das ist das, was uns wirklich stört an diesem Gesetz. Die Reeder schonen und die Seeleute schröpfen, das ist eine Politik zulasten der Seeleute und so was können wir nicht mittragen als Küstenländer.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Wir meinen, das ist schlichtweg unanständig.

Unanständig in hohem Grade ist auch der am 30. Januar von SPD und Grünen in den Ausschuss für Verkehr,

Bau und Wohnungswesen eingebrachte Änderungsantrag, nach dem Paragraph 111 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte dafür aufzuheben ist. Bei einem durchschnittlich schwierigen Seeamtsverfahren erhöhen sich damit die gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren von circa 640 Euro auf sage und schreibe 1.340 Euro, also um 120 Prozent. Es ist wirklich ein Skandal, dass die Seeleute bei dieser Regierung überhaupt keine Lobby mehr haben, sonst würden solche Anträge doch wohl nicht eingebracht.

(Gesine Skrzepski, CDU: Wie die Bauleute.)

Reeder schonen, Anwälten Geld zuschieben und Seeleute schröpfen, das ist leider das Markenzeichen der derzeitigen rot-grünen Seefahrtspolitik.