Protocol of the Session on November 15, 2001

(Eckhardt Rehberg, CDU: Lesen Sie sich mal Ihre Rede von vor anderthalb Jahren durch, Herr Holter!)

Es geht hier um eine Prognose und nicht um eine Psychose.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Lesen Sie mal Ihre Rede von vor anderthalb Jahren!)

Meine Damen und Herren, ich bitte, dem Redner zuzuhören. Das ist...

(Eckhardt Rehberg, CDU: Was Sie hier reden als Minister des Landes!)

Herr Rehberg, bitte! Ich bitte Sie, sich in den Ausdrücken zu mäßigen.

(Herbert Helmrich, CDU: Dann soll er nicht provozieren!)

Herr Präsident, ich bin vieles gewohnt und...

Ich provoziere überhaupt nicht.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Natürlich! – Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Ich provoziere überhaupt nicht. Wer provoziert, das sind Sie in diesem Haus.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Lesen Sie sich mal Ihre Rede von vor anderthalb Jahren durch, Herr Holter!)

Meine Damen und Herren, ich habe Sie eben gebeten, Herr Rehberg...

(Eckhardt Rehberg, CDU: Da können Sie mal draus zitieren!)

Sie provozieren mit Ihrer Politik in diesem Land.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Herr Rehberg, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf. Ich habe Sie gebeten, jetzt hier dem Redner zuzuhören. Und ich bitte, das auch im üblichen Stil beizubehalten.

Also mir geht es um eine sachliche Debatte, und dazu ein paar Fakten: Von 1990 bis 2020 wird Mecklenburg-Vorpommern etwa 16 Prozent der Einwohner verlieren – das habe ich am 13. April wohl auch gesagt –, sagen die Statistiker. Innerhalb von zehn Jahren – von 1991 bis 2000 – ging die Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern um knapp 150.000 Einwohner zurück. Das sind Verluste von 7,7 Prozent. Wohlgemerkt – und darauf möchte ich Wert legen – „ging zurück“ heißt die Aussage der Statistiker und nicht „wanderte ab“, denn über die Hälfte der Bevölkerungsverluste sind auf den dramatischen Rückgang der Geburten seit der Wende zurückzuführen. Dies ist und bleibt das Hauptproblem unseres Landes. Die geringe Geburtenrate wirkt sich natürlich auf folgende Generationen aus. Und das möchten wir doch bitte mal alle zur Kenntnis nehmen.

Inzwischen steigt die Zahl der Geburten erfreulicherweise wieder an. Der Norden liegt da bundesweit vorn. Laut Demographen der Universität Rostock ist Mecklenburg-Vorpommern auf dem Weg zu einem der geburtenfreundlichsten Bundesländer in der Bundesrepublik.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Siegfried Friese, SPD: Richtig.)

Allerdings – und das wollen wir mal zur Kenntnis nehmen – kommt diese positive Entwicklung erst den nächsten Generationen zugute und reicht längst nicht aus, um die Sterbefälle auszugleichen. Das wissen wir doch alle.

Die Demographen erwarten, dass MecklenburgVorpommern in den nächsten 20 Jahren nochmals 160.000 Einwohner verliert. Das heißt, der deutliche Rückgang der Bevölkerung in den Jahren nach der Wende verlangsamt sich also. Und das, glaube ich, gehört, wenn man schon über Bilanzen von Koalition und Regierung spricht, dazu, dass dieser Prozess verlangsamt wurde zu Zeiten der Koalition aus SPD und PDS.

Die Prognose der Experten lautet: Die Geburtenrate wird sich in Mecklenburg-Vorpommern langfristig besser entwickeln als in anderen Bundesländern, das lässt die CDU immer gern unter den Tisch fallen.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Und wenn sie Abwanderung mit Bevölkerungsrückgang gleichsetzt: Wir haben eine große Zahl von Zuzügen.

(Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU: Das ist doch nicht zu fassen!)

Wir haben zu verzeichnen, dass von 1998 bis einschließlich des Jahres 2000 fast 96.000 Menschen nach Mecklenburg-Vorpommern zugewandert sind,

(Harry Glawe, CDU: Jaja.)

und das in einer Altersgruppe, die uns, glaube ich, freudig stimmen sollte, nämlich im Alter zwischen 19 und 35 Jahren. Das zeigt, wie wichtig Mobilität im Berufsleben für die heutige Gesellschaft ist. Die Zuzüge und Fortzüge gleichen sich allerdings in der Bevölkerungsstatistik nicht aus, das ist Fakt. Der Saldo zugunsten der Fortzüge ist natürlich negativ.

Die Demographen weisen als Hauptursachen für den Bevölkerungsrückgang aus:

1. die bereits genannte geringe Geburtenrate,

2. die Abwanderung und

3. die hohe Sterberate in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Altersstruktur verschiebt sich immer mehr nach oben. Und um es noch einmal deutlich zu sagen: Mecklenburg-Vorpommern ist auch noch heute das jüngste Land ausgehend von der Bevölkerungsstruktur. Nirgendwo ist der Anteil der jungen Leute unter 20 Jahren so hoch wie bei uns. Er beträgt nämlich 22 Prozent.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

Aber auch nirgendwo anders sterben so viele Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren. Auch das gehört zur Wahrheit, wenn man über die Bevölkerungsentwicklung spricht. Laut Experten sind tödliche Verkehrsunfälle der wesentliche Grund dafür. Und auffällig ist auch – da richte ich mich mal insbesondere an die Männer – die hohe Sterblichkeit bei Männern in den angeblich besten Jahren zwischen 30 und 50.

(Zuruf von Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Diese Sterberate ist doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Ein Phänomen, welches schon in DDR-Zeiten eine Rolle spielte. Hier kann ich bloß Stichworte nennen: Alkohol, Herz- und Kreislauferkrankungen.

In 20 Jahren hat sich die Altersstruktur bundesweit verschoben. In Mecklenburg-Vorpommern werden dann 3 von 10 Einwohnern über 60 Jahre sein. Das kann man beklagen, aber ich meine, wir sollten darüber nachdenken, welchen Nutzen wir für die Entwicklung des Landes daraus ziehen sollten. Die Bevölkerungsverluste der kommenden 20 Jahre, so sagen die Demographen, werden sich aus 90 Prozent der so genannten Sterbeüberschüsse und nur zu 10 Prozent aus Wanderungsverlusten zusammensetzen. Man sollte hier, glaube ich, auch deutlich sagen, wie sich die Bevölkerungsentwicklung Mecklenburg-Vorpommerns zusammensetzt, wo die konkreten Ursachen liegen.

Die Verluste von 1990 bis Ende 2000 sind zu 38 Prozent auf Wanderungsverluste zurückzuführen, einschließlich derer, die mit Gebietsabtretungen zu tun haben. Hier zogen vor allem mehr junge Menschen fort als zu, meist auf der Suche nach einem Ausbildungs- und Arbeitsplatz. Besonders junge Frauen um die 20 verlassen unser Land und verringern damit natürlich wieder die Aussichten auf höhere Geburtenraten in Mecklenburg-Vorpommern, trotz der von mir erwähnten positiven Tendenz. Da ist es wenig tröstlich, dass die negativen Faktoren an der Entwicklung nicht allein Mecklenburg-Vorpommern treffen, sondern den gesamten Osten, alle Bundesländer und die meisten Staaten der Europäischen Union.

Die Vorausberechnungen der Bevölkerung bis zum Jahr 2020 sind der Orientierungsrahmen für die Entscheidungen der Landesregierung. Das führte und wird auch zukünftig zu weitreichenden Konsequenzen in vielen Bereichen der Politik führen. Die Landespolitik kann allerdings nur punktuell beeinflussen. Stärkere Schwerpunkte und eine neue Weichenstellung müssen vor allem vom Bund kommen. Ich nenne da nur die Stichworte Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeitmodelle für Eltern oder finanzpolitische Maßnahmen für Familien mit Kindern, denn auch eine aktive Zuwanderungspolitik der Bundesregierung kann die Entwicklung zwar entschärfen, das Problem lösen kann sie nicht.

Mecklenburg-Vorpommern setzt den Akzent darauf, gut ausgebildete junge Menschen im Land oder zumindest in Verbindung mit dem Land zu halten. Gehen junge Leute zur Ausbildung oder zum Berufsstart in ein anderes

Bundesland, sollen sie wieder zurückkommen und in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt einbezogen werden. Mit traditionellen Arbeitsplätzen allein ist das in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern nicht zu machen. Wir setzen auf neue Technologien, auf den Ausbau unserer Forschungslandschaft, auf attraktive Standorte, Unternehmensansiedlung, auf den Tourismus als zukunftsfähigen Wirtschaftszweig, auf innovative Studiengänge an unseren Hochschulen, die junge Leute im Land halten und Zuzüge weiterhin fördern.

Mit dem Start der Kontaktagentur „mv4you“ – Mecklenburg-Vorpommern für dich – vor zwei Wochen bieten wir jungen Menschen sozusagen einen direkten Draht nach Hause an und unseren heimischen Unternehmen die Möglichkeit, um abgewanderte Fachkräfte zurückzuwerben. Und dieses Angebot wird wahrgenommen. Es gibt bereits Anmeldungen aus der gesamten Bundesrepublik, aus London. Unternehmen bieten bereits über diese Agentur „mv4you“ Arbeitsplätze an. Andere Maßnahmen meines Hauses sind das Programm „Jugend, Arbeit, Zukunft“, das wurde hier debattiert, mit vielen passgenauen Bausteinen für bestimmte Regionen und Situationen, Existenzförderprogramme, speziell für junge Menschen,

(Dr. Berndt Seite, CDU: Jaja.)

und besondere Qualifizierungsangebote, die von Unternehmen begleitet werden. Die Wirtschaft muss jetzt ihren Nachwuchs heranziehen, ausbilden und qualifizieren, denn das Angebot an Ausbildungsplätzen wird die Nachfrage bald weit übersteigen. Das wissen wir alle aus der demographischen Entwicklung.

Um eine Anmerkung zu machen, es gibt eine Untersuchung, die in meinem Auftrag ausgeführt wurde: Es werden uns im Jahre 2010 130.000 Fachkräfte in Mecklenburg-Vorpommern fehlen, ursächlich bedingt durch die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch durch die demographische Entwicklung. Hier besteht Handlungsbedarf und da sind wir als Politiker selbstverständlich gefragt.

Bei der Landesentwicklung und Raumplanung wie auch bei der Wohnungsbauförderung steuern wir um, weg von der Neubauförderung hin zum Bestand, vor allem in den historischen Stadtzentren.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Privatisierung der Platte.)

Immerhin lebt inzwischen fast schon die Hälfte der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns in städtischen Umlandregionen, umgezogen aus den Dörfern und aus den Stadtkernen in die so genannten Speckgürtel, die großzügig gefördert wurden. Die kommunale Neuordnung durch Zusammenschlüsse von Gemeinden zu handlungsfähigen Gebietskörperschaften, die Regionalisierung unserer Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik, die Förderung von Existenzgründern für ein unternehmensfreundliches Klima im Land, die Umsteuerung in der Wohnungsbauförderung von Neubau auf Umbau und Bestandssicherung vor allem in den Zentren, das sind nur einige Maßnahmen, mit denen die rot-rote Landesregierung auf die Situation reagiert.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Privatisierung der Platte – sehr erfolgreich!)