Protocol of the Session on December 13, 2001

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 74. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratung vereinbarungsgemäß fort.

Meine Damen und Herren! Von den Fraktionen der SPD, CDU und PDS liegt Ihnen auf Drucksache 3/2560 ein Antrag zum Thema „Bestimmung des besonderen Ausschusses gemäß Artikel 52 Absatz 3 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern“ vor. Aufgrund der Dringlichkeit durch die gesetzlichen Fristen für die Nachwahl eines Mitglieds des Landesverfassungsgerichtes soll die Tagesordnung um diesen Antrag erweitert werden. Nach Paragraph 40 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung kann diese Vorlage beraten werden, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Landtages die Dringlichkeit bejahen. Zugleich muss über die Einreihung in die Tagesordnung beschlossen werden. Wer stimmt der Erweiterung der Tagesordnung um diese Vorlage zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig beschlossen, dass wir die Tagesordnung um diesen Punkt erweitern.

Ich gehe davon aus, dass wir diese Vorlage am Schluss der heutigen Sitzung behandeln. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 8: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern – Einführung der „Regionalen Schule“ und des Abiturs nach 12 Schuljahren –, auf Drucksache 3/2458.

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern – Einführung der „Regionalen Schule“ und des Abiturs nach 12 Schuljahren – (Erste Lesung) – Drucksache 3/2458 –

Das Wort zur Einbringung hat der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herr Kauffold. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe heute die angenehme Aufgabe, den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern mit dem Untertitel „Einführung der ,Regionalen Schule‘ und des Abiturs nach 12 Schuljahren“ in das Haus einzubringen.

Dieser Gesetzentwurf betrifft aber noch andere Regelungsgegenstände, so zum Beispiel kooperative Erziehungs- und Bildungsangebote, Schüler- und Elternratsangelegenheiten, Schulprogramme, Bewirtschaftung von Schulgebäuden, also eine Reihe von Materien, die bei der Gelegenheit mitgeregelt werden sollen. Nun sind die Probleme, die Maßnahmen, die Ziele in der Vorlage auf der Drucksache 3/2458 eingehend beschrieben. Der Begründungstext ist gründlich, so dass ich mir etliche Ausführungen ersparen kann.

Am Gesetzentwurf haben Bildungspolitiker, Praktiker, Wissenschaftler, Gewerkschafter, Angehörige von Ver

bänden und Interessenvertretungen sowie der Landesschulbeirat intensiv mitgewirkt. Alle haben mitgearbeitet und allen, die sich hier eingebracht haben, möchte ich schon an dieser Stelle ganz herzlich danken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Auch die Opposition meldet bei bestimmten Regelungen Urheberrechte an. Ich kann damit ganz gut leben, mich stört das nicht. Entscheidend ist, dass in diesem Falle der gesellschaftliche Konsens zu den Regelungen des Gesetzes breiter wird.

Nun geschieht die Einbringung dieses Gesetzentwurfes nur wenige Tage nach der Veröffentlichung und heftig einsetzenden öffentlichen Diskussionen der internationalen Vergleichsuntersuchung zu den Leistungen 15-jähriger Schülerinnen und Schüler in 32 Staaten. Ich nehme an, dass die Ergebnisse unsere Debatte etwas breiter gestalten werden, und möchte mich auch darauf beziehen. Wir wissen nun im Ergebnis einer wirklich repräsentativen Untersuchung, dass sich die Leistungen deutscher Schüler und Schülerinnen – Schüler sind hier zuerst zu nennen, weil die schlechter sind als die Schülerinnen – im unteren Drittel der verglichenen Länder befinden im Lesen, in Mathematik, in Computerkenntnissen, in Naturwissenschaften, bei Verständnisaufgaben.

In Deutschland ist der Anteil besonders schwacher Schüler am größten. Es gibt Überlappungen zwischen den Bildungsgängen und einen überaus starken Bezug zur sozialen Herkunft. Länder mit deutlich integrativen Schulsystemen liegen weit vorn. Wie der Vergleich der Bundesländer ausfällt, werden wir in absehbarer Zeit erfahren können. Das wird dann sicher sehr interessant, aber auch dieser Teil des internationalen Vergleiches ist sehr interessant. Woran liegt es denn nun wohl, dass die Schüler in Deutschland schlechter sind? Wer bekommt denn nun die schlechten Noten,

(Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU: Die Landesregierung.)

wenn man davon ausgeht, dass die in Deutschland geborenen Kinder nicht dümmer sind als anderswo?

Herr Born, zum Beispiel Landesregierungen, die Politiker. Aber die können ja hier mit Beispiel vorangehen in der Namensnennung, allerdings bitte dann auch über mehrjährige Legislaturperioden – auch Lehrer, auch Hochschulen, auch Schulträger, auch Familien,

(Harry Glawe, CDU: Jetzt ist der Wähler schuld.)

auch andere Dinge wie zum Beispiel die Spaß- und Konsumgesellschaft, auch soziale Kälte, auch manche Medien. Wir haben – und das will ich eigentlich damit nur deutlich machen – es nötig, einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu führen, eine gesamtgesellschaftliche Diskussion und wir haben eine Menge zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, aber nur dann erfolgreich sein, wenn sich die Debatte nicht in Schuldzuweisungen erschöpft, sondern wenn die Beteiligten bereit sind, mit sich selbst ins Gericht zu gehen und gemeinsam zu handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, Barbara Borchardt, PDS, und Angelika Gramkow, PDS)

Wir dürften eigentlich nicht völlig überrascht sein von PISA, weil die Ergebnisse der TIMSS-Studie von 1998 in die gleiche Richtung weisen. Das ist hier eine Vertiefung. Die TIMSS-Studie war der Kritik ausgesetzt, dass die Methodik möglicherweise nicht ausreichend sei, die Ergebnisse nicht repräsentativ. Das kann man hier nun wirklich nicht sagen.

Für uns ist natürlich interessant und wichtig einzuschätzen vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse sowohl von TIMSS als auch von PISA, ob wir uns auf den richtigen Weg begeben haben, sowohl was die Ziele anbelangt als auch was die Umsetzung betrifft, ob wir einen Weg richtig beschritten haben, der sicher lang sein wird und der in Etappen gegangen werden muss. Und das betrifft sowohl die Ziele als auch die Umsetzung der Ziele durch Maßnahmen in dieser Legislaturperiode.

Natürlich steht der Schüler im Vordergrund. Natürlich soll die Schule den Schüler befähigen, das Beste aus sich zu machen, wobei das schon ein neues Paradigma ist, möchte ich meinen. Das ist nämlich ein Paradigma, was eine neue, eine besondere Lernkultur erfordert, nicht frontal, sondern der Schüler wird befähigt, das Beste aus sich zu machen. Zu unseren Zielen gehören Chancengleichheit und Leistungsorientierung, Leistungsorientierung sowohl was die Leistungen der Schülerinnen und Schüler unmittelbar persönlich betrifft, aber auch als Ergebnisorientierung, also die Anforderungen der aufnehmenden Wirtschaft und der aufnehmenden Hochschulen berücksichtigt.

Zu unseren Zielen gehört, zu fördern und zu fordern. Im Mittelpunkt steht das ständige Bemühen um die Sicherung und Entwicklung von Qualität, Sicherung von Qualität zum Beispiel durch obligatorische Vergleichsarbeiten, Entwicklung zum Beispiel durch Schulprogramme und Schulprofile. Zu unseren Zielen gehört es auch, die Messlatte höher zu legen durch untergesetzliche und gesetzliche Regelungen. Und da möchte ich auch gleich etwas dazu sagen, was auf dem Weg und schon getan ist, zum Beispiel die strengere Fassung von Versetzungsordnungen, die Neufassung der Zeugnisverordnung, stärkere Leistungsorientierung bei der Entscheidung über den Bildungsgang. Eltern, Schüler und Schulen entscheiden gemeinsam über den Bildungsgang, den die Schüler einschlagen werden. Und natürlich gehören dazu auch

(Dr. Ulrich Born, CDU: Kopfnoten.)

die zentralen Abschlussprüfungen im Realschulbereich und bei den Gymnasien, die wir weiter fortführen wollen, die nicht in dieser Legislaturperiode eingeführt sind, aber das ist ein gutes Instrument. Ich geniere mich gar nicht, mich unbeliebt zu machen,

(Harry Glawe, CDU: Was?)

auch in der Kultusministerkonferenz, indem ich sage, dass es vielleicht in Deutschland ganz gut wäre, wenn wir insgesamt ein Zentralabitur hätten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Gesine Skrzepski, CDU: Richtig.)

Aber diese Einschätzung teilen wenige. Wir werden uns im Ergebnis der Gesetzesnovelle auch auf Wirkungen orientieren, die ein gestörtes Verhältnis zwischen Integration und Differenzierung ausbalancieren. Wir setzen auf Kontinuitäten, wo sie möglich, und auf Veränderungen, wo sie

notwendig sind. Und wir arbeiten an der Umsetzung dieser Ziele bereits seit 1998 unter objektiv schwierigen Bedingungen, die sich aus dem dramatischen Geburtenrückgang ergeben. Dabei sind auch schmerzhafte Eingriffe und Unzulänglichkeiten unvermeidbar. Wir arbeiten gemeinsam mit den Kreisen und kreisfreien Städten an einem zukunftsfähigen Schulnetz und ich habe die begründete Hoffnung, dass die entscheidenden Arbeiten zum Ende des kommenden Frühjahrs abgeschlossen sein werden.

(Harry Glawe, CDU: Das wird doch nichts!)

Na, wollen wir mal sehen, Herr Glawe.

(Harry Glawe, CDU: Ach, die Hoffnung ist doch irrelevant! Ein Jahr im Verzug und das wird nächstes Frühjahr auch noch nichts. – Zurufe von Volker Schlotmann, SPD, und Harry Glawe, CDU)

Schauen wir mal.

Entscheidend sind die Beschlüsse durch die Kreistage und durch die Stadtparlamente. Wir müssen die Lehrerbeschäftigung an die Schülerzahlen anpassen, das ist die andere erschwerende Bedingung. Unter Bezug auf PISA und die heutige Landtagsdebatte hat Ihr Fraktionsvorsitzender, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, in der Zeitung vorgestern, glaube ich, geäußert, dass es für die Lehrer nicht sehr motivierend sei, sie in Teilzeitarbeit zu zwingen. Was die CDU immer vergisst, ist, dass sie nicht sagt, wohin sie dann andernfalls gezwungen werden würden, nämlich in die Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Steffie Schnoor, CDU)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der drohende Verlust der Arbeitsstelle motivierender ist als ein sicherer Arbeitsplatz. Das kann ich mir nicht vorstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS – Volker Schlotmann, SPD: Die traut sich, hier solche Forderungen zu stellen? Das ist ja! – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Der Mehraufwand an Lehrerstellen mit allen Auswüchsen, den wir auch im Ergebnis der Schulgesetzesnovelle bis zum Jahre 2010 für die schulische Bildung verfügbar machen, liegt um 1.000 Stellen höher – das sind mehr als 50 Millionen Euro – als die Ansätze der vorherigen Landesregierung.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Was? – Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Das bedeutet sowohl Schulqualität als auch Lehrerbeschäftigung. Ich meine, das soll uns erst mal einer nachmachen.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die PISA-Studie benennt auch Unzulänglichkeiten, denen die Koalitionsregierung mit Maßnahmen gegensteuert, die seit langem beschlossen sind und eingeleitet wurden. Dazu gehört die Aufbesserung der Stundentafel im Grundschulbereich aber ganz erheblich. 1991/92 gab es in Mecklenburg-Vorpommern noch 98 Unterrichtsstunden in der Grundschule, Jah

reswochenstunden, 1992/93 waren es 86, 1999/2000 haben wir das wieder angehoben, 2001/2002 sind es 93 und 2003/2004 werden es 94 sein. Die PISA-Studie lokalisiert die Entstehung der Defizite hauptsächlich im Grundschulbereich.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Die PISA-Studie piesackt Sie aber ganz schön.)

Wie bitte, was meinen Sie, Herr Born?

(Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU: Die piesackt Sie aber ganz schön, die PISA-Studie.)

Ja, die piesackt nicht wenig, das muss ich sagen.