Protocol of the Session on September 20, 2001

aber umso gefährlicher, das haben uns doch die spektakulären Morde und Vergewaltigungen gezeigt.

Ich muss Ihnen eindeutig sagen, der Justizminister Sellering sprach am 17. Mai dieses Jahres zum CDU-Antrag zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung von „alten Kamellen“ und davon, dass die gesetzlichen Grundlagen ausreichten. Sie reichen eben nicht aus. Und wer bei diesem Thema lax von alten Kamellen spricht, der muss sich überlegen, was er für ein Grundverständnis hat. Wir haben ein anderes.

(Dr. Ulrich Born, CDU: In der Öffentlichkeit sagt er das auch anders.)

Bezogen auf die zwar kleine – und darum geht es –, aber äußerst gefährliche Fallgruppe, sprach er von einer „möglicherweise nur eingebildeten Fallgruppe, mehr emotional als sachlich fundiert“. Das haben Sie freundlicherweise abgeschrieben, Herr Friese.

(Heiterkeit bei Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Für diese Fallgruppe, Zitat: „einen sehr weitgehenden, verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaften Eingriff“ vorzunehmen, lehnte Erwin Sellering strikt ab und empfahl Ihnen, meine Damen und Herren, die Ablehnung des Antrages, was ja auch passiert ist. Das war ein Bundesratsantrag. Wir werden weiter versuchen, unsere Intentionen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger hier voranzubringen, auch wenn Sie das ins Lächerliche ziehen, in einer Art und Weise, die wirklich mehr als unerträglich ist.

Auch vor dem Hintergrund des Schutzes vor Sexualstraftätern kritisierte die Union zum Beispiel – und hier kommt wieder Ihr Grundverständnis zu Tage – Ende Mai den rot-grünen Entwurf zur Reform des Sanktionsrechtes. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Vorhaben die Aufweichung des Sanktionsrechtes. Neben der Schwächung von Geld- und Freiheitsstrafen plant Rot-Grün dabei die großzügige Strafaussetzung bei Erstverbüßern zur Bewährung, und das selbst bei brutalsten Vergewaltigern, Kinderschändern und Totschlägern. Wir können das nicht akzeptieren. Wenn diese Schwerverbrecher darauf hoffen können, mit Hilfe der heute Regierenden bei einer Freiheitsstrafe zum Beispiel von zwölf Jahren nach sechs Jahren entlassen zu werden, dann ist das der schwerste Schlag, den man den Opfern und deren Angehörigen überhaupt zufügen kann.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das ist doch absoluter Unsinn!)

Ihre Grundeinstellung in der gesamten Täter-OpferProblematik und die Weigerung, notwendige Maßnahmen zum Schutz der Bürger mitzutragen, ist angesichts der Opfer wirklich ein Trauerspiel. Auch bei der längst überfälligen Verschärfung der Gesetzeslage im Gesamtbereich der inneren Sicherheit wird doch immer wieder, ich

sage das mal so lax, auf die Sozialtherapie, Stichwort schlechte Kindheit, verwiesen und darauf, dass man eben die Freiheitsrechte der Straftäter einfach nicht weiter einschränken dürfe. Dass Sie damit aber die Rechte der Opfer einschränken, das haben Sie dabei wahrscheinlich nicht bedacht. Diese Herangehensweise entspricht weder der Realität noch dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz, nach dem der angemessene Ausgleich zwischen den Freiheitsrechten der Straftäter und der wirksamen Verbrechensbekämpfung gewahrt werden muss, und nur darum geht es uns. Daraus folgert für uns, dass der Schutz der Opfer und der Allgemeinheit absoluten Vorrang haben muss vor den Rechten der Täter, natürlich verfassungsmäßig begründet. Aber über den Vorrang haben sich doch schon viele einen Kopf gemacht und die Neigung, diesen Vorrang auch im Maßregelvollzug nach all den Straftaten einzuräumen, ist doch selbst bei anerkannten Experten mittlerweile vorhanden. Bei Ihnen wird das wohl leider noch eine Weile dauern.

Sicherheit ist ein hohes Gut, denn ohne Sicherheit gibt es in dieser Gesellschaft doch keine Freiheit, und es wäre gut, wenn Sie mal darüber nachdenken würden. Nicht die Polizei und der Gesetzgeber bedrohen uns, Straftäter bedrohen die Sicherheit der Bürger und der Opfer und damit deren Grundrechte auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit. Es geht uns um die im Grundgesetz verankerte Pflicht des Staates, die Grundrechte der Bürger zu schützen. Dafür müssen wir gegebenenfalls die Grundrechte von Schwerstkriminellen einschränken. Wer diese Pflicht des Staates für die Sicherheit seiner Bürger als Bundeskanzler, Ministerpräsident oder Justizminister vernachlässigt, handelt unserer Meinung nach gegen den Mehrheitswillen der eigenen Wähler. Fragen Sie die doch mal! Herr Friese, gehen Sie doch mal in einen Kreis von Opfern! Gehen Sie doch mal in Familien und halten Sie dann dort die Rede, die Sie uns hier angeboten haben! Testen Sie das doch mal, damit Sie wenigstens mal die Meinung mitbekommen!

Unsere rechtsstaatlichen Instrumentarien müssen aufgrund neuer Bedrohungen, Terrorismus, leider eine neue organisierte Kriminalität, Schwerstkriminalität, Sexualstraftäter – und das ist doch ganz normal – überprüft und wenn nötig verbessert werden. Das ist doch ein ganz normaler rechtsstaatlicher Vorgang. Uns hier andere Dinge zu unterstellen, das ist doch wirklich unfassbar.

Und dann erlebten wir im Sommer nach längerem Schweigen und wiederum nach furchtbaren Sexualverbrechen die starken Kanzlerworte, Kinderschänder für immer einzusperren. Justizminister Erwin Sellering sprang eilfertig auf, vorher hat er das wohl allein nicht gepackt. Danach lehnten aber SPD, Grüne und unser Land diese Initiativen, die sie eigentlich selbst gefordert haben und wo sie den Eindruck bei der Bevölkerung vermittelt haben, dass sie das wollen, wieder ab. Auf meine Anfrage zum Abstimmungsverhalten der Landesregierung antworten Sie lapidar zu den beiden Anträgen zur Sicherungsverwahrung und DNA-Analyse: „Zu den Anträgen wurde für Nichteinbringung der Gesetzentwürfe votiert.“ Ich meine, noch nie war der Unterschied zwischen Worten und Taten so krass wie nach der Regierungsübernahme von 1998 in diesem Land.

(Beifall Dr. Armin Jäger, CDU)

Und am Wochenende, Herbert Helmrich sagte es schon, stand in der Presse, dass für den Justizminister

nach der Einjahresbilanz Sicherheit an erster Stelle stehe. Nachdem, was Ihre Fraktionskollegen hier gesagt haben, muss man das mehr als bezweifeln.

(Angelika Gramkow, PDS: Die Frage ist, wel- che Definition man von Sicherheit anwendet.)

Zum Thema Sicherheitsverwahrung: Wir haben eine rechtsstaatlich begründete Definition,

(Angelika Gramkow, PDS: Das war klar, dass Sie mir das sagen. Dass Sie mir das sagen, Herr Thomas, war klar.)

falls Sie das noch nicht gemerkt haben. Bei Herrn Schoenenburg habe ich davon nichts gehört. Dann muss der Täter hinter Schloss und Riegel und wenn nötig für immer und auf dem SPD-Bundesparteitag wolle man natürlich diesen Antrag einbringen. Ich frage mich nur, welchen Antrag man da einbringen will.

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Diesen Eierantrag von Herrn Friese oder einen vernünftig fundierten Antrag? Ich füge hinzu, Sie wollen den Antrag populistisch einbringen, weil Sie vorher von uns alles abgelehnt haben und jetzt spüren, dass der Druck aus der Bevölkerung wächst. Man muss früher etwas tun,

(Beifall Herbert Helmrich, CDU, und Dr. Armin Jäger, CDU – Herbert Helmrich, CDU: So ist es.)

dann hätten wir einige Opfer schon verhindern können. Herr Sellering, wenn Sie das als Justizminister eines Landes in Mitteleuropa als pragmatische Justizpolitik bezeichnen, dann sollten Sie mal über Ihr Selbstverständnis nachdenken. Schlechtere Vorbilder in Sachen Glaubwürdigkeit, Wertevermittlung und Vertrauen in die Justiz und Politik können dem Bürger wohl nicht mehr vermittelt werden.

Niemand, und vor allen Dingen die Wähler in unserem Land, um die es uns geht, hat Vertrauen in Richter und Politiker, die harte Urteile und Vorgehensweisen ankündigen, dann aber die Verbrecher laufen lassen. Und damit das nicht so bleibt, haben die Baden-Württemberger eine Initiative durchgebracht am 20. Februar. Wir haben sie aufgegriffen und die von Ihnen angeführte fehlende Gesetzgebungskompetenz des Landes ist nach dem Gutachten von Professor Würtenberger ausgeräumt. Die von den Betroffenen – und es geht um die Betroffenen im kleinen Kreis – wirklich ausgehende andauernde Gefahr rechtfertigt auch nach gebotener Abwägung der Rechtsgüter diesen Eingriff in die Freiheit der Straftäter.

Wir hatten eigentlich die Bitte an Sie, unserem Gesetzentwurf zumindest als Überweisung zu folgen. Das wäre auch eine faire Chance gewesen, Ihren Worten Taten folgen zu lassen, also Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Ich glaube, das können wir uns jetzt ersparen. Ich bitte trotzdem noch mal um Überweisung und danke für Ihre Aufmerksamkeit, selbst wenn Sie es ablehnen.

Ich möchte Sie aber bitten, bei so einem ernsten Thema mal über die wirklichen Folgen nachzudenken. Ich glaube, manchmal hilft es auch, wenn man allein und in Ruhe über so etwas nachdenkt, denn das, was wir hier gehört haben, zeugt nicht davon, dass Sie wirklich in Ruhe dieses Thema langfristig und vor allen Dingen aus der Sicht der Opfer betrachtet haben. Sie haben es aus einer sehr einfachen politischen Sicht betrachtet: Wir haben das schon

immer abgelehnt und wir wollen das auch nicht und die CDU will den Überwachungsstaat. Das ist zu einfach. Damit kommen wir nicht weiter und damit nützen wir niemandem und schon gar nicht den Opfern. – Trotzdem vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke, Herr Thomas.

Das Wort hat der Justizminister. Bitte, Herr Sellering.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines der wichtigsten Ziele guter Justizpolitik ist es, Sicherheit zu schaffen vor Straftätern, die in unseren Haftanstalten einsitzen, Sicherheit zu schaffen vor psychisch kranken Straftätern im Maßregelvollzug. Deshalb habe ich, als ich das Amt des Justizministers angetreten habe, gleichzeitig die Verantwortung für die Sicherheit im Maßregelvollzug übernommen.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Wir haben ein neues bauliches Sicherheitskonzept entwickelt und wir haben das Lockerungssystem und die Überprüfung der Einhaltung dieses Systems durch die Aufsichtsbehörde neu vorgegeben. Durch diese Neuordnung ist Ruhe eingekehrt in den Maßregelvollzug. Ich denke, uns allen ist klar, dass es absolute Sicherheit im Maßregelvollzug nicht geben kann, aber ich sage nicht ohne Stolz, das ist eine gute Bilanz, die ich heute auf den Tag genau nach einem Jahr Amtszeit für die Sicherheit im Maßregelvollzug ziehen kann.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Andreas Bluhm, PDS)

Meine Damen und Herren! Im Maßregelvollzug genauso wie auch im allgemeinen Vollzug darf man niemals sagen, jetzt ist das Problem gelöst, ab heute herrscht Sicherheit. Sicherheit ist eine Aufgabe, die ständige Wachsamkeit, ständige Überprüfung der getroffenen Maßnahmen, ständiges Nachdenken über notwendige Veränderungen erfordert. Deshalb habe ich zum Beispiel angeordnet, dass wir in unseren Haftanstalten wieder in unregelmäßigen Abständen routinemäßig Großrevisionen durchführen, die uns von Zeit zu Zeit eine aktuelle Bestandsaufnahme ermöglichen. Und ich bin sehr wachsam, wenn es darum geht zu prüfen, ob wir auf neue Entwicklungen und Erkenntnisse mit Gesetzesänderungen reagieren müssen. Deshalb habe ich zum Beispiel bereits wenige Wochen nach Amtsantritt eine Bundesratsinitiative zur Strafverschärfung bei rechtsextremistischen Straftaten vorgelegt. Und deshalb habe ich auch ganz klar Stellung bezogen zu den Äußerungen des Bundeskanzlers, dass psychisch kranke, schwerste Sexualstraftäter notfalls für immer weggesperrt werden müssen, wenn sie nicht therapierbar sind. Einen Fall Schmökel darf es nicht wieder geben.

Das ist eine schwierige und komplexe Materie, die eine sorgfältige Prüfung unserer Regelungen über die Sicherungsverwahrung verlangt, aber auch eine Auseinandersetzung mit der Frage,

(Wolfgang Riemann, CDU: Dann können wir es doch in den Ausschuss geben.)

ob wir im Bereich der Begutachtung durch die Sachverständigen zu Verbesserungen kommen können durch bessere Ausbildung,

(Harry Glawe, CDU: Es wird immer Therapieresistente geben.)

Vorgabe von Standards, vor allem auch durch die klare Vorgabe, dass wir nicht bereit sind, Leib und Leben weiterer Opfer zu riskieren, wenn jemand schwerste Sexualstraftaten begangen hat, sich therapieresistent zeigt und bei vorsichtigen ersten Lockerungsschritten eklatant versagt hat.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, und was wird dann?)

Bei diesen schwersten Sexualstraftätern – darüber müssen wir uns hier vielleicht verständigen, weil Sie das immer zusammenwerfen mit Ihrem Antrag –,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Nee. – Wolfgang Riemann, CDU: Können wir uns dazu nicht im Ausschuss verständigen?)

geht es um solche Täter, die Vergewaltigung, Mord begangen haben, die deshalb verurteilt werden zu langen Haftstrafen und gleichzeitig zu lebenslanger Sicherungsverwahrung.

(Herbert Helmrich, CDU: Das ist eine andere Fallgruppe. Das ist nicht bei uns.)

Um diese Täter geht es. Auf diese Täter – Herr Helmrich, und ich bitte, dass Sie das begreifen, wenn Sie es nicht schon begriffen haben und nur so tun als ob –, auf diese Äußerung bezieht sich der Bundeskanzler.

(Reinhardt Thomas, CDU: Der weiß gar nicht, worauf er sich bezieht.)

Und er bezieht sich darauf, dass nach unserem System die lebenslange Sicherungsverwahrung natürlich von Zeit zu Zeit Überprüfungen vorsieht. Und es geht darum, bei diesen Überprüfungen kein Risiko einzugehen.

(Herbert Helmrich, CDU: Das ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)