Protocol of the Session on September 20, 2001

Wollen Sie aus dem Rechtsstaat heraus?

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wenn Sie das fragen, ja.)

Ja, die Frage stellt sich Ihnen natürlich gar nicht. Aus unserer Sicht kann der Gesetzentwurf auch die tatsächlichen Probleme nicht lösen. Das beginnt mit einer vagen Beschreibung des Kreises der Einsitzenden, der mit einem Nachschlag an Sicherheitsverwahrung bedacht werden soll. Ich wette, dass Sie keine einigermaßen sichere Prognose bekommen werden, wie erheblich gefährlich der Betreffende ist. Das werden Sie nicht hinkriegen. Wer sich mit der Sache auch nur ein bisschen befasst,...

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sie wollen den erst die zweite Tat begehen lassen.)

Na, Sie wollen auf Verdacht wegschließen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Nee, nee.)

... meine Damen und Herren, weiß doch, wie problematisch Prognosen über künftiges menschliches Verhalten überhaupt sind, denn ich kann doch beispielsweise aus den Reden von Herrn Thomas und dass er sich beharrlich weigert, irgendeine Therapie oder auch allereinfachste Mores in puncto Parlamentskultur anzunehmen, noch nicht auf sein schlimmes politisches Ende schließen.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Was die Sicherheit der Prognose betrifft, empfehle ich einen Artikel des Sexualforschers Professor Bremer in der Zeitschrift „Die Zeit“ vom 19.07. dieses Jahres. Er verweist darauf, dass bereits jetzt eine restriktive Entlassungspraxis für gefährliche Täter besteht. „Wir haben“, so schreibt Professor Bremer, „bei der Prognose zwei große Probleme: Erstens, wir lassen die Falschen heraus. Das kommt vor,“ „aber nicht sehr oft. Zweitens, wir sperren die Falschen ein.“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Einer ist zu viel.)

„Und das kommt leider sehr oft vor...“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Also sperren wir gar keinen ein.)

„Wir sperren lauter Leute ein, die es eigentlich nicht verdienen,“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Also Ihre Logik ist bestechend.)

„je niedriger ich die Gefährlichkeitsschwelle setze“, so fährt Bremer fort

(Herbert Helmrich, CDU: Umkehr des Regel-Ausnahme-Rechtes. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

„desto größer wird ihre Zahl... Wenn ich jeden Sexualtäter, der ein Delikt begangen hat, für immer wegsperre, sperre ich 90 Prozent der Täter unverdient ein, denn nur 10 Prozent von ihnen wird wieder rückfällig.“ So ist die Statistik.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist eine Toplogik.)

Ja, das ist eine Toplogik.

„Das Konzept von der absoluten Sicherheit ist absurd.“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das stimmt.)

„Man kann ja nie genau vorhersehen, wie ein Mensch sich verhält, zum Glück.“

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, deshalb kann man es auch hinterher besser beurteilen.)

Soweit die Meinung eines Experten, meine Damen und Herren von der CDU.

Sie haben auch Experten benannt. Sie haben allerdings nur zwei gefunden, das kann man ja in Ihrer Drucksache nachlesen, einen Baden-Württemberger, der sicherlich das baden-württembergische Gesetz verfasst hat,

(Herbert Helmrich, CDU: Ich habe Ihnen doch ein paar dazu genannt außer denen.)

und einen Menschen aus Bochum. Mehr haben Sie nicht gefunden. Die andere Literatur, die dagegen steht,

lassen Sie selbstverständlich weg. Die CDU spielt mit dem Schicksal von Opfern und dem Schmerz von Angehörigen und gaukelt eine absolute Sicherheit vor, die niemals erfüllt werden kann, schon gar nicht mit einem solchen Gesetz.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ha, ha! – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

In Baden-Württemberg – jetzt passen Sie mal auf, worum es geht, woher der heute hier zur Debatte stehende Gesetzentwurf stammt – fragte ein Abgeordneter der Grünen den dortigen Minister, um wie viele Fälle es denn eigentlich ginge.

(Vizepräsidentin Kerstin Kassner übernimmt den Vorsitz.)

Sie hatten ja die Frage auch aufgeworfen. Antwort des Ministers: Es gibt etwa 20 Sicherheitsverwahrte in Baden-Württemberg, davon kommen möglicherweise 4 Personen in Frage. Nun, meine Damen und Herren, Baden-Württemberg hat 10,4 Millionen Einwohner, 4 davon gehören nach Meinung des Ministers in die nachträgliche Sicherheitsverwahrung. Rechnen Sie mal, wie viel da in Mecklenburg-Vorpommern übrig bleiben! 0,7 Personen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Wie viel?)

0,7 Personen.

Dafür macht die mecklenburg-vorpommersche CDU einen Aufriss und beschäftigt den Landtag fortwährend mit diesem Thema. Wir vergeuden Geld und Zeit und menschliche Ressourcen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Dann können Sie ja nach Hause gehen, wenn Ihnen das zu unbequem ist.)

Wenn wir denn eine Prognose vernünftig zu Wege brächten, dann könnte man ja darüber reden, aber wir haben keine Prognose und wir haben keine sicheren Prognosen. Wie schon einer mal richtig sagte: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Siegfried Friese, SPD)

Das ist die Größenordnung des Problems, in der sich der Gesetzentwurf bewegt, meine Damen und Herren.

Noch eins: Es gibt auch einfach zu wenig ausgebildete Leute in unserem Land, die als Gutachter in den Einrichtungen in Frage kommen. Es werden schließlich kaum dafür Leute ausgebildet, weil kaum Lehrstühle für Forensik vorhanden sind. Die CDU ist daran ja nicht ganz unschuldig, was jedenfalls die Lage in den neuen Bundesländern betrifft,

(Harry Glawe, CDU: Nun ist es aber genug!)

denn Ihrer Partei, meine Damen und Herren von der CDU, verdanken wir doch ganz besonders, dass das DDR-Hochschulstudium Kriminalistik samt den an den juristischen Fakultäten angeschlossenen Bereichen für Forensik vernichtet wurde, eine Tat, die fast als barbarisch bezeichnet werden muss. Dasselbe fehlende Fachpersonal trifft übrigens in Bezug auf Gerichtsmediziner zu. Über solche sachlichen Probleme zu reden, wie wir da etwas lösen können, sind wir gern bereit.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Aber über ideologisch verbrämte, die Bevölkerung sozusagen auf die Palme bringende Themen zu reden – und etwas anderes haben Sie doch gar nicht vor – sind wir nicht bereit. Und deswegen, weil das so ist, werden wir auch nicht zustimmen, dass dieser Antrag in irgendeinen Ausschuss geht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Aha, zu feige für die Diskussion.)

Wie ich nachgewiesen habe, ist er auch nicht finanzrelevant, denn bei einem möglichen Einsitzenden, das wird sozusagen die Landeskasse nicht beschweren, gibt es auch keine Finanzrelevanz.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Und deswegen sind wir dafür, dass diese Überweisung des Gesetzentwurfes abgelehnt wird und die Ausschüsse sich nicht mit solchem Mumpitz und solchem Unsinn beschäftigen sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Vielen Dank, Herr Dr. Schoenenburg.

Herr Helmrich hat offensichtlich nicht mehr das Bedürfnis, seine Frage loszuwerden.